Franklin Kelly

Die Melodie in Dir

geburtstag

Sie hielt sich gern in dem großen, alten Haus auf, dass von außen so zerbrechlich wirkte, obwohl es schon so viele Jahre stand und noch jedem Sturm stolz die Stirn entgegengereckt hatte. Eigentlich war er es eine Villa, in der Trishs Vater gelebt hatte, als er ein Kind war. Er hatte sie nach dem Tod seiner Eltern geerbt. Und als er dann selbst an Krebs starb, vermachte er sie Trishs Mutter Carol. Für die beiden hieß die Villa trotzdem schon immer "Das große Haus" und das würde sich auch nicht ändern.

Sie liebte jeden Winkel dieses Hauses, obwohl sie, seit sie dort lebte, immer noch nicht alle Geheimgänge kannte und noch nicht alle Zimmer, die sich oft so geschickt hinter staubigen Wandteppichen und Portraits von längst verstorbenen Adeligen versteckten. Das Gebäude war selbst für eine Villa riesengroß und erinnerte von außen sehr an eine Burg. Oft verbrachte Patricia ihre Wochenenden damit, durch das Haus zu streifen, immer auf der Suche nach neuen Abenteuern. Es fiel ihr leicht, sich mit ihrer zierlichen Figur in enge Schächte zu zwängen um zu sehen was sich dahinter verbarg. Heute, an ihrem 17. Geburtstag war sie wie immer früher als alle anderen wach. Als sie so durch das Haus schlenderte fiel ihr ein Gang auf, den sie bisher nicht bemerkt hatte. Sie suchte gerade den Lichtschalter, als sie von unten ihre Mutter rufen hörte. "Hey Geburtstagskind, entweder du kommst runter und lässt dich feiern, oder wir müssen hochkommen und dich suchen und bis wir dich finden ist dein Geburstag dann vermutlich schon wieder um." "Ich komme schon, Mom. Ich bin gleich da." Es ärgerte Patricia ein wenig, dass sie den Gang nicht genauer erforschen konnte, denn hatte man einen so verwinkelten Gang erstmal aus den Augen verloren, dann war es schwer ihn wiederzufinden. Aber sie wollte verhindern, dass ihre Mutter nach ihr suchte, denn diese ging ungern in die oberen Stockwerke des Hauses. Nachdem ihr Vater gestorben war und sie in das neue Haus gezogen waren, brachte Trishs Mutter Carol alle Dinge, die einst ihrem Mann gehört hatten nach oben. Danach vermied sie es, dort hinauf zu gehen, weil sie bei dem Anblick seiner Sachen immer noch von tiefer Trauer überfallen wurde.

Unten angekommen staunte Trish nicht schlecht, denn entgegen ihrer Erwartungen, waren doch schon alle auf, die das Haus zusammen mit ihr und ihrer Mom bewohnten.  Als sie damals einzogen, beschlossen sie einstimmig, dass sie ruhig ein paar Untermieter gebrauchen könnten, denn das Haus war auch jetzt, wo insgesamt 5 Personen darin lebten, noch immer viel zu groß. 
Mit einem strahlenden Lachen begrüßte ihre Mutter Carol sie und drückte sie an sich.
"Happy Birthday, mein Schatz. Ich wünsche dir ein wundervolles Jahr und ganz viel Glück und Erfolg." Von ihrer Mom wurde sie weitergereicht an Paul. Paul war ein gutaussehender Mann anfang vierzig, mit warmen Lachfalten um die Augen und beginnender Glatze. Sie hatten ihn beim einkaufen in der nahe gelegenen Stadt Lourdesville kennegelernt. Auch er hatte seinen Ehepartner verloren und suchte ein neues zu Hause für sich und seine Zwillinge.
"Alles gute meine Kleine! Es kommt mir wie gestern vor, dass du nachts noch an meine Tür geklopft hast, wenn du nicht schlafen konntest und jetzt bist du schon 17. Lass uns nicht davon anfangen wie alt mich das macht."

"Wie alt dich das macht?", mischte sich Patricias Mutter ein, " Wenn du schon nicht zu deinem Alter stehen willst, was soll ich dann sagen?" Während ihre Mutter und Paul sich gegenseitig neckten und darüber diskutierten, wer nun älter war und wie schlimm das Älter werden eigentlich war, kam Leslie auf Patricia zu und umarmte sie. "Feliz cumpleanos, Trish. Das ist Spanisch für Alles Gute zum Geburtstag." Leslie war klein und zierlich wie Patricia, auch 17 Jahre alt und hatte eine samtweiche Stimme. Immer wenn sie sprach, fühlte Patricia wohlbehagen durch ihren Körper fließen. Sie war selten zu Hause, weil sie auf ein Internat für hochbegabte Mädchen ging und so hatten Leslie und Trish leider nie die Möglichkeit gehabt sich richtig kennenzulernen. Anders war es da mit Leslies Zwllingsbruder Nathan. Nathan und Trish hatten sich von der ersten Minute an blendend verstanden und lebten seither wie Geschwister zusammen.

"Alles Gute Trish. Steh' das nächste Mal später auf, damit ich länger schlafen kann. Alles klar?" Er lachte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
"Zeit für den Kuchen!", flötete Carol und verschwand in der Küche. Die anderen setzten sich und begannen zu singen als Carol wieder herauskam mit einer Torte in den Händen, die so schön war, dass Trish schon die Kerzen, die darin steckten, als Beleidigung für die Torte empfand. Während ihre Familie für sie sang, fiel Trish auf, was für ein Glück sie mit diesen Menschen in ihrem Leben hatte. Da war Carol, ihre Mom, mit der sie über alles reden konnte und die immer für sie da war. Dann Paul, der alles reparieren konnte und ihr immer aus der Patsche half. Über Leslie wusste sie nicht allzu viel, trotzdem hatten sie oft Spaß miteinander, wenn diese die Ferien im Großen Haus verbrachte und zum Schluss Nathan, ihr Bruder und bester Freund in einem. Sie hatten eine besondere Bindung und kannten einander in und auswendig.

Als die anderen mit Singen fertig waren, blies sie die Kerzen aus und schnitt schweren Herzens die Torte an.
Nach einem lauten, fröhlichen Frühstück verließen Paul und Carol das Haus, um zur Arbeit zu gehen. Wenig später verließ auch Leslie die Küche, um sich hinzulegen, denn sie hatte sich, so wie jedes Jahr, überschätzt und zu viel Kuchen gegessen und nun war ihr schlecht.
Es blieben also Trish und Nathan, um die Küche aufzuräumen und den Tisch abzudecken.
"Sag mal, Nate, was hast du heute vor? Weil, wenn du Zeit hast, würde ich gern einen Gang suchen, den ich heute morgen entdeckt habe. Er hatte wirklich etwas Magisches."  Nathan hatte an der Spüle gestanden und die Tortenplatte abgespült, aber jetzt drehte er sich um.
"Trish, hör auf immer in dem Haus herumzuirren. Du könntest dein Zeit so viel sinnvoller nutzen. Ja, ich habe heute Zeit. Und wir werden nicht irgendeinen Gang suchen, den wir eh nicht wiederfinden, sondern wir gehen heute in die Stadt und kaufen dir etwas Schönes zum anziehen."
Nate war der einzige Junge, den Trish kannte, der gerne einkaufen ging.  Aber das  beschäftigte sie gerade nicht. " Was meinst du damit, ich soll damit aufhören? Wir verbringen doch oft Stunden damit, durch das Haus zu streifen."  Trish war verwirrt. Als sie Nathan das erste Mal traf, waren sie sofort losgezogen, um das Haus zu erforschen. Auch heute noch verbrachten sie oft ihre Wochenenden damit, neue Räume und Schächte zu entdecken, um sie dann in der Karte einzuzeichnen, die Paul ihnen von dem großen Haus gemalt hatte, als die beiden noch klein waren.
"Trish ich hab einfach keine Lust darauf, okay? Geh dich einfach anziehen, damit wir fahren können."  Trish beschloss, es ersteinmal dabei zu belassen und ging aus dem Zimmer um sich zu duschen und anzuziehen.
Eine Stunde später saßen die beiden im Auto. Sie hatten die Musik wie immer aufgedreht und sangen lauthals mit. Trish liebte Autofahrten mit Nate. Auch wenn er fuhr, brachte Nate es immer fertig, kleine Details am Straßenrand oder auf dem Feld oder sonstwo zu sehen, die einem sonst entgehen würden. Und so hielten sie oft an, um die kleinen Dinge des Lebens zu bewundern. Wie etwa eine blühende Blume im Schnee oder einen kleinen Schneemann, der nicht schmolz, obwohl die Stadt schon wieder ganz abgetaut war.
Aber heute sahen sie nichts dergleichen.

