Werner Gschwandtner

Blinde Zeugin



Nieselregen fiel über die Stadt. Bereits früh hatte es an diesem Tag zu dämmern begonnen und ein kühler Wind fegte über die Häuser.
Die spärlichen Straßenlaternen warfen ein gespenstisches Licht und Rita, eine junge Frau, schritt, umgeben von ihrer ständigen Begleiterin, der Dunkelheit, etwas rascher aus. Ihren Blindenstock ließ sie dabei ständig, den sie in der linken Hand hielt, von einer Seite zur anderen wandern.
Obgleich Rita nichts sehen konnte, da sie seit Geburt an Blind war, kannte sie ihren Weg ganz genau. Er führte sie durch die schmale Baumallee, über die breite Hauptstraße, und weiter durch gewunden Seitengasse – zu ihrer Wohnung.
Jeden Tag, außer Sonntags, beschritt Rita zweimal jene Strecke. Morgens, auf den Weg zur Arbeit und am Frühennachmittag wieder nach Hause.
Schwacher Verkehrslärm drang an Ritas Ohr. Dieser Umstand sagte ihr, dass sie bereits die Hälfte der Baumallee überwunden hatte, und im Begriff war, die Hauptstraße zu erreichen.
„Etwa acht Minuten noch“, dachte Rita bei sich, „dann bin ich zu Hause.“
Noch hastiger schritt Rita aus. Die Kälte des letzten Novembertages kroch ihr in die Knochen und fröstelnd schlug Rita ihren Mantelkragen hoch.
Der Verkehrstumult vor ihr wurde immer intensiver, aus dem Straßengetöse wurden quietschende Reifen hörbar und dann öffnete sich eine Autotür. Laufschritte tönten auf, dann ein lauter Knall…
 
Rita war zunächst kurz stehen geblieben. Das Reifengequietsche hatte sie ein wenig Nervös gemacht. Doch als sie das öffnen einer Wagentür hörte, beschleunigte Rita ihren Gang nochmals, fast laufend erreichte sie, in dem Moment, als der Knall ertönte, die Straße. In ihre Laufschritte, mischte sich der Laut anderer und Rita trat auf die Fahrbahn. Sie stieß mit ihren Stock gegen ein Hindernis, wich etwas nach links aus, faste instinktiv mit der Rechten nach dem Objekt und ihre zarten Finger spürten die glatte Oberfläche einer Karosserie.
 „Hey“, erschall es seitlich von Rita, „Finger weg von meinem Wagen.“
Rita zog schnell ihre Hand beiseite und trat sicherheitshalber einige Schritte rückwärts… zurück auf den Bürgersteig, von dem sie gekommen war. Ihr Blick ging in Richtung des Sprechers…
Die Wagentür öffnete sich, fiel ebenso rasch wieder ins Schloss und im selben Augenblick gab der Fahrer auch schon Gas. Mit dem ertönen des Fahrzeugmotors, schlug die nahe Kirchturmuhr vier Uhr Nachmittags.
Rita konnte es nicht sehen, aber es fühlen, wie der Wagen förmlich einen Satz nach vorne machte. Dann reite er sich auch schon in den fließenden Verkehr ein und seine schwere Maschine, verklang in der Ferne.
 
Rita stand noch lange, wie angewurzelt, da und schaute, ohne Blick, in jene Richtung, in der das Fahrzeug verschwunden war. Die Nässe des Nieselregens und die Kälte des Windes, wirkten schutzlos auf Rita ein, doch sie bemerkte das geraume Zeit nicht. So gebannt war sie von dem Ereignis, welches gar nicht so ungewöhnlich gewesen war.
Schließlich kehrte Rita ins Dasein zurück und musste sich erst einmal etwas orientieren. Wo war sie? Ach ja, an der Kreuzung der Hauptstraße. Der Verkehr auf ihrer Seite war verstummt und der Blindenton an der Ampel signalisierte, dass sie ohne Gefahr die Fahrbahn nun überqueren konnte.
