Julius Galla

Das Schreien – Teil 1

Ich sah das Universum sterben! In sich fallend wie ein Kartenhaus. Äonen und Gezeiten kreuzten sich zu einer unsterblichen Masse aus purem Licht, verwelkend in den Abgrund meiner tiefsten Seele. Das Sein, Bedeutungslos, irrelevant zu den Kräften die ich dort sah.

  • Letzter Eintrag von Joseph Franklin 18.01.1929

 

Ein sanfter Hauch in weiss überzog das Land. Die grossen Fichtenwälder lagen schweigend unter ihrer kalten Last im tiefen Tal. Kein Tier war zu vernehmen, kein Lebenszeichen zu hören. Das alte kolonialistische Dorf, versteckt von der Außenwelt, war wie gelähmt von der zu erfrierenden Jahreszeit und ihrer makaberen Melancholie. Still und Geheimnisvoll ging ein leiser Windhauch durch die maroden Straßen der verschneiten Gemeinde. Die angegrauten Giebel sahen verstummt zu dem unaufhörlichen herabfallenden Schnee hinauf. Niemand war mehr auf den Wegen unterwegs. Kaum ein Lichtstrahl Drang aus ihren behüteten Hütten hinaus.

Der grausame Tod von Mr. Franklin traf die Bewohner schockierend. Eine stark zurückgezogene Person, die ein zwielichtiges Ansehen bei seinen Mitmenschen genoss. Nur wenige sahen ihn bei völligen Leibe, ausser zum Einkauf oder zum Gang zur Postzweigstelle, verließ er sein Haus nie. Der Mann lebte in vollkommener Einsamkeit und mied den Kontakt zu gut wie möglich. Seit jeher lag im Munde, der werte Herr Franklin ließe sich mit blasphemischen Kulten ein. Durch Gerüchte und üble Nachrede stand sein Ansehen unter keinen guten Stern, doch selbst diesen grauenhaften Tod wünschte ihn keine Menschenseele aus dem kleinen Dorfe.

Sämtliche Knochen waren zerberstet in tausende kleine Splitter, zermahlen zu Staub. Der Körper wies überall vereinzelnd Einstiche, als wäre das letzte Fünkchen Leben aus seiner Gestalt gesogen worden. Sein Haupt war entsetzlich, die Augen riesig weit aufgerissen, das Gesicht grotesk entstellt, als ob er den puren Schrecken gesehen hätte. Der gesamte Schauplatz vermittelte eine furchtbare Vergangenheit. Nicht nur der seltsame Zustand der Leiche war bemerkenswert sondern auch der abscheuliche Geruch in seinem grossen Haus, der sich vom Keller bis zum Dach hinzog. Sobald die Hunde diesen bestialischen Gestank rochen gerieten sie in Panik, sie wurden wild vor Wut und äußerst Aggressiv. Allein der Anblick dieses amerikanisch antiken Anwesens verursachte schon ein reines Unbehagen. Das Fundament und der Keller müssten womöglich vor über 100 Jahren erbaut worden sein, in der Zeit als das Dorf gegründet wurde. Die Verwitterung hat üble Schäden hinterlassen. Nichts wurde intakt gehalten, gar repariert. Die Holzwände waren sehr morsch, feucht und jede einzelne verstaubte Diele knarzte ohrenbetäubend laut. Die Einrichtung war sehr spartanisch gehalten, ein Bett, ein Schrank, ein Stuhl und ein Schreibtisch, größtenteils standen viele Räume leer, ohne Inhalt, ohne Wärme. Kein Dekor oder andere Gegenstände zur Verschönerung des Heims waren vorhanden. Wie konnte ein Mensch nur in dieser verkommenden Bleibe leben?

In den darauffolgenden Nächten, nach dem Tod von Mr. Franklin, ertönte ein nervenerschütterndes Schreien durch die Straßen. Es war klirrend hell, verzerrt, unwirklich. Der Standpunkt war nicht zu orten, wie aus dem nichts. Diese Schreie waren all umgebend, mitten im Kopf. Sie wurden immer lauter und lauter, ein schmaler Grad hat gefehlt und ich wäre Wahnsinnig geworden. Sie schmerzten so sehr, verzogen deinen Verstand. Dann plötzlich verstummten Sie. Am nächsten Morgen traute sich keiner mehr vor die Tür. Die Furcht vor diesen Schreien war zu enorm in das Gedächnis gebrannt. Zum bedauern der kleinen Gemeinde nahm dieses Schrecken kein Ende. Nacht für Nacht wurden sie von den verzerrenden Schreien gejagt. Die Situation spitzte sich zu. Der zukünftige Anbruch des Tages wurde mit dem Leichentuch begrüßt. Die Toten wiesen die selben Symptome auf wie bei dem ersten Opfer. Was auch immer für ein Horror dieses Dorf heimsuchte musste in Verbindung mit dem ersten Fall zu stehen. Dem von Mr. Franklin!