Als sie im Einkaufszentrum angekommen waren, blieben sie gleich stehen und hörten dem Straßensänger zu, der, zusammen mit seiner Gitarre auf dem Boden saß und völlig in sich gekehrt ein Lied spielte. Das war das Problem bei Nate und Trish. Das war der Grund warum sie an offenen Plätzen nie rechtzeitig zu Verabredungen oder sonstigen kamen. Sie liebten die Musik. Wo immer sie auch waren, egal wie eilig sie es auch hatten, sie nahmen sich immer die Zeit, sich in die Nähe der Straßensänger zu stellen und ihren Liedern zu lauschen. Denn von der Straße, und da waren sie sich einig, von der Straße kamen die echtesten Lieder. Die Rhythmen die das Leben schöner machten, die Melodien, die das Herz erweichen konnten, die gab es nur auf der Straße. Nächtelang hatten sie diskutiert und sich darüber unterhalten, was die Straßenmusikanten so magisch machte. Und noch hatten sie es nicht herausgefunden.




er

Irgendwann konnten sie sich von dem Musiker losreißen und sie betraten den ersten Laden.
Das Einkaufszentrum, dass es in der Ortschaft gab, wo das große Haus lag, war nicht sehr gut ausgestattet. Neben ein paar Optikern und Drogerieketten, gab es ein großes Kleidungsgeschäft und ein Schuhgeschäft. Sie begannen mit den Kleidern. Die Stimmung in dem Laden war erdrückend. Die Luft stand im Raum, einen Ventilator gab es nicht und die Verkäuferinnen saßen gelangweilt herum und rührten keine Finger um ihren Kunden zur Hand zu gehen. Außerdem, und das fand Trish am schlimmsten, lief keine Musik. Sie wollten es also schnell hinter sich bringen und so schnappte sich jeder ein paar Teile von den unordentlichen Kleiderständern und verschwand in der Umkleidekabine. Da Klamotten für die beiden keine besonders große Rolle spielte, kauften sie das, was ihnen passte und gefiel, ohne groß über Alternativen nachzudenken und verließen den Laden. Das gleiche Taten sie bei den Schuhen.
"Lass uns nach Hause gehen, ich hab keine Lust meinen ganzen Tag in dem Einkaufszentrum zu verbringen. Ich mach dir sogar was zu essen." Es war Mittag geworden und sie waren beide sehr hungrig. Dennoch sagte Nate: "Kommt gar nicht infragen, dass du an deinem Geburtstag kochst!" "Dann lass uns doch einfach eine Pizza bestellen. Bitte Nate, ich will nach Hause." Aber er schien gar nicht auf Trishs Wünsche einzugehen. "Dann gehen wir eben hier eine Pizza essen, wir gehen nicht nach Hause!"
Sie wollte etwas erwidern, entschied sich jedoch dagegen. Sie wollte heute an ihrem Geburtstag keinen Streit anfangen.
Die einzige Pizzeria die es in der Stadt gab, hieß Omelli und gehörte einem kleinen, dicken Mann mit Glatze und peinlich genau gezupften Bart. Er begrüßte sie überschwänglich und nahm die Bestellung entgegen. Sie entschieden sich für das Übliche und aßen schweigend, als das Essen kam. Trish fiel auf, dass Nate immer wieder auf sein Handy sah. Sie sprach ihn darauf an, aber er winkte ab und drängte sie zum gehen. "Du kannst doch unmöglich noch Hunger haben. So viel Pizza passt gar nicht in einen so kleinen Bauch! Lass uns fahren!"
"Jetzt hast du es plötzlich eilig?" Trish schüttelte irritiert den Kopf.
Sie verließen das Lokal und machten sich auf den Weg zum Auto.
An der Einfahrt des Parkplatzes sah Trish ihn. Er war groß und kräftig, trotzdem wirkte sein Körper definiert und nicht grob. Er trug schwarze Jeans zu einem schwarz weiß gestreiften Pullover ohne Kapuze. Die langen Haare hatte er zum Pferdeschwanz zurückgebunden und er war vertieft in ein Buch, dessen Titel Trish von der Entfernung aus nicht erkennen konnte. Sie wusste nicht was es war, aber irgendwas faszinierte sie an diesem Jungen. Er schien etwa im gleichen Alter wie sie zu sein, aber sie konnte es nicht genau sagen, weil sein Gesicht nicht zu sehen war. Sie konnte nicht anders, als ihn anzustarren.
 Endlich hob er den Kopf und sie erblickte ein ihrer Meinung nach makelloses Gesicht. Den schön geschwungenen Lippen folgte eine perfekt geformte Nase und darauf die tiefsten, unergründlichsten Augen, die Trish je gesehen hatte.  Ihr innerliches Schwärmen wurde von einem ungeduldigen Nate unterbrochen, der sie zum Auto winkte.
"Willst du da Wurzeln schlagen? Komm endlich her Trishi."
Widerwillig stieg sie in Nates schwarzen Audi und sie machten sich auf den Weg.

Überraschung
Überraschung
Als sie zur Tür hereinkamen, sprang ihnen eine gesunde, vor Aufregung glühende Leslie entgegen. "Bereit für dein Geschenk? Oh, ich bin ja so gespannt wie du es findest!"
Zu Trishs Verwunderung kamen auch Paul und ihre Mutter aus der Küche.
 "Ich dachte ihr seid arbeiten?", fragte Trish.
 Sie lächelten sich verschwörerisch zu und Paul antwortete: "Tja, offensichtlich nicht!"
 Leslie nahm Trishs Hand und zog sie mit sich in das erste Stockwerk. Die anderen folgten ihnen. Sie blieben neben einer Tür stehen, die für Trish schon immer ein Mysterium war, weil sie sich nicht öffnen ließ.  Ihre Mutter reichte ihr ein kleines Päckchen, nicht größer als ihre Faust.
 "Na mach es schon auf. Ich halts nicht mehr aus!", drängte Leslie.
Vorsichtig zog Trish die blaue Schleife auf und löste die Klebestreifen von dem matten goldenen Papier. Zum Vorschein kam eine rote Box. Als sie den Deckel öffnete, erblickte sie einen Schlüssel. Sie steckte ihn in das Schloss und er passte. Während sie aufsperrte, stieg Vorfreude in ihr auf. Endlich würde sie sehen, was sich all die Jahre hinter der Tür verborgen hatte.
Als sie diese öffnete und durch den Raum blickte, verschlug es ihr die Sprache.
Das Zimmer war ungewöhnlich groß, die Wände weiß  gestrichen. Es musste erst kürzlich passiert sein, denn Trish konnte noch die frische Farbe riechen. Es gab eine große Fensterfront gegenüber der Tür, durch die man freien Blick auf den Garten des Großen Hauses hatte. In der Mitte des Zimmers stand ein abgenutzter, goldener Flügel. Trish Herz schlug schneller bei dem Anblick dieser Kostbarkeit und sie konnte es gar nicht erwarten, zusammen mit Nate all die Geschichten und Lieder zu entdecken die diese Antiquität zu erzählen wusste. Trish ging zu dem Flügel hinüber und strich vorsichtig über den Deckel.
"Das ist der alte Flügel deines Vaters. Er hat dir immer darauf vorgespielt, als du klein warst." Ihre Mutter hatte Tränen in den Augen.
 Patricia betrachtete die sorgsam eingeschnitzten Blumenmuster, die sich von den Beinen bis zum Flügel hin zogen. Sie wollte sich zu ihrer Familie umdrehen, um ihnen zu danken
aber als sie sich umdrehte, sah sie an der Wand schon die nächsten Schönheiten.  An dieser Wand hingen ordentlich nebeneinander 4 wunderschöne Gitarren. In den verschiedensten Farben mit Verzierungen und Autogrammen.
"Und das ist die Sammlung deines Vaters.  Auf jeder hat ein Künstler unterschrieben, der deinen Vater inspiriert hat."
Ohne den Blick von den Gitarren abwenden zu können, fragte Trish: "Mein Vater war Musiker? Wieso hast du mir nie etwas davon erzählt?" Jetzt sah sie doch auf und in den Augen ihrer Mutter sah sie wie sich Schuld, aber vor allem tiefe Trauer  abzeichneten.
"Er wollte immer, dass du die Musik selbst entdeckst. Er wusste, dass sie dich faszinieren würde, so wie sie ihn fasziniert hat. Er hat mich gebeten, zu warten bis du alt genug bist um das zu verstehen. Bitte, sei nicht böse. Er und ich haben es gut gemeint!"
Aber Trish war nicht böse. Sie war verzaubert. Verzaubert von dem Flügel, verzaubert von den Gitarren. Und vor allem von ihrem Vater. Sie hatte all die Jahre gedacht, sie hätten nichts gemeinsam gehabt, denn immer wenn sie ihre Mutter darauf ansprach, meinte diese, er hätte nicht besonders viele Interessen gehabt. Aber jetzt, da sie wusste das sie das Wichtigste in ihrem Leben teilten, fühlte sie sich ihrem Vater näher als je zuvor.

