Andreas Rüdig

Der rheinische Erbfolgekrieg

Sie wissen nicht, was der rheinische Erbfolgekrieg ist? Nun, dieseGeschichte kann ich Ihnen erzählen. Haben Sie ein bißchen Zeit? Ja. Dasist gut. Nun brauchen Sie auch ein wenig Geduld. Die Geschichte hörtsich nämlich auf den ersten Blick etwas merkwürdig an...

Augustin XIX Gerowin war im 14. Jahrhundert Landesherr von Emmerich. Er gehörtezu der Zeit schon dem Freiherren-Stand an.  Sein kleiner, feister und rundlicher Körperbau zeugte von einem fröhlichen, ausschweifenden Leben. Von seiner roten, blaugeäderten Nase, der alkoholgeschwängerter Atem, dem schwankendem Gang und der nuschelnden Aussprache wollen wir hier erst gar nicht reden.

Dieser 19. Augustin ist der  Ausgangspunkt meiner Geschichte. "Ich mag keine Gewürzgurken mehr. Ich bin es satt, sie täglich zu essen," sagte er eines Tages. "Nur weil mein Haus- und Leibarzt sagt, Gewürzgurken würden gegen den Kater und Nachdurst helfen, heißt das noch lange nicht, daß ich jeden Tag in die saure Gurke beißen muß."

Was also tun? In dieser mißlichen Situation fällt sein Blick auf den Grafen von Rheurdt. Dessen kleines Reich umfaßt nur das kleine Dorf am Niederrhein mitsamt der umliegenden Bauernhöfe. Da diese aber die Ausmaße von riesigen Latifundien haben, ist die Grafschaft größer, als sie auf den ersten Blick scheint. Der Boden ist sehr sandig. Dementsprechend steht der Spargel dort sehr gut. Und darauf hat es Augustin XIX abgesehen. "Spargel in allen Formen wird mir bestimmt besser helfen als die ewig sauren Gewürzgurken.," dessen ist er sich sehr sicher. Also macht er sich auf den Weg nach Rheurdt.

Xaver, sein aus Bayern vertriebener Kammerdiener, ist seine einzige Eskorte. Doch wie das Leben so spielt: Auf der Reise ist der Durst groß. Der Duft des örtlichen Landweins kitzelt in der Nase. Man prostet sich zu. Und ist bald nicht mehr so ganz Herr seiner Sinne.

In Rheurdt angekommen, findet Augustin XIX schnell ein riesiges Spargelfeld. Als er sich vornüber beugt, um den ersten Spargel zu stechen, schwindet auch schon das Gleichgewicht. Kopfüber steckt  er im Boden. Auch wenn Arme und Beine wild strampeln - Xaver sieht in diesem Augenblick des Rausches nur noch Spargel. Gekonnt trennt er Kopf vom Rumpf, oberirdischen vom unterirdischen Spargelteil - Augustin XIX Gerowin schafft es noch, 2 Meter 94 cm und 3 mm blutüberströmt, kopflos und ziellos herumzulaufen, bevor es ihn niederstreckt. Seitdem ist die männliche Linie seines Stammbaumes ausgestorben.

Björn, Urban und Olaf heißen seine nächsten Verwandten. Sie stammen alle aus nordischen Ländern. Sigurd mußte sogar aus dem fernen Elfenreich "Island" anreisen. Sie alle beanspruchten ihr Erbe.

Maximilian,  Alois und Franz Stephan heißen die nächsten Verwandten von Xaver . Sie schwören auf Rache. "Die Ungeschicklichkeit von Augustin hat bewirkt, daß unser Xaver arbeitslos ist. Augustin hätte Xaver arbeiten lassen sollen, dann würde er noch leben. Schließlich ist Xaver handwerklich geschickter."

Die Bayern kommen mit einer Spezialstreitmacht, die sich an der täglichen militärischen Praxis orientiert. Steinwühlmäuse sollen in die Bausubstanz von Burgen und Schlössern, die es damals zuhauf am Niederrhein gab, eindringen. Die Langhalspferde sollen als Kunschafter eingesetzt werden und mit einem ausgeklügelten Spiegelsystem ihre Informationen an das Hauptquartier weiterleiten. Berühmt und berüchtigt waren die Quartalssäufertauben. Sie hatten nicht nur ihren regulären, normalen Magen. Ob von Natur aus oder angezüchte ist unbekannt - auf jeden Fall hatten sie einen riesigen Hohlkörper unterhalb ihres Magens. Die Quartalssäufertauben konnten diesen Hohlkörper mit Alkohol füllen. Einmal im Flug abgestoßen, bewirkt die Reibung der Luft, daß der Alkohol Feuer fängt; viele verheerende Großbrände sind so entstanden. Dieser Hohlkörper erneuerte sich regelmäßig.

