Rüdiger Nazar

Kriegserlebnis 1914 / 18

Nun war ich schon eine Woche von zuhause weg.
Man riss uns aus unserem alltäglichen besinnlichen Leben heraus.
Auf Männer...für Volk und Vaterland...der Kaiser braucht euch...und Gott mit uns.
Ja...Gott mit uns...stand auch auf unserem Koppelschloss am ledernen Gürtel.
Wir kamen in alten hölzernen Wagons hierher...vollgepropft mit schweißdurchnäßten Leibern. Schriftzüge in weißer Kreide schmückten jeden Zugwagon...auf in den Kampf...mir juckt die Säbelspitze...Paris...wir kommen...Francemann geb` acht.
So dumme Sprüche ohne Sinn fand ich...aber ich ließ mich mitreißen...im Sog der Euphorie.
Verdun war eine kleine verträumte Stadt in Frankreich...romantisch und ruhig.
Aber auch der Franzose hatte sich aufgerüstet...da er uns ja erwartete...uns den Feind...den Bursch...wie sie uns Deutsche nannten.
Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie ein Gewehr in der Hand...außer bei der dreiwöchigen Ausbildung in Berlin.
Nun stand ich hier...und mußte marschieren. Unser Spieß war ein kleiner dicklicher Mann aus Ostpreußen...ein feiner Kerl...eine ...Frontsau...wie man sagte...da er mehr im Krieg war als in der Heimat.
Wir wurden vor der Feste...Fort Douaumont...stationiert. Na ja...weiß heißt stationiert ? Wir lagen im Dreck...in Schützengräben mit provisorischen Holzunterständen.
Alles war so ruhig und romantisch...die Amseln sangen ihr Morgenlied...und wir...wir kochten Kaffee und aßen Fleischkonserven.
Wir waren schon ein gemischter Haufen aus ganz Deutschland zusammengewürfelt.
Mein Rgiment war das 99.Reserve Infantrieregiment van Goeben.
Ich war stolz darauf die Feldgraue Uniform des Heeres zu tragen. Mein Krätzchen mit der roten Biese und den Hoheitsabzeichen in schwarz...weiß...rot...stand mir so gut.
Vor einigen Tagen wurde unser Regiment...das heißt eigentlich ...das ganze deutsche Heer...neu ausgerüstet. Die alte Pickelhaube hatte ausgedient...es wurde der neue Stahlhelm...M.16...eingeführt. Die Pickelhaube war aus Leder...mit einer Messingspitze und einem großen Reichsadler auf der Front...sie bot sehr wenig Schutz...obwohl sie sehr Schmuck war. Der neue Stahlhelm war dagegen erstklassig verarbeitet...dickwandig aus Eisen.
Eigentlich weiß ich garnicht warum ich hier bin. Man sagte mir...es ist Krieg..und du mußt daß Vaterland verteidigen. Aber hier war es so schön. Wie hatte dieser blöde Krieg eigentlich angefangen ? Ja...mit dem Attentat in Sarajevo...aber was hatten wir damit zu tun ? Politik...das verstehe wer will.
Ich wurde aus der Schule gerissen...machte gerade mein Studium in Archäologie...und bekam die Uniform an. Der Krieg ist schnell vorbei...sagte man uns.
Nun sitze ich hier im Graben und es dunkelt schon. Lagebesprechung.  Heute Nacht senden wir einen Spähtrupp los...um Feindesumgebung zu erkundschaften.
Im Fort Douaumont ist Ruhe...nichts bewegt sich dort. Der Francemann scheint auch zu schlafen. Ich werde dem Spähtrupp zugeteilt. Stacheldrahtrollen und spanische Reiter werden mitgenommen und im Zickzack weit vor unseren Linien aufgestellt...eine miese Barriere. Die Nacht ist verhältnismäßig ruhig. Ab und zu sieht man Weihnachtsbäume...das sind Leuchtkugelgeschosse...die der Franzose in den Himmel schießt...damit die Umgebung erhellt wird...und man alles besser sehen kann.