musik
Trish war sprachlos und umarmte ihre Familie. "Ihr hättet mir kein schöneres Geschenk machen können!" Aber Leslie winkte ab: "Trish du hast ja noch nicht einmal alles gesehen. Öffne mal die Tür da hinter dir." Die besagte Tür war weiß, wie der Rest des Zimmers, deshalb war sie Trish zuerst nicht aufgefallen. Sie schritt darauf zu, und öffnete sie. Und wieder war sie geplättet. Dieser Raum war sandbraun gestrichen und hatte eine sehr ruhige, gemütliche Atmosphäre. Links hinten in der Ecke stand ein großes, zum Sofa umfunktioniertes Bett mit braun gemusterten Kissen darauf. Außerdem stand da ein großes Bücherregal mit ihren Lieblingsbüchern und ein großer Ohrensessel, wie sie ihn sich immer gewünscht hatte. Überall hingen Traumfänger und andere Indianische Artefakte die den Raum exotisch und geheimnisvoll machten. Sie wollte sich am liebsten gleich eines der vielen Bücher schnappen und sich in den großen Sessel kuscheln, doch zuerst drehte sie sich zu den Menschen um, die ihr dies alles erst ermöglicht hatten.
"Ich weiß gar nicht, wie ich euch das jemals danken soll! Ich -" Sie suchte nach den richtigen Worten, aber stattdessen kamen ihr einfach nur Tränen der Freude und des Glücks.
"Ihr seid die Besten. Ich liebe euch alle." Un nochmal schloss sie alle in die Arme.
"Siehst du," sagte Nate zu Carol "ich wusste es würde ihr gefallen."
Trishs Mutter lächelte ihm zu, dann wandte sie sich an ihre Tochter. "Mein Schatz, jetzt muss ich aber wirklich zur Arbeit. Ich hoffe du hast Spaß an deinem Geschenk. Und ich bin sicher die Instrumente werden dir Antworten auf deine Fragen geben."
"Danke Mom, ich hab dich lieb." Carol und Trish winkten zu Abschied und machten sich dann auf den Weg zur Arbeit.
"Ich muss auch mit. Sie lassen mich unterwegs am Bahnhof raus und von da fahre ich wieder ins Internat. Ich wünsch dir noch einen schönen Geburtstag. Es war schön mit euch beiden Zeit zu verbringen." Sie drückte Nate und Trish und verschwand nach unten.
Einen Moment lang waren beide vollkommen still und genossen einfach nur den Moment.
Nach einer Weile durchbrach Nate die Stille: "Wie wärs, wenn wir die Instrumente ausprobieren?" Sie hatten in der Schule beide Klavier und Gitarre spielen gelernt und blieben regelmäßig länger dort um Lieder einzuüben, da sie bis jetzt zu Hause nicht die Möglichkeit dazu gehabt hatten. Trish nickte ihm zu und sie holten zwei der Gitarren aus dem Nebenzimmer. "Welcher Künstler hat bei dir unterschrieben?", fragte Trish während sie neugierig das Instrument in ihrer Hand betrachtete.
"Ich weiß es nicht ich kann es nicht lesen. Und bei dir?"
"Hm, sieht aus wie Sam Kurthill. Kennst du jemanden, der so heißt?"
Nate sah sie ungläubig an. "Ist das dein ernst? Wir hören im Auto oft Sam Kurthill. Er ist ein Gott!"
Noch eine Sache, die wir gemeinsam haben, dachte Trish. Es stimmte sie traurig, jetzt wo sie wusste, wie viel sie und ihr Vater doch gemeinsam hatte, dass sie keine Chance gehabt hatten, ihre Leidenschaft zu teilen. Dass sie nicht zusammen mit ihm Sam Kurthill im Auto hören konnten und dass nicht ihr Vater sondern Paul immer auf sie aufpasste. Aber sie verscheuchte die Gedanken gleich wieder, denn sie hatte ein wunderbares Leben und sie war dankbar für die Menschen um sie herum. Und durch die Instrumente ihres Vaters  hatte sie sogar auf eine verdrehte Art Weise Kontakt zu ihm.
Den Rest des Tages verbrachten Nate und Trish in dem neuen Zimmer. Wenn sie nicht gerade musizierten, dann lagen sie auf dem Sofa und redeten über alles was ihnen momentan so durch den Kopf ging. Paul und Carol arbeiteten bis spät in die Nacht, deshalb machte Trish sich und Nate einen Salat und sie aßen zusammen in der Küche.
Beim abspülen sagte Nate: "Was ich dir noch sagen wollte, wegen heute in der Pizzeria und allgemein meinem Verhalten heute morgen. Ich hab dir nur deshalb gesagt, du sollst nicht im Haus herumstreunen, damit du nicht aus Versehen irgendetwas findest oder die Farbe riechst. Und als ich in der Pizzeria ständig auf mein Handy geschaut habe, habe ich nur gewartet, dass Leslie mir die sms schreibt, dass wir kommen können."
Jetzt verstand Trish. Jetzt machte sein seltsames Verhalten endlich Sinn.
"Achso. Und ich dachte schon mit dir stimmt was nicht. Wobei das ja nichts neues wäre.", neckte sie ihn. Dafür jagte Nathan sie durch das ganze Haus und als sie schließlich lachend und völlig aus der Puste auf dem Wohnzimmersofa lag, kitzelte er Trish so durch, dass sie sich vor lachen fast in die Hosen machte.
Danach gingen die beiden schlafen, denn am nächsten Tag mussten die beiden zur Schule. Doch bevor Trish einschlief, ließ sie sich diesen wundervollen Tag nocheinmal durch den Kopf gehen. Mit den Gedanken bei dem fremden, faszinierenden Jungen schlief sie schließlich ein. 

