Hans Witteborg

Erzähl mir was vom Pferd


Erzähl mir was vom Pferd…
(eine Fabel für kleine Erwachsene und erwachsene Kleine)

In einem Land in dem schon seit Generationen stinkige Maschinen die schweren Arbeiten dem Freunde des Menschen, dem Pferde, übernommen hatten, waren Pferde eigentlich überflüssiger Luxus geworden. Da der Mensch keinen oder nur geringen Nutzen aus ihnen ziehen konnte, taugten sie in seinen Augen vielleicht noch für die Wurst oder zu sportlichen Vergnügungen. Einige Gutmenschen wollten eventuell noch die Vielfalt einstiger Rassen erhalten und züchteten seltenere Exemplare zu ihrem Vergnügen. So begab es sich, dass in einigen ländlichen Gegenden zuweilen Gestüte noch aufrechterhalten wurden einzig dem Zweck durch Verkauf von Rassepferden an vergnügungssüchtige Menschen Geld zu verdienen. In wenigen Fällen, wo der Platz dafür vorhanden war und Wiesen und Weiden Möglichkeiten des Auslaufs und der Fütterung hergaben, hielt man sich die edlen Tiere, weil man sich an ihnen erfreute.
So auch in einem Dorf, das weit, weit hinter der Zivilisation lag und deshalb die Stimme der Natur noch gehört wurde, wenn man bereit war ihr zu lauschen. Ich erwähne es deshalb, weil so weit von jeder Realität des täglichen Lebens die Pferde noch untereinander sich in der Wieherschnauben-Sprache verständigen konnten. Genug der Vorbemerkungen. Begeben wir uns dort hin, wo zwei große Weidebereiche getrennt durch einen Elektrozaun aneinander stießen. Die eine Weide wurde durch eine hochmütige Pferdedame genutzt, zu deren Begleitung man ein wuscheliges Dartmoor-Pony, das auch Stallgefährtin war, zugesellt hatte. Von Ferne hätte man auch meinen können, es handele sich um eine Stute mit ihrem Fohlen. Aber beim Näherkommen… welch ein augenfälliger Unterschied. die Pferdedame war eine Schönheit – eine Hannoveranerin von großem Adel. Ihr Stockmaß betrug stolze 168 cm. Ihr Kopf war edel und trocken, wie man in Fachkreisen bemerkte, Ihre Augen groß und aufmerksam mit offenem Blick. Sie hatte große Nüstern und eine ausgeprägte Maulspalte,
eine lange schräge Schulter und weit in den Rücken reichenden Widerrist. der Rahmen langbeinig, großrahmig mit geschlossener Oberlinie. Muskulöse aber schlanke Beine, elastische Mittelfesseln – kurzum, das Musterbeispiel eines Springpferdes. Sie machte einen intelligenten doch sensiblen Eindruck. Allein ihre Umgänglichkeit ließ zu wünschen übrig, anders ausgedrückt: sie war total zickig, wenigstens gegenüber ihren Artgenossen. Welch ein Gegensatz zudem ihr zugesellten Dartmoor-Ponny, das die hohe Dame nur deshalb auf der Weide duldete, weil es vom Aussehen her ihr nicht das Wasser reichen konnte und zudem ihre lächerliche Zickigkeit geduldig, ja stoisch ertrug. die helle Mähne der Kleinen fiel oder stand struppig über Kopf und Hals, der gedrungen und dem Körpermaß mit einer Stockhöhe von 113cm angepasst war. Pummelig, fast rund der Rahmen mit den kurzen dicken Beinen und einem beachtlichen Hinterteil, wobei der Ausdruck „beachtlich“ eher „fett“ Platz machen müsste. Dafür war sie aber fröhlichen Gemütes hin bis zum Übermut, wenn sie sich auf dem Rücken liegend ohne Rücksicht auf das zottelig braune Fell auf der Weide wälzte. „Wie kannst du dich derart gehen lassen“, kritisierte die hochnäsige Princess – so der Name unserer Hannoveranerin. „Schau, wie du dich wieder zugesaut hast – staubig, ekelig, komm mir nur nicht zu nahe“, schnaubte sie entrüstet. „Sieh mich an, mein schwarzes Fell glänzt gepflegt in der Sonne, wie eine Rabenfeder und hast du mich schon einmal unfrisiert gesehen? Schweif und Mähne immer tipp-topp.“ Das Dartmoor-Pony wieherte lustig zurück: „ dafür bist du einsam und hast keine Freunde, weil du andere Stuten immer beißt und nach ihnen schlägst, schämen solltest du dich!“ „Wer soll sich schämen?“ schnaubte es von der anderen Weide herüber. Ein Rheinisch-Deutsches-Kaltblut kam schwerfällig daher getrabt. Der Fuchs namens Ramson, Stockmaß 170 cm, so mächtig schwer wie das Gewicht von 20 Schulkindern und Hufen so groß wie Topfdeckel, mit hellem Behang über den Gelenken, war er fürwahr eine imposante Erscheinung, strotze nur so vor Kraft und hatte einen Hintern, einen Hintern sage ich euch – wenn der pupste, dann fielen die Fliegen von der Wand. Aber gutmütig bis zur Selbstaufgabe hatte er sich als Arbeitspferd bewährt und im Rückedienst in dem nahen Wald manche gefällten Baumstämme herausgeschleppt. so verdiente er sich redlich seinen Lebensunterhalt. „ Misch dich nicht ein – du unförmige Gestalt von einem Gaul, dick gefressen wie du bist, hast du die Beweglichkeit einer Straßenwalze. Und diese Behaarung über deinen Hufen! Schleich dich, du Ungetüm.“ Damit dreht sie sich um und äppelte kräftig vor seiner Nase. (Ob daher wohl der Ausdruck veräppeln stammt?). Das war wirklich mehr als eine ungehörige Abfuhr, die die Pferdedame da erteilte. Ja, sie fand es sogar lustig, als Ramson gesenkten Hauptes davon schritt. „Kannst wohl nicht schneller, alter Fettsack“, wieherte Princess höhnisch hinter ihm her. „So machst du dir keine Freunde“, wagte das Pony einzuwerfen. „Halt ´s Maul“, war alles, was die feine Dame für ihre Kameradin übrig hatte. Im grazilen Trab entfernte sie sich und wurde für den ganzen Tag nicht mehr gesehen.
Einmal geschah es, dass Menschen Tonnen und Balken auf die Weide schleppten und daraus einen Hindernis-Parcours aufbauten. Neugierig sah Emma, das Dartmoor-Pony, dem Treiben zu - als Princess aufgezäumt und gesattelt von ihrer jungen Besitzerin auf die Weide geführt wurde. Mit elegantem Schwung saß die junge Reiterin auf und im zunächst stolzen Schritt bewegte sich das Paar in die Runde. Dann aber lenkte die Reiterin Princess auf das erste Hindernis zu, ritt mit weitgreifendem Galopp vor die Barre und leichtfüßig, ohne das Hindernis zu berühren, setzten sie darüber hinweg. Im verhaltenen Galopp wurde der Oxer in Angriff genommen. doch zu nahe angesetzt wurde der Sprung! Princess stolperte in das Hindernis und stürzte, Reiterin kopfüber. Das Pferd wieherte und schnaufte vor Schmerz und auf der Seite liegend, schlug es mit den Hufen bis es in Schockstarre geriet. Die Reiterin erhob sich unverletzt aber benommen. Sah mitleidlos auf das Pferd und schimpfte: „dämliche Zicke, hast dir wohl das Bein gebrochen.“ Dann entfernte sie sich – vielleicht um Hilfe zu holen?

