Hans Witteborg

Kindheitserinnerungen

Wenn man dem beruflichem Leben den Rücken gekehrt hat, blickt man häufiger auf das zurück was hinter einem liegt als nach vorne um die Strecke Lebensweges, die man noch gehen möchte ohne daß man dies im geringsten beeinflussen kann. Man hat die vermeintlichen Dummheiten des Lebens hinter sich, bzw. denkt man vermeintlich, daß dies der Fall ist. Somit kann man gelassen auf die Vergangenheit sehen in der nichts mehr passieren kann, außer, daß man sie sich in aller Unehrlichkeit schön redet. Man lehnt sich zurück und erinnert sich.
Es war in den letzten Kriegstagen. Meine Familie war ausgebombt und lebte verstreut bei einigen Verwandten, die das Glück hatten, in weniger bewohnten Gebieten zu leben, die den englischen und amerikanischen Bombenfliegern irgendwie schnuppe waren. Wir waren vier Geschwister. Mein Bruder war als Fallschirmjäger wohl noch in dem Glauben den Krieg zu gewinnen, meine älteste Schwester war bei einer Tante als willige Hilfskraft in Vlotho untergebracht, meine jüngste Schwester und ich, sowie meine beiden Cousins, die wie ich ebenfalls den Alliierten nichts getan hatten, wurden trotzdem von denen mit Bombenhagel eingedeckt. Meine Eltern und die Eltern meiner Cousins entzogen uns den Bomberpiloten, indem sie uns zu meinen Großeltern
ins malerische Bad Salzuflen „evakuierten“. Hier lebten wir auf engstem Raum, was uns Kindern nicht viel ausmachte. Im Nachhinein könnte ich mir die bedrückende Enge für die Großeltern allerdings vorstellen. Meine Großmutter war eine sehr resolute Frau, deren Nerven wir jedoch arg strapazierten, denn das Gezänk unter uns Kindern war gelinde gesagt unerträglich. Mein Großvater war zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Berufsleben ausgeschieden, hatte also sein 65. Lebensjahr überschritten, demnach schon etwas altersmilde, mit beginnender Schüttellähmung gezeichnet aber als ehemaliger Buchhalter sehr penibel, was sich in einer gewissen Langsamkeit ausdrückte, die zunehmend meine Großmutter reizte. Mit anderen Worten, er war für uns Kinder ein sehr, sehr alter Mann, der unserer Quirligkeit nicht gewachsen war. Sein erzieherisches Donnerwetter kam durch seine Langsamkeit immer so verspätet, daß es nutzlos verpuffte, was wiederum meine Großmutter all ihre Güte vergessen ließ. Rudolph – so sein Name zog sich daraufhin immer in seinen Sessel zurück und frönte seiner wohl einzigen Leidenschaft, dem Pfeiferauchen. In diese friedliche Stille hinein platze meine Großmutter, schob uns Kinder vor sich her und herrschte ihn an: „ Rudolph, kannst du nur immer rumsitzen und rauchen, willst du dich nicht mal um die Blagen kümmern?“ So liebevoll wie sie uns einzeln behandelte, so rigoros nannte sie uns in der Gemeinschaft immer „die Blagen.“
Rudolph war friedlich und so bat er uns zu seinen Füßen auf der Erde Platz zu nehmen und einer seiner wundervollen Geschichten zu lauschen, die von den Tieren des Waldes handelten. Hier muß ich kurz die Szene unterbrechen, um zum näheren Verständnis einige Bemerkungen hinzufügen.
Es gab in der Wohnung meiner Großeltern soweit mir erinnerlich zwei Bücher: eine wundervoll illustrierte Bibel und ein Buch mit dem Titel „Hampit der Jäger“. Dieses Buch hatte mein Großvater wohl schon so häufig gelesen, daß es fast auseinander fiel, ja, heute bin ich mir sicher, jede Zeile davon kannte er auswendig. Als Naturfreund, der er war, hatten es ihm die heimischen Wildtiere besonders angetan. Seine Geschichten, die uns so faszinierten, handelten ausschließlich von diesen Kreaturen und er verlieh ihnen die entsprechenden Charakteren und Eigenschaften, die seine Märchenstunden so interessant und spannend machten. Opa erzählte und wir waren ganz Ohr. Doch zunächst galt es einer besonderen Zeremonie beizuwohnen. Rudoph legte, nachdem wir zu seinen Füßen Platz genommen hatten, seine kurze Shag –Pfeife selbstverständlich mit allem Umstand zur Seite griff sich eine unter dem Tischchen immer an der selben Stelle liegende lange Pfeife mit dem Porzellankopf auf dem ein Hirsch abgebildet war, stopfte sie mit einem „Tabak“-Gemisch, das er einem kleinen Lederbeutel entnahm, zündete mit zittirger Hand ein Streicholz an und setzte die Pfeife nach einigen Versuchen tatsächlich in Brand. Dann atmete er tief durch, nahm einige tiefe Züge mit geschlossenen Augen, blies behaglich den Rauch aus und begann unter einem schmatzenden Geräusch mit den Worten: „ Ja, Kinder wißt ihr“... das war für uns wie die Formel aller Märchen, „es war einmal“.
Wir lauschten den Abenteuern von Fuchs und Hase, wie sie sich am Obernberg in Bad Salzuflen gegenseitig herein legten oder wie der Rabe den Fuchs überlistete. Immer neue und tollerer Geschichten ließ er sich einfallen und wir konnten mehrere Pfeifenfüllungen überstehen, ohne Langeweile aufkommen zu lassen, während Oma Klara im Haushalt werkelte und vor uns ihre Ruhe hatte. Bis eines Tages...