neu
Sie träumte wild und unruhig in dieser Nacht, wovon konnte sie selbst nicht sagen. Nachdem sie durchgeschwitzt aufwachte, ging sie unter die Dusche und machte sich für die Schule fertig. Bevor sie das Haus verließ, machte sie noch einmal einen Abstecher in ihr neues Zimmer. Sie setzte sich an das Klavier und und öffnete vorsichtig den Deckel. Die Tasten waren neu. Das sah man ihnen deutlich an. Ihre Mutter hatte sie vermutlich auswechseln lassen, damit der Flügel wieder spielbar wurde. Vorsichtig strich sie über die weißen, zarten Tasten. Doch bevor sie ein Lied anstimmen konnte, rief Nate von unten: "Trish, kommst du? Wir kommen noch zu spät!"
Sie schnappte sich ihren Rucksack und machte sich auf den Weg zum Auto.
Während sie fuhren, betrachtete sie Nate. Sie wusste, dass er in der Schule viele Verehrerinnen hatte und obwohl sie niemals etwas für ihren besten Freund, der wie ein Bruder für sie war, empfinden würde, konnte sie die anderen Mädchen verstehen.  Nate war in den letzten Jahren zu einem wirklich attraktiven Mann herangewachsen. Mit den halblangen, schmutzig blonden Haaren und dem schönen Gesicht mit gütigen, giftgrünen Augen, in denen man sooft die Begeisterung für die Welt aufblitzen sah, sah er wirklich toll aus.
"Warum siehst du mich so an?", fragte Nathan und runzelte die Stirn.
"Ich hab nur darüber nachgedacht, was die Mädchen in der Schule an dir so toll finden. Ich kann es leider nicht nachvollziehen." Sie lachten und Nathan zwinkerte ihr zu ehe er sich wieder auf die Fahrbahn konzentrierte. "Ich auch nicht Trishi, ich auch nicht."
Als sie in der Schule ankamen, liefen sie gemeinsam bis zur Aula, dann trennten sie sich, denn sie gingen in verschiedene Klassen. Das Wilhem-Tell- Gymnasium war ein kleines, graues Gebäude, das von den Graffitis der Schüler übedeckt war. Mit 20 Klassenzimmern und 25 Lehrern zählte es zu den kleinsten Schulen der Gegend.
Vor dem Klassenzimmer wartete auch schon Pia, Trishs beste Freundin. Sie kam eigentlich mit allen Leuten in ihrem Jahrgang aus, trotzdem war Pia die Einzige, der Trish ihre Geheimnisse und Sorgen anvertraute. Im Gegensatz zu ihr, war Pia eine auffällige Person. Sie kleidete sich immer bunt und sie war laut und fröhlich. Sie hatte streichholzkurze Haare, die sie jede Woche in einer anderen Farbe trug. Mit einem überschwänglichen "Hallo" begrüßte Pia sie und begann sofort ihr minuziös ihr Wochenende zu beschreiben.
"Hast du schon gehört, dass wir es einen neuen Schüler an der Schule gibt?" Ohne ein Antwort zu erwarten fuhr Pia fort: "Ich hoffe, dass er süß ist. Er muss einfach süß sein. Wir brauchen wirklich mal ein paar gescheite Jungs hier auf der Schule. Wirklich ich denke -"
"Willst du nicht mit der ganzen Klasse teilen, was du denkst Pia?" Herr Kunte, ein extrem unhöflicher, rupeliger Lehrer war während Pias Monolog in das Zimmer gekommen und er begann sofort mit dem Unterricht. Während der Lehrer an der Tafel etwas über die Weimarer Republik schwafelte, das eh niemand verstand, öffnete sich die Tür und ein schüchtern wirkendes Mädchen kam an der Seite der Direktorin herein.
"Guten Morgen, Herr Kunte; Guten Morgen Klasse. Ich möchte euch eure neue Mitschülerin Chloé vorstellen. Behandelt sie gut. Einen schönen Tag noch." Energisch stolzierte sie aus dem Klassenzimmer und lies eine verlegene Chloé vor der Klasse zurück. 
"Chloé-" fing Herr Kunte großspurig an, "Willkommen in der Klassengemeinschaft. Ich bin mir sicher du wirst dich hier einleben und tolle Freunde finden. Wenn du fragen hast, dann kannst du immer zu mir, oder dem anderen Lehrerpersonal kommen. Stell dich doch kurz vor!"
"Oh Gott! Das kann doch nicht sein ernst sein, oder? Es gibt nichts Peinlicheres, als sich vor der Klasse vorstellen zu müssen!" Pia zog die Stirn kraus, wie sie es immer tat, wenn sie sich ärgerte.
Von der Neuen kam ein verlegenes Räuspern, dann fing sie an zu erzählen: "Hallo, mein Name ist Chloé und ich bin mit meiner Familie vor einer Woche hierher gezogen. Mein Bruder ist jetzt auch hier auf der Schule." Der Lehrer sah sie erwartungsvoll an. Als er merkte, dass sie mit ihrer Vorstellung schon am Ende war, lachte er auf. "Oh, das wars schon? Nunja, dann setz dich doch mal auf den freien Platz neben Patricia. "
Sobald sie sich gesetzt hatte, nahm Pia sie in Beschlag. Sie fragte nach ihrem Alter, ihrer Herkunft und vor allem nach ihrem Bruder. Das ging so weiter, bis es zur Pause läutete.

chaos
Pia lud Chloé ein, die Pause mit ihnen zu verbringen. Sie suchten sich ein freies Plätzchen im Pausenhof, und Trish sog die warmen Sonnestrahlen in sich auf. Sie hielt ihr Gesicht in den Himmel und war völlig in ihre Gedanken vertieft, während Pia und Chloé sich unterhielten. Sie schienen sich wirklich gut zu verstehen. Die beiden lachten viel und es war noch keine peinliche Stille entstanden, in der keiner wusste, was er sagen sollten.
Wie sich rausstellte, war Chloé gar nicht so schüchtern und verlegen wie es im Klassenzimmer den Anschein hatte, sondern fröhlich und offen wie Pia. Während Trish so über die Beiden nachdachte, wurden ihr von hinten die Augen zugehalten.
Sie erschrak fürchterlich und bekam einen Schluckauf. Sie wollte gerade eine Schimpftirade auf Nathan loslassen, denn er war der einzige an der Schule der so etwas mit Trish machte, aber er schnitt ihr das Wort ab.
"Liebste kleine Schwester, ich möchte dir den Neuen in meiner Klasse vorstellen. Trish - Jamie; Jamie - Trish." Er deutet auf den Jungen der rechts neben ihm stand. Ohne diesen richtig anzusehen, ließ sie ein "Hi" verlauten und wandte sich dann wieder Nathan zu, um ihn zurechtzuweisen.
"Hallo, Patricia. Schön dich kennenzulernen." Die Stimme des neuen Jungen ließ sie aufhorchen. Sie war beruhigend und sanft, zur gleichen Zeit jedoch lebhaft und sehr melodisch. Die Neugier brachte sie dazu, Jamie doch einmal anzusehen und was sie sah, überraschte sie so sehr, dass sogar ihr Schluckauf wieder aufhörte.
Es war der Junge vom Parkplatz.
 Der schöne, geheimnisvolle, magische Junge den sie nach dem Besuch im Einkaufszentrum gesehen hatte. Er trug wieder eine dunkle Jeans und einen schwarz weiß gestreiften Pullover. Und wieder hatte er seine langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden. Jetzt tat es ihr Leid, dass sie ihn so muffig begrüßt hatte.
Sie wollte etwas erwidern. Ihm sagen, dass es sie auch freute, ihn kennenzulernen, aber sie brachte kein Wort heraus. Also entschied sie, ihn einfach nur anzulächeln.
Wo war Pia, wenn man sie brauchte? Aber es war nicht Pia, die ihr aus der Patsche half, sondern Chloé.
"Dein Bruder kennt meinen Bruder?", fragte sie schmunzelnd. "Da hab ich mich ja zu den richtigen Leute gesetzt heute."  Endlich schien Pia zu realisieren, dass es ihrer besten Freundin die Sprache verschlagen hatte und so saß sie nicht länger untätig herum, sondern stellte sich Jamie vor. Während sich dieser mit Chloé und Pia unterhielt, kam Nate zu ihr.
"Trish, was ist los mit dir? Wieso bist du so unhöflich? Hat er dir etwas getan, wovon ich nichts weiß?", verwundert sah er sie an.
"Nein er hat natürlich nichts gemacht.", erwiderte Trish. "Es ist nur-" Sie Stockte. "Ich kann es mir selbst nicht erklären. Können wir das zu Hause besprechen?" In ihrem Kopf herrschte Chaos.
"Wie du möchtest. Wir treffen uns nach Schulschluss am Auto."
 Er warf ihr noch einen letzten besorgten Blick zu und ging dann mit Jamie zur Cafetería.
Da läutete es zur nächsten Stunde und sie machten sich auf den Weg.
Trish war sehr froh, dass Pia sie nicht nach ihrem Verhalten fragte, sondern Chloé in ein Gespräch verwickelte. Das gab ihr Zeit, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen.
Aber als die Schule dann zu Ende war, war sie immer noch wie vor den Kopf gestoßen, von der Begegnung mit Jamie.

gang
"Ich meine, er ist ein ganz normaler Junge. Wieso hat er so eine Wirkung auf mich?" Trish war mit Nate auf dem Nachhauseweg und sie machte ihrem Ärger Luft.
"Ich stand da und hab ihn nur dümmlich angegrinst. Was meinst du, was er jetzt über mich denkt?" Sie war immer noch verwirrt, aber mittlerweile mehr verärgert über ihr dämliches Verhalten.
"Trish, jetzt komm erst mal wieder runter und entspann dich. Es ist gar nicht groß aufgefallen, dass du deine Stimme verloren hast, weil Chloé und Pia gleich gekommen sind und Jamie in Beschlag genommen haben. Und was dein Verhalten angeht, ich denke,", er grinste spitzbübisch, " hier ist jemand verliebt."
"Bin ich nicht! Ich bin überhaupt nicht verliebt. Ich möchte auch nicht mehr darüber sprechen. Fahr mich einfach nach Hause."
Den Rest der Fahrt schwiegen die Beiden und als sie nach Hause kamen, erfand Patricia eine Ausrede um nicht mitessen zu müssen und verschwand in den oberen Stockwerke. Sie schlenderte ziellos durch die alten Zimmer und hörte den Böden beim ächzen und knarzen zu. Sie dachte über den neuen Jungen nach. Was war nur mit ihr los? Wieso konnte sie nicht aufhören an ihn zu denken? Oder war sie vielleicht wirklich verliebt? Aber das konnte nicht sein. Trish war schon ein paar Male verliebt gewesen, aber es hatte sich jedes Mal komplett anders angefühlt, als heute in der Pause.
Sie hatte nicht aufgepasst, wohin ihre Füße sie trugen, aber jetzt, da sie aufsah, bemerkte sie, wo sie war.
Sie stand wieder vor dem Gang, den sie am Morgen ihres Geburtstags entdeckt hatte. Sie fand den Lichtschalter und knipste das Licht an. Vor ihr erstreckte sich ein langer Flur.  Die Wände hatten einen leichten Rosaton und an der Decke, ungefähr in der Mitte des Gangs, hing ein großer Kronleuchter. Sie sah wie sich das Licht in den vielen Kristallen brach und sonderbare Schatten an den Wänden hinterließ.
Patricia suchte nach Türen, aber die einzige, die sie entdeckte, war eine hölzerne Flügeltür mit angelaufenen, goldenen Griffen am Ende des Gangs. Sie trat darauf zu und drückte vorsichtig die Klinke nach unten. Sie öffnete sich mit einem Knarzen und was Trish dort sah, hatte sie nicht erwartet.
Es war ein Kinderzimmer. Prachtvoll und wunderschön. Es stand, genauso wie der Gang davor, ganz im Gegensatz zu dem Rest der oberen Etagen. Dort war alles staubig, alt und beschädigt, aber hier, hier war alles sauber und gepflegt. Die Wände waren rosa gestrichen und an eine davon, waren sorgsam mit der Hand kleine Schmetterlinge und Blumen gemalt worden. In der Mitte des Zimmers stand ein Wiege. Sie war aus hellem Holz und mit kunstvollen Schnitzereien versehen.
 Und darin fand Patricia die Tagebücher ihres Vater.

