Hans Werner

Monika, die Blumenverkäuferin




Erzählung von

Hans Werner



Monika war schon ein großes Mädchen. Sie war sieben Jahre alt, maß einen Meter zwanzig und ging in die zweite Klasse der Volksschule. Außerdem hatte sie zwei lange blonde Zöpfe, die ihr die Mutter jeden Morgen mit besonderer Sorgfalt flocht, und zwei lustige, schalkhaft blickende Augen von entwaffnendem Himmelblau. Sie hatte eine Freundin, Christine, die in der Schule neben ihr saß und alles Glück und Ungemach mit ihr teilte. Diese Freundschaft war für ihre Begriffe schon sehr alt, bestand schon mehrere Monate, und sollte, so hatten es sich die Mädchen vorgenommen, ewig und unverbrüchlich sein. Noch gut erinnerte sich Monika daran, wie ihr Christine bei einem sehr schwierigen Diktat mit einer vollen Patrone ausgeholfen hatte, als ihr eigener Füller leergeschrieben war. Und dann dachte sie an jenen dramatischen Vormittag, an dem die beiden hinter ihr sitzenden Buben Uwe und Reinhold sie beständig an den Zöpfen zogen, so dass es ordentlich weh­tat. Eine Weile hatte das Christine beobachtet, dann hatte sie entschlossen ihr Tintenfass genommen, geöffnet und dessen Inhalt auf die beiden Übeltäter gespritzt, so das diese blauweiß gescheckte Gesichter bekamen. Als darauf die beiden Unholde sie heulend bei der Lehrerin verpetzten, erhielt Christine drei scharfe Tatzen. Monika sah damals wohl, wie ihr die Finger brannten, und in der anschließenden großen Pause streichelte und liebkoste sie dauernd Christines Hand und blies mit vollen Wangen darauf, zur Kühlung und Linderung der Schmerzen. An jenem Tag, so erinnerte sich Monika, hatte ihre Freundschaft mit Christine begonnen, und nichts in der Welt, so sagte sie sich, sollte sie davon abhalten, Christine zu lieben und ihr treu zu bleiben.

Und nun ging Monika mit gesenktem Köpfchen den Heideweg entlang. Schwere Sorgen drückten sie. Am andern Tag hatte Christine Geburts­tag, und sie konnte ihr nichts schenken, denn sie hatte schlicht und einfach kein Geld. Mit den letzten Fünfzig Pfennig ihrer Sparbüchse hatte sie ein Schreibheft gekauft und ein Eis, weil sie vor drei Tagen vor dem Eisstand der Versuchung nicht widerstehen konnte.

Und nun schämte sie sich, dass sie dieser Versuchung erlegen war, ohne an den Geburtstag ihrer Freundin zu denken. Gestern hatte sie ihren Papa um Rat gefragt. Aber, wie sie sich vorher schon ausrechnen konnte, ohne Erfolg. Denn ihr Vater, obwohl er ein sehr gescheiter Mann war, der mehr wusste und konnte als alle andern Menschen auf der Welt, war arm. Er war ein Lehrer ohne Anstellung, weil es, wie er sagte, zu wenig Kinder gäbe. Mit bestem Willen konnte er ihr kein Geld geben. Manchmal schimpfte Papa über einen großen, bösen fremden Mann, den er "Vater Staat" nannte, und. der anscheinend seine Kinder nicht mochte und schlecht für sie sorgte. Monika konnte nicht begreifen, warum es Menschen gab, die Kinder nicht mochten, war sie selbst doch auch ein Kind und bemühte sich, lieb zu sein, und auch ihre Freundin Christine war doch auch lieb, und von vielen andern Kindern wusste sie, dass sie alle lieb und nett waren.

Als nun Monika für Christines Geburtstag kein Geld bekam, fragte sie ihren Papa sorgenvoll und bekümmert, warum denn der liebe Gott den Menschen nicht mehr Kinder schenke. Papa wurde traurig und sagte: "Weißt Du, Monika, der liebe Gott hat viele schöne Kinder bei sich im Himmel, die er den Menschen schenken möchte, aber die Menschen müssen vorher diese Kinder liebhaben, um sie annehmen zu können. Und da dies die Menschen immer seltener fertig bringen, müssten diese Kinder im Himmel zurückbleiben und warten, bis Menschen da sind, die sie mögen."