Auf dem gegenüberliegenden Gehsteig angekommen, wandte sich Rita nochmals um, angespannt richtete sie ihre ausgeprägten Sinne dem Ort entgegen, wo zuvor jener Wagen gestanden hatte und scharf zog sie die Luft ein. Irgendetwas missfiel ihr an der Situation, doch sie konnte gegenwärtig nicht mit Bestimmtheit sagen, was es war. Also tat Rita es zunächst mit einem Achselzucken ab, drehte sich um und beschritt ihren weiteren Nachhauseweg.
Endlich erreichte Rita ihre Wohnung. Mit leicht steifen Fingern, sie waren starr von der Kälte, schloss Rita ihre Tür auf und trat in die mollig warme Wohnung.
 „Bist du da Paula?“ rief Rita, „es ist saukalt draußen. Was gibt es heute gutes zum Essen?“
 „Du sagt es Schwester“, kam als Antwort, „mach rasch die Tür zu, damit die Kälte auch draußen bleibt. Zieh dich um und mach dich frisch, das Essen wartet schon auf dich. Es gibt deine Leibspeise, Paella.“
Rita stellte ihren Stock in den Schirmhalter im Vorzimmer ab und war froh dass sie aus den nassen Kleidern kommen konnte.
 „Du wirst nicht glauben“, begann Rita zu erzählen, „was an der Kreuzung geschehen ist.“
Rita berichtete über den unscheinbaren Vorfall und Paula meinte.
 „Es gibt immer wieder so Verkehrsspinner, deren ihr Wagen wichtiger ist, als alles andere. Und genau jene Rita“, setzte die Schwester noch hinzu, „verursachen in der Regel die meisten Unfälle.“
 
Es war der Tag danach. Rita konnte an diesem Mittwoch lange ausschlafen, da ihre Firma bis zum 13. Dezember geschlossen hatte. Weit bis in den Vormittag gönnte Rita sich den Schlummer, und als sie endlich zum verspäteten Frühstück kam, war Paula dabei, die Tageszeitung zu lesen.
 „Morgen Schwester“, Rita nahm am Couchtisch platz und griff zielsicher nach der Kaffeekanne.
 „Wie hast du geschlafen?“
 „Sehr gut Rita“, antwortete Paula, „nur nicht so lange wie du.“ Feixte sie lächelnd.
 „Du wirst nicht erraten“, dabei ließ Paula die Zeitung sinken, „welche Schlagzeile das Tagesblatt ziert.“
Rita goss sich eine Tasse des kräftigen Kaffees ein, und griff sich auch ein frisches Brötchen.
 „Mit welcher Headline wollen uns diese Zeitungsfritzen den heute irritieren. Wieder mal ein Amoklauf?“
 „Wie man es nimmt“, konterte Paula gelassen, „ob es ein Amoklauf ist lässt sich schwer beurteilen, aber ein Mord ist es zweifellos. In unmittelbarer Nähe zur Kreuzung an der Hauptstraße… “ endete Paula geheimnisvoll.
 „An der Kreuzung? Wann?“
 „Laut der Zeitung gestern Nachmittag. Aber eine exakte Uhrzeit wird nicht genannt.“
 „Merkwürdig. Aber mir war gestern so… “ Rita stockte, ging in sich und versuchte sich an den Verlauf von gestern Nachmittag genau zu erinnern.
 „Da war ein Knall“, sagte Rita schließlich, „aber ich habe dem keine Bedeutung beigemessen. Dachte das es eine Fehlzündung, oder sonst was, sein würde. Er war ja auch nicht wirklich sehr Laut.“
 „Eventuell war es der Todesschuss“, gab Paula leise von sich, „die Zeitung schreibt, dass das Opfer, jedenfalls erschossen worden ist.“
 „Ich werde mich an die Polizei wenden“, Rita trank ihren Kaffee aus, „vielleicht ist meine Aussage hilfreich.“
Paula zweifelte dies an. Was hatte ihre Schwester schon gesehen? Nichts, da sie Blind war. Doch Rita ließ sich nicht Beirren und noch vor dem Mittagessen, telefonierte sie mit der bezirkszuständigen Wache. Dort sagte man ihr, dass man ihre Aussage, bei Notwendigkeit, einfordern würde. Man würde sich gegebenenfalls melden und danach, fand das Gespräch, vorerst sein Ende.
