H. Peter Wolzenburg

SOULQUEEN


Aller Regen dieser Welt schien an diesem Abend auf Fishermans Harbour nieder zu prasseln, die dicken Tropfen führten auf dem Deck des alten Schiffs einen wahren Veitstanz auf, sprangen ein - zweimal wieder in die Höhe, bevor sie zerplatzten.
Sturm kam auf und schüttelte das Schiff durch, die Seelenkönigin stöhnte auf, schaukelte stark und stöhnte erneut. Trotz der alten Autoreifen, seitlich an der Bordwand, schlug das Schiff ein paar mal hart gegen die Kaimauer.
Kapitän Luzifer di Senso saß entspannt in seiner Kajüte, schob seine ehemals weiße Mütze in den Nacken und drehte sich eine Zigarette.
Es dauerte noch etwa zwei Stunden bis sie kamen, die Verlorenen, die diese Welt verlassen wollten. Sie alle bezahlten dafür, das sie Illegal ins Jenseits befördert werden.
Wer den Schritt zum Selbstmord nicht wagte, der schiffte sich auf der Soulqueen ein.

Rodolfo Hernandez der erste Offizier, Bill Mc David der Steuermann und der Matrose Jacques Vaillant waren mit drei LKW’s ins Landesinnere unterwegs um Lebensmüde abzuholen. Mc David, der den ersten LKW steuerte brachte sein Fahrzeug vor der Last Hope Chapel, in dem kleinen Ort Clearwater, zum stehen. Kaum standen auch die zwei anderen Autos, stürmten die Menschen aus der Kapelle, zwei von ihnen wurden getragen. Die Schiffsleute öffneten die Türen der drei Kofferfahrzeuge.
Hernandez fragte die Lebensmüden: „Wie viel seit ihr?“ Father Jones, der die letzte Reise in Clearwater organisierte, antwortete für die Verlorenen: „Es sind 47 Personen“.
Darauf hin teilte Hernandez je 15 Menschen dem ersten und zweiten Wagen zu. Auf die Ladefläche des dritten Lastwagen kletterten 17 Personen.
Zwanzig Minuten nach der Ankunft, verließen Hernandez und seine zwei Männer den kleinen Ort, mit der menschlichen Fracht auf der Ladefläche ihrer LKW.
Father Jones schaute dem kleinen Konvoi hinterher, bis er die Rücklichter nicht mehr erkennen konnte.

Einer Traube gleich standen die Verlorenen vor dem rostigen Schiff, Kapitän di Senso hatte sein Schiff verlassen und betrachtete die Menschen im trüben Schein einer Laterne. Da waren zwei Gelähmte die gestützt werden mussten und ein paar abgemagerte die vermutlich Aids im fortgeschrittenen Stadium hatten. Eine junge Frau in aufreizender Kleidung mit einem verquollenem Auge und wieder mal eine Menge Teenies. „Liebeskummer“. Dachte Kapitän di Senso und schüttelte seinen Kopf.
Di Senso hob die Hand und sprach zu den Lebensmüden, wobei er besonders die Teenies ansah: „ Die von euch, die sich nicht sicher sind, sollten jetzt gehen, noch habt ihr die Chance. Father Jones wird euch das Geld zurück geben. Seit ihr einmal auf dem Schiff, gib es kein zurück mehr!“
Mary Jane und Nick, die sich erst in Clearwater kennen gelernt hatten fassten sich bei den Händen, schauten sich an, dann verließen die beiden Teenager die Gruppe.