Das hatte Papa zu Monika gesagt, und sie verstand die Welt nicht mehr, aber sie war gottfroh, einen so guten Papa zu haben. Nur, ihr Malheur blieb, sie hatte kein Geld. Und dabei wollte sie doch ihrer Freundin etwas Hübsches zum Geburtstag kaufen.

Als sie so sinnend und nachdenkend weitergegangen war, gelangte sie zu einer Wiese am Stadtrand, auf der oft Kinder spielten. Nun kam ihr ein Gedanke.

Ich werde Blumen pflücken, sagte sie sich, und diese Blumen werde ich an Erwachsene verkaufen. Gänseblümchen, Buschwindröschen, Glockenblumen, Wiesenschaumkraut und Scharbockskraut, das soll ein schönes Sträußchen geben. Und schon bückte sie sich und pflückte Blumen, und als sie ein kleines Sträußchen beisammen hatte, ging sie den Weg in die Stadt zurück. Dabei kam sie an einer kleinen Gartenwirtschaft vorbei. Dort saßen Menschen an weißen Tischen bei Kaffee und Kuchen. Monika musste sich schon ein Herz fassen, um einen würdigen alten Herrn anzusprechen.

"Bitte schön, Blumen, zwanzig Pfennig das Stück".

Sie spürte beim Sprechen ein Würgen im Hals. Doch der Mann lächelte gütig und kaufte vier Gänseblümchen. Die steckte er sich in sein Knopfloch und sah dabei recht vergnügt aus. Auf diese Art brachte Monika manches Blümchen los. Zuletzt näherte sie sich einem Tisch, an dem eine junge Dame beleidigt und wütend auf einen jungen Mann einredete, der ganz verdattert dasaß und nicht recht wusste, was er antworten sollte. Monika wollte sich schon fortmachen, denn sie sagte sich: hier hast du keinen Erfolg. Doch wider Erwarten rief sie der junge Mann an den Tisch und kaufte ihr drei Glockenblumen ab, schöne, dunkelblaue Glockenblumen, die sie sich bis zum Schluss aufgehoben hatte. Dann sah Monika, wie der junge Mann mit einem bittenden Blick die Blümchen der Dame in die Hand drückte, wie diese zuerst sprachlos war, dann langsam zu lächeln begann und etwas Glitzerndes vom Tisch nahm, das wie ein Ring aussah, und sich an den Finger steckte.

Da tat der junge Mann etwas ihr gänzlich Unverständliches, er erhob sich, nahm die Dame, die vorher doch so böse mit ihm geredet hatte, in die Arme und küsste sie. Die großen Menschen sind doch seltsam, dachte sich Monika. Nie wissen sie recht, was sie wollen. Aber in ihrem Täschchen klimperten nun einige Zehner und ein paar Markstücke. Nun würde sie ihrer Freundin etwas Hübsches kaufen, etwas Unvergessliches, Einmaliges, etwas, das ihre Dankbarkeit Christine immer vor Augen führen sollte. Sie kaufte schließlich in einem Andenken- und Souvenirgeschäft ein kostbares Schmuckstück, ein großes goldenes Tintenfass, auf dem der Name ihrer Vaterstadt eingraviert war. In dieses wertvolle Kleinod stellte sie Glockenblumen und Gänseblümchen, von denen sie nun aus eigener Erfahrung wusste, dass sie Glücksbringer seien und dass geheime Zauberkräfte in ihnen wohnten.



Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hans Werner).
Der Beitrag wurde von Hans Werner auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.04.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Hans Werner als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Unterwegs mit einem Pianisten von Rolf Walther



Die Karriere eines russischen Pianisten führt ihn in die Metropolen Europas, der USA, Südamerikas und Asiens. Er erlebt die fremden Kulturen, Sehenswürdigkeiten und auch die Schattenseiten der Gesellschaften.
Die Ehe mit einer deutschen und die Affairen mit einer japanischen Pianistin wühlen ihn emotional auf.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Sonstige" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hans Werner

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

In der Wolfsschlucht von Hans Werner (Sonstige)
autobiographisch...mein Freund Peter von Rüdiger Nazar (Sonstige)
Meine Bergmannsjahre (zweiter Teil) von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen