Hermann Weigl

Die Drachenreiter von Arctera (Teil 8)

Niemals hätte Tarrabas gedacht, dass sich die Sümpfe so weit nach Norden erstrecken würden. Die Sonne stand schon beinahe im Scheitelpunkt, als sich das Gelände unter ihnen langsam zu verändern begann. Immer öfter bildeten Bäume einzelne Gruppen, bis sich irgendwann ein geschlossenes Laubdach zeigte.
Die Drachen flogen nun langsamer und hielten auf einen Felskegel zu, der weit aus dem Blätterdach hervorragte. Auf dessen abgeflachten Gipfel gingen sie nieder, und Tarrabas stieg etwas steifbeinig vom Rücken des Fabelwesens.
„Und nun?“, fragte der Prinz.
Wie zur Antwort entfalteten die beiden Drachen ihre Flügel, und flogen davon.
„Sie müssen jagen“, erklärte Elisabietha.
Tarrabas sah sich um, wobei er an die wilden Tiere dachte, die dort unten hausten.
„Hier sind wir sicher, Prinz“, sagte die Prinzessin, als hätte sie seine Gedanken erraten.
„Ihr wart schon einmal an diesem Ort?“
„Ja. Nun kommt. Setzt Euch zu mir. Es ist noch ein weiter Weg, und auch wir sollten essen.“
Schweigend packten sie ihren Proviant aus.
„Warum greift Ihr uns an?“, fragte die Prinzessin nach einer Weile.
„Das tun wir nicht. Wir verteidigen uns lediglich. Ihr seid die Angreifer.“
„Das ist überhaupt nicht wahr. Ihr greift uns an.“
„Weil ihr in unser Land einfallt.“
„Warum sollten wir das tun?“, fragte Elisabietha. Ihre Stimme hatte einen gequälten Ausdruck angenommen, was dem Prinzen selbst schmerzte. Er wollte nicht, dass dieses zarte Geschöpf leidet - weder am Körper, noch an der Seele.
„Es ist nicht richtig, was da geschieht“, lenkte er ein.
„Diese Menschen müssten nicht sterben“, gab ihm die Prinzessin Recht.
„Ich habe mit meinen Magistern gesprochen, habe in alten Büchern und Schriftrollen nachgelesen. Niemand weiß, wie es zu den Auseinandersetzungen gekommen ist.“
„Warum beendet man sie dann nicht?“
„Mein Vater führt schon sein ganzes Leben lang Krieg gegen Euer Volk. Er ist vom Hass zerfressen. Er kann in Euch nichts anderes als einen Feind sehen.“
Tarrabas sah zu der Prinzessin hinüber, um in ihrem Gesicht zu lesen.  Aber sie hatte den Kopf gesenkt, und ihre goldenen Locken verbargen den Großteil ihres hübschen Antlitzes.
„Dann liegt es also an uns...“, sagte sie.
„Ich wünschte, ich könnte dem Ganzen ein Ende bereiten.“

Bald darauf kamen die Drachen zurück.
Tarrabas und Elisabietha legten die warmen Pelzmäntel an.
Dann ging der Flug weiter in Richtung der Berge.
Wie still es hier oben ist, dachte der Prinz. Nicht der kleinste Laut dringt herauf. Nur das Rauschen der Schwingen und die liebliche Stimme der Prinzessin drangen an seine Ohren.
In vielen Spiralen schraubten sich die Drachen immer höher hinauf. Nun glaubte er das erste Mal deren Anstrengung zu vernehmen. Es wurde so kalt, wie es der Prinz noch nie zuvor erlebt hatte. Die weißen Gipfel schienen nun zum Greifen nahe. Der Prinz dachte schon, sie würden es nicht schaffen, aber schon waren sie darüber hinweg, und der Pass fiel hinter ihnen zurück.
Und vor sich sah er die bis an den Horizont reichenden Täler des Nebelgebirges. Dunst füllte die Bergeinschnitte, und er fragte sich, was sich dort unten wohl vor seinen Blicken verbergen mochte.
Die Drachen gingen nun tiefer, drehten etwas nach Osten ab, und wählten den Weg in ein Tal, das so breit war, dass er die gegenüberliegenden Felswände kaum mehr ausmachen konnte.
Ein anderer Drache tauchte aus dem Nebel auf und stieß einen lang gezogenen Laut aus, den sein Flugtier, und das der Prinzessin erwiderten. Der Dunst ließ nun merklich nach, und sie gelangten in einen Talkessel, dessen steil aufragende Wände mit einer Unzahl von dunklen Löchern überzogen waren.
Es müssen Höhleneingänge sein, überlegte der Prinz, und schon erschien ein weiterer Drache, der in einem der Einlässe verschwand.
Sie hielten auf eine der größten Pforten zu, und tauchten in das Halbdunkel der Höhle hinein.
Tarrabas fühlte sich nun unwohl. Seine Augen brauchten einige Zeit, um sich an die geänderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Die Drachen schienen aber keine Probleme damit zu haben, sich zu orientieren. Der Flug in die Höhle wollte nicht enden, und er dachte schon, sie würden den ganzen Bergrücken durchqueren. Irgendwann bemerkte er jedoch einen schwachen Schimmer, der von vorne in den Gang schien, dann wichen die Wände plötzlich zurück und erweiterten sich zu einer Höhle, deren gewaltige Größe mit einem einzigen Blick nicht zu erfassen war.
Von oben her fielen breite Lichtstrahlen ein. Und nun konnte Tarrabas die vielen Nischen und Vertiefungen erkennen, die die Wände überzogen.
Dort saßen andere Drachen in so großer Anzahl, dass er sich die Augen rieb, und beinahe den Halt verloren hätte.
Im Zentrum der Höhle ragte ein gewaltiger Felskegel hervor, und dort setzten nun die beiden Drachen auf.
Die Prinzessin kletterte vom Rücken ihrer Drachin, trat vor sie hin, und strich ihr über den Kopf.
Tarrabas folgte ihrem Beispiel. „Ich danke dir.“
„Gerne geschehen.“

