Marion Redzich

Das Fotoshooting

                                          

Wenn nicht mit 45, wann dann???

Endlich hatte ich eine zündende Geschenkidee für den 65. Geburtstag meines Mannes.

Ein paar schöne, ganz spezielle Fotoaufnahmen von mir.

Kurz entschlossen gab ich bei Ebay den Begriff „Fotoshooting Berlin“ ein und landete auf der Seite eines Fotografen, der mir aufgrund seiner positiven Bewertungen geeignet erschien.

Für 27,55 Euro bekam ich den Zuschlag. Nur für das Shooting, versteht sich. Die Fotos würden noch extra berechnet. Aber egal. Da ich nun mal nicht mit einem Modelkörper gesegnet war rechnete ich nicht ernsthaft damit, dass allzu viele schöne Fotos und damit Kosten auf mich zukommen könnten.

Per Mail vereinbarte ich einen Termin mit dem mir gänzlich unbekannten Fotografen. Dass dieser auch noch ein Mann war, störte mich eigentlich nicht. Fotograf ist Fotograf.

Meiner Freundin erzählte ich im Vertrauen von meinem Vorhaben. Sie war schlichtweg entsetzt. „Was?? Du willst Dich von einem wildfremden Mann fotografieren lassen??“ japste sie. „Und dann auch noch erotisch???“ „Na ja“, entgegnete ich, „wenn der erst mal ein paar Fotos von mir gemacht hat, ist er ja nicht mehr wildfremd.“ Dieses Argument leuchtete meiner Freundin zwar nicht wirklich ein aber ihr war auch klar, dass es keinen Sinn hatte, mich von meinem Vorhaben abzubringen.

Je näher die Stunde des Shootings rückte, desto nervöser wurde ich. Nicht, weil ich befürchtete, mein Fotograf könnte ein gesuchter Triebtäter sein oder noch was Schlimmeres. Nein, weil ich absolut keine Ahnung hatte, was man (frau) zu solch einem Termin wohl mitnehmen sollte. Also packte ich, als mein Mann außer Haus war, alles ein, was hier von Nutzen sein konnte: High Heels (die einzigen, die ich besaß und absolut jungfräulich, weil noch nie getragen), eine pinkfarbene Federboa (die erschien mir verrucht genug und daher passend), rosafarbene Plüschhandschellen (keine Ahnung, wie die in meinen Besitz geraten konnten!), ein paar mehr oder weniger blickdichte Dessous, die im wahren Leben auch noch nicht allzu oft zum Einsatz kamen, eine Spielzeugpistole (wer weiß, vielleicht ist mein Fotograf doch ein Serienkiller??! Sicher ist sicher!!!) und jede Menge Schminkzeug, vor allem knallroten Lippenstift. Die Nägel würde ich mir noch kurz vor dem Shooting  rot lackieren. Auch den Termin hatte ich sorgfältig ausgesucht. Und zwar einen Nachmittag Mitte März. Für diesen Tag hatte mein Mann ein Ticket für die frühe Abendvorstellung in der Berliner Philharmonie. Er würde alleine dorthin gehen und freute sich schon seit Wochen auf diesen Termin.

Ich hatte alles akribisch geplant. Meine mit den notwendigen Utensilien voll gepackte Reisetasche hatte ich im Keller versteckt. Dorthin verirrte sich mein Mann nur höchst selten und somit bestand kaum die Gefahr, dass er sie entdecken könnte. Und wenn doch, würde ich  behaupten, ich hätte für die Altkleidersammlung ausgemistet. Da die Federboa ganz oben lag, hätte ich sogar die Chance, damit durchzukommen.

Meinem Mann erzählte ich, dass ich diesen Nachmittag bei besagter Freundin verbringen wolle und erst am Abend nach Hause kommen würde. Diese war natürlich eingeweiht, kannte für Notfälle den Ebay-Namen des Fotografen und könnte mich rächen, wenn etwas schief gehen würde. Eine schlechte Bewertung wäre absolut tödlich für sein Bewertungsprofil.

So abgesichert hatte ich absolut gar keine Bedenken mehr!

Mein Fotograf sagte mir, ich solle viel Zeit mitbringen, das Shooting würde so 2-3 Stunden dauern. Ich rechnete mir aus, um 19 wieder zuhause zu sein. Und da mein Mann spätestens um 17 Uhr zu seinem Konzert in die Philharmonie aufbrechen würde, hätte ich nach dem Fotoshooting alle Zeit der Welt um mich abzuschminken und die verräterischen Accessoires verschwinden zu lassen. So war mein Plan.

