Diethelm Reiner Kaminski

Schreibschule



Man erzählt sich, dass du Kurzgeschichten schreibst“, sagt Nachbar Maurus.
„Wer ist man?“, frage ich zurück.
„Meine Frau“, sagt er. „Die interessiert sich für so was.“
„Und du?“, frage ich.
„Ich habe was Besseres zu tun“, lacht er.
„Und was zum Beispiel?“, frage ich bissig, weil ich noch nie den Eindruck gehabt habe, dass er seine Zeit sinnvoll nutzt.
„Wagen waschen, Geschäfte, Einladungen, Tennis, Golf, Reisen –
eben was Handfestes, was Sinnvolles.“
„Und Schreiben ist nichts Sinnvolles?“
Maurus lässt die Frage unbeantwortet und fragt stattdessen: „Verkaufst du deine Geschichten , oder was machst du damit?“
„Das nicht“, muss ich zugeben.
„Und wozu schreibst du dann?“
Ich verspüre keine Lust, auf solche Fragen eines Ignoranten einzugehen, aber da rückt Maurus auch schon mit seinem Anliegen heraus.
„Natalie möchte auch Kurzgeschichten schreiben.“
„Und wer oder was hindert deine Frau daran. Du?“
„Im Gegenteil“, sagt Maurus. „Ich unterstütze ihren Wunsch.“
„Das überrascht mich nun“, sage ich, „ich denke, du hältst nicht viel von dieser brotlosen Kunst.“
„Es könnte sie ablenken und auf andere Gedanken bringen.“
„Ablenken wovon?“
„Von ihrer krankhaften Kaufwut. Vor lauter Langeweile fegt sie ständig durch die Boutiquen und gibt ein Heidengeld aus. Wenn du ihr das Schreiben beibringst, würdest du auch mir einen großen Gefallen tun.“
„Du stellt dir das, glaube ich, ein bisschen zu einfach vor“, weiche ich aus. „Schreiben kann man nicht so einfach lernen, dazu gehört auch eine gewisse Begabung.“
„Willst du behaupten, dass Natalie weniger Intelligenz besitzt als du?“, setzt er gleich nach.
„Das nicht“, druckse ich herum, aber …“
„Kein aber“, schmettert er meinen schwachen Abwehrversuch ab. „Ich stelle mir das so vor. Natalie hat ja noch nie eine Kurzgeschichte geschrieben. Da braucht sie erst mal eine kurze Einweisung, sagen wir drei Stunden. Dafür bin ich bereit, dir 20 € pro Stunde zu zahlen. Als Muster könntest du ihr ja auch noch ein paar von deinen Stories als Hauslektüre mitgeben.“
„Und dann?“, frage ich verblüfft.
„Dann schreibt Natalie jeden Tag zwei oder drei Geschichten.“
„Und worin besteht meine Aufgabe?“, frage ich.
„Du baust sie auf. Du lobst sie, damit sie nicht gleich wieder rückfällig wird und die Lust an ihrem neuen Hobby verliert. Für jede Geschichte, die du lobst, zahle ich dir fünf Euro. Ich denke, das ist ein faires Angebot.“
„Und was macht sie mit den vielen Geschichten?“
„Dasselbe wie du mit deinen. Sie legt sie in die Schublade und wartet darauf, dass sie als die neue große Schriftstellerin gefeiert wird. Auch den Floh musst du ihr unbedingt ind Ohr setzen. Worauf wartest du. Nun sag schon ja.“
Ich stimmte zu und habe es nicht bereut. Kurzgeschichten hat Natalie keine geschrieben. Die Geschichten, die sie als Leistungs- und Erfolgsnachweis für ihren Mann brauchte, habe ich ihr geschrieben – jeweils mit einem kurzen handschriftlichen Kommentar unter den Computerausdrucken.
„Natalie macht deutliche Fortschritte. Sie ist mit Lust bei der Sache und entwickelt eine erstaunliche Fantasie.“
Da sage noch einer, Schreiben sei eine brotlose Kunst. Sie hat nicht nur mein bescheidenes Budget aufgebessert und mein eingeschlafenes Liebesleben wiederbelebt, sondern auch drei Menschen glücklicher gemacht.
 


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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