sturm
Während Trish in dem wundersamen Zimmer stand und die Tagebücher ihres Vater anstarrte, verdunkelte sich draußen der Himmel. Innerhalb von Sekunden zog ein Gewitter auf, wie es die unscheinbare Stadt Louisville noch nie erlebt hatte. Es wurde stockdunkel und Patricia hörte den Regen auf das Dach prasseln, als wolle er es zum einstürzen bringen. Der Wind pfeifte durch den Wald und irgendwo im Haus musste ein Fenster offen stehen, denn sie hörte den Wind durch das alte Gemäuer heulen. Das Donnern war zuerst leise und weiter weg, aber mit jeder Minute kam es näher an das Große Haus heran und das Donnern wurde zu einen lauten Grollen. Sie ließ die Tagebücher erstmal in der Wiege liegen und ging schnell nach unten.  Immer wieder hörte sie Blitze in den Wäldern um sie herum einschlagen.
 Unten angekommen sah sie, dass Nate schon auf sie wartete. Wie immer, wenn es ein Gewitter gab, kuschelten die Beiden sich in eine Decke, schürten den Kamin im Wohnzimmer an und sahen durch ein großes Fenster dem Treiben außerhalb des großen Hauses zu.
"Wie geht es dir, Kleines?", fragte Nathan sie.
Trish seufzte. "Ich hab keine Ahnung. Ich bin einfach nur total verwirrt. Und vorhin war ich im obersten Stockwerk und hab den Gang wiedergefunden, den ich dir zeigen wollte. Und weißt du was hinter der einzigen Tür war?" Und sie erzählte ihrem besten Freund von dem Kinderzimmer, von den Tagebüchern und von ihrer Verwirrung wegen Jamie. Nate hörte ihr aufmerksam zu.
"Und was willst du jetzt tun?", fragte er gespannt als sie ihren Monolog beendete. "Hast du vor sie zu lesen?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Auf jeden Fall nicht alleine. Lass uns doch am Wochenende noch einmal hochgehen. Ich habe mir den Weg gemerkt. Vielleicht können wir sie zusammen lesen. Und kein Wort zu Mom oder Paul. Der Raum ist sauber, also muss einer von ihn regelmäßig dort putzen. Ich möchte ihn mir erst ansehen, bevor mir jemand verbietet, hineinzugehen." Er nickte und stimmte zu, nichts zu sagen.
Sie legte ihren Kopf auf Nates Schulter und zusammen sahen sie dem Gewitter zu.

Ein paar Stunden später hatte es sich gänzlich wieder gelegt, die beiden Jugendlichen hatten ihre Hausaufgaben erledigt und waren dabei, das Abendessen vorzubereiten. Es war ein besonderer Abend, denn Paul und Carol mussten beide nicht arbeiten und so hatten sie  die seltene Möglichkeit, zusammen zu essen. Dazu machten Nate und Trish extra Spaghetti Bolognese und dazu einen grünen Salat. Während sie kochten, hörten sie Sam Kurthill und sangen lauthals mit.  Das Mädchen war froh, etwas zu tun zu haben, denn das hielt sie davon ab, über die Tagebücher ihres Vater und über Jamie nachzudenken. Als sie gerade mit dem Tisch decken fertig waren, kamen die Erwachsenen, angelockt von dem Duft, der sich durch das ganze  Haus zog, aus ihren Zimmern und setzten sich an den Tisch.
"Das riecht ja super. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen!", sagte Carol und starrte begierig auf den großen Topf Nudeln, der in der Mitte des Tisches stand.
Nathan verteilte das Essen und es wurde ein fröhliches Familienessen.
Als alle fertig waren und die Eltern sich freiwillig meldeten, den Abwasch zu übernehmen, klingelte es an der Tür. Da die Erwachsenen beim abspülen waren und Nathan gerade in sein Zimmer verschwunden war, ging Trish zur Tür und öffnete.
Sie stutzte. Vor ihr standen, mit einen breiten Lächeln im Gesicht, Chloé und Jamie.

stimmen
"Hey Patricia, wir dachten, wir überraschen euch und kommen vorbei.", Jamie sah sie mit seinen blitzenden, dunklen Augen an und für einen Moment vergaß sie, wo sie war.
Die beiden warteten, dass Trish etwas sagte, aber sie war unfähig zu sprechen - mal wieder.
"Ist es gerade schlecht? Wir können auch wieder gehen, wenn es nicht passt." Chloé sah sie besorgt an. Da erwachte Trish aus ihrer Starre.
Sie machte die Tür ganz auf und bat die beiden herein.
"Natürlich nicht. Nate, wir haben Besuch! Wo bist du?", rief sie durch das ganze Haus. Seine Antwort kam aus den oberen Stockwerken.
"Ich bin in deinem neuen Zimmer, kommt doch hoch." Verlegen lächelte Trish die anderen an und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. Im ersten Stock angekommen, erklärte sie: "Das sind meine zwei neuen Zimmer. Ich hab sie gestern zum Geburtstag bekommen."
Sie traten ein und Chloé und Jamie sahen sich neugierig im Raum um.
"Das sind die Instrumente meines Vaters. Er hat sie mir vermacht."
Nate kam aus dem zweiten Zimmer und begrüßte die beiden freudig.
"Was macht ihr denn hier? Kommt rein!"
Er ging auf Chloé zu und begann, sich mit ihr zu unterhalten. Er zwinkerte Trish zu aber sie merkte es gar nicht. Sie war dabei, Jamie dabei zu beobachten, wie er auf diesen Raum reagierte. Seit sie hineingekommen waren, hatte er sich weder bewegt, noch hatte gesprochen. Mit Ausnahme seiner Augen. Die suchten den Raum ab und inspizierten jedes Detail ganz genau.
Nathan ging mit Chloé in das andere Zimmer und Jamie und Trish blieben allein zurück.
Sie räusperte sich. "Spielst du?", fragte sie unsicher und zeigte auf die Instrumente, um irgendwie mit ihm ins Gespräch zu kommen.
"Was?", er schien selbst aus einer Art Starre zu erwachen. "Achso. Ja ich spiele Klavier, Gitarre und eigentlich alles was mir so in die Finger kommt." Er lächelte.
"Ich liebe Instrumente. Musik spielt eine große Rolle in meinem Leben. Wenn nicht sogar die Größte." Er sah sie an.
Trish nickte, "Ja, geht mir genauso."
Eine Weile wusste niemand, was er sagen sollte, dann durchbrach Jamie die Stille.
"Ach ja, du hattest ja gestern Geburtstag. Alles Gute!" Er blickte etwas unbeholfen drein und hielt ihr die Hand hin. Als sie sie schon fast ergriffen hatte, überlegte er es sich offenbar anders und umarmte sie unsicher. Es war ein kurzer, seltsamer Moment in dem sich beide sichtlich unwohl fühlten.
"Hast du was dagegen, wenn ich das Klavier mal ausprobiere? Es ist wunderschön."
Sie nickte wieder. "Klar, nur zu."
"Danke!"
Er setzte sich an das Klavier und strich andächtig über den Deckel. Dann öffnete er ihn.
Er spielte einen Akkord, dann eine Akkordfolge. Zu der Akkordfolge kam eine Melodie.
Und dann begann Jamie zu singen.
Und er sang so wunderschön, dass Trish am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam. Er schien so in sein Spiel versunken und er war sichtlich mit Leib und Seele dabei. Sogar Nate und Chloé kamen aus dem Nebenzimmer. Sie sah ihnen in die Gesichter. Nate hatte einen ungläubigen, bewundernden und überraschten Blick, während Chloé mehr wissend und genießend lächelte.
So standen die drei im Zimmer. Regunglos. Und hörten diesem wunderlichen Jungen beim spielen zu. Es ärgerte Patricia fast ein wenig. Wo er doch schon der geheimnisvolle, attraktive, interessante Junge war, kam jetzt auch noch eine Engelsstimme und die Liebe zur Musik dazu. Als ob es nicht schon schwer genug war, nicht den ganzen Tag an ihn zu denken.
Er beendete sein Lied und die letzten Töne verklangen im Raum. Eine Weile sagte niemand etwas, dann platzte Nate heraus: "Alter, das war der Wahnsinn. Wo hast du so spielen gelernt? Wir spielen auch, weißt du? Aber längst nicht so gut wie du. Wow."
Jamie lachte. "Danke Mann!"
Chloé trat auf Trish zu. Diese sagte: "Er ist wirklich gut oder?"
Sie nickte. "Ja er ist unglaublich. War er schon immer."
Und damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.

