Helga Schmiedel

Im Sternenstädtchen

Stürmisch ist der Abschied! Es sind meine russischen Freunde vom Verlag "MIR", die mir winken. Nicht einmal sie dürfen in den streng abgeschirmten Ort vor den Toren Moskaus. "Nimm mich doch mit!", rief mir Leo noch nach. Von ihm wußte ich, dass er jedes Detail von der Raumfahrt wie ein riesengroßes Puzzle sammelt und zusammensetzt. Ich dagegen interessiere mich für die Darstellungen, aber nicht für technische Details.

So saß ich also in einem riesengroßen Wolga mit der Standarte von General Georgi Beregowoi. Das Ziel war Zvevdnij Gorodok - das Sternenstädtchen bei Moskau. Man schrieb Mitte Oktober 1988. Arrangiert hatte alles der Präsident des Journalistenverbandes von Moskau,
Lew Gilberg. Er hatte einen heißen Draht zu Beregowoi, dem Leiter des Ausbildungszentrums der Kosmonauten. Es ging um Buchvorhaben zur Raumfahrt.

Früher war der Ort ein weißer Fleck in der Landkarte. Jetzt war er verbotene Stadt, bestgehütetes Geheimnis der damaligen Sowjetunion. Ich duckte mich ganz ief in die weichen Autosessel. "Mein Gott, hatte ich ein Glück, dass ich mit Raumfahrt-Büchern befaßt war. Und dass man mir das auch einmal bildhaft zeigen wollte, von dem zu berichten war," so meine Gedanken als ein Soldat salutierte. Ganz klein kam ich mir vor, da sich die bewachten großen Tore öffneten.

Wir fuhren in die 350-Hektar Enklave ein. Etwa 5000 Menschen - Wissenschaftler, Kosmonauten, Techniker, Ärzte - wohnen hier. Mich erwartet kein High-Tech-Paradies, sondern eher eine Reise zu den grauen Plattenbauten von Berlin-Marzahn, dachte ich. Im Vorbeifahren sehe ich einen kleinen Konsum. Auf einer Tafel davor wird Pepsi auf kyrillisch angeboten. Daneben eine Wohngebiets-Gaststätte sowie eine Kinderkrippe. Und davor spiegelt ein See das Blau des Himmels mit vielen kleinen Blumenkohl-Wölkchen. Die Rasenpflege der großen Grünflächen in Mütterchen Russlands wichtigstem Standort erfolgt nach alter Väter Sitte: Mit der Sense.

Hinter dem grauen Beton der Plattenbauten verbirgt sich ein Technik-Park ungeahnten Know-hows und Wertes. Beherrscht von exzellenter Genauigkeit, Pünktlichkeit und Disziplin. Das Auto stoppt. Der Wagenschlag wird geöffnet. Ein Dolmetscher begrüßt mich höflich. Nein, nicht wirklich nett. Man hat gedrahtet, dass ich kein Russisch spreche. Eine kleine Frau aus dem federführenden deutschen Verlag im Streublümchen-Sommerkleid!

Man zeigt mir die 300 Tonnen schwere Zentrifuge. Sie kann bei Geschwindigkeiten bis zu 280 km/h Bedingungen wie bei einem Raketen-Start simulieren. "Das ist wie ein Looping mit einer Mig 21 - die Augen quellen heraus, und die Arme schmerzen," hatte der Weltraum-Pionier Sigmund Jähn in einem Interview erzählt. Beim Betrachten des Vestibular-Stuhls wird mir schon fast beim Zusehen schlecht! Hier testet man das Schwindelgefühl, die Belastbarkeit eines Kosmos-Kandidaten. Der Dolmetscher wird aufgeschlossener und erzählt, dass danach völlige Erschöpfung eintritt. Man zeigt mir auch  Unterwasser-Tests für den Ausstieg im All. Alles dient dem Arbeiten und Leben der Kosmonauten in der Schwerelosigkeit.

Die "Skapander"-Kammer, wo Raumanzüge seelenlos nebeneinander hängen, hat mein besonderes Interesse. Mein journalistischer "Jagd-Instinkt" ist geweckt! Hier einen Krimi schreiben! Das wäre was. Ich komme wieder zu mir, da der Preis eines einzelnen Anzugs genannt wird: etwa 4 Millionen Dollar! Plötzliche Platzangst beschleicht mich,  nicht etwa wegen des Preises. In ein neues Segment der Raumstation MIR darf ich sogar einsteigen. Und fühle mich wie im All.

Ein "Muss" eines jeden Besuchers vom Sternenstädtchen ist die Gedenkstätte von Juri Gagarin. Alle Hochachtung habe ich vor diesem Menschen, der zur Ikone und auch zu einer tragischen Figur wurde. Geboren am 9. März 1934 in Kluschino, flog er am 12. April 1961 - vor 50 Jahren - als erster Mensch ins All. Damals wurde der 27jähige wie ein Star gefeiert. In 108 Minuten umrundete er in der Kapsel der Rakete "Wostok 1"
einmal die Erde, um danach im Südwesten Russlands zu landen. Sieben Jahre später stürzte er mit einem MIG-Kampfjet ab. Geheime Akten über den tödlichen Flugzeugabsturz brachten ans Tageslicht, dass er ein äußerst unerfahrener Pilot war. Aber der erste Mensch, der in den Kosmos eindrang. Noch heute wird in Russland der Tag seines Weltraumfluges als "Tag der Kosmonauten" gefeiert.

Die Tore vom Sternenstädtchen schließen sich. Eines ist mir sternenklar nach diesem Besuch: Brennen muß man! Brennen für den Beruf eines Kosmonauten und alles was damit zu tun hat!     

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.07.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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