Jürgen Berndt-Lüders

Schuchardt 21

Anke Schuchardt hockte vor dem Geschirrspüler und ordnete das, was ihre Familie hinein gesteckt hatte, bevor sie ihn anstellte.
 
„Marylou, kannst du bitte mal herkommen?“, fauchte sie ihre Tochter an. „Guck mal, wenn du die tiefen und die flachen Teller anders anordnest, wird auch alles sauber. Auf die Art, wie du es machst...“
 
Über ihr erschien der Schatten ihres Mannes.  Sie sah nach oben. Konrad warf das Besteck, was er vom Esszimmertisch eingesammelt hatte, auf die Arbeitsplatte, dass es schepperte. Ein Messer erreichte seinen Zielort nicht und fiel direkt neben Anke auf den gekachelten Boden.
 
Anke sprang auf. „Menno, willst du mich umbringen? Es reicht. Könnt ihr denn nicht mal bei der Sache sein, wenn ihr mir schon helfen wollt?“
 
Marylou hob die Achseln. „Ich weiß nicht, was du willst.“
 
„Ich auch nicht“, rief Konrad. Vater und Tochter waren sich mal wieder einig.
 
„So, wie ihr das macht, hilft es mir kein bisschen“, rief Anke. „Ich muss alles noch mal in die Hand nehmen. Da kann ich es auch gleich selber machen.“
 
Vater und Tochter tauschten verschworene Blicke aus.
 
„Und ich will nicht, dass du arbeiten gehst“, schrie Marylou und warf sich auf die Eckbank.
 
„Ich auch nicht“, fügte Konrad hinzu.
 
Im Fernsehen wies ein gewisser Heiner Geisler eben ein paar Fachleute von der Verwaltung in ihre Schranken.
 
Anke wurde schwarz vor Augen, und dies mit hochrotem Kopf.  „Ach, deshalb sabotiert ihr mich? Damit ich vor lauter Arbeit nicht arbeiten gehen kann? Ich verstehe. Nein, meine Lieben, ich gehe zu meiner Mutter zurück... naja, nicht ganz, aber ist doch wahr.“
 
„Arme, liebe Omi“, lästerte Marylou.
 
„Dann kannst du dir gleich mal zeigen lassen, wie man richtigen Apfelkuchen backt“, murmelte Konrad.
 
Anke riss an ihrer Küchenschürze, diesem verhassten Symbol für eine unterdrückte Hausfrau, aber die Schleife hielt. „Ihr glaubt mir nicht?“
 
Ihre Unterlippe zitterte vor Wut.
 
„Das haben sie schon mal gesagt“, kritisierte der gewisse Herr Geisler im Fernsehen. „Wir wüssten gern etwas Neues von ihnen.“
 
„Menno, Leute, ihr seid nun wirklich nicht mehr auf mich angewiesen. Marylou ist sechzehn, und du, Konrad, kannst auch mal was in der Küche tun. Bei aller Liebe, aber wenn ich jetzt nicht noch einmal auf dem Arbeitsmarkt  Fuß fasse, kann ich meinen Beruf vergessen.“
 
„Wir brauchen einen Schlichter“, schlug Konrad vor.
 
„Wir schreiben den Herrn Geisler an“, beschloss Marylou.
 
„Der kommt doch nicht nur, weil ihr zu faul seid, mal was im Haushalt zu tun“, schrie Anke.
 
„Wer schreit, hat Unrecht“, fand Marylou. „Dann ziehe ich eben zu meinem Freund.“
 
„Musst du da nichts im Haushalt tun?“
 
„Nee, dafür hat der seine Mutter.“
 
Anke schüttelte wild den Kopf und verschwand im Bügelzimmer, wo sie eine Runde heulte.
 
--
„Du hast selbst die Schuld“, rief Anke's Mutter Sieglinde ins Telefon. „Du hast die beiden verwöhnt, und nun zahlst du den Preis dafür.“
 
Anke schreckte hoch. „Wieso bin ich schuld? Typisch meine Mutter. Immer bin ich diejenige...“
 
Anke schluchzte heftig.
 