 
Fünf Tage später, der sechste Dezember. Am Vortag hatten Paula und Rita, lange den zweiten Advent gefeiert und dementsprechend müde, erwachte Rita am Morgen, als es anhaltend an der Wohnungstür läutete.
 „Ja Moment“, verschlafen stand Rita auf und warf sich geschwind den Morgenmantel über, „ich komme schon“, hastig trat Rita in das Vorzimmer und fragte gähnend: „Wer ist denn da?“
 „Polizei“, kam die Antwort durch die Tür, „es ist wirklich sehr wichtig. Bitte öffnen Sie.“
Rita legte die Kette vor, erst dann schloss sie auf. Paula hatte an diesen Morgen Frühschicht im Krankenhaus und so war Rita ganz alleine zuhause. Vorsicht war immer besser.
 „Ja bitte“, nur soweit wie es die Kette erlaubte, öffnete Rita die Tür. „Womit kann ich Ihnen helfen?“
 „Ich bin Kommissar Lohmann“, stellte sich der Beamte vor, „man teilte mir mit, das Sie sich an das hier zuständige Revier gewandt hätten, weil Sie Augenzeuge des Mordes hier in der Nähe gewesen wären.“
 „Na ja“, bestätigte bedächtig Rita, „mehr Hörzeug. Gesehen habe ich leider nichts. Und ich weiß auch nicht sicher ob es ein Schuss war, wesen ich gehört habe, aber ich glaube es.“
 „Würden Sie bitte öffnen. Hier ist meine Legitimation, ich untersuche den Fall und hätte diesbezüglich einige Fragen an Sie.“
Rita überlegte nicht lange. Sie nickte, schloss die Tür, lies die Kette Zurückgleiten und gab danach den Weg für den Kriminalisten frei.
 „Erzählen Sie mir bitte alles von Anfang an. Was genau haben Sie gehört?“
Rita führte den Kommissar in das Wohnzimmer und bot ihm Platz an. Paula hatte für ihre Schwester bereits fischen Kaffee bereit gestellt und Rita reichte Lohmann ebenfalls eine Tasse.
 „Ich war auf dem Nachhauseweg von der Arbeit“, begann Rita zu erzählen, „ich gehe immer denselben hin und retour. Ich war nicht mehr weit von der Kreuzung der Hauptstrasse entfernt, als ich quietschende Reifen hörte. Ein Wagen schien zu halten und es stieg jemand aus… Wenige Augenblicke darauf hörte ich jenen Knall, dem ich damals gar keine Bedeutung beigepflichtet habe.“
 „Können Sie mir sagen wie spät es eventuell da war?“
 „Kurz vor 16 Uhr“, antwortete Rita nach kurzem Nachdenken, „als mich der Fahrer des Wagens, wegen meines Anfassen desselben, etwas rüde Angesprochen hatte und dann davon fuhr, schlug die Kirchturmuhr vier Uhr Nachmittags.“
 „Sie haben mit dem Besitzer des Fahrzeugs gesprochen?“ Wie sah er aus? Dann sind sie ja doch ein Augenzeuge, und nicht nur ein Hörzeuge!“
Rita schluckte. Sie senkte zunächst etwas den Blick, dann gab sie dem Kommissar zu verstehen, dass sie nicht sehen konnte…
 
Derselbe Tag, in den frühen Abendstunden. Kommissar Lohmann hatte die Erkenntnis, dass Rita Blind war, zunächst nicht glauben wollen.
 „Sie bewegten sich so sicher“, gab er etwas perplex zu verstehen, „wie lange leben Sie schon ohne Augenlicht?“
 „Seit jeher“, war die kurze Antwort, „seit meiner Geburt.“
Der Kriminalist hatte sich danach in der Wohnung Ritas umgesehen und erkannt dass noch jemand hier lebte. Er erfuhr dass es ihre Schwester Paula war. Rita zeigte Bilder von ihr und Lohmann gewann eine neue Strategie.
