Diethelm Reiner Kaminski

Kartoffelfeuer



Wir, die Kinder des Tante-Emma-Ladenbesitzers Adam Weroleit, und Frank und Gregor, die verzogenen Söhne des Gemüsehändlers Hannes Grenowsky, schlugen die Schlacht des Jahres. Die Beziehungen zwischen uns, d. h. Melly, Cornelius und mir, Marina, einerseits, und den blöden Gören des Gemüsefritzen andererseits hatten sich während der Sommerferien zunehmend verschlechtert und waren schließlich zu offener Feindschaft eskaliert. Eine Entscheidungsschlacht um Sein oder Nichtsein schien unvermeidbar. Nun könnte jemand sagen: Zwei gegen drei, was für ein ungleiches Kräfteverhältnis!, doch glich sich das wieder aus, weil zwei Mädchen wie ein Junge zählten und außerdem die Feinde fast drei Jahre älter waren als wir.
Geplant hatten wir die Schlacht nicht, nur in Erwägung gezogen. Sie brach, wie die meisten Kriege, plötzlich, aber umso heftiger aus. Anlass ständiger Auseinandersetzungen war die Tatsache, dass die Gärten unserer Eltern aneinander grenzten, und Grenowskys Gartenanlage viermal so groß war wie unser bescheidener Acker, auf dem wir vornehmlich Kartoffeln anbauten. Wir blickten nicht nur neidisch über die Ligusterhecke zu den Obstbäumen, Beerensträuchern und akkurat angelegten Blumen- und Gemüsebeeten, sondern nutzten auch den verborgenen Durchschlupf in der Hecke, um heimlich bei der Ernte zu helfen, was uns ständige Rüpeleien und Prügelandrohungen der Grenowsky-Clique einbrachte.
In den Herbstferien hatte uns unser Vater wie jedes Jahr zum Kartoffelernten verdonnert. Es hatte überraschend Nachtfrost gegeben, und es war höchste Zeit, die Ernte einzubringen. Jede vierte Kartoffel, die wir aus der feuchten Erde klaubten, war matschig und verfault. Wohin damit? Melly enthob uns weiterer Überlegungen. Sie nahm eine faule Kartoffel und schleuderte sie in hohem Bogen über die Ligusterhecke in den Grenowsky-Garten. Das war das Signal. Augenblicklich setzte eine wahre Kanonade ein. Platsch, platsch – hörte man die Einschläge auf der anderen Seite. Wir verbuchten sogar einige Volltreffer auf das Glasdach des Gewächshauses. Was wir nicht wussten, war, dass auch schon die Zweierbande der Grenowskys Stellung bezogen hatte. Wir hatten sie nur nicht bemerkt, weil sie im hinteren, weit hinter unserem Grundstück liegenden Teil des Gartens Äpfel gepflückt hatten. Nachdem sie sich von dem Schrecken der ersten Angriffswelle erholt hatten, gingen sie zum Gegenangriff über und schossen aus allen Rohren: Erdklumpen, unsere eigenen faulen Kartoffeln, sogar Steine prasselten in unseren Garten, so dass wir vorübergehend hinter dem Komposthaufen in Deckung gehen mussten. Die Munition ging uns aus, an weiteres Ausbuddeln war unter diesem Dauerbeschuss nicht zu denken, aber wieder war es Melly, die die Initiative ergriff. Wir hatten ja bereits einen großen Vorrat gesunder Kartoffeln geerntet, die von noch durchschlagenderer Wirkung waren als die matschigen angefrorenen. Unter dem Schlachtruf: „Feuer!“ ging ein dichter Hagel von Geschossen im gepflegten Garten der Grenowskys nieder, bis der große Korb aus Weidengeflecht leer war. Still war es geworden auf der anderen Seite. Verdächtig still. Wir argwöhnten eine starke Gegenoffensive und traten, fast auf den Bäuchen rutschend, den Rückzug ins schützende Haus an. Es fing wie aus Eimern zu schütten an, so dass wir eine gute Ausrede hatten, warum wir die Kartoffelernte unterbrochen hatten. Am nächsten Tag wurde der Grund der plötzlichen Feuereinstellung offenbar. Gemüsehändler Grenowsky hatte ein Schild an seinem Ladenfenster angebracht. „Einmaliges Sonderangebot. Kartoffeln aus eigener Ernte. Kilo nur 50 Pfennig.“ Kein Zweifel, er verhökerte unsere beste Munition, denn in Grenowskys feinem Garten wurden keine schnöden Erdäpfel angebaut.
Moralisch, daran bestand kein Zweifel, hatten wir, die tapferen drei Ws, die Schlacht gewonnen, aber den ökonomischen Nutzen trug der Feind davon. An diese himmelschreiende Ungerechtigkeit habe ich bei den großen Kriegen in der Welt oft denken müssen, denn in ihrem eigentlichen Wesen unterscheiden sich echte Kriege nicht von Kinderspielen.
 


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