Christa Astl

Der reiche Mann und die Fee


Vor Zeiten lebte einmal ein reicher, herrschsüchtiger und böser Mann. Sein Leben verbrachte er damit, Geld einzutreiben und Reichtümer anzusammeln. Doch eines Tages wurde er sehr krank. Dick und fett, mit einem seidenen Pyjama bekleidet, verbrachte er seine Tage im Bett, meistens bei geschlossenen Vorhängen, da er die Sonne, das wohltuende Leben spendende Licht, nicht mochte. Er mochte keine Menschen um sich, seine wenigen Diener durften sich ihm nur nähern, wenn er läutete. Auch Besucher duldete er nicht. Die wenigen Freunde, die anfangs nach ihm schauten, hatte er mit bösen Worten aus dem Haus gejagt, und sie waren nicht wieder gekommen. Sogar die Diener waren vor seinem unleidlichen, verbitterten und bösen Wesen geflüchtet. Nur einer, der ein paar Häuser weiter wohnte, schaute manchmal im Haus nach dem Rechten und eine alte, stocktaube und halbblinde Frau kam täglich zu ihm, wusch seine Wunden mit wohlriechenden Wässern und verband sie frisch.
So lag er meistens im Dämmerdunkel und dachte nach. Er dachte zurück an sein längst vergangenes Leben.
Er dachte an die Menschen, die ihn einstmals betrogen hatten, ärgerte sich und schrieb ihnen bitterböse Briefe, die sie nie beantworteten. Manchmal dachte er auch an Menschen, die ihm einmal zur Seite gestanden waren mit ihrer Hilfsbereitschaft, mit einem Rat, dessen Befolgung ihn noch reicher gemacht hatte. Gedankt hatte er es diesen Menschen nie. Doch jetzt, da er nur mehr im Bett liegen konnte, musste er an sie denken. Und plötzlich musste er auch an die Menschen denken, die er damals betrogen hatte, denen er sogar ihr weniges Eigentum noch genommen hatte. Nur einmal hatte er eine Frau geliebt, aber diese war ein armes Mädchen gewesen, und er, der Reiche, wollte doch durch eine Heirat noch mehr Reichtum anhäufen. Sonst war es ihm gleich, was die Menschen taten und wie es ihnen ging. Er sah sie nur, wenn er etwas von ihnen brauchte.
Doch dann geschah es, dass er sich in einem fremden Land seine Krankheit holte. Eitrige, übel riechende Geschwüre bedeckten seinen ganzen Leib, die Tag und Nacht juckten und schmerzten. Oft hörten ihn die draußen vorbei gehenden Menschen, wie er laut klagte, jammerte und schrie. Doch niemand wagte es, zu klopfen und ihm eine Hilfe anzubieten.
Niemand – bis auf eine. Das war die gute Fee, die ausgesandt war, zu trösten und zu helfen. Den ganzen Tag war sie unterwegs, denn es gab viel Leid, das sie zu lindern verstand.
Der reiche Mann hatte soeben seinen letzten Freund hinausgeworfen, der ihn zu einer teuren Behandlung an einen angesehenen Arzt in fernem Land überreden wollte. Wütend und in beleidigenden Worten hatte der Reiche  ihn einen halsabschneiderischen Halunken genannt, der ihm sein sauer erspartes Geld abnehmen wollte, und der Freund war traurig und enttäuscht fort gegangen. 
Noch immer zitternd vor Wut, kaum fähig ruhig zu atmen, versuchte er sich nun im Bett liegend auszuruhen. Doch mit zunehmender Ruhe kamen die Schmerzen. Einzelne Beulen begannen zu jucken, bis er sie aufkratzte, doch das Jucken hörte nicht auf. Im Gegenteil, bald juckte der ganze Körper, die offenen Wunden brannten wie Feuer, das durch kein Wasser zu löschen war. Die Schmerzen krochen von den Wunden hinein in die Knochen und verteilten sich im ganzen Körper. Wo er zuerst nur seinem Ärger und seiner Wut Luft machte, begann er nun zu wimmern, zu jammern und das Schreien wurde immer lauter, so dass es die vorbei ziehende Fee hörte. Ohne zu zögern ging sie ins Haus, dem Schreien nach und stand vor dem Bett des Kranken, dem vor staunendem Schreck der Schrei im Hals stecken blieb.