 „Wir glauben zu wissen“, hatte er gesprochen, wer der Täter von jenem Tag ist. Dennoch fehlt uns noch ein schlüssiger Beweis. Das Motiv liegt offen und ein Alibi gibt es nicht, dennoch könnten berechtigte Zweifel aufkommen, da es absolut keine Zeugen gibt. Außer Ihnen, Sie wären unsere einzige Augenzeugin… “
Der Kommissar hatte Rita gebeten mit ihm, zunächst zu ihrer Schwester zu fahren, denn sie musste ebenfalls zustimmen… ohne der Mithilfe von Paula ging es nicht. Danach, nachdem sich Paula schließlich zur Mitarbeit, bereit erklärt hatte, ging es auf das Kommissariat, wo Lohmann sich telefonisch mit dem Verdächtigen in Verbindung setzte.
 „Sie haben schon richtig gehört Herr Kleinert“, gelassen legte Lohmann seine Fährte aus, „wir haben eine Augenzeugin gefunden, welche Sie am Tag des Mordes an jener bezeichneten Kreuzung gesehen hat. Es wäre, wenn Sie weiterhin bei der Aussage bleiben, dass Sie nicht an dem Ort des Geschehens waren, für Sie höchst förderlich, wen Sie einer Gegenüberstellung zustimmen würden. Ja“, setzte der Kriminalist nach einer Pause hinzu, „ein Lokalaugenschein wird ebenfalls angeordnet werden.“
 „Er hat zugestimmt“, lächelte Lohmann, nachdem er aufgelegt hatte.
 „Er fühlt sich nun doppelt sicher, weil ich von einer Augenzeugin gesprochen habe. Er wir sich sicherlich erinnern können, Sie dort gesehne zu haben. Und wenn Sie damals auch ihren Blindenstock dabei hatten, dann weiß er dass Sie ihn nicht identifizieren können. Denn er hat unter Garantie erkannt, dass Sie Blind sind. Er wird sich also, in unserem Lockvogelnetz verheddern.“
 „Ich hatte an jenem Tag meinen Stock dabei“, bestätigte Rita, „unterwegs habe ich ihn immer mit. Zur eigenen Sicherheit. Ich trage dafür die Armbinde nicht, sie lässt mich so Hilflos erscheinen und das, bin ich nun doch wiederum nicht.“
 „Ausgezeichnet“, der Kommissar rieb sich erfreut die Hände, „dann kann unsere Scharade beginnen.“
 
Mittwoch, der achte Dezember.
Lohmann hatte mit Absicht den Feiertag gewählt, da an diesem Tag die bewusste Hauptstrasse doch sehr wenig befahren war. Und der Kommissar, wollte so wenig Aufsehen wie nur möglich, bei dem Lokalaugenschein, erregen.
Bereits seit sechs Uhr Morgens, war der Kriminalist zur Stelle, und auch Ludwig Kleinert war schon für dreiviertel acht bestellt.
Rita und ihre Schwester Paula, warteten seit halb sieben, im unweit geparkten Kastenwagen der Polizei und man fieberte, leicht nervös, dem Showdown entgegen.
 „Was ist, wenn ihr Verdächtiger nicht kommt?“ fragte Rita und rieb sich fortlaufend die Finger.
 „Was ist wenn er untertaucht?“
 „Ein besseres Schuldeingeständnis könnte uns Herr Kleinert gar nicht machen“, entgegnete der Kommissar, „aber seien Sie ohne Sorge. Ludwig Kleinert wird seit dem Tag meines Telefonats observiert. Jedes seiner Schritte wird seither kontrolliert und er steht rund um die Uhr unter Bewachung. Verdeckt natürlich, damit er dennoch keinen Verdacht schöpft.“
 „Auf jedenfall ist er spät dran“, äußerte sich nun Paula, mit einem Blick auf die Uhr.
 „Er lässt uns warten. Es ist nun schon ganze fünf Minuten nach acht.“
Kommissar Lohmann nickte nun doch leicht grimmig. Schweigend stieg er aus dem Kastenwagen und nahm in seinen Zivilenpolizeiwagen, der ebenfalls unweit des Tatorts parkte, platz. Finster blickend griff er zum Funkgerät und kontaktierte die Kollegen vor Ort.
