Daniela Rabenstein

Langsames Sterben

Leise knackend flackert das gelbrote Feuer im Kamin vor sich hin.

Die sanft abstrahlende Wärme umhüllt mich wie eine weiche Wolldecke.

Eine weitere Nacht, und mit ihr die Dunkelheit, senken sich über meine Existenz.

In diesem Moment ist es nicht wichtig, wer ich bin oder was ich getan habe. Nur der Moment zählt; und er bringt soviel Frieden in meine Gedanken. Fast ist es, als könnte ich deine Gegenwart spüren, obwohl du weit weg bist.

Die Standuhr im Flur tickt leise in einem monotonen, tiefen Ton.

Sekunden werden zu Minuten, die zu Stunden werden.

Ich bin eins mit meinen Empfindungen. Werde eins mit meiner Umgebung.

Erinnerungen in jedem Zentimeter meines Kopfes. Es kommt mir vor, als würde alles eine Ewigkeit vergangen sein. Und doch ist mir jede Einzelheit bewusst.

Lachende Augen, die mich ansehen und meine Absichten erforschen. Dein Atem, der gelegentlich meinen Nacken streift, als du dich hinter mich stellst und über meine Schulter auf die vor mir liegenden Entwürfe blickst. Deine zarten Finger, die die Linien auf dem Papier nachfahren. Deine Stimme, die leise und rauchig ihre Meinung äußert.

Aus jeder Kleinigkeit wird der Teil eines Ganzen. Langsam nehme ich die zerbrechlichen Erinnerungen in meine Hände und füge sie in Gedanken der Gesamtstruktur hinzu.

Ich sehe dich im kargen Mondlicht vor mir wandeln; blicke auf deine schmalen, aber sinnlichen Lippen und vergesse sofort jedes Wort, das du sagst. Du sprichst über Dinge, die unwesentlich sind – jedenfalls in dieser Nacht.

Mein Finger legt sich über deinen Mund und bringt dich zum Schweigen. Ich werde dir zuhören, aber nicht jetzt.

Große Augen blicken mich fragend an. Ich glaube dir nicht, dass du ahnungslos bist. Du hast immer in mein Herz geblickt. Nur du willst undurchschaubar bleiben.

Der Finger wandert von deinen Lippen zu deinem Hals, und ich spüre dich unter der Berührung schaudern. Lange wird deine Selbstbeherrschung nicht anhalten. Ein winziges Seufzen entflieht deinen Lippen, doch ich verschließe sie mit meinem Mund.

Meine kostbarsten Erinnerungen liegen tief in einer Truhe versteckt, unter flüchtigen Erscheinungen und Begegnungen.

Worte können nicht beschreiben, was in mir vorgeht. Ich gebe mich hin, lasse mich vom Leben umarmen und im gleichen Augenblick vom Tod anlächeln. Es dauert nicht mehr lange. Ich kann es fühlen.

Du stehst im Türrahmen und schaust mich müde an. Ich muss deine Worte nicht in mein Bewußtsein lassen, um zu verstehen, wie es in dir aussieht. Deine Vergangenheit hat dich eingeholt; dabei hast du deine Gegenwart dafür geopfert, ihr zu entkommen.

Unsere Wege trennen sich hier und jetzt; der gemeinsame Weg war kurz, aber er hat mich verändert.

Ruhig füge ich diesen letzten Fetzen Erinnerung hinzu und vervollständige so das Mosaik meines Lebens.

Das Leben umarmt mich ein letztes Mal liebevoll und nimmt Abschied von mir. Meine Augen sind geschlossen; und ich gehe mit festen Schritten dem Tod entgegen.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.02.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
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