Werner Wadepuhl

Nord-Süd-Gefälle.

Als Nord-Süd-Gefälle verstand man wohl vorwiegend im 19. und 20. Jahrhundert den wirtschaftlichen und demografischen Unterschied zwischen den aufstrebenden Industrie- und Hafenstädten im Norden und Nordwesten Deutschlands gegenüber den mehr landwirtschaftlich und handwerklich orientierten oder geprägten Regionen Süddeutschland.

Nach dem zweiten Weltkrieg begann sich dieses Gefälle langsam zu verändern, zu drehen und in den zu quasi Hightec-Ländern gewordenen Südstaaten dieser Republik begann man meist etwas polemisch von einem Süd-Nord-Gefälle zu sprechen, wobei geflissentlich übersehen wurde, dass dieser Wandel nicht zuletzt durch einen bis heute anhaltenden Zuzug von Bürgern anderer Bundesländer nach Bayern und Württemberg getragen wird. Familien, die ausschließlich aus Urbayern bestehen, sind wohl rar geworden und manchmal ist man versucht, diese Rasse als eine vom Aussterben bedrohte Spezies auf die Rote Liste der gefährdeten Arten zu setzen.

Dass dieses ursprüngliche Nord-Süd-Gefälle zumindest in zarten Ansätzen noch immer zu beobachten ist, mag die folgende wahre, wenn auch vielleicht etwas kontraproduktive Geschichte belegen.

Meine mir Zugemutete ließ erkennen, dass sie ihren runden xx-zigsten Geburtstag auf andere Art und nur mit mir alleine feiern wollte und meinte, wir hätten doch ein Alter erreicht, mit dem wir unter Kreuzfahrtpassagieren nicht mehr sonderlich auffallen würden.
Gemeint, getan und der nächste Weg führte uns in unser sehr persönliches Reisebüro.
Norwegen und Hurtigruten waren die Schlagworte, aber die Angebote passten nicht ganz in den Kalender und außerdem beeinträchtigte dieser Isländer namens Eyafjallajökull mit seinen Aschewolken in der Zeit, in der wir uns festzulegen hatten, in nicht unerheblichen Maße den Luftverkehr und wir hätten schließlich und dies auch zuverlässig nach Bergen und von Kirkenes wieder nach Hause fliegen müssen.

Unser kleines Reisebüro überzeugte uns schließlich von den Vorteilen einer Norwegenreise ab und wieder zurück nach Kiel und dies mit der MS Columbus von Hapag Lloyd. Die Einschiffung erfolgte an einem Pfingstmontag um 15:00 Uhr am Böllhornkai in diesem zu dieser Zeit von weiträumigen Modernisierungsmaßnahmen betroffenen Kieler Hafen und weil wir dazu aus Süddeutschland anzureisen hatten und zu sehr unchristlicher Zeit unsere Betten hätten verlassen müssen, fiel es uns leicht, uns für einen Zwischenstopp in Hamburg zu entscheiden und so setzten wir uns wieder einmal in den Zug, um bereits am Pfingstsonntag diese wunderschöne und mir seit meiner Jugend durch zahlreiche Aufenthalte sowohl privater als auch beruflicher Art wohlbekannten Stadt zu erreichen.

Die Regionalbahn kommt pünktlich und bietet reichlich Platz. Wir gehören heute nicht zu den Frühaufstehern, die Bayernticket-Liebhaber sind wohl alle schon unterwegs.
In Ingolstadt nach knappem Aufenthalt Umsteigen in den ICE im Abschnitt F am Ende des Bahnsteigs, Wagen 12, Platz 14 und 16. Ankunft in Hamburg fahrplanmäßig bei sommerlichen Temperaturen, die wir heuer zu Hause so noch nicht erlebt haben.
Viel zu dick angezogen schleppen und rollen wir unsere schweren Koffer zur vereinbarten Gepäckaufbewahrung in der Wandelhalle des Hauptbahnhofes.

Der Bahnbeamte meint, wir seien hier falsch. Das Reisegepäck für die AIDA würde draußen am LKW direkt angenommen. Als wir ihn aufklären, dass wir Columbusgäste seien, verwandelt sich sein Gesicht fast schwärmerisch und er erzählt, das bisher alle Reisenden der COLUMBUS nur beste Erfahrungen mit Schiff und Reiserouten weitergeben konnten. Einzige Ausnahme sei wohl letzte Woche die EUROPA der gleichen Reederei gewesen, die eine große Nordlandtour über Schottland, den Shetlands, Island und Nordkap gefahren sei und einen solch stürmischen Nordatlantik angetroffen hätte, dass die Mehrheit der Passagiere Tage in ihren Kabinen verbracht hätten.
Er meinte dann allerdings, dass die kostenlose Gepäckaufbewahrung zum Weitertransport nach Kiel auf das Schiff nur für den Tag der Einschiffung gelte. „So steht es auch in den Anreiseinformationen und so habe ich es auch verstanden“ sagte ich, „aber wie sollen wir mit Sicherheit bis um 15:00 Uhr an der Pier in Kiel stehen, wenn wir aus Süddeutschland kommen und feiertags keine Züge fahren, die uns in einem angenehmen Zeitrahmen zuverlässig und rechtzeitig dorthin gebracht hätten. Wir übernachten heute in Hamburg und fahren morgen mit dem Zubringerbus. Gibt es denn keine Möglichkeit, die Koffer trotzdem bei Ihnen aufzubewahren?“
Das ginge schon, wäre dann aber nicht kostenlos. Wir einigen uns darauf, dass wir pro Gepäckstück die fünf Euro bezahlen, es wird noch weitaus höhere Nebenkosten auf dieser Reise geben und er bringt eine Liste von Hapag Lloyd, auf der dann unsere Namen zweimal hintereinander verewigt werden. Als er die Koffer verräumt hat und zurück kommt, meint er „Ach, wissen sie was, sie haben eigentlich recht, wir machen das kostenlos.“

Ich habe in Hamburg ein Leben lang nur freundliche, entgegenkommende oder hilfsbereite Menschen angetroffen. In München, so wage ich als gebürtiger Bayer mit sächsisch-elsässischem Migrationshintergrund zu behaupten, in München wäre uns so etwas mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht passiert. Soviel zum Thema Gefälle, ob Nord-Süd oder Süd-Nord, ist ja eigentlich egal, oder?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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