 „Statusbericht“, forderte Lohmann, nachdem sich einer, der pausenlos drei Beobachter, meldete, „wo befindet sich Herr Kleinert?“
 „Ludwig Kleinert sitzt im Cafe Aida“, kam die rasche Antwort, „unweit des Tatorts. Er trinkt einen Mokka und liest die Tageszeitung. Sollen wir aktiv werden?“
 „Negativ Kollege“, Lohmann wollte das Wild nicht scheu machen, „weiterhin still und aus dem Verborgenen dran bleiben. Kein Zugriff, Kleinert soll das Gefühl haben, das er jederzeit, gehen kann wohin er will. Dennoch auf Tuchfühlung bleiben, aber äußerst diskret.“
Etwas beruhigter, kehrte der Kommissar, zu den beiden Frauen zurück. Rita schien gegenwärtig noch nervöser zu sein, als zuvor. Auch an Paulas Nerven, zerrte das schier endlose warten und man konnte beinahe, jedes einzelne Tick Tack, der rastlosen Uhr vernehmen.
 „Kleinert will uns mürbe machen“, äußerte sich der Kriminalist, „während er Kaffee und Zeitung genießt, erhofft er sich wohl, das wir so Sang und klanglos, das Handtuch werfen. Doch hierbei soll er sich geirrt haben, wir harren aus, solange wie es eben andauern mag. Die Rechnung bekommt Kleinert zur gegebenen Stunde ohnehin quittiert.“
 „Besteht die Möglichkeit“, hinterfragte nun Paula vorsichtig, „das ihr Verdächtiger doch Unschuldig ist?“
 Kommissar Lohmann benötigte für die Antwort auf diese Frage absolut keine Bedenkzeit. Ohne zu zögern, sagte er trocken:
 „Für mich gibt es absolut keine Zweifel. Der Staatsanwalt dagegen hat vorbehalte, weil er einen Hieb- und Stichfesten Schuldspruch erlangen will. Es gibt leider in dieser Hinsicht nur Indizienbeweise. Doch zusammengefasst, gibt es kein Anzeichen, welches für die Unschuld Herrn Kleinert spricht.“
Weiter wollte gegenwärtig der Kriminalist nicht ins Detail gehen. Ein rascher Blick auf die Uhr lies erkennen, das es nun kurz nach halb neun war. Etwas mehr als eine Dreiviertelstunde, lies nun der Tatverdächtige bereits auf sich warten.
Dann, kurz vor 08:45 Uhr, erschien der weiße Ford Kleinerts. Die Abfahrt des verdächtigen von dem Cafe, hatten seine Schatten längst gemeldet und Lohmann wies Paula darauf hin an, in Position zu gehen.
 „Vergessen Sie nicht was wir besprochen haben“, rasch reichte Lohmann ihr ein mobiles Sprechfunkgerät, „bitte keine Improvisation. Exakt so, wie durchgenommen.“
Paula nickte, sie nahm das Sprechgerät an sich und hastete ein gutes Stück, so das sie auf jedenfall außer Sicht war, die schmale Baumallee hinunter.
 „Sie Rita bleiben still und unscheinbar hier im Wagen. Sie sind unser Trumpf, der Stechen muss, wenn Kleinert alle Vorsicht außer Acht lässt.“
 „Verstanden Herr Kommissar“, Rita seufzte beklemmend, „wollen nur hoffen, dass er auf unseren Trick herein fällt und eben nicht kaltes Blut bewart!“
 „Ihr Wort in Gottesgehörgang“, Lohmann konnte dem nichts entgegen bringen, „aber wird schon schief gehen. Wir müssen einfach das Beste daraus machen. Und euer spezieller Umstand, macht es doch etwas leicht!“
Ohne weitere Worte, warf der Kommissar, die schwere Tür des Kastenwagens zu und entfernte sich von dem Fahrzeug. Wenige Minuten darauf, traf Kleinerts Ford ein. Missmutig stieg Ludwig Kleinert aus und wandte sich sofort, äußerst ungehalten, an den Kriminalisten.
 „Nun hören Sie mal Lohmann“, man konnte an der Aussprache Kleinerts erkennen, wie Angespannt er in Wirklichkeit war. Nach außen hin gab er sich Cool, aber tief im inneren, brodelte die Angst.