beide
Nachdem die vier sich eine Weile unterhalten hatten, sah Jamie auf die Uhr.
"Ich muss los. Dad und ich wollten noch was erledigen." Er drehte sich zu Chloé um.
"Möchtest du mitfahren oder willst du noch bleiben?"
Sie sah zu Trish und Nate.
"Also wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich noch etwas bleiben."
Die beiden sahen sich an und nickten.
"Klar, bleib ruhig noch.", sagte Nathan. "Ich kann dich später heimfahren."
Jamie dankte ihm und verabschiedete sich. Während er kurz mit Chloé sprach, kam ihr bester Freund zu Trish herüber. "Also versteh das nicht falsch, aber kannst du mit Jamie runtergehen und dann nicht wieder raufkommen? Ich würde gern mit Chloé allein sein." Trish grinste und hob die Augenbrauen. "Uhlala. Ihr kennt euch doch erst einen Tag."
 Nate lachte. "Das hab ich doch gar nicht gemeint und das weißt du. Also, bleibst du unten?"
Sie nickte und begleitete Jamie. An der Tür blieben sie stehen. Und wieder enstand eine unangenehme Stille, in der niemand wusste, was zu tun war.
 Wie konnte es sein, dass sie sich so wenig zu sagen hatten, wo sie doch so viel gemeinsam hatten?
"War schön, dass du uns besucht hast.", sagte Trish. Und wieder war sie es, die das Schweigen durchbrach. "Kommt doch bald mal wieder vorbei."
Jamie nickte. "Ja, das wäre schön. Euer Haus ist super. Was ist in den oberen Stockwerken?"
"Hauptsächlich staubige, leere Zimmer. Aber auch ein paar, die noch so eingerichtet sind, wie meine Großeltern sie hinterlassen haben. Und jede Menge Geheimgänge von einem Zimmer ins nächste.", erklärte sie.
 "Cool. Ich würde vermutlich meine ganze Zeit damit verschwenden, die Geheimgänge zu suchen und zu sehen wo sie hinführen." Er lachte.
"Ja, früher haben Nate und ich das ständig gemacht." Auch sie lachte.
"Dein Lächeln ist wunderschön.", sagte Jamie und dann bekam er den Gesichtsausdruck, als ob ihm dieses Kompliment aus Versehen herausgerutscht war. Er räusperte sich.
"Tut mir Leid. Ich fahr jetzt besser." Er ging die Stufen hinunter. Trish wollte etwas erwidern, aber ihrer Zunge lag wie Blei in ihrem Mund. Kurz bevor er ins Auto stieg, rief sie ihm noch ein kurzes "Bis morgen!" hinterher, dann fuhr er davon.

komisch
Am nächsten Tag lief alles weitgehend normal ab. Nachdem Trish aufgestanden war, fuhren sie und Nate in die Schule. Trish war in Gedanken bei Jamie und so verlief die Autofahrt still.
Irgendwann räusperte sich Nathan. "Also,", begann er. "Willst du nicht wissen wie es gestern noch war? Normalerweise kommst du sogar noch am selben Abend zu mir rüber und fragst mich aus, wenn ich ein Mädchen zu Besuch hatte. Aber es scheint dich nicht zu interessieren diesmal." Er sah etwas enttäuscht drein.
"Es tut mir leid. Ich bin nur verwirrt. Und das schon die ganze Woche. Wie wars denn gestern?"
Und jetzt wo sie fragte, war sie ehrlich gespannt.
"Hm, wo soll ich anfangen. Chloé ist ein tolles Mädchen. Sie ist hübsch und intelligent und wir haben viel gelacht." Er lächelte.
 "Wie lang war sie denn noch da?", fragte Trish.
"Ich habe sie um halb zwei nach Hause gefahren. Zum Glück haben bei ihr zu Hause schon alle geschlafen. Sonst hätte sie sicher Ärger bekommen."  Nate schien glücklich und das freute Trish.
"Ja und was habt ihr die ganze Zeit gemacht?"
"Also wir haben die meiste Zeit geredet. Wir haben so viel gemeinsam. Und wir haben uns auch geküsst." Jetzt grinste er von einem Ohr zum anderen. Trish lachte. Es freute sie ehrlich, dass Nathan ein Mädchen gern hatte, das so war wie Chloé. Ihrer Meinung nach passten die beiden sehr gut zusammen. Warum konnte es bei ihr und Jamie nicht auch so einfach sein?
"Ach und noch etwas. Wegen Jamie,.." Trish sah überrascht auf. "Chloé hat erzählt er benimmt sich seltsam, seit er dich getroffen hat. Ich sag dir, da ist etwas im Busch. Komm schon, du musst ihn doch wenigstens nett finden..." Den Rest der Fahrt versuchte er, ihr Jamie schmackhaft zu machen. Sie kam jedoch um eine Antwort herum, da die beiden an der Schule angekommen waren.
Vor dem Eingang wartete Chloé. Sie kam lächelnd auf die beiden zu und umarmte Nate.
"Guten Morgen, weißt du was?", fragte sie Nate. "Ich habe Jamie so lange bearbeitet, bis er zugestimmt hat, mit mir die Klasse zu wechseln. Das heißt wir sind jetzt zusammen in einer Klasse!" Erwartungsvoll sah sie ihn an. Trish hatte erwartet, dass ihn das abstoßen würde, oder irgendwie verschrecken, aber er schien sich aufrichtig darüber zu freuen.
Das hieß also, Jamie würde von nun an in ihre Klasse gehen. Das machte die Sache nicht gerade einfacher.
Sie verabschiedete sich von den anderen und machte sich auf den Weg zu ihrem Klassenzimmer.Dem Stundenplan nach, hatten sie jetzt Mathe.
Trish setzte sich auf ihren Platz. Weder Jamie noch Pia waren hier. Also holte sie ein Buch heraus, das sie zu lesen begonnen hatte und wartete, bis der Unterricht anfing.
Mit der Zeit füllte sich der Klassenraum und ihre Mathelehrerin Frau Hielle kam herein. Sie war eine sympatische Person und verständnisvolle Lehrerin, die guten Unterricht machte.
Kurz bevor sie damit anfing, kam Jamie ins Klassenzimmer. Nach dem üblichen Vorstellen kam er nach hinten und setzte sich auf den einzigen freien Platz neben Trish. Pia war nicht gekommen.
 Es war seltsam, neben ihm zu sitzen, nach dem war gestern passiert war. Es wunderte sie, warum sie sich beide so anstellten, wo es doch nur ein Kompliment gewesen war, das Nate ihr ständig machte.
Aber Trish war froh, dass sie ihre Aufmerksamkeit nun eineinhalb Stunden nur ihrem Matheheft widmen musste. So war sie nicht gezwungen sich mit Jamie zu unterhalten.
Aber Frau Hielle machte ihr heute einen Strich durch die Rechnung. Sie kündigte an, dass die Klasse nun mit Stochastik anfangen würde und dass jeder mit seinem Tischnachbar ein Zufallsexperiment durchführen müsste.
Das hieß die vollen eineinhalb Stunden Gruppenarbeit mit Jamie.
 

stille?

