Diethelm Reiner Kaminski

Umwege



„Sind Sie sicher, dass das der richtige Weg zum Flughafen ist?“, fragte ich besorgt den Taxifahrer, da mir die Fahrtzeit verdächtig lang vorkam und der Mann mit dem ungepflegten schwarzen Vollbart und einem mehr als finsteren Gesichtsausdruck durch immer dunklere Gassen kurvte.
„Fluchhaf?“, fragte er, „Sie sagen Bahnhof.“
„Sind Sie verrückt?“, protestierte ich. „Ich muss zum Airport, und zwar pronto. Die Zeit wird langsam knapp.“
„Sagen gleich Bahnhof, ich fahren Bahnhof“, tat er leicht beleidigt, machte aber keine Anstalten, seine Fahrtrichtung zu ändern. War der Mann schwerhörig oder wollte er mich ärgern? „Airport. Aeroporto“, schrie ich nun wütend.
„Sie wollen Fluchhaf? Warum nicht sagen gleich?“ Mit diesen Worten wendete er den Wagen an einer Kreuzung und fuhr denselben Weg zurück, den wir gekommen waren.
Ich schaute jede Minute nervös auf die Uhr, während mein Fahrer in einer mir unbekannten Sprache munter in sein Handy quatschte. Noch eine knappe Stunde bis zum Abflug meiner Maschine. Arg wenig für einen Überseeflug. Zum Glück hatte ich mein Gepäck schon am Vortag eingecheckt.
Mein Taxifahrer fuhr rechts ran und stellte den Motor ab. „Was ist?“, brüllte ich los. „Haben Sie keine Lust mehr?“
„Lust haben, aber Schluss von Schicht. Kollege komm gleich.“
Welcher Satan hatte mich nur dazu verführt, in dieses verfluchte Taxi einzusteigen?
Der Fahrer beugte sich hinunter zu seinem Taxameter, um den Fahrpreis abzulesen.
„Siemumdreißich Evro. Ohn Trinkelt“, fügte er hinzu, für den Fall dass ich das vergessen könne.
„Auch noch Trinkgeld, du Halunke“, rief ich wutentbrannt. „Dafür dass Sie mich mitten in der Wüste absetzen und ich meinen Flieger verpasse. 20 €. Inklusive Trinkgeld. Aber auch nur, wenn Ihr Kollege in spätestens drei Minuten hier ist.“
Fast gleichzeitig stoppte eine schwarze zerbeulte Limousine ohne Taxischild neben uns. Der finstere Bursche meines Taxis steckte den 20-Euro-Schein, den ich ihm auf den Schoß geworfen hatte, wortlos ein. Ich stieg um und schrie: „Ich bin in großer Eile. Fahren Sie, so schnell Sie können.“
„Ich fliege“, sagte der Fahrer und ließ zum Zeichen, dass er es ernst meinte, den Motor aufheulen. So früh am Morgen herrschte kaum Verkehr, so dass der sehr junge Fahrer die roten Ampeln gefahrlos missachten konnte. „Wie lange noch?“, fragte ich misstrauisch, denn die Gegend schien immer bebauter zu sein, statt - wie meistens in der Nähe von Flughäfen - in Felder und Wiesen auszulaufen.
Der Fahrer hielt auf einem weitläufigen Platz vor einem hell erleuchteten Gebäude. „Hauptbahnhof“ stand deutlich über dem stattlichen Portal zu lesen.
„Hier sind wir schon“, sagte der Fahrer. „Zwölf Euro.“
„Aber ich wollte zum Flughafen, nicht zum Bahnhof“, schimpfte ich. „Sorry, mein Kollege hat mir gesagt: ein Gast zum Bahnhof. Ich bin doch nicht schwerhörig.“
Ich hätte aus der Haut fahren mögen, aber jetzt war eh alles zu spät. Nie und nimmer würde ich meinen Flieger noch erreichen können. Ich zahlte, stieg aus und ging zur nächsten Telefonsäule, um zu versuchen, meinen Flug umzubuchen.
„Keine Eile“, sagte die freundliche Angestellte. „Haben Sie denn nicht von dem Pilotenstreik gehört? Der ist frühestens morgen fünf Uhr beendet. Heute hätten Sie sowieso nicht fliegen können. Ihr Ticket bleibt selbstverständlich gültig für den morgigen Flug zur gleichen Zeit. Falls Sie übernachten möchten - im Hotel Meridian am Hauptbahnhof haben wir für unsere Fluggäste, die infolge des Streiks gezwungen sind, in der Stadt zu bleiben, Zimmer inklusive Mittag-, Abendessen und Frühstück reserviert. Kostenlos versteht sich.
Ich darf mich im Namen unserer Gesellschaft für die entstandenen Unannehmlichkeiten entschuldigen und Ihnen einen guten Aufenthalt wünschen.“
Ich hatte in der Tat einen guten Aufenthalt. Endlich hatte ich Zeit, mir die bedeutenden Kunstsammlungen der Landeshauptstadt anzuschauen. Und mir blieb noch genügend Muße, meinen nur flüchtig vorbereiteten Vortrag, den ich in zwei Tagen in Boston halten sollte, sorgfältig auszuarbeiten. So früh schlafen war ich seit Wochen nicht mehr gegangen, so dass ich ausgeruht und voller Tatendrang am Tagungsort eintraf. Ich hätte dem Taxifahrer mit dem wüsten schwarzen Vollbart gerne die zweite Hälfte des verlangten Fahrpreises gegeben, doch bin ich ihm nie wieder begegnet.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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