Jürgen Berndt-Lüders

Szenen einer Ehe (5)

„...und dann sind wir über die blühende Wiese gelaufen. Er hat mich mit letzter Kraft erreicht, von hinten angesprungen und zu Boden geworfen. Und dann sind wir zusammen den Hang hinunter gerollt“, erzählt Vroni und lacht.
 
Hans, der mit hinter dem Kopf verschränkten Armen neben ihr liegt, verzieht keine Miene.
 
Vielleicht sollte ich keine Situationen von früher erzählen, in denen ich mit einem anderen Mann glücklich war, denkt Vroni.
 
„Wie war es denn bei dir? Hast du mit deinen Partnerinnen auch so viel Spaß gehabt?“
 
„Klar. Spaß und auch Ärger. Sonst wären wir nicht zusammen gewesen und hätten uns später nicht  getrennt.“
 
Vroni stützt sich auf den Ellenbogen.
 
„Ich erzähle und erzähle, nicht nur solche Bagatellen wie eben, sondern auch, weshalb meine Beziehungen kaputt gegangen sind, und du schweigst und schweigst und schweigst...
 
Meinst du nicht, dass Partner einen Anspruch darauf haben, auch belanglose Einzelheiten im Leben des anderen zu kennen?“
 
„Doch, aber der andere muss auch damit umgehen können.“
 
Vroni setzt sich aufrecht. „Wie soll ich denn das verstehen?“
 
Hans merkt man an, dass er am Sonntag Morgen im Bett keine Probleme wälzen will, aber er beschließt, vorsichtig zu erläutern, weshalb er nicht mehr viel von sich erzählt.
 
„Wenn ich einer etwas anvertraue, was ich mal angestellt habe, was ich aber bereue und nie mehr wiederholen werde, und meine Partnerin verwendet diese Kenntnis irgendwann gegen mich, ist das unfair.“
 
Vroni versteht. Sie weiß nur nicht, welche der vielen Sünden Hans meint, die er mal gebeichtet hat.
 
Geht es darum, dass er mal als 14jähriger Lederhandschuhe aus der Tasche eines Mantels geklaut hat?
 
Oder darum, dass er einer mal die Ehe in Aussicht gestellt hat, nur um sie ins Bett zu bekommen?
 
Oder darum, dass er vor Gericht eine nicht ganz zutreffende Zeugenaussage zugunsten eines Kumpels gemacht hat, der daraufhin frei gesprochen wurde?
 
An all dies und anderes hat Vroni ihn erinnert, wenn sie Argumente gebraucht hat.
 
Vroni holt tief Luft. „Als ich noch kaum was von dir wusste, wollte ich mir ein Bild von dir machen. Meine Liebe zu dir war nicht mehr ganz so aufschäumend wie zu Anfang, und bevor ich dich heiratete, wollte ich wissen, wie die Schattenseiten meines geliebten Hans aussehen. Und darum...“
 
In Hans steigt der Adrenalinspiegel.
 
„...ach, es war also ein Test. Und ich, wenn ich dir was erzählte,  wollte mich dir öffnen, wollte nichts zurückhalten, was in meinem Leben eine Rolle gespielt hatte. Und du hast mir nur lauter solche Sachen wie eben erzählt. Und immer waren die Männer schuld, wenn deine Beziehungen kaputt gingen.“
 
„Du hättest ja nachfragen können“, ruft Vroni. „Aber es hat dich wohl nicht interessiert.“
 
Hans verliert seine Kontrolle und bringt Argumente, die er nie hatte bringen wollen. Argumente unterhalb der Gürtellinie. Genau wie Vroni.
 
 „Ich frage dich doch nicht nach Dingen, die du nicht freiwillig raus rückst. Ich frage dich doch nicht, ob du beispielsweise Orgasmen gespielt hast,  wie bei mir manchmal.“
 
Vroni springt wütend aus dem Bett. „Sowas macht eine Frau manchmal, wenn sie genau weiß, dass der Mann erst aufhört, wenn er sie zufrieden gestellt hat. Und wenn sie müde ist und schlafen will...“
 
„...dann sagt man, Schatz, lass uns bitte aufhören und schlafen.
 
Jetzt, wo du’s zugegeben hast, werde ich jedesmal glauben, du hättest diesen Orgasmus auch wieder gespielt.“
 
„Siehst du“, ruft Vroni. „Und ich glaube jedesmal, wenn wir im Restaurant an einem Mantel vorbei kommen, aus dessen Taschen Handschuhe heraus ragen, dass du die jetzt klauen wirst.“
 
Hans dreht sich weg. „Damals war ich vierzehn. Heute kann  ich mir meine Handschuhe kaufen. Ab jetzt erfährst du noch weniger von mir. Guten Tag und guten Weg, und damit hat sich’s.“
 
„Das ist keine Ehe“, schreit sie. „Dann lasse ich mich scheiden. Davon erfährst du dann von meinem Anwalt.“
 
Vroni rennt aus dem Schlafzimmer und schmeißt die Tür. Hans verzieht das Gesicht und erwartet einen Knall. Es kommt keiner. Nur gut, dass die Tür schallgedämpft ist.
 
Ich werde meine Geständnisse auch besser „schalldämpfen“ müssen. Auch wenn es dann später heißt, dass Männer nichts raus lassen, denkt Hans.
 
© Jürgen Berndt-Lüders

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