Emma hatte mit Entsetzen nur die Worte „Bein gebrochen“ gehört. Sie wusste das könnte das Todesurteil für Princess bedeuten. Aber was tun? So schnell es ihre pummelige Figur erlaubte, lief sie zum Zaun der Nachbarweide und wieherte nach Ramson: Der kam an gallopiert, dass die Erde bebte und der Grasssoden nur so durch die Luft flog. Emma brauchte nichts zu erzählen, Ramson erfasste die Situation instinktiv. Mit seinem gewaltigen Brustkorb drückte er den Elektrozaun nieder, ohne sich um den merkwürdig kribbelnden Schmerz zu kümmern. Dann trabte er auf die am Boden liegende Princess zu, die ihren Schockzustand überwunden hatte. „Hilf mir,“ flehte sie Ramson an. Der versuchte sie mit seinem Kopf auf die Beine zu drücken, was gelang. Nun kam auch Emma dazu. Man nahm Princess in die Mitte und mit ihren massigen Körpern gestützt, wurde sie von der Weide und von den menschlichen Behausungen hinweggeführt. Dort verlor man sie aus den Augen….
Ihr müsst mich nicht fragen, was aus ihnen geworden ist. doch steht eines fest im Leben: alles wird gut,

wenn man seine Mitgeschöpfe nicht nach Rasse und Herkunft oder Aussehen beurteilt

friedliches Zusammenleben durch Respekt und Achtung vor dem jeweils Anderen übt

Freundschaft und Hilfsbereitschaft als hohes Gut schützt und pflegt.

Dann verliert auch das Sprichwort: Hochmut kommt vor dem Fall seine Gültigkeit.

Erzähle mir da keiner was vom Pferd!

aus „Verhexte Märchenwelt“, Engelsdorfer Verlag, einer meiner Beiträge





Aus: “Verhexte Märchenwelt“, Engelsdorfer Verlag, einer meiner Beiträge








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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.01.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Gedichte begleiten durch die vier Jahreszeiten und erzählen wie die Natur erwacht, blüht und welkt, wissen von reicher Ernte zu berichten. Der Spätsommer im Park, winterliche Gefilde oder Mailandschaften scheinen auf. Der Autor verwendet meist gereimte Zeilen, zeigt sich als Suchender, der neues Terrain entdecken möchte. Der Band spricht von den Zeiten der Liebe, zeigt enttäuschte Hoffnungen und die Spur der Einsamkeit. Wut und Trauer werden nicht ausgespart. Es dreht sich das Kaleidoskop der Emotionen. Der kritische Blick auf die Gesellschaft und sich selbst kommt zum Zuge. Kassandras Rufe sind zu hören. Zu guter Letzt würzt ein Kapitel Humor und Satire. So nimmt der Autor seine Zettelwirtschaft aufs Korn, ein hoffnungsloser Fall.

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