Am Tag des Shootings war ich doch ein bisschen nervös. Am frühen Nachmittag verabschiedete ich mich von meinem Mann und wünschte ihm einen schönen Konzertabend.

Aus dem Keller holte ich meine Reisetasche und machte mich auf den Weg ins Fotostudio.

Dieses entpuppte sich als ein einsames Bürogebäude in der Nähe des S-Bahnhof Gleisdreieck.

Da sonst niemand zu sehen war, erkannte ich meinen Fotografen sofort. Er schien mir sehr nett zu sein. War gleich per Du mit mir. Und auch sein kleiner Hund, der ihn begleitete, hatte nichts von einem perversen Serientäter.

Das war ja das Schöne. Auf mein Bauchgefühl konnte ich mich schon immer verlassen!

„Hi, ich bin Tim! Und das ist Jerry. Den musste ich mitnehmen. Ich hoffe das stört Dich nicht, aber den kann man einfach nicht alleine lassen!“, stellte er sich mir vor.

Mit gleich 2 „Männern“, auch wenn einer davon nur ein kleiner Hund war, hatte ich zwar nicht gerechnet, aber egal. Augen zu und durch!

Wir betraten das Bürogebäude und ich konnte feststellen, dass es gar nicht so verlassen war wie es schien. Zumindest ein Büro war von ein paar geschäftig aussehenden Menschen besetzt, die meinen Fotografen zu kennen schienen.

Ein Serienvergewaltiger, der mit Büroangestellten bekannt ist? Kaum vorstellbar!

„So, da sind wir!“ strahlte mich Tim an und führte mich in einen großen Raum, der voller Schreibtische stand. Nun ja, ein Fotoatelier hatte ich mir allerdings anders vorgestellt.

Er schien meine Gedanken lesen zu können. Er zeigte auf eine Ecke des Raumes, in der eine große Leinwand stand. Davor mehrere Stative und ein großer Tisch, auf dem er seine Kamera und sonstigen Foto-Utensilien ablegte.

„Weißt Du,“ erklärte er mir etwas verlegen, „eigentlich mache ich den Job als Fotograf nur so zum Spaß. In meinem richtigen Leben bin ich Leiter der Reinickendorfer Feuerwache. „

Das beruhigte mich und nun hatte ich auch die letzten kleinen Bedenken hinsichtlich meiner anfänglichen Befürchtungen seiner möglichen sexuellen Neigungen über Bord geworfen.

„Okay! Dann fangen wir mal mit ein paar Portraitfotos an. Zum Lockerwerden!“, schlug Tim vor. „Nee, nicht nötig“, antwortete ich. „Bin locker! Außerdem hab ich schon ein paar konkrete Vorschläge, wie ich fotografiert werden möchte. Es soll erotisch aussehen, aber nicht vulgär. Und meine Beine bitte nur so fotografieren, dass die Cellulite nicht zu sehen ist! Du kriegst das schon hin!“ Immerhin hatte ich bis jetzt schon 27,55 Euro investiert, da muss ja auch der eine oder andere Sonderwunsch drin sein. Oder?!

Nachdem ich mich ordentlich geschminkt hatte (Tim erklärte mir, es dürfe ruhig etwas mehr sein, da das Licht beim Fotografieren viel Farbe schluckt) und mich in die super eng sitzende Corsage gezwängt hatte, kam ich mir vor wie Lilly Marleen auf der Reeperbahn.

Und dann ging’s los. Tim feuerte mich an, immer mehr Posen auszuprobieren. Lasziv lächelte ich in die Kamera, räkelte mich in künstlichen Rosenblättern und versuchte beim Laufen auf den High Heels, mir nicht den Hals zu brechen.

Die Sache fing langsam an, mir richtig Spaß zu machen! Jerry wurde es mit der Zeit langweilig, also fing er an die künstlichen Rosenblätter zu fressen. Nachdem ihm dies nachdrücklich von seinem Herrchen verboten wurde, verschleppte er einen meiner mörderischen roten, wanderuntauglichen Schuhe und begann genüsslich am Absatz zu knabbern. Beim Versuch, ihm das Teil wieder abzujagen stolperte ich über die Federboa und hätte um ein Haar das Stativ mitsamt der teuren Kamera zu Boden gerissen.

Ging gerade noch mal gut und wir konnten mit den Fotoaufnahmen weitermachen. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so erotisch gefühlt. Ich hatte das Gefühl, Jennifer Lopez, Gina Lollobrigida und Julia Roberts in einer Person zu sein. Für eine kurze Zeit vergaß ich sogar die fiesen Dellen an meinen Oberschenkeln und die Zeichen der Zeit, die sich im Laufe der Jahre an den verschiedensten Stellen meines Körpers verewigt hatten.