Wir kehren ohne Zwischenfälle in den Unterstand zurück. Die Nacht ist ruhig...aber eine innere Unruhe erfasst alle Männer.
Der Morgen graut mit einem Inferno an Geräuschen. Maschinengewehrsalven...einzelne Gewehrschüsse...Handgranaten....wir schrecken auf.
Blaugraue Gestalten stürmen auf uns zu...Franzosen...der Poilu. Ihre langen Nadelbajonette glänzen in der Morgensonne. Sie schreien wie die Beserker.
Ich habe Angst...furchtbare Angst...und stürme auf Befehl  unseres Hauptmannes los.
Ein heilloses Durcheinander...Metall schlägt auf Metall. Ich habe Furcht im Gedränge einen meiner Kameraden zu verletzen oder gar zu töten.
Jeder schlägt auf jeden ein...ein Gemetzel...ein Blutbad.
Ich falle in einen Graben...von einer Granate gehöhlt....und stehe einem jungen französischen Soldaten gegenüber.
Meine Hände zittern...das Gewehr mit dem Bajonett 98/05 aufgeplanzt...stürme ich auf ihn zu. Er ist noch so jung...seine Augen sehen mich fragend an....und ich verharre im Lauf.
Hat nicht auch er eine Mutter ? einen Vater ? Geschwister ? Wollte er den Krieg ?
Nein sicherlich nicht. Verbittert lächelt er mich an...und stößt mir sein Nadelbajonett in die Hüfte. Er oder ich...ich oder er...eine Scheißdevise im Krieg. Vor Schmerz lasse ich mein Gewehr fallen und schlage ihm mit dem Feldspaten den Schädel entzwei.
Versteinert stehe ich da. Oh Gott...verzeih...verzeih mein unbekannter Kamerad...das wollte ich nicht.
Ich habe diesen verdammten Krieg überlebt...aber nur körperlich. Seelisch bin ich ein Wrack. Ich habe unkontrollierbares Körperzittern....und kann keine Nacht durchschlafen.
Ich bekam das eiserne Kreuz zweiter Klasse...ein Stück Eisen ohne Bedeutung für mich.
Es ist eine Auszeichnung für das legetime Töten im Auftrage des Landes oder des Staates...ich scheiß was drauf.
Millionen haben gelitten...sind gestorben....waren verwundet...oder sind vermisst.
Und unser oberster Feldheer...Der Kaiser...verdrückt sich nach Holland...in`s Exil.
Das Frontkämpferehrenkreuz des Weltkrieges 1914/18 wurde nachträglich 1935 an alle Feldgrauen verliehen....gestiftet von Hindenburg.
Das Ehrenkreuz in schwarz für Hinterbliebene...Witwen und Waisen ebenfalls.

Nachtrag von mir....
Diese Kreuze liegen heute bei Sammler zwischen 10 und 20 Euro...
Das eiserne Kreuz  zweiter Klasse von 1914/18 bei 35 Euro...
Ist das nicht traurig und banal ?


Rüdiger Nazar
melvin6@gmx.de
21.Mai 2011






 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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In meinen Gedichten, schreibe ich mir meine eigene Realität, meine Träume auch wenn sie oft surreal, meistens abstakt wirken. Schreiben bedingt auch meine Sprache, meine Denkmechanismen mein Gefühl für das Jetzt der Zeit.

Ich vernehme mich selbst, ich höre tief in mich rein, bin bei mir, hier und jetzt. Die Sprache ist dabei meine Helfershelferin und Komplizin, wenn es darum geht, mir die Wirklichkeit vom Leib zu halten. Wenn ich mein erzähltes Ich beschreibe, beeinflusse, beschneide, möchte ich begreifen, wissen, welche Ursachen Einflüsse bestimmte Dinge und Menschen auf mein Inneres auf meine Handlung nehmen, wie sie sich integrieren bzw. verworfen werden um mich dennoch im Gleichgewicht halten können.

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