Hans Witteborg

Stammtisch-"Brüder"





Stammtisch-„Brüder“

Ich hatte seit einigen Jahren wieder geschäftlich in meiner Heimatstadt zu tun und da die Besprechungen erfolgreich und unerwartet kurz verliefen, wollte ich einem Jugendfreund von mir einen Spontanbesuch abstatten. Er wohnte ein kleines Stück hinter dem Hauptbahnhof was meinen Besuchsplan erleichterte, da ich mit dem Zug angereist war. Wenn man ein Treffen jedoch nicht ankündigt, kann man nicht erwarten, daß auch jemand zu Hause ist. Ich schellte demzufolge vergeblich und machte mich wieder auf den Weg zum Bahnhof. Unterdessen hatte es zu regnen angefangen und wie ich das von meiner Heimatstadt gewohnt war, goß es bald in
Strömen. „Altes Regenloch,“ fluchte ich still vor mich hin. Ich erinnerte mich an eine alte Eckkneipe, die ganz in der Nähe war. Ich wußte zwar nicht, ob die die Umbrüche der letzten Jahre überstanden hatte...aber ich hatte Glück, denn die Kneipe war nicht nur noch existent, sie hatte auch geöffnet, was man zu dieser Uhrzeit nicht unbedingt erwarten konnte.
Völlig durchnäßt – ich hatte weder einen Regenschirm noch einen Mantel dabei –
betrat ich den Schankraum. Die Gaststätte war früher ideal gelegen. In der Nähe gab es eine Metallfabrik und die Mitarbeiter des nahen Rangierbahnhofes hatten dort freitags einen Teil ihres Wochenlohnes, der bar ausgezahlt wurde, dagelassen.
Die Fabrik hatte einer Wohnbebauuung Platz gemacht und durch Automatisierung waren auch ein großer Teil der Rangierarbeiter im Laufe der Jahre verschwunden.
Entsprechend war in dem verrauchten Schankraum nichts renoviert worden. Selbst der über dem Türrahmen angebrachte Brauereihinweis hatte wohl nicht dazu beigetragen Investitionen durch die Brauerei zu veranlassen. Es war stickig in dem Raum und der Tresen mit den Ausschankhähnen war abgenutzt und sah nicht sehr
Vertrauen erweckend aus. Der beleibte, glatzköpfige Wirt hatte die siebzig offenbar schon weit überschritten und kümmerte sich nicht um irgendwelche Rauchverbote.
Der Zigarettenrauch stand förmlich in der Luft. Die Verursacher dieser Luftverschmutzung saßen um einen runden Tisch, der mit der Aufschrift „STAMM-TISCH“, einem Messingschild das aus einem überdimensionierten Aschenbecher
ragte. Fünf Männer saßen um den Tisch, jeder hatte ein großes Bierglas und ein Pinken- ein Schnapsglas vor sich stehen. Sie waren etwa um die fünfizig Jahre bis auf einen, der wesentlich jünger schien glatzköpfig war und dadurch auffiel, daß er einen „ballonseidenen“ Sportdress trug. Die anderen Männer waren ungepflegt und nachlässig gekleidet. Man spielte Karten und ich konnte sehen, daß der jüngere der Gäste, der gerade die Karten austeilte, auf den Handknöcheln tätowiert war.
Mein Erscheinen brachte Unruhe in die Runde. Ich hörte einen murmeln: „was will denn der Fatzke hier?“ Weitere unfreundliche Bemerkungen kamen fetzenweise an mein Ohr wie: die Scheiß Etablierten, Bankerganoven, Sesselfurzer. Ohne mich um diese Leute zu kümmern bestellte ich ein Pils, das der Wirt im Schnellverfahren servierte, so wie er das bei den früheren Biergenießern niemals gewagt hätte,
wenngleich die dem Arbeitermilieu angehörten. Die, da bin ich mir sicher, andere Gäste nicht so unverschämt angepöbelt hätten.
Während ich mein Bier an der Theke trank – ich hatte nicht vor länger als es unbedingt Wetter abhängig nötig war – in diesem Etablissement zu bleiben,
hatte der Stammtisch wohl die Lust am Kartenspiel verloren. Sie begannen sich über Politik zu unterhalten, was heißt unterhalten: sie schimpften auf alles und jeden ohne jedoch von geringster Sachkenntnis getrübt zu sein. Es war einfach nur unangenehm, lediglich durchbrochen von den erneuten Bestellungen von Bier und Korn.
Da betrat ein weiterer Gast die Kneipe. Man sah seinem Gesichtsausdruck an, daß er dies nicht freiwillig tat, offenbar hatte auch ihn das Hundswetter einfach nur ein trockenes Plätzchen suchen lassen, denn seine Kleidung war völlig durchnäßt.
Er trat nach einem freundlichen „Guten Tag“ an die Theke und bestellte sich eine Tasse Kaffee. Der Mann hatte eine olivfarbige Haut, dunkles, schwarzes Haar und tiefbraune Augen, die aus einem schmalen Gesicht mit dreitage Bart aufmerksam blickten. Unverkennbar hatte der neue Gast ein Äußeres, das auf die Herkunft im arabischen Raum oder dem nahen Osten schließen ließ.
