Diethelm Reiner Kaminski

Kennzeichnungspflicht



„Was ich dich noch fragen wollte … Wie es denn eigentlich die Kennzeichnungspflicht für Ausländer angelaufen?“, fragte Richard seinen Freund Ansgar. Der saß im Innenministerium, wo sie, wenn man Ansgar Glauben schenken wollte, gerade daran arbeiteten, eine neue Gesellschaftsordnung auszubrüten. Ansgar war ein kleines Licht in der gigantischen Behörde und zu sagen hatte er rein gar nichts, aber er hatte seine Ohren überall und wusste eine Menge. Oder tat wenigstens so.
„Schleppend“, sagte Ansgar, „schleppend, nach vielversprechendem Anfang.“
„Aber vorige Woche warst du doch noch so begeistert und hast gesagt: Jetzt kriegen wir sie endlich. Jetzt geht uns keiner mehr durch die Lappen“, erinnerte Richard ihn an seine Worte.
„Der Meinung bin ich auch immer noch, so schnell geben wir nicht auf. Aber wir sind noch in der Erprobungsphase, und da hat es Probleme gegeben, mit denen wir nicht gerechnet hatten. Ich muss dich auch berichtigen: Wir hatten nie die Absicht, alle Ausländer in die Kennzeichnungsaktion einzubeziehen, nur die Auffälligen und die, die sich partout nicht integrieren lassen wollen. Die sollen merken: Wir können auch anders.“
„Und wie soll die Kennzeichnung aussehen?“, fragte Richard.
„Wir laden sie vor und verabreichen ihnen einen kleinen Cocktail. Ein Gläschen von dem Willkommenstrunk, und ihre Haut verfärbt sich grün, blau oder violett, je nach Schweregrad des Widerstands gegen unseren Integrationserlass. Wer so eingefärbt herumläuft, dürfte es noch schwerer haben als bisher, eine Wohnung oder einen Job zu finden. Es stehen natürlich auch hohe Strafen auf Zuwiderhandlungen, sowohl für Vermieter und Arbeitgeber als auch für die Verweigerer selbst“, erläuterte Ansgar die Pläne des Ministeriums.
„Und warum bleibt ihr nicht bei den Verbotsstempeln in den Pässen?“, fragte Richard.
„Du bist vielleicht naiv“, sagte Ansgar mitleidig, „weil die Pässe schneller gefälscht werden, als die Ordnungsbehörden sie ausstellen können.“
„Und gehen die Betroffenen, wenn ihnen Einfärbung droht, nicht in den Untergrund oder setzen sich nach Italien oder nach Belgien ab? Dann wird doch das Problem nur weitergereicht“, gab Richard zu bedenken.
„Wird es nicht. Die Chancen stehen gut, dass unsere Kennzeichnungspflicht EU-weit eingeführt wird. Und wenn sich das erst einmal herumgesprochen hat, kommen sie entweder gar nicht erst oder passen sich endlich an.“
„Und wenn sie sich angepasst haben? Was ist dann mit der Farbe? Geht die dann auch wieder raus?“, wollte Richard wissen.
„Natürlich, auch dafür haben wir schon ein Gegenmittel entwickeln lassen. Das wird natürlich strengstens unter Verschluss gehalten. Nicht auszudenken, wenn das Rezept in unbefugte Hände gelangte. Dann wären alle unsere Bemühungen umsonst“, sagte Ansgar.
„Das klingt soweit durchdacht und vernünftig. Und wo liegen nun die Probleme?“, fragte Richard.
„Unsere eigenen Bürger haben unsere Aktion aus Unwissenheit torpediert. Du wirst verstehen, dass wir unsere Pläne nicht an die Öffentlichkeit tragen konnten. Als da plötzlich Menschen mit blauer, grüner, violetter Haut in den Städten herumliefen, haben manche gedacht, dass sei ein Gag der Kosmetikindustrie. Sie fanden es chic und wollten es auch haben“, sagte Ansgar.
„Ja, aber hattest du nicht gesagt, ihr haltet das Rezept der Cocktails geheim?“, fragte Richard.
„Das tun wir auch“, verteidigte Ansgar seine Behörde, aber die Kosmetikindustrie hat das große Geschäft gewittert und ein ähnliches Produkt entwickelt. Unsere Maßnahme ist natürlich hinfällig, wenn wir gar nicht mehr zwischen Ausländern und Inländern unterscheiden können. Das wirft uns um Jahre zurück.“
„Und jetzt?“, fragte Richard.
„Das wissen wir noch nicht. Wir arbeiten dran. Aber sei sicher: Wir lösen das Problem, wie wir bis jetzt noch jedes Problem gelöst haben. Und ich werde eines Tages sagen können: Ich habe daran mitgewirkt, unsere Gesellschaft zu retten.“
 


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