Die traurige Fracht saß auf Holzbänken im Laderaum der Soulqueen, als Kapitän di Senso seinem Maschinisten den Befehl gab die zwei großen Dieselmotoren zu starten.
Ein Helfer am Kai löste die Haltetaue und langsam entfernte sich die Soulqueen von der Kaimauer, mit einem stampfenden Geräusch, von den Dieselmotoren erzeugt, strebte sie dem offenen Meer entgegen. Noch immer regnete es und der Sturm peitsche das Wasser.
Die Verlorenen im Laderaum spürten das Vibrieren das sich durch den Rumpf zog, spürten den Wellengang und hörten das trommeln der Regentropfen auf Deck.
Doch keiner sprach ein Wort, jeder war mit seinen Gedanken bei dem Ereignis, das ihn hier her gebracht hatte.
Die aufreizend gekleidete dachte an ihren Freund, den sie Anfangs so liebte und der sie so enttäuschte. Auf den Strich sollte sie gehen und hatte es auch ein paar mal getan, hatte mit Ekel ihren Körper zur Verfügung gestellt. Als sie nicht mehr wollte, zeigte ihr Freund sein wahres Gesicht, er schlug sie grün und blau.
Einer der Gelähmten konnte nur noch den Kopf und einen Arm bewegen nach dem Autounfall, der andere Gelähmte konnte zwar den gesamten Oberkörper bewegen, wollte sein restliches Leben aber nicht im Rollstuhl verbringen.
„Hätte ich doch nur ne Lümmeltüte genommen“. Dachte ein junger Mann mit Aids.
Eine Mitzwanzigerin dachte traurig an den Kerl der ohne Gummi mit ihr geschlafen hatte, obwohl er von seiner Infizierung wusste. Der verdammte Mistkerl.
In den Köpfen der Teenies schwirrte, bis auf wenige Ausnahmen, nur ein Gedanke:
„Warum hat er/sie mich verlassen?“

Um 3:00 Uhr in der Früh hatte die Soulqueen das Unwettergebiet hinter sich gelassen und steuerte auf eine Nebelwand zu, laut brüllten die Nebelhörner ihr Warnsignal in die graue Suppe. „Hernandez holen sie die Passagiere an Deck“. Kurz kam der Befehl über di Sensos Lippen. Zehn Minuten später befanden sich alle Lebensmüden auf dem Deck.
„Meine Herrschaften“, begann Kapitän di Senso seine Ansprache. „Ich bin verpflichtet sie über folgendes aufzuklären“. Erneut ließen die Nebelhörner ein laut röhrendes tuten aus ihrem Inneren erschallen. „Der Nebel den wir gerade durchfahren, nennen wir den Nebel des Lebens. Dieser Nebel versucht alle Illegalen Einreisewilligen zurück zu halten. Alle die, die nicht eines natürlichen Todes gestorben sind. Wie schwer es ist den Nebel zu durchkreuzen, merken sie am starken vibrieren des Schiffs, die Motoren laufen auf volle Kraft. In etwa einer Viertelstunde werden sie ein Regenbogen ähnliches Gebilde bemerken, was aus seinem Inneren ein grelles Licht ausstrahlt. Wenn wir in das helle Licht hineinfahren haben sie es geschafft, dann befinden sie sich in der Dimension des Lebens danach“.

Der farbige Dimensionsübergang wurde sichtbar und die Soulqueen hielt genau darauf zu. Die Durchfahrt zur Leben danach Dimension dauerte höchstens drei Minuten.
Ruhig lag das blaue Meer vor der Soulqueen, eine angenehm wärmende Sonne schickte ihre Strahlen auf die Meeresoberfläche, Ängste Nöte und Hass schwanden allmählich aus den Gehirnen der Illegalen Einwanderer.
Als eine Insel in Sicht kam, meldete sich der Kapitän über Lautsprecher:
„Die Insel die sie rechts sehen trägt den Namen- Hope Island -, ein Zwischenlager für die, die sich noch nicht genau im klaren sind, was sie wollen. Es handelt sich um Schwerkranke oder Verletzte, deren Leben auf Messers Schneide steht. Auf der Insel hat ihre Seele genug Zeit sich zu entscheiden. Die Insel laufen wir nicht an, es dauert aber nicht mehr lange, in cirka zwanzig Minuten haben wir den Hafen der Stadt Second Live erreicht“.

Die Schwellung am Auge der jungen Frau, in dem Sexy Minikleid war fast verschwunden, die Gelähmten machten ihren ersten Gehversuche, mit Erfolg.
Die Aidskandidaten fühlten sich nicht mehr schlaff und Erschöpft, und die Liebeskranken Teenies schauten sich wieder Partner suchend um.
Als die Passagiere das Schiff verließen dachte keiner mehr an sein Leid, denn es gab kein Leid mehr.
Gedankenverloren schaute di Senso den Menschen nach, er beobachtete dieTeenies, wie sie lebenslustig und locker das Hafengelände unsicher machten.
„Das hättet ihr auch im alten Leben haben können“. Dachte di Senso.
Ein Funkspruch erreichte die Soulqueen: “39 Passagiere warten in Clearwater, fahren sie sofort zurück nach Fishermans Harbour!”

ENDE

H. Peter Wolzenburg (Geschrieben im Januar 2003)

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