Nicolai Rosemann

Ein seltsamer Gast

Normalerweise geht man in eine Bar um Leute zu treffen und zu trinken.
Aber dieser Kunde war anders. Er trank zwar auch, aber nicht in dem Maße wie man es erwartet hätte. Er blieb bei einem Getränk am Abend. Nie mehr, nie weniger. Dabei war sein Getränk noch schwierig zu machen und der kleinste Fehler wurde sofort reklamiert. Mit der Zeit hat man aber den Dreh raus und nach einem Monat gab es keine Reklamation mehr von diesem Kunden.
Er war jeden Tag da, zur selben Zeit. Von acht Uhr bis Mitternacht, nie eine Minute länger. Wohin er danach ging, weiß niemand. Vielleicht in eine andere Bar. Keine Ahnung, man hat während der Arbeit auch keine Zeit darauf zu achten. Fragen wäre wahrscheinlich sowieso sinnlos, denn der Kunde sprach selten. Nur seine Bestellung, die nach dem ersten Monat aber stumm erfolgte. Kein Wort des Grußes, kein Wort des Abschiedes. Eine seltsame Gestalt.
In seinem schwarzen Ledermantel, den immer polierten schwarzen Stiefeln und dem Hut sah er aus wie eine Person aus einer anderen Zeit. Einem vorigen Jahrzehnt.
An seinem letzten Abend hatte er noch etwas dabei, etwas das uns in der Bar aber nicht überrascht hat. Er hatte einen Stock bei sich, schwarz wie sein Mantel und eigentlich alles an ihm. Nur der Kopf war weiß, gebleicht. So bleich wie sein Gesicht. Wie ein Vampir sah dieser Kunde aus und da er nur nachts auftauchte, im Sommer gar nicht, munkelten die anderen Arbeiter schon, dass er vielleicht wirklich einer ist. Aber ein Vampir würde sich wohl kaum mit Karibikklängen wie in dieser Bar umgeben.
Aber um zur Sache zu kommen was an ihm außer der Erscheinung seltsam war: er schrieb immer. Auf kleine Karten, wahrscheinlich Karteikarten. Er schrieb schnell und fließend, setzte den Stift nur ab um die Karte umzudrehen. Er schrieb eng, mit schwarzer Tinte. Nie konnte jemand lesen, was er da schrieb. Aber er musste während des Schreibens nicht hinsehen. Er machte alles blind.
 
An seinem letzten Abend bei uns war es aber anders. Er hatte nur eine Karte bei sich. Die linke Hand lag auf dem Knauf des Stocks, die rechte schrieb. Ganz langsam, ungewohnt groß und ewig langsam.
Er schrieb auch nicht, wie man später sah, sondern zeichnete. Ein seltsames Zeichen. Heute kann es niemand mehr beschreiben, aber noch nie hatte irgendjemand so ein Zeichen gesehen.
An diesem Abend kamen auch andere wie der Schreiber, wie man ihn nannte, in die Bar. Sie waren drei, sahen aber anders aus. Sie waren zwar gleich bleich, aber sie trugen auffallende Kleidung. Die erste der drei Personen kam allein, ein Mädchen von vielleicht 18 Jahren. Sie ging zielstrebig auf den Schreiber zu und sagte etwas zu ihm. Dann gab er ihr ohne ein Wort zu sagen eine Karte und packte seine Sachen. Wir sahen ihn oder das Mädchen nie mehr wieder.
Die beiden anderen Unbekannten kamen zusammen. Sie wirkten arabisch, zumindest waren sie so gekleidet. Sie fragten nach dem Mädchen, und was sie hier getan habe.
Nichts ahnend sagten wir den beiden Herren, die irgendwie bedrohlich wirkten, was geschehen war. Dann wollten beide einen Raki trinken, da wir das aber nicht führten, zogen sie von dannen.
Auch sie sahen wir nie mehr wieder. Aber Markus, der Kellner für den unteren Stock, war neugierig und folgte ihnen. Als er zurückkehrte war er ganz verstört.
Er sagte nie was er gesehen hatte, aber in seiner Hand hatte er eine zerknüllte Karte mit der Schrift des Schreibers. Ein einziger Satz stand darauf:
 
Die Welt ist nur ein Schein vor der wahren Welt da draußen
 
Auf der Karte war noch Blut. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Außer dass wir vielleicht nie wieder so einen Drink mixen mussten wie für den Schreiber.
Meine Wenigkeit hat noch einmal einen für den Eigengebrauch gemacht, aber schmackhaft war er bestimmt nicht. Irgendwie schmeckte er beinahe nach Blut.

In gewisser Weise ist das der Vorgänger der Geschichte "Elysium" - es spielt vielleicht ein paar Jahre davor, als der Barkeeper noch nicht zur Organisation gehört und der Mantelmann noch nicht so viel Macht hatNicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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