Martina Stabauer

Jacke - Das Leben aus der Sicht einer Jacke!

Hallo. Mein Name ist „Jacke“. Schlicht und einfach. Unspektakulär. Doch dass auch eine gewöhnliche Jacke eine Menge zu erzählen hat will ich hiermit beweisen: Geboren bin ich schon 1860 in einem Billigladen am anderen Ende einer kleinen Stadt, in dem ich mich von Anfang an nicht wohl fühlte. Kinderarbeit ist das Stichwort. Eines der ersten Wörter die ich zu verstehen lernte. Ich habe den Moment, als kleine Kinderhände den letzten Faden durch meinen unsauber zurechtgeschnittenen dünnen Stoff zogen und mich somit fertigstellten, noch genau vor mir. Ich sollte eines der „Schöneren“ Jacken dieses Ladens sein. 5€ war mein Preis und ich wollte so schnell wie möglich gekauft werden, egal von wem, einfach schon allein aus dem Grund um nicht mehr in die traurigen Gesichter der Kinder sehen zu müssen wenn sie sich wieder mit 1€ pro liebevoll genähter Jacke zufrieden geben mussten. Im Schaufenster hatte ich den Platz neben einem schwarzen Mantel für 3€, welcher über die Jahre schon beinahe grau wurde, weil sich in diesem Billigladen nicht einmal die Mühe gemacht wurde die Jacken und Mäntel durch Abstauben gut zu erhalten. Ich wollte so schnell wie möglich weg aus dieser trostlosen Umgebung.
Eines Tages war es so weit: Eine etwas abgemagerte junge Frau, mit fettigen Haaren und zerrissenen Jeans, welche aber ein nettes Lächeln im Gesicht hatte kam in den Laden und hat sofort ein Auge auf mich geworfen. Ich strahlte innerlich und vor lauter Hoffnung und Freude zogen sich meine Nähte zusammen und ich fühlte mich als würde die marineblaue Farbe meines Stoffes zu leuchten beginnen. Fast schon mechanisch kam die sympathische Frau auf mich zu und ehe ich mich versah war ich in meinem neuen zu Hause. Eine Zwei Zimmerwohnung die liebevoll eingerichtet war. Ich bin natürlich in keiner reichen Familie gelandet. Wie denn auch wenn ich aus einem der schäbigsten Läden der Stadt komme? Wie gut dass die Kunden nicht wissen wer dort wirklich die Arbeit macht. Ich wurde liebevoll behandelt, selten gewaschen, was meine Farbe gut schonte, genauso selten wurde ich getragen aber mir wurde trotzdem nie langweilig, denn in dem Kleiderschrank meiner Besitzerin traf ich viele nette Kollegen meiner Art. Viele Monate später war es so weit: Meine Besitzerin welche an Kaufsucht litt, hatte nachdem sie sich vorgenommen hat nur noch billige Waren einzukaufen einen Rückfall und so war ich reif für den sogenannten Flohmarkt um ihr Geld zum Überleben einzubringen. Liebevoll legte sie mich am Marktplatz auf einen mit Blümchen gesprenkelten Tisch und ich glaube bis heute dass es ihr nicht leicht viel mich herzugeben.
Eine aufgetakelte Frau mit blonden Haaren und knallroten Lippenstift kam auf unseren Stand zu und diese Unbekannte war mir alles andere als sympathisch.
Leider konnte ich mich jedoch nicht wehren und musste mich damit zufrieden geben in einer Villa zu landen und komplett verändert zu werden. Es stellte sich heraus dass meine Besitzerin namens Rosa eine Modedesignerin war und bald schmückten mich funkelnde Glitzersteinchen, neue Nähte genauso wie Muster und neue Farben mir zu einem komplett anderen Aussehen verhalfen. Die nächsten Monate verbrachte ich damit an einer Art Puppe zu hängen und dabei zu zusehen wie immer mehr und mehr nachgestellte Jacken von meiner Wenigkeit angefertigt wurden. Meine weiteren Beobachtungen sagten mir: Kistenweise von meinen gleichartigen Kollegen waren zu Hause und ich wusste: Nun wollen die Leute etwas anderes, und haben genug von mir. Rosa war mit Geld nur so vollgestopft deswegen war es für sie kein Problem mich einfach herzlos und ohne Mitgefühl mit den Kartonkisten der anderen Jacken achtlos in die Mülltonnen vor dem Hauseingang zu werfen. Nicht nur wegen des Aufpralls, sondern auch vor Wut und Trauer lösten sich einige meiner weißen Nähte. Tagelang fror ich und wollte mich nicht damit zufrieden geben weiterhin in dieser dreckigen Tonne zu liegen und nichts zu tun. Eines Abends kam ein alter Mann auf die Tonne zu und ich erkannte sofort dass es einer dieser Menschen war die kein Essen, kein Geld, keine Wohnung, einfach Nichts hatten. Er nahm mich behutsam heraus und als sich der arme Mann mich um seinen zitternden Körper legte spürte ich die Kälte und war froh endlich etwas Gutes zu tun. Von dem Tag an nahm mich mein Besitzer auf alle seine Reisen mit: Wenn er mit der Bahn fuhr, zum betteln, wenn er Geld hatte um sich etwas zu Essen zu kaufen und seitdem Tag an dem er mich in der Mülltonne gefunden hatte, blieb ich an seinem Körper und er hat mich bis heute noch immer nicht von sich abgelegt.  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.04.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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