Das nordeuropäische Verteidigungssystem funktionierte aber perfekt, so daß die bajuwarisch-bayerischen Angriffe leicht und schnell abgewehrt werden konnten. Sie wollen wissen, wie? Nun, das kann ich ihnen erzählen.

Fledermäuse wurden  als Abwehrsystem gegen die Quartalssäufertauben eingesetzt. "Denkt an euer Echolot und setzt es eifrig ein," brauchte Björn nur zu sagen und schon flogen die Geschöpfe der Nacht zielgerichtet los. Sie flogen zu den bayerischen Taubenschlägen. Dort störten sie mit ihrem Sonarsystem den Orientierungssinn der Tauben. Diese orientierten sich bei ihren Feuer bringenden Flügen ins Ruhrgebiet. So ist Bayern dafür verantwortlich, daß es zwischen Duisburg und Dortmund so viel Kohle gibt - es sind die verkohlten Bäume aus jenen Tagen.

Elfen haben bekanntlich Flügel. Sigurd brachte gleich eine ganze Kompanie von ihnen aus Island mit. Einige Elfen wurden auf das Spiegelsystem der Langhalspferde gesetzt. Sie verstellten die Spiegel. Sie senden bis heute eintreffende Lichtzeichen gen Norden; dort sind sie als Wetterleuchten bekannt. Das nordische Wetterleuchten hat also nichts mit Kometen oder Sternschnuppen zu tun, sondern etwas mit der niederrheinischen Regionalgeschichte. Und vor allem etwas mit mythischen Wesen.

Feen sind ja, wie jeder weiß, hübsche, wohlanschauliche Frauen, die mit magischen Fähigkeiten ausgestattet sind. Die nordischen Niederrheinerben setzten einige schwedische Schönheit gezielt ein. Franz Stephan wurde von Sigrid auf Anhieb bezirzt. Maximilian landete irgendwann im Bett von Maria Annasdottir. "Oh, du meine Güte,daß ich das noch mal auf meine alten Tage erleben darf," konnte er da nur stöhnen. Um Alois brauchte sich niemand mehr kümmern - er war schon überstimmt.

So hätte man meinen sollen. Doch er trennt sich von dem Dreigestirn. "Ich schaffe das schon allein." Das trieb ihn an, einen Alleingang zu wagen. Er wollte mit einer kleinen Heerschar  das Rathaus Emmerichs besetzen, die Bürgeschaft entmachten, allen Reichtum einsammeln und neuer Landesherr (wenn möglich sogar Freiherr oder Prinz) des Rheinlandes werden.

Urban bekam aber durch seine Spitzel Wind davon. Also setzte er seine Hexen und Zauberer ein. Sie brannten einen speziellen Zaubertrank. "Es ist eine Mischung aus Bier, Spargel, Rosenkohl, Blumenkohl, Wirsing, Sauerkraut, Rotkohl sowie einige Gewürze, also ein vegetarisch-alkoholischer Eintopf," berichten die einheimischen Kochtopfhobbygeschichtswissenschaftler.

Der Spezialeffekt dieses Zaubertrunks: Die darin enthaltene Flüssigkeit verflüchtigt sich schon während des Zubereitens; zurück bleibt ein wohlschmeckendes, nahrhaftes, gesundes und reichhaltiges Gericht, das auch über längere Zeit aufbewahrt werden kann. Mit Fächern und Wedeln bliesen Urban und seine Männer  die Flüssigkeitsschwaden in Richtung bayerisches Heer. Gleichzeitig sorgten die Zauberer dafür, daß urplötzlich Regenwolken auftauchten und sich zusammen mit den Feuchtigkeitsschwaden über den Bayern entbunden. Naiv, wie die Bayern waren, füllten sie so ihre Trinkwasservorräte auf. Und was passierte? Als sie davon tranken, fühlten sie sich leicht, schwerelos und meinten, sie könnten fliegen. Wichtiger, zumindest aus Sicht der Niederrheiner aber war: Sie verloren völlig die Orientierung. "Wir sind hier völlig falsch," ließ ihnen Urban durch einen Spion einflüßtern. Verwirrt, wie sie waren, glaubten die Bayern ihm. In dieser Situation taten sie etwas völlig Unerwartetes, etwas, was ihnen vorher noch nie in den Sinn gekommen war. Sie bauten sich ein großes Schiff. Und betätigten sich als Ruderer und Flößer. Als sie so stromaufwärts fuhren, kamen sie natürlich irgendwann zur  Ruhr. "Wir müssen hier jetzt links abbiegen," behauptete der Spion. Gesagt, getan - die Streitmacht bog links ab. Erst als sie in Dortmund ankamen, erwachten die Bayern aus ihrem Rausch. Doch da war der begehrte Niederrhein schon weit weg. "Egal," ruft da Alois aus. "Das Westphalen liegt vor uns. Das ist ein weites und reiches Land. Halten wir uns dort schadlos und kehren dann heim in unsere geliebten und beliebten Berge."

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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