Jürgen Berndt-Lüders

Drei Dinge für die einsame Insel

Sie trafen sich auf dem Weihnachtsmarkt. Zufällig standen sie nebeneinander und lauschten dem Kinderchor. Ihre Augen wirkten traurig, als er ging, doch als Manne mit einem Tee zurück kam, der nach Rum duftete, sah Vero sehnsuchtvoll herüber.
 
„Möchten Sie auch einen?“, fragte Manne, und ob sie einen wollte. Sie wollte möglichst kurzfristig zwei Umstände in ihrem Leben ändern, oder vielleicht auch drei: einen heißen Tee mit Rum und zu Weihnachten nicht allein sein. Und ihr fehlte ein Mann, wenn sie ganz ehrlich zu sich selber war. Aber das war sie selten, denn sie stritt genau dies immer ab, wenn eine Freundin danach fragte.
 
Der Abend verlief harmonisch, und am Ende fragte Manne traurig, ob es das jetzt gewesen sein sollte mit den beiden.
 
Ich bin eine moderne Frau, dachte Vero. Warum soll ich aus anerzogenen Anstandsgründen nach Hause gehen und tagelang sauer auf mich selber sein?
 
„Von mir aus nicht“, sagte Vero, nachdem sie sich einen Ruck gegeben hatte. „Aber eines sage ich dir gleich: falls es zwischen uns zu Intimitäten kommen sollte, hätte das für mich nichts zu bedeuten.“
 
War das jetzt ein Freibrief? Abwarten und Tee trinken, dachte Manne und nahm einen Schluck.
 
*
Die Nacht war wunderbar und sternenklar, kalt bis runter auf 15° minus. Draußen jedenfalls, aber drinnen, in Manne’s Bett war es kuschelig warm.
 
Soviel Zärtlichkeit hatte Vero lange nicht bekommen. Ihre feinen Härchen auf der Haut sprangen Mannes Hand förmlich entgegen, wenn er sie streichelte. Der Typ war sowas aufmerksam, was Vero’s Befindlichkeiten anbelangte, dass sie glaubte, ewig oder nie einen solchen Mann in den Armen gehalten zu haben.
 
Vero war glücklich, einfach nur glücklich.
 
Weil sie aber gesagt hatte, dass ihr solche Intimitäten nichts bedeuteten, konnte sie Manne nicht einfach so gestehen, dass sie schrecklich verknallt war. In Manne, in seine Wohnung, die viel schöner und größer war als ihre und in die ganze Situation.
 
Am Frühstückstisch fühlte sie sich wie eine Prinzessin, oder meinetwegen in Anbetracht ihrer Jahre wie eine Königin. Manne hatte schnell ein paar Brötchen geholt und reichlich aufgetischt, und er bediente sie wie ein Lakai, wobei er nie vergaß, sie zärtlich zu streicheln und in den Nacken zu küssen, wenn er hinter ihr entlang glitt, um Nachschub zu holen.
 
Das ist er, dachte Vero. Das ist der Mann, den ich lieben könnte. Weshalb nur immer diese Ängste?
 
„Wenn du auf eine einsame Insel wolltest und könntest drei Dinge mitnehmen, welche wären das?" fragte sie testweise.
 
Natürlich wollte sie hören, dass er auf jeden Fall Vero mitnehmen würde, denn dann wäre ihr der Übergang ihres Verhaltens von „vorsichtig-abwartend-cool“ zu „spontan-verknallt-hot“  wesentlich leichter gefallen. Dann wäre ja der Wunsch nach dauerhafter Zweisamkeit von ihm ausgegangen.
 
Manne hatte die ganze Nacht über die von Vero geschaffene Grenze zwischen Genuss und Gefühl nicht überspringen wollen, denn er wollte ihr zartes, offensichtlich männergeschädigtes Seelchen nicht mit List und Tücke erobern. Also wäre er gar nicht auf die Idee gekommen, Vero auf die gedachte Insel mitzunehmen.
 
„Ach, weißt du, ich fühle mich so wohl in meiner Haut, dass ich gar nicht auf eine Insel wollte. Ich habe doch alles, was ich brauche. Einen tollen Job, genügend Geld, und hin und wieder erbarmt sich mal eine Frau meines entzugsgepeinigten Körpers.“
 
Au, Scheiße, dachte Vero. In spätestens einer Stunde wirft er mich unter irgend einem Vorwand raus. Der will mich ja gar nicht.
 
„Aber überleg doch mal. Stell dir vor, du könntest deinen Job auch von der Insel aus machen...“
 
„...na, dann würde ich meinen Läppi mitnehmen, und einen Generator, damit ich den Läppi immer wieder aufladen kann, und vielleicht ein- oder zwei Ersatz-Läppis, falls meiner kaputt geht. Und einen USB-Stick für’s Internet.“
 
Grrrr, dachte Vero. In seiner Gefühlswelt bin ich jedenfalls nicht angekommen. Was mach’ ich nur?
 
„Du hast doch aber gesagt, dass du ab und zu eine Frau brauchst. Da wäre aber keine, denn die Insel ist ja einsam. Würdest du eine mitnehmen?“
 
„Ach“, sagte Manne nach kurzem Überlegen. „Bei Robinson Crusoe kommen doch die Kannibalen auf die Insel, um ein Opfer zu verspeisen. Vielleicht brächten meine ja ein hübsches Mädel mit, dass ich befreien würde. Und aus Dankbarkeit wäre sie immer für mich da.“
 
„Dankbarkeit ist Kacke“, fand Vero düster.
 
„Na, dann aus Liebe vielleicht“, überlegte Manne. „Liebe wächst ja manchmal. Am Anfang ist es vielleicht nur ein Spiel...“
 
„Spiel mit mir“, rief Vero und zog Manne seitlich  vom Stuhl herab gleitend nach unten. Sie sanken auf den Fußboden.
 
„Jetzt habe ich drei Dinge, aber nicht für die Insel“, stellte Manne eine Stunde später fest.
 
„Welche?“ fragte sie und fuhr mit dem Zeigefinger zärtlich den Konturen seiner Lippen nach.
 
„Ein heißes Herz, ein steifes Kreuz und einen kalten Hintern“, rief er lachend und widmete sich wieder ihrem Körper. Und ihrer Seele, um das Wichtigste nicht zu vergessen.
 
Der Wecker sprang auf 00:00 Uhr, als sie im Bett waren, um Manne's Hintern anzuwärmen.
 
"Es ist Heilig Abend", rief er. "Ich werde ein Weihnachtslied singen."
 
                                       ♫  Ihr Kin...derlein komm...et. ♫
 
"Um Himmels Willen" schrie Vero. "Und dann noch gleich  mehrere..."
 
© Jürgen Berndt-Lüders
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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