Die Welt um Ludwig Schulte hatte sich verdüstert. Obwohl es keinen ersichtlichen äußeren Grund gab, war mit einem Mal alle Freude erloschen. Er war zu dem Entschluss gekommen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Ohne Bedauern. Ohne Reue. Ohne falsche Sentimentalität. Den Abschiedsbrief an seine erwachsenen Söhne hatte er bereits verfasst und in der Annahme, dass man nach seinem Freitod nach einem solchen suchen würde, in seinem Schreibtisch verschlossen.
Nun ging es nur noch darum, den Entschluss in die Tat umzusetzen, was schließlich nicht schwer sein konnte.
Er öffnete den Verschluss einer Propangasflasche in der Gartenlaube und hielt ein brennendes Zündholz daran, um sich samt Laube in die Luft zu sprengen. Ein spektakuläres, aber irgendwie auch würdiges Ende. Ein lautes und dramatisches Finale, wie er - nicht ohne Genugtuung - dachte. Ludwig verbrannte sich die Finger an dem verglimmenden Zündholz, aber der erwartete Knall blieb aus. Die Gasflasche war leer.
Wenn nicht so, dann eben anders. Es gab genügend todsichere Möglichkeiten.
Ludwig Schulte fuhr in eine einsame Heidegegend. Er erinnerte sich an eine eingleisige Privatbahn, mit der er vor einigen Jahren gefahren war. Er suchte sich eine schwer einsehbare Stelle in einer von hohen Büschen bestandenen Kurve und legte sich auf die Gleise, wobei er seinen Hals mit der zusammengerollten Jacke darunter, damit es nicht so sehr drückte, auf einer der Schienen platzierte. Ludwig wartete Stunde um Stunde, schlief sogar zwischendurch ein, aber kein Zug kam. Bis ihm endlich dämmerte, dass die Strecke zwischenzeitlich stillgelegt worden war.
Aller guten Dinge sind drei, sagte sich Ludwig. Wenn es auch beim dritten Versuch nicht klappt, dann sollte es wohl nicht sein.
Er kannte einen kleinen Baggersee. Die Badesaison war vorbei. Dort konnte er ungestört und unbehelligt untergehen.
Ludwig entledigte sich seiner Kleider und schwamm hinaus in die Mitte des Sees, um Abschied zu nehmen von seinem ungeliebten Leben.
Er hatte die Mitte des Sees noch nicht ganz erreicht, als ein heftiger Schmerz in seine linke Brustseite schoss. Er war unfähig, Arme und Beine zu bewegen. Er strampelte, tauchte unter, schluckte Wasser, tauchte wieder auf. Todesangst hatte ihn erfasst. „Hilfe“, rief er mit schwacher Stimme, „Hilfe, ich ertrinke.“
Doch niemand hörte ihn. Die Badesaison war vorbei. Aber selbst wenn ihn jemand gehört und vor dem Ertrinken gerettet hätte, wäre es für Ludwig Schulte zu spät gewesen, weil nach seinem schweren Herzinfarkt die Zeit bis ins viel zu weit entfernte Krankenhaus nicht ausgereicht hätte, ihn vor dem Herztod zu bewahren.
„In der Blüte seiner Jahre hat Gott in seinem unergründlichen Ratschluss Ludwig Schulte zu sich gerufen. Ein fröhlicher, dem Leben zugewandter, beruflich überaus erfolgreicher Mann, der fürsorgliche stolze Vater zweier Söhne, ist viel zu früh von uns gegangen. Wie alle Verwandten und Freunde bestätigen, die ihn gekannt, geliebt und geschätzt haben, hatte er sich so sehr auf seinen baldigen Ruhestand gefreut. Leider war es ihm nicht vergönnt, die Früchte seines Lebens zu genießen“, sagte der Pfarrer in seiner Begräbnisrede. Die Trauernden nickten zufrieden, weil der Herr Pfarrer wieder die richtigen Worte gefunden und ihnen allen aus der Seele gesprochen hatte. Verstohlen wischten sie sich ihre feuchten Augen.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.03.2011.
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