Jürgen Steinen

Frust


"Schlaf nicht ein, da vorne geht es weiter." brüllte mir eine Stimme ins Ohr und gleichzeitig erhielt ich einen Stoß in den Rücken, der mich zwei Schritte nach vorne stolpern ließ.

Ich drehte mich um und sah in das grinsende Gesicht von Müller.

Mein Abteilungsleiter und einer der wenigen hier, deren Namen ich kannte.

"Haben wir etwa ein Problem?" fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.

"Ne ne, alles in Ordnung." antwortete ich und sah wieder nach vorne.

Wir standen in der Schlange zur Essensausgabe in der trostlosen Kantine im 11. Untergeschoss des Buck Service Company Towers, des höchsten Gebäudes der Stadt und noch einmal 6 Stockwerke tiefer war mein Arbeitsplatz.

Registraturabteilung 21B.

Dort übertrug ich aus endlosen Listen lange Zahlenkolonnen in Tabellen, deren Sinn und Zweck ich weder kannte noch erahnen konnte.

Man kann jetzt nicht gerade behaupten, dass das ein wirklich spannender Job wäre oder dass ich auch nur einen Funken Spaß an der Sache hätte.

Tatsächlich kotzt es mich sogar ziemlich an und hin und wieder habe ich bereits mit dem Gedanken gespielt, absichtlich einige Zahlendreher einzubauen aber möglicherweise wäre dann die Welt untergegangen.

Mit kleinen Tippelschritten ging es weiter und endlich war ich an der Reihe.

In dem Moment drängte mich Müller beiseite.

"Darf ich mal..." sagte er "Ich habe einen wahnsinnigen Hunger."

"Erlaube mal..." stotterte ich.

"WAS???" fragte er und seine Augen blitzen mich an.

Schweigend wollte ich mich hinter Müller wieder in die Schlange einsortieren, doch da wurden wütende Stimmen laut.

"Hey, hier wird sich nicht vorgedrängt. Stell dich gefälligst hinten an..."

"Aber..." setzte ich an, schüttelte dann resignierend den Kopf und trat ein paar Schritte zur Seite.

Wenn ich mich jetzt nochmal anstellen würde, wäre meine Pause um bevor ich wieder dran wäre.

Ich ging, begleitet von höhnischem Gelächter, die Schlange entlang, legte mein unbenutztes Tablett wieder auf den Stapel neben der Türe zurück und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter in das 17. Untergeschoss.

Dort setzte ich mich an meinen Arbeitsplatz, legte den Kopf auf die Tischkante und schloss die Augen.

"Nur für eine Minute..." dachte ich und...

Wurde von Müllers wütender Stimme geweckt.

"Sagen Sie mal, Sie schlafen während der Arbeitszeit??? Kommen Sie doch mal bitte mit in mein Büro."

Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und sah mich wortlos an.

Ich wartete darauf, dass er mir einen Platz anbot, aber er dachte gar nicht daran, sondern ließ mich stehen.

"Ihre Leistung lässt seit Monaten zu wünschen übrig, wissen Sie das? Sie hängen permanent nach, die ganze Abteilung gerät ihretwegen ins Stocken und ich kassiere einen Anschiss nach dem anderen. Und jetzt erwische ich sie schlafend an ihrem Platz."

"Es wird nicht wieder vorkommen, wirklich, ich weiss auch nicht wie das passieren konnte. Ich verspreche Ihnen, ich werde mir zukünftig mehr Mühe geben..." stammelte ich, doch ein Blick in seine harten, kalten Augen ließ mich verstummen.

"Ich fürchte Sie sind nicht länger tragbar." sagte er und legte einen genüsslichen Ton in seine Stimme.

"Bitte?" fragte ich und fühlte wie mir flau im Magen wurde.

"Sie sind gefeuert. Fristlos. Räumen Sie ihren Plunder und verschwinden Sie. Und zwar auf der Stelle."

"Aber...das können Sie doch nicht machen."

"Natürlich kann ich das. Sie sehen doch, dass ich das kann."

Ich packte meine wenigen privaten Dinge in meine abgewetzte Aktentasche, verließ den BSC-Tower und ging mit langsamen Schritten zur Bushaltestelle.

Die ersten drei Busse ließ ich fahren ohne einzusteigen.

Dann fuhr ich heim.

"Wieso bist du schon so früh zuhause?" fragte meine Frau ohne den Blick vom Fernseher zu nehmen.

Zum ersten Mal fiel mir auf, wie aufgequollen sie aussah, wie eine fette, blasse Made lag sie auf dem Sofa und stopfte sich Pralinen in den Mund.

"Ich habe meinen Job verloren." seufzte ich und wollte mich setzen.

"WIE BITTE?" schrie sie mich an "Was hast du Versager denn jetzt schon wieder angestellt? Bist du sogar zu blöd um ein paar dämliche Zahlen abzuschreiben?"

Ich schüttelte den Kopf.

"Aber glaube nicht, dass du hier faul rumhängen kannst. Du suchst dir jetzt auf der Stelle einen neuen Job und wage nicht vorher wieder hier angeschissen zu kommen." steigerte sie sich immer mehr in Rage.

"Hör auf mich anzuschreien." bat ich.

"Ich schrie soviel wie ich will, du elender Waschlappen. Guck dich doch nur mal an, du kriegst ja nicht mal mehr einen hoch. Wenn Müller mich nicht hin und wieder vögeln würde, hätte ich überhaupt keinen Sex mehr...du nutzloses Stück Scheisse."

In dem Moment machte es "KLICK" in meinem Kopf und ich stürzte mich auf sie...

Als ich wieder klar denken konnte war sie still.

Meine Hände waren noch immer um ihren Hals gekrallt, ihr Gesicht war blau angelaufen und ihre gebrochenen Augen starrten zur Decke.

Ein dünner, von der Schokolade bräunlicher gefärbter Speichelfaden war ihr vom Mundwinkel auf mein Handgelenk gelaufen.

Aufatmend setzte ich mich in den Sessel.

"Endlich hälst du mal deine Fresse." sagte ich und lehnte mich zurück.

Dass es so einfach wäre, hätte ich nicht gedacht.

Aber sie musste verschwinden. Am besten Stück für Stück.

Nach einer Weile holte ich ein paar Müllsäcke und eine Säge und machte mich an die Arbeit.

Und für Müller würde ich mir auch noch etwas ausdenken...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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