 „Ich kann es absolut nicht gut befinden, dass Sie mich ausgerechnet an einem Feiertag, so zeitig aus den Federn hetzen. Was hätte gegen einen Lokalaugenschein so um die Mittagsstunde gesprochen?“
 „Nun Herr Kleinert“, Lohmann hütete sich, etwas von dem vorangegangenen Aufenthalts Kleinerts zu verraten. Der Verdächtige sollte sich ja dennoch, weiterhin in Sicherheit gewiegt glauben.
 „Der frühe Vogel fängt den Wurm, das kennen Sie doch sicherlich. Und zudem, es war viel früher vereinbart, als Sie nun tatsächlich erschienen sind. Also gibt es doch keinen Grund zur Beschwerde. Nicht wahr!“
 Finster musterte Kleinert den Kommissar, enthielt sich aber jeder weiteren Meinung.
 „Wie Sie meinen“, sagte er nur abfällig, „dann lassen wir den Lokalaugenschein beginnen. Ich bin schon sehr gespannt auf ihre Augenzeugin.“
In diesen Worten lag nun wieder Sicherheit. Kalt sprach Kleinert diese Worte, er stellte sich, mit hocherhobenem Kopf, neben dem Polizisten und wartete. Lohmann schaltete sein Funkgerät an und sprach hinein:
 „Achtung, es geht los. Bitte, ganz wie am 30. November zu Handhaben.“
Es knackte kurz im Funk, dann kam die Bestätigung.
 „Verstanden.“
 „Und was mache ich nun?“ Ludwig Kleinert blinzelte Lohmann von der Seite an.
 „Welche Aktivität habe ich hier zu tun? Ich war am letzten des Novembers doch gar nicht hier. Das habe ich doch schon mal verlauten lassen!“
 „Das haben Sie“, gab der Kommissar nur ruhig als Kontrapunkt, „und Sie haben absolut nichts zu tun. Beobachten Sie, und nach Ablauf des Geschehens, erst dann sprechen wir weiter.“
Lohmann hatte dafür gesorgt, das der Fahrbahnabschnitt, wo in etwa der Wagen damals zum stehen gekommen war, frei stand. Nun brauste ein weißer Ford, im Baujahr und Ausstattung absolut Identisch, mit Kleinerts Wagen, an den Bordstein heran, hielt mit quietschenden Reifen und ein Beamter stieg aus dem Fahrzeug. Er hastete einige Schritte die Strasse hinunter und dann ertönte ein Knall…
 
Paula war ein gutes Stück die Allee hinunter gelaufen. Rita hatte in etwa Mitgeteilt, wo sie, nach Ritas Gefühl, gewesen war, als das Reifenquietschen ertönt war. Nun, in dem Augenblick, wo Paula den jenes hörte, verweilte sie kurz, ganz so wie es auch Rita getan hatte und dann begann sie etwas schneller auszuschreiten. Sie vernahm das sich öffnen der Autotür, die hastigen Schritte und dann… den schallenden Knall.
Sie erreichte schon bald darauf, den parkenden Ford, schritt zügig an ihn heran und trat, den Wagen streifend, ihn mit der rechten Hand berührend, auf die Straße. In dem Moment, als Paula ihre Hand auf dem Fahrzeug hatte, erschien der Fahrer und erregt und jähzornig attackierte er verbal die junge Frau:
 „Hey, Finger weg von meinem Wagen.“
Ohne ein Wort der Erwiderung zog Paula die Hand weg, schritt rückwärts auf das Trottoir und richtete ihren Blick auf den Fahrer des Fords. Dieser öffnete nun die Tür, stieg in das Fahrzeug und startete den Motor. Wenige Sekunden darauf setze sich der Wagen in Bewegung und brauste davon…
Kommissar Lohmann beobachtete Kleinert. Ihn interessierte nicht besonders der Verlauf des Lokalaugenscheins, er hatte das Szenario bei den Proben oftmals gesehen. Er wollte die Mimik des Verdächtigen studieren um seine Schlüsse ziehen zu können. Bei den ersten Nahgetreuen Ereignissen, erbleichte Kleinert merklich. Er schien wahrhaftig Fassungslos zu sein, bei dieser doch recht Lückenlosen Nachstellung der Geschehnisse. Dann trat Paula ins Bild und zuerst stockte Kleinert, seine Pupillen weiteten sich und er schien für Sekunden, ohne Atem zu sein. Doch ebenso rasch, wie er an Boden verlor, genau so schnell, gewann seine Coolness wieder an Oberhand.
