Michel Pauwels

Leipzig



Alles wird gut.

Das war der Lieblingssatz von meinem Chef Jens. und irgendwie war der Satz auch der Grund dafür, dass ich in Leipzig war. Denn mein Vorgänger, unser gemeinsamer Freund Sascha hatte eines Abends die Kasse aus dem Büro genommen und war damit ins Casino gefahren. Als die Sekretärin am darauffolgenden Tag Wechselgeld heraus geben wollte war nix mehr da. Sascha wurde zur Rede gestellt.

„Alles wird gut“ war seine einzige Antwort.

Sollte mir das jetzt zu denken geben, dass Jens das auch immer sagte?

Auf keinen Fall.

Meine Aufgabe war einfach: Ich musste den Kunden nur die Wahl geben ob sie eine gute oder eine schlechte Nachricht hören wollten. Als ich jedoch eines Abends dabei war das Büro zu schließen, kamen noch acht junge sportliche Kerle vorbei, um mit mir zu reden. Bedrohlich war garkein Ausdruck, nicht für mich als Teilzeitneurotiker.
Ich musste schlucken und dachte: Alles wird …scheiße!

Ich torkelte zurück und die Tür fiel hinter meinen Besuchern ins Schloss. Fünf Minuten später stand jedoch fest, dass sie nur die schlechte Nachricht hören wollten. Draußen war es bereits dunkel und ich wäre eigentlich schon in meiner Lieblingspizzeria und würde mit der süßen Bedienung…..
Ob ich wohl noch eine Henkersmahlzeit kriegen würde?

Das Fenster in meinem Rücken war geschlossen und mein Besuch stand zwischen mir und der Ausgangstür. Keine Chance.
Mir fiel ein, dass einer der Jungs von Betrug gesprochen hatte. Gott sei Dank hatte ich vergessen, was er damit meinte. Ich musste daran denken, was mein Chef meiner Freundin wohl morgen am Telefon sagen würde. Ich hab eine gute und eine schlechte Nachricht…

Nein!

„Die schlechte Nachricht ist ganz einfach“, sagte ich dann schließlich. „Ich bekomme von jedem 49,50 Euro.“

Zum Glück stand ich nicht mit dem Rücken zur Wand, aber das Fenster war auch nicht besser.

Langsam kamen sie alle auf mich zu...Ich schloss die Augen...Als ich plötzlich hörte, wie die Tür zum Büro wieder zu ging, öffnete ich die Augen in der Hoffnung, es sei ein schneller und schmerzloser Tod gewesen.

Ich war allein und auf dem Tisch zu meiner Linken lag das abgezählte Geld.

Ich hatte keinen Schlüssel für die Kasse, darum steckte ich das Geld in mein Portemonnaie und dachte an die Zeit zurück, als Jens und ich das letzte Mal im Casino waren, damals als wir Sascha kennengelernt haben. Ich holte mein Portemonnaie wieder heraus und tätschelte vorsichtig die verführerisch knisternden Geldscheine. Der Duft von grünem Samt stieg in meine Nase und ich konnte ein befreiendes Lächeln nicht unterdrücken.

Kurz darauf saß ich in meiner Lieblingspizzeria, telefonierte mit meiner Freundin und überredete sie, dass sie mich doch am Wochenende abholen solle. Ich würde ihr dann auch ein bisschen von Leipzig zeigen.

Kaum war sie da, hatte sie die Wahl: Völkerschlachtdenkmal oder ägyptisches Museum. Wir gingen am Casino vorbei. Ich schaute Irina an, beinah so wie der gestiefelte Kater bei Schreck. Sie zog mich weiter, direkt zum Museum.

Es war einzigartig, nicht nur, dass es kleiner war, als jedes andere, das ich bisher gesehen hatte, nein, es war auch so leer, dass ich das Echo meines Gähnens hören konnte.

Wir blieben vor einer Mumie stehen und Irina sah so aus, als ob sie sich gleich übergeben müsste. Vielleicht doch lieber Casino, dachte ich leise, aber meine Freundin schien bereits auf der anderen Seite zu sein.

Im selben Augenblick ertönte eine laute Stimme: „Haben…“

„AAAHHH…!“, schrie Irina dazwischen. Ich erschreckte mich zu Tode und überprüfte sofort ob die Mumie noch am selben Fleck lag.

Gleich darauf stellten wir fest, dass hinter uns ein Mitarbeiter des Museums stand. Er wollte uns eigentlich nur fragen, ob wir Interesse an einer Führung haben. Wir nahmen an und kurz danach fuhren wir zum Völkerschlachtdenkmal.

Auch wenn Irina immer noch ganz weiß im Gesicht war, stand für mich fest: Alles wird gut!

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