Die beiden Drachen entfalteten die Flügel und ließen sich einfach in die Tiefe fallen. Er sah sie im Halbdunkel wieder auftauchen, und in zwei der Nischen verschwinden.
Er trat näher an den Rand der Plattform heran und spähte nach unten. Ihn schwindelte angesichts der  finsteren Bodenlosigkeit, die sich vor ihm auftat, und er wich erschrocken zurück.
Erst jetzt vernahm der Prinz die Stimmen der anderen Drachen, die von den Höhlenwänden widerhallten. Es waren ihre Rufe, aber es erschien ihm auch, als würden sie sich über die Ankömmlinge unterhalten.
„Bitte folgt mir, Prinz“, sagte Elisabietha.
Es ging noch etwa zwei Manneslängen hinauf, dann konnte er die gesamte Fläche einsehen.
Zwei Drachen, die in etwa die Größe derer hatten, mit denen sie gereist waren, saßen dort. Sie waren von tiefschwarzer Farbe, und hatten goldene Augen. Und zwischen ihnen auf einem etwa mannshohen Podest ruhte ein weiterer Drache, der wohl deren König sein musste. Seine Schuppen waren von so heller Farbe, dass sie beinahe transparent wirkten.
Über ein paar Stufen gelangten sie hinauf und knieten nieder. Tarrabas senkte den Blick, und wartete darauf, angesprochen zu werden.
„Erhebt euch“, sagte die tiefe Stimme des Königs.
Der Prinz stand wieder auf,  und betrachtete voll Neugier das majestätische Wesen. Am meisten beeindruckten ihn die Augen dieses Drachens, die so hell und klar erschienen wie flüssiges Silber. Er wirkte kräftiger als alle anderen seiner Art, die er bisher gesehen hatte. Die riesigen Tatzen mit den silbernen Krallen hatte er vor sich hingelegt, und die Augen bewegten sich zwischen ihm und der Prinzessin hin und her.
„Seid mir gegrüßt, ihr Besucher von königlichem Blut.“
„Es ist mir eine Ehre. Majestät.“
„Über viele Generation hinweg ist die Prophezeiung weitergegeben worden. Sollte sie sich nun erfüllen? Sollten wir irgendwann in die Sümpfe zurückkehren können? Wir waren sehr überrascht, als uns Unari die Nachricht von derselben Stunde Eurer Geburt überbrachte. Wir hatten die Weissagung in diesem Punkt falsch verstanden, und zuerst gedacht, dass wohl Prinzessin Elisabietha diejenige wäre, die die beiden Kinder gebären würde. Aber nun...“ Der König legte eine kurze Pause ein. „Nun bitte ich Euch beide mir zu erlauben, in Eurem Geist zu lesen. Ich muss absolute Gewissheit haben. Deswegen will ich es selbst sehen, die Erinnerung an die Stunde Eurer Geburt.“
Er sah Tarrabas direkt an, und dieser sagte. „Gerne gewähre ich Euch den Zugang zu meinem Geist.“
Auch die Prinzessin willigte ein.
Tarrabas fühlte nun trotz der Kälte, die in der riesigen Höhle herrschte, Schweißtropfen auf seiner Stirn. Wie würde die Prozedur wohl vor sich gehen? Er warf einen Blick zur Prinzessin, aber die lächelte ihm nur aufmunternd zu. Dann sah er wieder zu dem riesigen Drachen hoch, dessen Augen ihn nun fixierten. Er schien bis in die Tiefen seiner Seele zu sehen. Eine eigenartige Wirkung ging von diesem Blick aus. Was wäre nun, wenn der Drachenkönig in seinem Kopf lesen würde, wie er damals als Kind das Studierzimmer in Brand gesteckt hatte? Oder wie er den Pferch offen gelassen hatte, so dass alle Pferde davongelaufen sind. Oder der Streich...
„Es ist wahr“, unterbrach die Stimme des Königs seine Gedanken.
Verwirrt sah Tarrabas zu der Prinzessin hinüber.
„Unari wird Euch zu Eurem Nachtlager bringen. Ich danke Euch beiden.“
Tarrabas verbeugte sich und verließ mit der Prinzessin das Podest.
„Und nun?“, fragte er das Mädchen.
„Sie werden sich beraten.“
„Und was wird mit uns geschehen? Werden sie uns hier behalten?“
„Aber wie sollten wir dann für Frieden sorgen?“
„Das stimmt allerdings.“ Der Prinz ärgerte sich über seine Frage. Eigentlich hätte er selbst darauf kommen müssen.

(C) 2011 Hermann Weigl

Fortsetzung folgt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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