 „Was soll denn das?“ entrüstet schüttelte sich Kleinert.
 „Was bezwecken Sie mit diesem abnormalen Spiel?“
 „Was stört Sie an diesem Verlauf?“ Lohmann blieb gelassen. Innerlich kollabierte er beinahe vor Spannung, doch ganz so wie Kleinert selbst, setzte der Kommissar nach außen hin, sein absolut bestes Pokerface auf.
 „Soll das ihre Augenzeugin sein? Das ist doch lächerlich!“
Lohmann schüttelte den Kopf.
 „Absolut nicht lächerlich Herr Kleinert. Darf ich Sie mit Rita Glas bekannt machen, Sie ist, wie sie schon sagten, unsere Augenzeugin.“
Eindringlich musterte Ludwig Kleinert Paula. Er biss sich auf die Lippen. Was sollte er sagen? Irgendetwas missfiel ihm hier, er konnte nur nicht exakt sagen, was es war.
 „Sie wollen mit absoluter Sicherheit sagen, dass Sie mich wirklich, am 30. November, hier gesehen haben?“ Kleinert stierte Paula weiterhin durch dringlich an.
 „Korrekt“, Paula nickte, „Sie waren hier, ganz Eindeutig.“
 „Ich sagte ja lächerlich“, Kleinert strafte sich, „Sie können mich ums verrecken nicht gesehen haben. Das ist absolut unmöglich.“
 „Wieso kann Frau Glas sie nicht gesehen haben Herr Kleinert?“, Lohmann richtete seine Worte an den Tatverdächtigen.
 „Welchen Umstand glauben sie vertrauen zu können, dass eine derartige Aussage rechtfertigt?“
 „Weil, weil… “ stotterte Kleinert nun herum, „weil ich nicht gesehen worden bin. Man hat mich nicht erblickt, sie konnte mich nicht sehen… “
 „Und warum konnte sie es nicht? Sie kann sie nun doch auch sehen!“
 „Kann sie nicht“, setzte Kleinert dagegen, „und das werde ich Ihnen nun auch ganz leicht beweisen Herr Kommissar. Diese Frau führt sie an der Nase herum… Ich weiß nicht wieso, und warum sie ausgerechnet mir diesen Mord anlasten will, aber sie kann mich wirklich nicht am 30. hier gesehen haben. Das ist absolut unmöglich!“
Ludwig Kleinert atmete durch, er hatte sich außer Puste geredet. Rasch faste er in seinen Mantel und zog aus der Innentasche die Tageszeitung heraus. Fahrig blätterte er darin und schlug eine x beliebige Seite auf. Dann hielt er Paula das Blatt hin.
 „Nun kommen sie schon“, höhnte er spöttisch, „lesen sie vor was da steht.“
Paula nahm die Zeitung und Lohmann nickte zustimmend.
 „Nur zu Rita, lesen sie. Nur keine Angst, der Gerechtigkeit wird genüge getan.“
Paula nickte, dann las sie:
 „Der Skisport erlebte am vergangenen Sonntag bei der Damenabfahrt einen dunkeln Tag… “ zunächst zeigte sich Kleinert noch enorm Siegessicher. Doch mit jedem Wort, welches Paula las, geriet sein eiskaltes Gebärden ins Wanken.
 „ …Aus bisher unerklärlichen Gründen… “, weiter kam Paula nicht. Kleinert riss ihr die Zeitung aus der hand und schrie:
 „Da ist was Faul, lesen sie das hier.“
Abermals schlug er einen Abschnitt des Tagesblattes auf und Paula nahm sie in Empfang.
