Peter Wolf

Melancholie

Beim Anblick der toten Fliege werde ich melancholisch. In der Vorweihnachtszeit hatte sich das Insekt in mein Büro verirrt. Vermutlich floh es vor dem Schnee und der Kälte oder suchte einfach nur ein warmes Plätzchen zum Sterben. Denn ihre unbeholfenen Kurzflüge, die sie auf der Oberfläche des Bürofensters unternahm, ließen nichts Gutes erahnen.

Eines Tages beobachtete ich die Fliege, wie sie schwankend auf dem Fenstersims herum lief. Irgendwann lag sie auf dem Rücken und ihre dünnen Beinchen zappelten in der Luft. Sie liegt immer noch dort. Bewegungslos. Seit mehreren Wochen. Eine Biohülle ohne Leben, die einst munter durch die Luft geflogen ist. Auf der Flucht vor Fressfeinden. Auf der Suche nach Nahrung. Vielleicht hatte diese Fliege Nachwuchs? Kinder. Eine Familie?

Viele Wochen sind vergangen, seitdem die dünnen Beinchen nicht mehr zappeln. An manchen Tagen zog die Sonne ihre Bahn entlang dem Bürofenster und spendete dem leblosen Körper Licht und Wärme. Regentropfen klatschten von außen gegen das Fensterglas, dass wie ein schützender Wall die Nässe “da draußen” von der angenehmen Wärme “da drinnen” fern hielt. Nun liegt sie da, in einer wohltemperierten Grabkammer, gebettet auf einem Plastiksims und hält mir täglich meine eigene Vergänglichkeit vor Augen. Zeigt mir auf ihre stumme Weise, dass das Leben auch nach dem Tod weitergehen wird – zumindest für die Anderen.

Ich sollte unsere Putzfrau bitten, die Fensterbank mal wieder zu reinigen.

 

©  by Peter Wolf, 2011

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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