Ich hatte bereits erwähnt, daß sich die Erinnerungen auf die letzten Kriegstage bezogen. Eine Zeit in der alles knapp war oder gar nicht zu bekommen. Mein Großvater hatte in einem ganz kleinen Eck des Gartens versucht Tabak anzupflanzen. Die Blätter der wohl kümmerlichen Ernte hatte er auf dem Boden getrocknet und zu Pfeifentabak zerrieben. Irgendwann war der Vorrat erschöpft und mein Großvater begann damit Wildpflanzen unter den Tabak zu mischen, um ihn zu strecken. Das roch für meine Großmutter nicht mehr wohlig und sie versuchte deshalb Rudolph von seinem Laster abzubringen. Nichts half. Da muß ihr wohl der Teufel eine blöde Idee eingeflüstert haben. Wie später zu erfahren, hatte sie durch die Pfeife eine Pferdehaar gezogen.
Mein ahnungsloser Opa fing gerade an die Geschichte vom Hirsch und dem Förster Hagelwetter zu erzählen,
als er plötzlich ganz blaß wurde. Ein unerträglicher Gestank machte sich im Raum bemerkbar und mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit sprang mein Großvater auf , husch durch die Tür ... und ward nicht mehr gesehen.
Er hatte sich auch am nächsten Tag nicht blicken lassen und das Bett nicht verlassen.
Die mütterliche Fürsorglichkeit, die meine Großmutter ihm darauf zuteil werden ließ, entsprang im Nachhinein betrachtet entweder einem fürchterlich schrecklichem Gewissen oder einer ungeheuren Heuchelei.
Meine Großmutter hat nie wieder versucht in die Leidenschaft meines Opas einzugreifen, der hat auch nicht das Pfeiferauchen eingestellt und die Zeit hat all dies längst verschluckt. Bis auf die Geschichten, die Opa erzählte, denn sie wirken in mir heute noch nach. In mir, der ich im Ruhestand begonnen habe, selber Geschichten zu erfinden und auch von Natur und Jagd dichte. An Euch liegt es die zu lesen...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.01.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Gedichte begleiten durch die vier Jahreszeiten und erzählen wie die Natur erwacht, blüht und welkt, wissen von reicher Ernte zu berichten. Der Spätsommer im Park, winterliche Gefilde oder Mailandschaften scheinen auf. Der Autor verwendet meist gereimte Zeilen, zeigt sich als Suchender, der neues Terrain entdecken möchte. Der Band spricht von den Zeiten der Liebe, zeigt enttäuschte Hoffnungen und die Spur der Einsamkeit. Wut und Trauer werden nicht ausgespart. Es dreht sich das Kaleidoskop der Emotionen. Der kritische Blick auf die Gesellschaft und sich selbst kommt zum Zuge. Kassandras Rufe sind zu hören. Zu guter Letzt würzt ein Kapitel Humor und Satire. So nimmt der Autor seine Zettelwirtschaft aufs Korn, ein hoffnungsloser Fall.

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