 „Anschlag in Afghanistan. Abermals Expolierte eine Autobombe im Zentrum des Landes. 16 Menschen, darunter zwei Politiker, fanden an Ort und Stelle den Tod. 22 weitere sind teils schwer, teils nur leicht verletzt… “
 „Stopp“, mit der ruhigen Gelassenheit Ludwig Kleinerts war es vorbei, „das ist zuviel. Wie sie das auch immer machen, wahrscheinlich hat ihnen Kommissar Lohmann, währe meiner Abwesenheit heute Morgen, die gesamte Zeitung vorgelesen. Aber nie und nimmer, haben Sie mich am 30. November gesehen.“
 „Und warum nicht Herr Kleinert? Wenn sie schon so knallhart darauf beharren, dann müssen sie uns schon sagen – oder viel klären mehr eindeutig erklären können, warum sie zu diesem Schluss kommen können!“
Kommissar Lohmann fixierte den Blick Kleinerts, dieser war nun sichtlich gebrochen. Er schweifte ab, versuchte aus dem Blickfeld des Kriminalisten zu gelangen und druckste verlegen, zaghaft und schweißgebadet herum.
 „Nun sagen sie schon Kleinert, geben sie ihren Gewissen einen Stoß und springen sie selber über ihren Schatten.“
Gebrochen, aber doch noch nicht ganz am Ende, suchte Ludwig Kleinert nach einem Ausweg. Doch er fand keinen und Lohmann setzte ihm weiter zu. Er sprach unaufhörlich auf den Verdächtigen ein und zwang ihn schritt für schritt in die Knie.
 „Sie kann mich aus dem einfachen Grund nicht gesehen haben“, sprudelte es urplötzlich aus Kleinert heraus, „weil ihre vermeintliche Augenzeugin Blind ist. Sie hatte einen Blindenstock bei sich und auch wenn sie ihn jetzt nicht bei sich hat, am 30. hatte sie in dabei. Und daher, aus diesen Einfachen Grund konnte sie mich auch nicht gesehen haben… “
Das Eis war gebrochen. Kleinert hatte den einzig richtigen, und logischen Schwachpunkt an der Sachlage genannt. Rita war Blind, sie konnte ihn nicht gesehen haben, aber das wiederum konnte nur der Täter wissen.
 „Korrekt“, bestätigte Lohmann, „aber dies hier ist nicht Rita Glas, sondern ihre Zwillingsschwester Paula. Rita ist hier – und sie hat sie nicht gesehen, eben weil sie Blind ist. Aber“, und damit lies der Kommissar Rita aus dem Kastenwagen steigen und neben Paula Aufstellung beziehen, „wir haben dennoch einen Augenzeugen. Dich dieser Zeuge ist nicht Rita, auch nicht Paula, denn sie war ja überhaupt nicht zugegen. Nein Herr Kleinert, der Augenzeuge in diesem Fall sind nur Sie. Denn nur der Mörder konnte wissen, das jene junge Frau, die ihren Wagen berührte, Blind war!“
 
Ludwig Kleinert gestand in Folge. Er musste nun Einsehen, das ein weiteres Leugnen absolut Zwecklos war. Zudem, hatte die Polizei, bei der Untersuchung von Kleinerts Ford, einen weiblichen Fingerabdruck am Heck gefunden. Zunächst war der Print nicht zuzuordnen gewesen, doch nach Rita Glas’ Aussage und ihrer Augenzeugenschaft, verglich Lohmann, Ritas Fingerabdruck mit dem an den Wagen und sie stimmten überein. Schon das alleine war der Hieb- und Stichfeste Beweis, welchen der Staatsanwalt verlangt hatte. Das Motiv stand bei Kleinert von vornherein fest. Sein Opfer: Mario Schuster war ein Erpresser gewesen. Er hatte Fotos von Kleinerts außerehelichen Verfehlungen und zwang sein Opfer wiederum dazu, monatlich tausende von Euros an ihn zu zahlten. Doch nun war fast nichts mehr da und Kleinert wusste, dass dieser Umstand Schuster nicht wirklich stoppen, oder ihn sogar Milde stimmen würde… er hätte sich skrupellos an seine Frau gewandt und alles offenbart. Das hatte er zu verhindern gewusst – doch der einzige Ausweg denn da Ludwig Kleinert gesehen hatte, war jener des Mordes gewesen!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.01.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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