Nach knapp 2 Stunden war das Shooting vorbei. Tim betonte, dass es auch ihm viel Spaß gemacht hatte und dass ganz sicher eine Menge guter Fotos dabei raus gekommen wären.

Diese könne ich in einer Woche bei ihm in der Reinickendorfer Feuerwache abholen.

Nachdem ich meine überall verstreuten Klamotten, Knarren und sonstigen Teile eingesammelt hatte wollte ich mich gerne abschminken. Dies war allerdings mangels Waschbecken nicht möglich. Also musste ich wohl oder übel so nach Hause gehen. „Egal, heute Abend bin ich eh allein zuhause. Da hab ich alle Zeit der Welt dazu!“ dachte ich so bei mir, bedankte mich für das lustige Shooting bei Tim und machte mich auf den Heimweg.

Das ist das schöne an Berlin. Egal, wie man aussieht, hier fällt kaum einer auf.

Beschwingt stieg ich in die U2 und fuhr bis Stadtmitte. Von dort wären es nur noch 5 Stationen mit der U6 und ich bin zuhause. Schon etwas müde und mitgenommen (so ein Fotoshooting ist ganz schön anstrengend!) lief ich gerade die Treppe zur U-Bahn hinunter.

Da sah ich ihn! Vor Schreck blieb mir fast das Herz stehen! Direkt vor mir in ca. 50 Metern Entfernung kam mein Mann angelaufen. Direkt in meine Richtung! Geistesgegenwärtig versteckte ich mich hinter einem Pfeiler. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf.

„Was macht der denn hier??“ Ich sah auf meine Uhr, die genau 17.20 zeigte und mir war klar, dass ich zu früh und er zu spät dran war. Hätte das Shooting noch eine Stunde länger gedauert, wie geplant, wäre ich ihm hier nie über den Weg gelaufen. Dann säße er längst auf seinem Platz in der Philharmonie und würde gebannt Beethovens 5. Sinfonie  lauschen.

„Was sag ich bloß, wenn er mich sieht?“ „Wie um Himmels Willen soll ich nur meinen Aufzug erklären? Geschminkt wie eine heruntergekommene Puffmutter, im Gepäck eine Reisetasche voller Dessous, ganz oben die pinkfarbene Federboa und die Knarre!“ Ich war zwar um spontane Ausreden noch nie verlegen, doch jetzt wäre auch mir nichts mehr eingefallen. Also verharrte ich regungslos hinter dem Pfeiler, stellte die Atmung ein und beobachtete meinen Mann wie er an mir vorbeieilte, ohne mich zu bemerken.

Er muss mal wieder auf den letzten Drücker losgegangen sein. Das konnte ich aus seinem Tempo schließen. Beinahe hätte das  meine ganze Zeitplanung durcheinandergebracht.

Einige der Wartenden auf dem Bahnsteig warfen mir seltsame Blicke zu. Wahrscheinlich dachten sie, ich sei eine Prostituierte auf der Flucht vor ihrem Zuhälter. Ein leises Lachen konnte ich mir bei diesem Gedanken nicht verkneifen. Aber das war knapp!!

„Uff, ist ja noch mal gut gegangen!“ seufzte ich, stieg in die nächste Bahn und fuhr nachhause. Dort angekommen, schminkte ich mich erstmal gründlich ab, verstaute dann die verräterischen Utensilien an ihren Plätzen und rief meine Freundin an. Die war froh, meine Stimme zu hören. Wahrscheinlich hatte sie auch einfach keine Lust, mich auf irgendeinem Seziertisch identifizieren zu müssen.

Eine knappe Woche später bekam ich eine Mail von Tim. Meine Fotos waren fertig.

Zwei Tage später besuchte ich ihn wie abgemacht in der Feuerwache und zusammen suchten wir die schönsten Fotos raus. Das kostete mich zwar noch einiges mehr als anfangs gedacht, aber die Augen, die mein Mann beim Anblick der Fotos machte, waren jeden Cent wert.

Nie hätte ich gedacht, dass auch ein Nicht-Model-Körper so viele schöne, erotische Fotos hinkriegt. Fotos, die ich, wenn ich eines Tages mal  alt und grau sein werde, mit Stolz meinen Enkelkindern zeigen kann!

Mein Mann freute sich riesig über dieses etwas ungewöhnliche Geburtstagsgeschenk.

Und ich war um eine Erfahrung reicher.

 

Wenn nicht mit 45, wann dann??!!!

 

 

                                                             E N D E

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.04.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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