Hatten die Stammtischgäste nur kurz aufgeschaut, so wurden sie jetzt aufmerksam als der Ankömmling einen Kaffee bestellte. Während der Wirt für die Zubereitung in dem hinteren Raum der Theke verschwand in dem sich eine kleine Küche befand,
stand der jüngere der Gäste auf und kam an den Tresen. „Bist nicht von hier, he Kanake, trinkst kei´ Alkohol erlaubt dir Allah nich, kommst her, weil hier was zu holen is von mein Jeld... aber nich mit uns.“ Er nahm eine drohende Haltung ein bevor er schrie: „Raus hier aussem Lokal und aus unser Land! Aber ganz fix!“ Der Wirt, der mit der Bestellung aus der Küche kam fuhr den Glatzkopf an: „in meinem Haus brülle nur ich... schleich dich und setz dich!“ Das brachte den Störenfried noch mehr in Wut. Mit einem Wisch über den Tresen stieß er die Kaffee-Tasse um, die klirrend am Boden zerschellte.
„Ich bringe sofort eine Neue“ versuchte der Wirt zu vermitteln und verschwand wieder in der Küche. Während dessen mischten sich die anderen Stammtischbrüder ein: „Komm lass den Kameltreiber.. muß ja kein Arba`b sein... ist vielleicht ein Jud`,
den Hitler vergessen hat“, kicherte ein Anderer. Die Tischrunde fand das ausgesprochen lustig, sie wollten sich halb totlachen. Ich saß einfach völlig unbeteiligt da und beschränkte mich aufs Beobachten. „Kannst nicht hören- wohl nix versteh...du Penner, dann mußt du eben fühlen.“ Der Glatzkopf war außer sich und eher man es sich versah schlug er dem Fremdling mit der Faust ins Gesicht. Der taumelte zurück, seine Nase blutete aber er sagte keinen Ton. Ich, der ich unmittelbar neben dem Fremden stand rührte mich nicht...ich wollte nicht in den Streit verwickelt werden, zumal der Glatzkopf die Figur eines Boxers hatte.
Der Geschlagene nahm aus der Tasche ein blütenweißes Taschentuch und versuchte das Nasenbluten zu stoppen. „Haste nu genug?“ fragte der Angreifer scheinheilig. Der Wirt war zurück stellte den Kaffee auf den Tresen, kam auf den Schläger zu und zischte: “Verflucht, setz dich sofort hin oder ihr bekommt alle Hausverbot, nicht ohne eure 320€ offen stehende Rechnungen zu begleichen.
Oder wollt ihr, daß ich die Polizei rufe...das würde einigen von euch Banausen sicherlich eine neue Heimstadt bescheren!“ Die Stammgäste gingen murrend auf ihre Plätze zurück. Was hier mehr gewirkt hatte die Drohung mit der Polizei oder die fälligen Beträge, wer weiß das schon.
Ich machte mir darüber keine Gedanken sondern war noch von dem plötzlichen Rückzug der Störer verblüfft. Der Fremde, legte einen Geldschein auf den Tresen
Und begab sich zur Tür. „Halt, wohin wollen Sie, fragte der Wirt. Offenbar war ihm peinlich, daß der Gast bezahlt hatte und nicht einmal sich um das Wechselgeld kümmerte.
Der Fremde drehte sich um. Mit einem Blick der unendlichen Schmerz ausdrückte
aber mit einem versöhnlichem Lächeln im Gesicht sagte er leise:
„Ich,“ und seine dunkle Stimme nahm einen weichen Klang an, “ich gehe nach Golgatha, um mich ein weiteres Mal kreuzigen zu lassen!“
Dann verschwand er, ohne daß die Tür geöffnet, wurde vor aller Augen.
Ich aber, der ich nur zugesehen hatte, bekam das Gefühl, daß die letzten Sätze des Gastes an mich gerichtet waren. Ich, der zu feige war für Menschenrecht und Vorurteile einzugestehen, zahlte wortlos und ging, meine Traurigkeit mit mir nehmend, in die regnerische Kälte eines ganz gewöhnlichen Tages.
Feigheit ist Schuld, man kann sich nicht freisprechen!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.06.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Gedichte begleiten durch die vier Jahreszeiten und erzählen wie die Natur erwacht, blüht und welkt, wissen von reicher Ernte zu berichten. Der Spätsommer im Park, winterliche Gefilde oder Mailandschaften scheinen auf. Der Autor verwendet meist gereimte Zeilen, zeigt sich als Suchender, der neues Terrain entdecken möchte. Der Band spricht von den Zeiten der Liebe, zeigt enttäuschte Hoffnungen und die Spur der Einsamkeit. Wut und Trauer werden nicht ausgespart. Es dreht sich das Kaleidoskop der Emotionen. Der kritische Blick auf die Gesellschaft und sich selbst kommt zum Zuge. Kassandras Rufe sind zu hören. Zu guter Letzt würzt ein Kapitel Humor und Satire. So nimmt der Autor seine Zettelwirtschaft aufs Korn, ein hoffnungsloser Fall.

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