Ruhig trat die Fee an sein Bett heran und fragte mit ihrer sanften Stimme: „Wer bist du?“ Die Frage verwirrte ihn vollends. Er war doch bekannt in Stadt und Land, sein Name stand in großen goldenen Buchstaben an der Haustüre. Was meinte sie mit dieser Frage? Sie wiederholte etwas eindringlicher: „Wer bist du?“ – „Ich bin…“ begann er zu stottern, die Stimmer versagte durch einen neuerlichen Schmerzanfall. „Ich bin krank, ich habe solche Schmerzen, ich bin so allein“, brach es aus ihm heraus, und mit tränenerstickter Stimmer schilderte er ihr seine Leiden. Noch näher trat die Fee, streckte ihre Hand aus und berührte mit dem Finger seine Wunden. Der Mann zuckte unter der Berührung zusammen. Doch nicht weil sie schmerzhaft war, nein, sondern sie war ihm so wohltuend angenehm, es war ihm so eigen ums Herz. Ein warmes Gefühl, das er noch nie gekannt hatte, stieg in seinem Inneren auf. „Setz dich doch zu mir“, bat er, und die Fee holte einen Stuhl aus dem Nebenzimmer herbei und setzte sich. Während er aus seinem Leben erzählte, hielt sie seine Hand und hörte still zu, nur ganz selten unterbrach sie ihn mit einer Frage, wenn sein Bericht zu oberflächlich war.
Seine Wunden hatten aufgehört zu brennen, ruhig und völlig entspannt konnte er daliegen, er begann müde zu werden und schlief ein. Vorsichtig löste die Fee seine Hand aus ihrer, erhob sich leise und verließ das Haus.
Jeden Tag schaute sie nun zu dem reichen Mann, setzte sich eine Zeitlang zu ihm und bemerkte dabei, wie sich seine eitrigen Wunden langsam zu schließen begannen. Auch war der Mann um vieles ruhiger geworden, bei ihrer Anwesenheit erfüllte sogar eine gewisse Freude sein Herz, und er spürte wieder dieses warme, wohlige Gefühl in sich.
Nach einigen Tagen war es so weit, dass er sich bereits auf ihren Besuch in der späten Nachmittagsstunde freute und dieser schon den ganzen Tag entgegenträumte. Und da sie eines Tages nicht zur gewohnten Zeit erschien, hielt er es im Bett nicht mehr aus. Er, der seit Jahren sein Bett nicht verlassen hatte, stand auf, stellte sich ans Fenster und sah erwartungsvoll hinaus. Wie erfreut war die Fee, als sie sah, dass ihr dieser Plan gelungen war, denn sie wollte ihn aus dem Bett herauslocken. Einige Tage später brachte sie ihn so weit, dass er sie am Tor erwartete oder ihr sogar im Park ein Stück entgegen ging. Und plötzlich bemerkte auch der Mann, wie gut ihm dieses Gehen tat und wie angenehm es war, draußen auf einer Bank zu sitzen. Aber die frische, gute Luft tat nicht nur seiner Seele wohl, seine Geschwüre begannen zu heilen und reine gesunde Haut streckte sich der Sonne entgegen. Allmählich begann er sich rundherum wohl zu fühlen, und das bemerkten auch die anderen Menschen. Wenn er vor seinem Hause saß, grüßte er die Vorbeigehenden, die ihm fröhlich dankten. Und es dauerte nicht lange, da setzten sie sich zu ihm, redeten, erzählten ihm von ihrem Alltag mit ihren Nöten und Sorgen, und der reiche Mann gab von seinem vielen Geld, was die Armen brauchten.
Manchmal besuchte ihn die Fee noch, und das waren jedes Mal besonders glückliche Stunden für ihn.
 
 
ChA 01/11

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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