Ich begab mich in sein Haus ein letztes Mal. Der Geruch war noch viel stärker als zuvor, mir wurde ganz Übel. Aus irgendeinem der vielen leeren Räume musste dieser Gestank stammen. Ich forschte nach. Der Boden schrie bei jedem Schritt laut auf. Meine kleine Öllaterne spendete mir ausreichend Licht in diesem finsteren Anwesen. Innen war es merkwürdigerweise kälter als außerhalb, als wenn jegliche Wärme absorbiert wäre. Ein gewisser Raum am Ende des langen Flures strahlte eine besondere Präsenz aus, hier war der Geruch zudem am Intensivsten. Dieser Raum wich von den anderen enorm ab, anstatt von tragenden Balken und feuchten Holzwänden gefertigt zu sein, war dieser Raum komplett aus Stein gemauert, als wäre dieses Anwesen auf einem steinernen Haus erbaut worden. Ich inspizierte die Wände genauer. Dieses Zimmer musste noch viel älter als das Gebäude selbst sein. Auf den grossen unförmigen Steinen wuchs eine dicke Schicht aus Moos. Die Bauweise der Wand war sehr merkwürdig. Die Steine waren zwar sehr unförmig, aber passten identisch ineinander. Wie gelang es jemanden so eine individuelle Präzision zu erschaffen? Da fiel mir ein loser verwitterter Stein auf, der sich von den anderen abhebe, dieser passte sich nicht komplett in das Gefüge ein und verriet sich durch seine grossen Lücken. Als ich diesen hinfort zog vernahm ich in einer kleinen Aushöhlung, ein kleines Buch gebunden in einem stark miefenden Ledereinband und einen pechschwarzen Stein. Die Form war atemberaubend, wie unzählige Pyramiden, die ineinander verkehrt, gleichmäßig verschmolzen wären. Die Gestalt war wie aus einem Schlag geformt, als hätte es den Stein schon immer gegeben, oder wäre von keiner Menschenhand geschaffen. Er fühlte sich an wie Metall, doch konnte ich keinen Glanz erkennen. So eine schwarze Färbung hab ich noch nie erblickt. Ich hatte das Gefühl als wenn das Licht sich selbst in dem Stein verliert. Vor lauter staunen über die seltsame Oberfläche des Steines, musste ich vollkommen die Zeit vergessen haben. Meine Öllaterne erlosch und die Nacht war längst eingebrochen und mit ihr meine Privatsphäre. Ein ungutes Gefühl durchzog meinen Körper. Ich fühlte mich beobachtet. Hastig machte ich mich auf den Weg. Ich verließ den Raum und war stark verwundert. Am Ende des langen Flures stand etwas, es war zu dunkel um genau zu erkennen was dort lauerte. Mein Atem begann sich zusammenzuziehen. Nur der Mond schien aus der kühlen Nacht durch das verdreckte Fenster. Einzig und allein war eine schwarze Silhouette zu erkennen. Ich war durchstoßen von Adrenalin. Die Temperatur fiel stark. Mein Schweiß gefror gar am Hals. Die eiskalte Luft schmerzte in der Lunge. Ich vergaß die alten Bodendielen und unvorsichtig beschwor ich ein lautes Knarzen, das durch den Flur hallte. Der Schatten bewegte sich. Meine Beine zitterten. Die Augen waren starr vor Angst bei dem Anblick der sich mir offenbarte. Diese Bewegung war sehr abstrakt, ohne wiederkehrenden Rhythmus, es wirkte wie ein zerlaufener Fluss in alle Richtungen. Der Licht spendende Mond wurde nun ganz und gar von dieser schwarzen Gestalt verdeckt. Mein Augenlicht versiegte. Ein aufbrausendes Gemurmel aus tausenden Stimmen war zu hören. Es Klang wehleidig und nach Hilfe schreiend. Auf einmal öffnete sich der Schatten, eine Lichtflut durchbrach, das von der Dunkelheit getrübte Auge. Es war ein transzendentes Licht, Farben die ich noch nie im Leben erblickt hatte. Ich war schier geblendet davon. Mein Kopf schmerzte, dieses Licht war nicht Gut, die Stimmen wurden immer tosender. Der Schein kam immer näher gleich hätte es mich erreicht, da hielt ich aus lauter Verzweiflung den pechschwarzen Stein zum Schutze. Ein allumfassender Schrei hallte durch das gesamte Haus. Plötzlich kam die Wärme wieder, das Licht war verschwunden.

Was ist geschehen?

Julius G.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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