Trish entschied sich, so zu tun als wäre nichts gewesen.
Ihre Aufgabe war es, mit einem Würfel 200 mal zu würfeln, um eine Grundlage für ihre Stochastik Rechnungen zu bekommen.
"Möchtest du lieber, Würfeln oder aufschreiben?", fragte sie Jamie. Und zu ihrer Überraschung tat auch er, als sei nicht gewesen.
"Ich schreib lieber, wenns dir nichts ausmacht.", sagte er fröhlich. Und während sie das Experiment durchführten, summte er unentwegt leise vor sich hin und grinste.
"Wie geht es dir heute, Patricia?"
Das war das Besondere an Jamie. Bei jeder anderen Person klang diese Frage wie eine reine Floskel, aber als Jamie sie stellte, sah er Trish mit so viel aufrichtigem Interesse an, dass sie wahrheitsgemäß zu erzählen begann. Und sie ließ nicht nur das gewöhnliche "Mir geht es gut und dir?" verlauten, sondern erzählte ihm wirklich, ohne es wirklich geplant zu haben, was sie heute bewegte.
"Soweit geht es mir ganz gut. Ich freue mich darüber, dass Nathan und Chloé sich gut verstehen und ich hoffe dass sie zusammenkommen.
Auf der anderen Seite bin ich beunruhigt, weil ich die Tagebücher meines Vaters gefunden habe. Und ich weiß nicht ob ich sie lesen soll, oder sie einfach dort lassen soll, wo sie sind. Seltsam ist vor allem der Ort wo ich sie gefunden habe,..." Als sie merkte, was sie Jamie da alles erzählte, stockte sie.
"Tut mir leid! Du wolltest nur wissen, wie es mir geht und ich benutze dich gleich als Kummerkasten. Sorry. Wie geht es dir denn so?"
Aber Jamie sah sie verständnislos an.
"Genau das wollte ich wissen. Deine Sorgen und Gedanken und wie es dir geht. Erzähl bitte weiter." Und weil er wieder absolut ehrlich und aufrichtig klang, fuhr sie fort.
"In unserem Haus sind, wie du ja weißt, viele Zimmer unbenutzt und deshalb auch etwas staubig. Und neulich habe ich wieder einen neuen Raum gefunden. Er war in einem versteckten Gang und es war ein Kinderzimmer. Das Kinder Zimmer eines Mädchens. Und das kommt mir komisch vor, weil..." Diesmal wurde sie von Frau Hielle unterbrochen, die das Experiment beendete und mit dem Unterricht fortfahren wollte.
Jamie beugte sich zu dem Mädchen und flüsterte:
"Wenn du nach der Schule nichts vor hast, könnten wir einen Kaffee trinken gehen. Dann kannst du mir alles in Ruhe erzählen. Natürlich nur, wenn du möchtest." Er lächelte sie an.
Patricia wurde gleichzeitig heiß, kalt und schwindlig. Sie wollte antworten, aber sie brachte nur ein Nicken zustande.
"Okay", sagte Jamie und den Rest der Stunde folgten beide dem Unterricht.



geheimnisse

Es war kurz nach Schulschluss und Jamie und Patricia liefen zu dem Café, das gegenüber der Schule lag. Als sie sich gesetzt und bestellt hatten, kam Jamie wieder auf ihr Gespräch von der Mathestunde zurück.
"Also, jetzt haben wir genug Zeit. Erzähl mir, warum es dir komisch vorkommt, dass du die Tagebücher in einem Kinderzimmer gefunden hast!" Er sah sie aufmerksam an und wieder kamen die Worte ganz von selbst, ohne dass Trish sie wirklich steuerte.
"Es kommt mir komisch vor, weil ich keine Geschwister habe und auch mein Vater keine hatte. Außerdem habe ich als Kind gar nicht im Großen Haus gelebt. Und dann die Tagebücher; darf ich sie lesen? Oder sollte ich es lassen? Eigentlich geht es mich nichts an. Andererseits ist er mein Vater und ich würde gern mehr über ihn erfahren." Sie seufzte.
Sie erwartete, dass Jamie etwas sagen würde, als er es nicht tat, sah sie auf.
Er sah sie an, aber sein Blick schien nicht bei ihr anzukommen. Er war in Gedanken versunken und zwirbelte dabei eine Strähne seines Haars zwischen seinen Fingern.
Er hat mir gar nicht zugehört, dachte Trish enttäuscht, aber da sagte Jamie:
"Denk nicht, ich hätte dir nicht zugehört. Ich habe nur überlegt, was ich an deiner Stelle tun würde." Erwartungsvoll sah sie ihn an.
"Und was würdest du tun?"
"Ich würde sie mit jemandem zusammen lesen. Jemandem dem ich bedingungslos vertraue. Du könntest Nathan fragen."
Trish dachte darüber nach. Die Person der sie am Meisten vertraute; vor einer Woche noch hätte sie ohne zu zögern 'Nathan' gesagt. Aber sie brauchte nur den Jungen vor sich ansehen und sie wusste, sie würde sich niemals irgendwo sicherer fühlen, als bei ihm. Und so sagte sie zögerlich: "Hättest du Lust mitzukommen, wenn ich sie lese? Du musst nicht, wenn du nicht willst! Ich dachte nur, falls du nichts vorhast..." Unsicher sah sie ihn an.
"Gerne. Wollen wir jetzt gleich gehen?", fragte er zu Patricias Erleichterung.
Sie stimmte zu und so zahlten sie und machten sich auf den Weg.
Sie beschlossen, zum Großen Haus zu laufen. Auf dem Weg trafen sie Emma und Chelsea aus ihrer Klasse. Trish mochte die beiden nicht, weil sie falsch waren. Sie machten sich schon das ganze Schuljahr einen Spaß daraus, sie vor der ganzen Klasse bloßzustellen. Als die beiden jedoch sahen, dass Patricia mit Jamie unterwegs war, kamen sie herüber und begrüßten sie scheinheilig und überschwänglich.
"Patricia. Hi, wie geht's dir? Stell uns doch mal vor! Wo bleiben denn deine Manieren?" Sie lachten.
"Jamie, das sind Emma und Chelsea."
Trish war geknickt. Die beiden sahen sehr gut aus, hatten Geld und gehörten zu den coolen Schülern. Jamie würde ihnen verfallen, so wie jeder Junge ihnen verfiel. Und sie würde allein darstehen, denn Nathan hatte jetzt Chloé. Bei diesen Gedanken lief es ihr eiskalt den Rücken hinab.
Patricia sah zu Jamie, um fest zu stellen, ob er sich auf die Flirtversuche der beiden Mädchen einlies. Diese hatten sich mittlerweile vor Trish gestellt und forderten Jamies ganze Aufmerksamkeit. Die beiden redeten und redeten und ließen ihn nicht einmal zu Wort kommen. Zu ihrer Überraschung sah sie in seinem Gesicht jedoch Ärger. Er hatte seine Stirn in Falten gelegt und sah die beiden genervt an. Er fing ihren Blick auf.
Dann ging er auf sie zu, nahm ihre Hand und lies die beiden ohne ein weiteres Wort stehen.
Und am liebsten hätte Trish angefangen zu singen, so glücklich war sie in diesem Moment.

tagebücher?


Aber auch Trish war erst einmal sprachlos. Sie hatte noch nie mitbekommen, das ein Junge Emma und Chelsea einfach so stehen lies. Sie dachte darüber nach und sagte nichts.
Jamie sah sie von der Seite an. Ihre Hand hielt er immer noch fest.
"Alles in Ordnung? Du wolltest dich doch nicht noch von ihnen verabschieden, oder? Wenn doch, können wir gern zurücklaufen." Patricia war sich zuerst nicht ganz sicher ob er scherzte, doch dann sah sie das freche Funkeln in seinen Augen und sie lachte.
"Nein, schon in Ordnung. Ich werde morgen einfach zu ihnen gehen und sie um Verzeihung bitten. Und dich bring ich ihnen als Geschenk mit." Jamie lachte, als er merkte dass Trish auf seinen Scherz einging und so alberten sie herum, bis sie am Großen Haus ankamen.
Es waren keine Autos vor dem Grundstück zu sehen, also waren sie für sich allein. Das war gut, denn so hatten sie genug Zeit, den Raum zu suchen und die Tagebücher anzusehen.
Als sie das Haus betraten bot Trish Jamie etwas zu trinken an. Dieser lehnte aber ab und schlug vor, gleich in das Kinderzimmer zu gehen, solange niemand im Haus war.
So machten sie sich auf den Weg.
Als sie den Gang erreicht hatten, blieb Jamie stehen und, wie schon am Tag zuvor in ihrem Musikzimmer, konnte Trish beobachten, wie er jedes Detail genau betrachtete und sich alles mit größter Sorgfalt ansah. Sie war fasziniert davon, was Jamie für eine Begeisterung für kleine Dinge aufbringen konnte. Er trat in den Flur und strich andächtig mit der Hand über die alte Tapete. Dann gelangte er zur Tür. Er sah sich zu Trish um:
"Kann ich hineingehen?"
Sie nickte und folgte ihm dann in das Innere des Kinderzimmers. Sie trat zu der Wiege und nahm den Stapel Tagebücher in die Hand. Dann setzte sie sich auf den Boden, wo Jamie schon gespannt wartete.
Sie wollte das erste aufschlagen, doch ihr kamen wieder Zweifel. Nachdenklich sah sie auf das schwarze Büchlein in ihren Händen, dann hielt sie es Jamie hin.
"Lies bitte vor! Ich will es nicht selbst lesen." Sie hatte Angst es würde etwas darin stehen, was sie nicht hören wollte und sie hoffte, Jamie würde den Takt haben, die Stellen auszulassen, falls es sie denn gäbe.
"Bist du dir sicher?", fragte er.
Wieder nickte sie nur und er schlug das Buch auf und stockte.
"Patricia hast du nicht gesagt es seien Tagebücher?", fragte er unsicher.
Sie nickte: "Ja, es steht vorn drauf. Wieso, was ist denn los?"
"Es ist ein Brief. Und ich vermute mit den anderen Büchern ist es das gleiche. Dein Vater hat dir Briefe geschrieben."

DAD


Auf einmal schossen so viele Gedanken durch Patricias Kopf, dass ihr schwindlig wurde. Es stellten sich plötzlich noch viel mehr Fragen. Wusste ihre Mutter von diesem Zimmer? Wenn ja, warum verschwieg sie ihr die Briefe? Und wenn nein, wie kamen sie hierher?
Jamie sah sie vorsichtig an.
"Soll ich sie trotzdem vorlesen?", fragte er.
"Es ist mein Recht sie zu lesen. Immerhin hat mein Vater sie für mich geschrieben."
Und Jamie begann vorzulesen:

"Hallo mein kleiner Schatz,
wenn du diese Zeilen hier liest, bin ich nicht mehr da, um auf dich aufzupassen. Ich komme gerade eben vom Doktor und er hat bei mir einen Tumor im Gehirn gefunden. Das bedeutet ich habe nicht mehr allzu lange zu leben. Deshalb will ich dir Briefe schreiben. Damit du etwas hast, dass dich an mich erinnert, wenn ich tot bin.
Nun, mein erster Brief handelt von deiner Mutter, denn du musst mir unbedingt versprechen, auf sie aufzupassen, wenn ich das nicht mehr kann. Deine Mutter ist die wundervollste Frau die ich je kennengelernt habe. Sie ist meine Seelenverwandte und du musst bitte dafür Sorgen, dass es ihr in Zukunft gut geht. Ich möchte, dass sie sich einen neuen Freund sucht, wenn ich weg bin und ich will, dass sie glücklich wird. Denn sie hat mich, jeden Tag aufs Neue, zum Glücklichsten Menschen der Welt gemacht. Und aus unserer Liebe bist du entstanden. Welches Wunder kann größer sein?
Du und deine Mutter seid das Beste, das mir je passiert ist. Und ich werde euch ewig lieben.
Ich muss aufhören, deine Mutter ruft zum essen.
Sie weiß es noch nicht. Jetzt muss ich es ihr sagen.
Ich Liebe Dich über alles, du Schönheit,
dein Dad

Hey, Trish, nicht weinen!"
Sie hatte gar nicht gemerkt, wie ihr die Tränen gekommen waren. Jamie nahm sie in den Arm und wischte ihre Tränen weg.
Genauso wie in dem Brief hatte sie ihren Vater in Erinnerung. Er fand immer die richtigen Worte. Und sie konnte sein gütiges Lächeln auf dem schönen Gesicht durch diese Zeilen vor sich sehen. Er hatte immer nur das Positive im Leben gesehen. Und selbst als er von seiner Krankheit erfuhr, zog ihn das nicht runter, sondern er stellte sich der Tatsache und machte von Anfang an das Beste daraus.
Sie schluchzte, bei dem Gedanken daran, dass es noch viele weitere Büchlein gab, voll mit Briefen von ihrem Vater. So viele Fragen, die sich nun hoffentlich bald beantworten würden.
Sie weinte vor Glück und vor Schmerz und Jamie hielt sie nur im Arm und tröstete sie, bis ihre Tränen versiegten.



gold

Eine Weile saßen sie einfach nur da und lauschten der Stille, die sich über das Große Haus gelegt hatte. Dann hörten sie, wie sich unten die Tür öffnete und ihre Mutter rief:
"Trish, Schatz? Bist du zu Hause?"
Eilig sprangen die beiden auf, sammelten die Bücher zusammen, legten sie zurück und schlichen nach unten.
"Ja, Mom, ich bin hier." Zusammen gingen sie die Treppen hinab.
Dort warteten schon Carol und Paul. Trish sah sofort die freudig verwirrten Ausdrücke in den Gesichtern der Beiden, als sie Jamie hinter ihr die Treppe herunterkommen sahen.
"Jamie, das sind meine Mom Carol und Paul." Es war Trish peinlich, mit welcher unverholener Neugier die beiden Jamie musterten. Sie würden ihn noch vergraulen.
Aber Jamie überraschte sie aufs Neue und ging freudig auf die beiden zu. Er reichte zuerst Carol die Hand, dann Paul.
"Es freut mich sie kennenzulernen. Ich bin Jamie." Sie waren sichtlich beeindruckt von seinem respektvollen Verhalten, hatten sie doch mit einigen Freundinnen von Nathan schon ganz andere Erfahrungen gemacht.
"Oh, dann bist du der Bruder von Chloé? Wir haben sie neulich kennengelernt, als sie bei Nathan zu Besuch war. Wirklich ein sehr, sehr nettes Mädchen." Carol lächelte Jamie freundlich an. "Und was macht ihre beiden jetzt?" Sie sah sie fragend an.
Da schaltete sich Paul ein: "Wenn ihr Lust habt, können wir zusammen Kaffee trinken. Wir haben auch Kuchen mitgebracht."
Trish wollte gerade sagen, dass sie schon im Café waren heute, aber Jamie kam ihr zuvor.
"Gerne. Wir hatten eh nichts anderes vor." Er lächelte die beiden an und Trish konnte förmlich zusehen, wie er sie für sich gewann.
Die Erwachsenen gingen in die Küche um alles vorzubereiten, Jamie und Trish blieben noch im Treppenhaus stehen.
"Du musst das wirklich nicht machen, Jamie. Du kannst gerne gehen." Sie wollte ihm unbedingt ersparen, beim Kaffee Trinken von ihrer Mom und Paul ausgefragt zu werden.
Aber Jamie lächelte sie an.
"Das ist doch kein Problem. Früher oder später werden sie mich eh kennenlernen wollen. Außerdem finde ich deine Mutter und Paul sehr nett. Mach dir keine Sorgen, ich kann gut umgehen mit Verhören." Er zwinkerte ihr zu und ging dann zur Küche.
Trish blieb noch einen Moment stehen und wartete, bis ihr klopfendes Herz wieder zur Ruhe kam. Er hatte gesagt früher oder später würden Carol und Paul ihn eh kennenlernen wollen.
Das hieß er hatte vor sich weiter mit ihr zu treffen. Vor lauter Glück kribbelte es überall auf ihrer Haut.

Als sie in die Küche kam, schlug ihr der Duft von frischem Kaffee entgegen. Sie setzte sich zu den anderen an den Tisch und lauschte ihrer Unterhaltung. Jamie war gerade dabei von seiner Familie zu erzählen und warum sie hierher gezogen waren. Als er fertig war, fragte Paul ihn:
"Und was hast du für Hobbies? Ich meine wie verbringst du dein Freizeit?"
Und Jamie erzählte von seiner Liebe zur Musik, dass er gerne in der Natur sei und von seinen zahlreichen anderen Hobbies.
Wieder einmal konnte Patricia beobachten, wie er, sobald es um Musik ging, völlig in einer anderen Welt war.
Sie fragten ihn noch die nächste halbe Stunde aus, dann machten sie sich daran die Küche wieder aufzuräumen. Paul und Jamie diskutierten gerade über irgendein aktuelles politisches Problem und blieben deshalb sitzen.
Trish war dabei, die Spülmaschine einzuräumen, als ihre Mom zu ihr trat.
"Und? Läuft etwas zwischen euch?", fragte sie aufgeregt.
Es ärgerte Trish sehr, dass ihre Mutter so tat, als wäre nichts, wo sie doch allem Anschein nach von den Briefen wusste. Daher fiel ihre Antwort reichlich unfreundlich aus.
"Mom, nur weil ich einen Jungen zu Besuch habe, heißt das nicht, dass ich mit ihm zusammen bin. Aber ihr musstet ihn ja gleich überfallen und lauter dumme, nervige Fragen stellen. Wenn er jetzt nicht mehr wieder kommt, dann weiß ich ja bei wem ich mich bedanken muss."
Damit ging sie zum Tisch und bot Jamie an, ihm den Garten zu zeigen. Ihre verblüffte Mutter ließ sie einfach stehen.

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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Franklin Kelly).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.06.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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