Angelika Vitanza-Lima

Abschied für immer

Sie hatten sich zum Abschied noch einmal zärtlich geküsst, dann stieg er in den Zug. „Ich rufe Dich morgen früh an!“ rief er noch schnell aus dem Fenster. Mit Tränen in den Augen lächelte sie ihm tapfer zu. Dann setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Sein letzter Blick schien sie zu fragen, ob sie es auch packen würde. Sie winkte ihm hinterher, bis der Zug nicht mehr zu sehen war. Kraftlos sank ihre Hand herab, mit hängenden Schultern blieb sie neben den noch vibrierenden Gleisen stehen.

Lautlos weinte sie vor sich hin, bis sie sich dessen bewusst wurde, dass sie schon eine ganze Weile so dagestanden haben musste. Vorübergehende Leute warfen verstohlene Blicke auf sie.
Wie in Trance verließ sie den Bahnsteig. Ein Wunder, dass sie nicht die Treppenstufen verfehlte! Ihr Gesicht war wie versteinert, die verlaufene Wimperntusche bot einen grotesken Anblick. Er hatte gesagt, er würde sie anrufen, doch sie wusste, dass sie nie wieder etwas von ihm hören würde.

Er war anders gewesen als sonst, seine Umarmungen und Küsse waren viel heftiger gewesen, schienen so etwas Endgültiges zu bedeuten, wie wenn man sich zum letzten Mal in den Armen hält. Sein verändertes Verhalten war ihr gleich bei seiner Ankunft am Tag zuvor aufgefallen. Noch nie hatte er sie so fest an sich gedrückt. Er machte einen verzweifelten Eindruck. Ihr waren auch nicht die verdächtig schimmernden Augen entgangen. Doch sie wagte es nicht, ihm Fragen zu stellen. Sie hatte gleich eine böse Ahnung gehabt!

Er war den ganzen Tag über sehr schweigsam gewesen, hatte sie immer wieder intensiv betrachtet, und in seinem Blick lag etwas, das ihr Angst einjagte. In der Nacht hatten sie sich geliebt wie nie zuvor. Sie klammerten sich aneinander wie zwei Ertrinkende. Irgendwann schliefen sie erschöpft ein, und als sie aufwachte, hielten sie sich noch immer eng umschlungen. Sie fühlte sich warm und geborgen und wünschte, dass dieser Augenblick niemals vorübergehen möge.

Er seufzte im Schlaf, und als er erwachte – er hatte kaum die Augen geöffnet – liebten sie sich in einer nie zuvor gekannten Leidenschaft, und sie wusste, dass dies das letzte Mal sein würde. Sie verstand, obwohl sie nicht verstehen wollte. Sie stellte keine Frage, weil sie die Antwort längst wusste. Ein letztes Mal deckte sie den Frühstückstisch so, wie sie es beide immer gemocht hatten, doch sie bekamen keinen Bissen hinunter. Ihre Augen wichen seinen suchenden Blicken aus, damit sie ihm nicht ihr Wissen verrieten.

Als sie jetzt, inmitten der Bahnhofshalle, daran dachte, brach der ganze Schmerz aus ihr heraus, und sie stieß einen lauten Schrei aus. Es war ihr gleichgültig, was die Leute von ihr dachten. Er hatte sie verlassen, und niemand würde ihn ihr zurückbringen. Sie hatte gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde, doch sie hatte es stets zu verdrängen vermocht. Er hatte sich für seine kranke Frau und die Kinder entschieden, und sie konnte es ihm nicht verübeln. Im Gegenteil – es machte das Gefühl der Liebe in ihr umso größer, und gleichzeitig wuchs der Schmerz des Verlustes ins Unermessliche.

Noch immer stand sie in dieser Bahnhofshalle, inmitten vorbeiströmender Menschenmengen. Sie fiel nicht einfach tot um. Das Leben ging weiter – auch mit gebrochenem Herzen...

© Angelika Vitanza-Lima – 2000-12-22

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