Ute Abele

Der Tänzer und das Pferd


Wie ein Pferd mich zu einem Tänzer,
und der Tänzer mich zum Dichten führte

 
 
Für mich war Nijinskij zuerst ein Pferd. Es war das berühmte, vielmals preisgekrönte Rennpferd Nijinski,
benannt nach dem berühmten, mir damals aber noch ganz unbekannten Tänzer. Irgendwie kam ich zu
einem Buch über dieses außergewöhnliche Pferd. Das Buch war in grünes Leinen eingebunden und ich
liebte, wie es roch. Ich war 12 und liebte Pferde. Es waren viele Fotos des Pferdes in dem Buch, dessen
Spezialität es war, auf den letzten Metern mit gewaltigen Galoppsprüngen noch einmal anzuziehen und so
die Rennen zu gewinnen. Er ließ die anderen quasi stehen und flog dahin, durchs Ziel. Ebenso tief beeindruckt
wie die Zuschauer bei den Galopprennen war das Publikum im Ballett, wenn der Tänzer Nijinskij wie schwerelos
fantastisch hoch und weit über die Bühne sprang. Jemand fragte ihn, wie er das mache, dass es so aussehe,
als ob er quasi in der Luft stehen bleibe. Da antwortete Nijinskij: „Das ist ganz einfach: Ich bleibe stehen." -
In dem Buch über das berühmte Pferd stand, dass das Pferd nach diesem außergewöhnlichen Ballett-Tänzer
benannt worden sei, weil dieser auf seinem Sterbebett gesagt habe:


„Ich werde wiederkommen als ein wildes, schönes Pferd."

Ich habe nun alle Tagebücher und die große Biographie und vieles andere, eigentlich so gut wie alles, über
Nijinskij gelesen und es scheint nicht so, als ob er diesen Satz wirklich gesagt hat. Aber er hätte ihn sagen können.
Es hätte zu ihm gepasst. Und natürlich war das ein schöner Satz für dieses Pferde-Buch, schön die Vorstellung,
dass ein wunderbarer Tänzer in einem wunderbaren, schönen Pferd fortlebt. Der Satz faszinierte mich und ich
vergaß ihn nicht mehr. Ich wiederholte ihn immer wieder, als wären es heilige Worte. Dieser Satz brachte mich
viel später dazu, nach dem Tänzer Nijinskij zu forschen. Mit 12 Jahren bekam ich noch nichts heraus, es gab kein
Internet (wie kamen wir damals bloß zurecht??), und im Lexikon stand so gut wie nichts über ihn. Also vergingen
viele Jahre, bis ich mehr über den Tänzer Nijinskij - das Kind, den Faun, den Gott des Tanzes - erfuhr. Als das dann
der Fall war, war ich gleich von den ersten Zeilen an in ihn verliebt. Ich glaubte ihn im Herzen zu spüren, denn vieles
was er in seinen Tagebüchern schrieb, fühlte ich genauso. Irgendwann, auf einem Spaziergang mit meinen Hunden
auf weiten, grünen Wiesen, fielen mir auf einmal poetische Worte für Nijinskij ein. Ich war völlig überrascht, denn ich
hatte noch nie etwas gedichtet und sah mich gar nicht als jemand, der Gedichte schreibt. Ich hatte nichts zu schreiben
dabei, also wiederholte ich die Worte immer wieder, bis ich zuhause war, und schrieb sie auf, und verfasste das
Gedicht auch noch in zwei anderen Sprachen. So ist also Nijinskij schuld an meiner Dichterei.




© Ute Abele

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ute Abele).
Der Beitrag wurde von Ute Abele auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Ute Abele als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Die Kicker von Lindchendorf von Manfred Ende



Humorvoll schreibt der Autor über eine Kindheit im Jahr 1949 in einem kleinen Dorf in der damaligen "Ostzone".
Armut ist allgegenwärtig und der Hunger ein ständiger Begleiter. Für den 11 jährigen Walter, mit der Mutter aus Schlesien vertrieben, ist es eine Zeit des Wandels, der Entdeckungen. Einfallsreichtum und Erfindungsgabe gehören zum Alltag.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Autobiografisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Ute Abele

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Herausgefallen aus allem von Ute Abele (Sonstige)
Meine Bergmannsjahre (dreizehnter Teil) von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)
RC1. Zerstörer der Erde. Fortsetzung der Trilogie von Werner Gschwandtner (Science-Fiction)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen