Petra Wilhelmi

Das duftende Marrakesch

 
... Allahu akbar ... Allah ist groß ... Die Stimme des Muezzin durchbricht die Dämmerung, breitet sich von der Freitagsmoschee über die Häuser der engen Gassen, über den Souk und den Gauklermarkt aus. Allahu akbar ... Allah ist groß.
Ein kehliger arabischer Singsang dringt an mein Ohr ... Es war einmal?
 
 Es war einmal, es ist lange her. Kalif Hassan Ben Kura regierte von seinem prächtigen Palast aus seine Untertanen milde und weise. Da lebte in Marrakesch Ali Ben Hosni, ein Gewürzhändler ...
 
 Die Stunde der Scheherazade beginnt. Ali Baba, Hodscha Nasreddin und Sindbad der Seefahrer betreten die Bühne und erzählen von ihren Abenteuern. Es war einmal? Ich kneife mich in den Arm. Ich bin hier und nicht am Hofe des Kalifen Hassan Ben Kura. Warum fühlt es sich trotzdem so an? Weil ich in Marrakesch am Rande des orientalischsten Marktes der Welt, des Djemma el Fna, stehe? Hier, wo der Orient der Orient ist? Wo der Zauber aus 1000-und-einer-Nacht noch lebendig ist?  
                »Feines Leder! Ganz billig! Kaufen Sie, meine Dame!«
                »Nur hier finden Sie die schönsten Kupferwaren der Welt!«
Die Stimmen der Händler schrillen in meinen Ohren. Ich achte nicht darauf.  Der Märchenerzähler bannt mich noch immer in seinem Zauberkreis.
 ... Ali Ben Hosni liebte die schöne Fatima, die Tochter des gefürchteten Wesirs Abu Kir ...
 
Ich rieche sie, die Gewürze des Ali Ben Hosni. Wirklich? Ich kneife mich noch einmal in den Arm. Aua, er schmerzt. Der Duft ist hier und jetzt. Ein ganz bestimmter. In Marrakesch? Würzig und wild, wie mein Badewasser. Ich grinse. Badewasser? Denke lieber an Lammbraten! Woher kommt der Duft?  Badewasser oder Lammbraten? Ehe ich mich entscheiden kann, ist er weg. Ich achte nicht auf den Weg. Folge meiner Nase. Suche den Hauch von Würze und verlasse den Souk, verliere mich in den engen Gassen mit den hohen Mauern. Malerische Häuser sollen sich dahinter verbergen, luftige Innenhöfe mit bunten Mosaiken und blauen Azulejos. Ich sehe nur lehmige Wände und mein Weg führt ins Nichts. Ich muss zum Gauklermarkt zurück, die Duftspur dort wieder aufnehmen.
Ich dränge mich durch die Menschenmassen und stehe unvermittelt vor dem Geschäft des Gewürzhändlers. Ist es Ali Ben Hosni? Unwillkürlich lachen ich und schüttle den Kopf. Hier nun rieche ich den Orient. Ich muss niesen, so intensiv dringt er in meine Nase. Und die Farben ...! Aggressives Rot, erdiges Gelb in allen Schattierungen. Gewürze, die ich kenne, andere, die ich noch nie gesehen habe. In einem dicken Sack leuchtet mir Kurkuma entgegen, daneben der feine schwarze und weiße Pfeffer.  Dort der pikant scharfe Ingwer. Badewasser oder Lammbraten? Hier nicht. Im Augenblick der beginnenden Enttäuschung fängt meine Nase einen hinreißend süßlichen Duft ein.
Rosen! An der linken Seite entdecke ich einen großen Korb marokkanischer, rosa Rosen. Meine Erinnerungen locken den Anblick der Rosenfelder der Ebene von Keelat zwischen dem Oasengrün und dem Rot der Wüste hervor. Ich sehe die Frauen in ihren Djellabas, die die Köpfe der Blumen pflücken. Ich höre ihr Schwatzen und Singen und sehe ihre Freude nach dem Abschluss der Ernte, ihre Feste ... Die feinen Blüten inspirieren mich und ich wünschte, ich könnte ein Rosendessert essen. Vielleicht ein feines Roseneis mit Feigensauce?  Eine Speise, würdig der Festtafel eines Sultans aus Tausend-und-einer-Nacht.
Ich trete in das Halbdunkel des Geschäftes. Hinten an der rechten Seite stehen die Säcke mit Muskat. Daneben der Korb mit Kreuzkümmel. Kreuzkümmel und Koriander. Beides gehört in eine Tajine. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen bei den Gedanken an einen feinen Hammelbraten in diesem Tontopf geschmort.
Und dort ... ich verneige mich ... Safran! Die Fäden des Krokusgewächses, teuer und erlesen, sind aus der marokkanischen Küche nicht wegzudenken. Wer sich das kostbarste Gewürz des Orients nicht leisten kann, muss sich mit Kurkuma behelfen und verpasst die Komposition einer Speise mit diesem Kleinod aus einer lila Blüte.
Safran! Das Wort klingt wie ein romantisches Gedicht, vorgetragen am Hofe des Kalifen. Die fliederfarbenen Krokusse werden im Morgengrauen sacht mit der Hand gepflückt, bevor die Sonne mit ihrem heißen Atem das Land verbrennt. Danach sitzen sie zusammen, die Familien, die Freunde, und entfernen die Fäden aus der Blüte, trocknen sie, füllen sie in kleine Gläschen. Safran!
Kistenweise der Gegenpol zum feinen Geschmack des Safrans - Paprika, klein, rot und scharf.
Der Händler blinzelt mich an und sein Redefluss lullt mich ein: »Meine Dame, riechen Sie meinen Zimt, riechen Sie. Er kommt aus den besten Ernteregionen. Oder hier das Korianderkraut, frisch und zart. Es jagt die Fliegen davon und kitzelt beim Essen dem Gaumen. Kaufen Sie bei mir! Nur hier finden Sie alles, was Ihr Herz begehrt. Riechen Sie, kaufen Sie ...!
Alles? Nein! Es riecht hier nicht nach Badewasser oder Lammbraten.
»Sehen sie, Chilischoten und Knoblauch ...«
Unwiderstehlich zieht es mich zu den getrockneten Rosenköpfen. Sie erregen meine Sinne. Ich fasse in den Blütenkorb, nehme mit der rechten Hand Rosenblätter heraus und presse sie an meine Nase. Ihr Duft, leicht an Honig erinnernd, betört mich und ich werde leichtsinnig: »Füllen Sie mir eine große Tüte mit diesen Rosenblüten.«
»Sie haben gut gewählt. 56 Dirham bei Allah. Nur für Sie, weil ich in Ihrem Gesicht sehe, dass Sie Qualität zu schätzen wissen.« Dabei schaut mich der Händler listig von der Seite an.
»56 Dirham?« Ich griene; weiß, dass ich feilschen muss und lege meine ganze Empörung in meine nächsten Worte: »Sie beleidigen mich und deuten an, dass ich mich leicht übers Ohr hauen lasse. 43 Dirham und das ist mein letztes Gebot.«
»43 Dirham? Meine Dame ...«, mit gekünstelter Verzweiflung verdreht er seine Augen nach oben. Seine fast erstorbene Stimme lenkt ein: »Sie sind eine Kennerin. Mein Wort, für 46 Dirham bekommen Sie die besten Rosenblüten der Welt.« Gewitzt blitzen seine Augen. Er schlägt sie rasch nieder, als er bemerkt, dass sie ihn verraten könnten. »Was sagen Sie dazu?«, animiert er mich, weiterzubieten.
»Was soll ich dazu sagen? Ich verliere die Lust an den Rosenblüten. Sie verwechseln mich mit diesen dummen Touristinnen, die jeden Preis bezahlen. Nein, lassen Sie die Blüten stecken. Ich muss sie nicht haben.« Ich spiele gekonnt die Lustlose, die Uninteressierte. »Vielleicht, aber auch nur vielleicht, weil ich an Ihre nichtvorhandenen Kinder denke, würde ich mich dazu hinreißen lassen, 44 Dirham auf den Tisch des Hauses zu legen.«
»44 Dirham? Glauben Sie, dass ich die Rosenblüten für umsonst verkaufen könnte? Meine Kosten sind sehr viel höher und sehen Sie - die Qualität. Unter Allahs Himmel, Sie bekommen nirgendwo sonst solch herrliche Rosenblüten.« Seine Augen funkeln vor Empörung und ich könnte sie fast glauben, wenn nicht kleine Lachfältchen um seinen Mund spielten. Scheinbar geschlagen mit einem ergebenen Schulterzucken lenkt der Händler ein und seufzt: »Nun gut, weil Sie es sind, gebe ich sie Ihnen für 45 Dirham.«
»Gut, 45 Dirham!«
»Insha alla, damit können wir beide sicherlich leben«, grient mich der Händler durchtrieben an. »Schön, Geschäfte mit Ihnen gemacht zu haben. Sie sind eine harte Verhandlungspartnerin, meine Dame. Trinken wir einen Tee miteinander. Ahlan wasahlan.«
»Gern«, erwidere ich, wohl wissend, dass ich keine harte Verhandlungspartnerin bin und, dass ich für die Rosenblüten viel zu viel gezahlt habe. Der Händler stellt die kleinen Teegläser auf den Tisch, holt eine alte Kanne, die schon viele orientalische Teezeremonien gesehen haben dürfte, und gießt den Tee in hohem Bogen in das Glas. Sein Arm bewegt sich dabei auf und ab.  Schaum bildet sich auf der Oberfläche des Tees im Glas. Er schüttet ihn in einem gekonnten Bogen wieder zurück in den Teekessel und wieder ins Glas, Teekessel, Glas ... Endlich  habe sich die Aromen zu seiner Zufriedenheit entfaltet und wir heben die Teegläser einander zu. Der Kauf ist endgültig besiegelt und die Rosenblüten nun tatsächlich mein.  Ich stecke meine Nase in das Glas und rieche die Blume des kräftigen Pfefferminztees. Köstlich. Er erinnert an die satten grünen Oasen des Ziz- und Draa-Tales mitten in den roten Wüsten. Gemächlich trinken wir unsere Gläser. Meine Gedanken sind schon lange wieder bei meinem Duft, den ich immer noch suche. Zum Abschied verbeuge ich mich und wünsche dem Händler, dass Allah ihn weiter begünstigen möge.
Meine Schritte lenke ich zurück zum Gauklerplatz. Menschen in Grüppchen zusammengeballt, erfreuen sich der Akrobaten, die menschliche Pyramiden bauen, deren Körper sich winden und ineinander verschlingen. Schlangenbeschwörer hypnotisieren ihre sich schlängelnden Tiere. Dazwischen schlagen die Gnaoui  ihre Instrumente, drehen ihre Köpfe, dass mir beim Zuschauen schwindlig wird. 
 
»... Eines Tages erschien bei Ali Ben Hosni ein Dschinn ...«
 
Märchenerzähler, sich windende, verschlingende Körper, schlängelnde Schlangen, Gnaoui, Zimbeln, Trommeln ... In meinem Kopf beginnt sich ein Karussell zu drehen.
 
»... Und der Dschinni hob seine Arme, öffnete sein breites Maul ...«
 
 ... Körper, Schlangen, Trommeln, Düfte, Badewasser, Lammbraten ...
 
Ich flüchte in ein Restaurant am Rande des Gauklerplatzes, werfe mich auf einen Platz auf der Freifläche und ordne meine Gedanken.
»Meine Dame, was darf ich Ihnen bringen?«
Erschrocken schaue ich in ein verschmitzt lächelndes Gesicht und das Karussell in meinem Kopf hält an. »Eine Hammeltajine, bitteschön.« Nach kurzer Zeit steht sie vor mir, ein brauner Keramikteller mit einer schlicht bemalten, spitz zulaufenden Kuppel als Deckel. Eine Schüssel mit lockerem Zimt bestreuten Couscous gesellt sich dazu. Ich hebe den Deckel der Tajine. Ein Duft umhüllt mich, ein Duft von Hammel, frischem Koriander, Kreuzkümmel, Knoblauch und kleinen scharfen Paprikaschoten. Die Speise ist kurkumagelb und der Wohlgeruch des Zimtes vereint sich in meiner Nase mit den Gewürzen der Tajine. Meine Geschmacksknospen jubeln ein Halleluja.
Über den Djemma el Fna breitet die Dunkelheit langsam ihr schwarzes Laken aus. Ich beobachte aufflammende Feuer, Holzkohlegrills. Ein Geruch, streng nach Hammel vermischt mit dem Bukett des Korianders, steigt in einer Rauchwolke zum Abendhimmel empor und versteckt darin Fleischspieße. Ein alter Mann hockt unweit meines Platzes auf einem kleinen Schemel vor einer ausgebreiteten Decke. »Haben Sie Magenprobleme oder Schnupfen? Bei Magenschmerzen brühen Sie einen Tee mit diesen Schwarzkümmelkörnern. Sie werden merken, dass Ihre Magenschmerzen auf immer verschwinden. Und was machen Sie, wenn Sie Schnupfen haben? Nehmen Sie ein Taschentuch, legen sie ein paar Körnchen Schwarzkümmel hinein und drehen sie das Tuch zu einer Kugel, reiben Sie die, riechen Sie daran. Ihr Schnupfen ist wie weggepustet. Allah ist groß.«
Ich lächle. Geschäftstüchtig ist er, der Naturapotheker. Vielleicht hilft es? Die Quelle des speziellen Duftes verweigert sich mir immer noch: Badewasser - Lammbraten.  Nachdem ich satt und zufrieden bin, suche ich weiter, kann aber dem Netz des Gauklermarktes nicht entrinnen. Eine seltsame Atmosphäre breitet sich aus. Die Lichter bilden eine Glocke und sperren die Sterne aus.
 
»Fatima gab der Köchin ein Kraut, ein ganz spezielles Kraut ...«
 
Der Märchenerzähler lässt mich nicht los, ebenso wenig, wie die sich nach den Bewegungen ihrer Schlangenmeister sich windenden Tiere. Ganz oben auf der menschlichen Pyramide der Artisten dreht sich ein kleines Mädchen und schlägt ein Salto nach unten, wird aufgefangen.
 
»... Das Kraut rebelte die Köchin, goss kostbares Arganöl darauf ...«
 
Die Menschenmenge keilt mich ein. Es gibt kein Vorwärts, kein Rückwärts. Der Rauch der Grille scheint mich zu räuchern. Meine Augen sind überfordert, meine Ohren verweigern sich langsam dem Lärm.
... sich verrenkende Körper ... schlängelnde Schlangen ... schreckliche Dschinnis ... schreiende Händler ... trommelnde Gnaoui ... Körper ... Schlangen ... Dschinnis ... Gnaoui ... Händler ... Schluss! Aus!
Ich schließe kurz die Augen, halte mir die Ohren zu,  kann nicht mehr. Badewasser – Lammbraten. Völlig entnervt und kaputt gebe ich auf. Mit Mühe befreie ich mich aus der wogenden Menschenmenge und  schleppe mich mit schmerzenden Füßen in ein nahe gelegenes Hotel. Mein Körper rebelliert. Er will nur noch schlafen. Die Beine wollen kaum die Treppenstufen emporsteigen. Meine Hand greift zur Klinke, drückt sie herunter, meine Füße führen mich in das Zimmer.
Das glaube ich jetzt nicht. Der Duft! Ich hab ihn, jubelt alles in mir. Das ist er. Ich will das Badewasser, für den Lammbraten bin ich zu satt. Badewasser schreien meine Füße. Badewasser! Ich knipse das Licht an und vor dem Fenster auf einem kleinen Tisch sehe ich in einer Vase: Einen Zweig mit saftig grünen Nadeln und kleinen blauvioletten Blütchen. Meinen Rosmarin! Glücklich werfe ich mich auf mein Bett, atme den würzigen Geruch. Baden ist morgen! Jetzt lasse ich mich von ihm in den Schlaf wiegen. Rosmarin. Endlich ...
 
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.06.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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