„Nein, ich bin jetzt nicht deine Mutter, ich bin der Geist der zukünftigen Weihnacht. Ich bin der Schlichter, den du brauchst.“
 
„Ich brauche keinen Schlichter, ich weiß, was ich will. Ich will arbeiten gehen. Nicht mehr und nicht weniger.“
 
„Gerade du brauchst einen Schlichter“, widersprach der Geist Mutter. „Und zwar muss dein Schlichter zuerst zwischen deinem Wunsch nach Selbtsverwirklichung und deinem Pflichtgefühl schlichten. Deine Familie ist sich sicher, dass dein Pflichtgefühl siegen wird, deshalb lässt sie dich einfach auflaufen. Erfolg wirst du nur dann haben, wenn du mit dir selbst im Reinen bist.“
 
Anke putzte sich die Nase und hörte auf zu heulen. „Ich bin doch nicht pflichtvergessen.“
 
„Es gibt doch nicht nur schwarz oder weiß“, beschwichtigte der Geist. „Du musst dich selber fragen, ob du auf etwas verzichten könntest, wenn du arbeiten gingst. Wie sieht es zum Beispiel mit den Weihnachtsvorbereitungen aus?
 
Würdest du keine Kekse mehr backen wollen, wenn’s dich pressiert? Keine Weihnachtsdeko basteln? Nicht mehr für die Feiertage einkaufen, wenn du keine Zeit dafür hättest?“
 
„Das kann auch Marylou machen, oder Konrad.“
 
Der Geist bezweifelte das. „Und du wärst wirklich mit dem Ergebnis zufrieden?“
--
Am zwanzigsten Dezember eröffnete Anke ihren Beiden ihren Entschluss im Detail.
 
„Ab Ersten Januar arbeite ich wieder in meinem alten Beruf“, rief sie energisch. „Ich bin fest entschlossen, und nichts und niemand kann mich davon abbringen.“
 
„Mama“, säuselte Marylou und hockte sich neben ihre Mutter. „Ich seh’ die notwendigen Hausarbeiten einfach nicht. Ich habe keinen Blick dafür.“
 
„Ich auch nicht“,  schloss sich Konrad an. „Und ich möchte nicht, dass unser Haushalt verkommt. Wenn ich nicht genügend Geld verdiene...“
 
Es klingelte an der Haustür. Marylou glaubte wohl, dass ihr Freund käme um sie abzuholen, denn sie huschte blitzschnell an die Haustür.
 
„Oma“, rief die Kleine, und kalter Wind vom Flur her zeugte davon, dass Oma Sieglinde und Tochter Marylou sich umständlich in der offenen Tür begrüßten.
 
„Komm rein, Sieglinde, Schwiegermutter“, rief Konrad in dem freundlichen Tonfall, den er niemals bis fast nie Anke gegenüber drauf hatte.
 
Oma kam rein, drückte alle drei der Reihe nach und verteilte Küsschen. „So, ich bleibe jetzt hier, ziehe ins Bügelzimmer und helfe, wo ich kann.“
 
„Machst du auch den Apfelkuchen zu Weihnachten?“, fragte Konrad nach kurzem Überlegen.
 
„Meinetwegen“, kam nach kurzem, konspirativem Seitenblick auf Sieglindes Tochter. „Aber ich mache noch was Anderes, nämlich euch auch die Hölle heiß, wenn ihr Anke blockiert.“
 
„Unser Schlichter“, stelle Konrad sachlich fest. „Heiner Geisler mit Busen und getöntem Haar.“
 
Vater, Mutter und Tochter  lauschten ergeben.
 
„Ja, ich habe hier etwas vorbereitet“, sagte Sieglinde, beugte sich vor und breitete Pflichtenhefte auf dem Tisch aus. „Also, Marylou wird jeden Tag....“
 
Es wurde eine lange Konferenz.
 
© Jürgen Berndt-Lüders

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jürgen Berndt-Lüders).
Der Beitrag wurde von Jürgen Berndt-Lüders auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Jürgen Berndt-Lüders als Lieblingsautor markieren

Buch von Jürgen Berndt-Lüders:

cover

Vorwärts in die Vergangenheit - Korrigiere deine Fehler von Jürgen Berndt-Lüders



Ein alter, kranker Mann versucht, sich selbst in der Vergangenheit zu beeinflussen, gesünder zu leben.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Alltag" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jürgen Berndt-Lüders

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Als Söhnchen nur kurz Geschichte hatte von Jürgen Berndt-Lüders (Glossen)
Der Kampf gegen die panische Angst von Michael Reißig (Alltag)
.....sich neu entdecken... von Ina Klutzkewitz (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen