Christina Dittwald

Sommer auf der Autobahn





2. August 2011 - Rückfahrt von Oberfranken nach NRW. Endlich ist es mal heiß. Das Mineralwasser ist schon vor der Rhön warm. Die Coburger Bratwürste, die ich für die Lieben in Essen mitgenommen habe, ruhen auf eingeschweißtem Eis. Im Radio läuft Figaro. Der Klassiksender für Leute, die eigentlich keine Klassik mögen. Also solche wie wir., die mit Stones, Beatles und Roxy Music großgeworden sind. Aber wir sind lernfähig und aufgeschlossen. An der Fensterscheibe zerplatzen Bremsen wie  reife rote Johannisbeeren. Kurz zuvor an der Raststätte schreit bestimmt ein Gestochener verzweifelt nach dem Insektenstift. "Der ist unten im Koffer im Kulturbeutel!" sagt seine Frau. Auch so ein wunderbares Wort: Kulturbeutel . Andere Länder haben zum Beispiel eine Washbag - nur wir haben den Kulturbeutel. Das hilft dem armen Mann auch nicht - hoffentlich tut er Spucke drauf. Sein Blut klebt also an der Windschutzscheibe - ich habe kein Mitleid mit der Bremse. Viele Waldspaziergänge haben sie mir versaut - viele Stunden hätte ich mich nachts kratzen können. Hab ich aber nicht, denn dann entzündet sich der Stich und es wird schlimmer. Die mütterlichen Ermahnungen wirken auch noch nach fünfzig Jahren - und über ihren Tod hinaus.

Bis zur Autobahn hat man viel zu gucken in der Rhön. Hier gibt es noch Fremdenzimmer, nicht die beschönigenden Gästezimmer. Freitags wird gekehrt, oft von steifbeinigen Frauen, die in angemessen langen Röcken den Schmutz aus der Straßenrinne auf die Schaufel kehren. Bei diesen Temperaturen tragen sie oft Kittelschürzen - das Equivalent von Sommerkleidern in ländlichen Gegenden. Diese werden in großer Zahl auf den monatlichen Krammärkten angeboten, die in den größeren Dörfern und Kleinstädten stattfinden. Die Anbieter sind häufig Asiaten, von den Anwohnern respektlos, aber nicht böse "die Fitschis" genannt.

Ab und zu sehen wir ein Reh und ein paar Hasen in den Feldern. Die Wiesen liegen voll mit gemähtem Heu, ich öffne das Fenster und atme tief. In den Siebzigern gab es ein festes Parfum im Töpfchen von der Firma Coty mit 2 kleinen Abteilungen. In dem einen war eine grüne wachsartige Paste mit dem Namen: Rain, in dem zweiten eine hellbraune mit der Bezeichnung: Hay . Genauso riecht es hier.

Autobahn Fulda Richtung Kassel, auf der Gegenseite Stau . Lieber heiliger Florian ... wir kommen gut voran, nicht viel Laster heute, nur die üblichen Idioten, die rechts überholen. Auf Figaro läuft : Tanz der Ritter. Gefällt mir. Zu Hause mal googeln.Jetzt ist Bonbonzeit. Als liebende Frau bekommt mein fahrender Mann alle 15 Minuten ein supersaures Zitronenbonbon in den Mund gesteckt. Das Mineralwasser wird wärmer. In Kassel wird Pause gemacht am Hasselberg. Wir beschließen, einen Kaffee zu trinken. Wenn wir nicht auf den Toiletten zu zweit durch die Sperre gegangen wären, hätten wir jetzt auch genug Gutscheine dafür, so zahlen wir 3,50 zu. Also 70 Cent für die Toiletten finde ich viel zu teuer. Stellen Sie sich mal vor, sie haben 3 Kinder plus Oma im Auto und die müssen alle paar Stunden .... das läppert sich. Da lohnt sich abfahren und in den Waldweg.
Wir bemitleiden die armen Menschen, die sich für 11,95 ein fettiges Formschnitzel mit einer halben Dose Erbsen und Möhren plus Sättigungsbeilage reinziehen.
Wir haben die Knacker vom Metzger von heute morgen und 2 Semmeln - also 4 Brötchen, praktischerweise.
Neben uns parkt ein alter Schwede - das Kennzeichen sagt es uns. Er geht mit Familie Richtung Restaurant und lässt seine Autofenster offen. Wir rufen : Excuse me, your windows are open ! Er schaut uns misstrauisch an. Wir dachten immer, alle Schweden könnten englisch. Vielleicht ist das bei alten Schweden anders.

Wir fahren weiter, keine bemerkenswerten Ereignisse. Ich zähle nach, wieviele Verwandte und Freunde wir in den letzten zwei Wochen getroffen haben und sage stolz : Fünfzig. Mein Mann schaut mich an und meint, dass das krank wäre. Niemand sonst würde Kontakte zählen.
Jetzt sind die zuckerfreien Sanddornbonbons dran - leider verursachen sie in größerer Menge Durchfall . Wie lange dauert es wohl, bis die üble Wirkung einsetzt?

Dortmund, die Hitze legt noch mal einen Zahn zu, jetzt sind es 30 Grad. Wie aus einem Mund singen wir: 36 Grad, und es wird noch heißer ... Daran merkt man, dass man ein altes Ehepaaar ist, synchrone Handlungen fallen uns leicht.

Essen, das Haus steht noch. Listig rufen wir den Sohn an, ob er seine Mitbringsel abholen möchte. Wir hatten uns schon ausgemalt, wir stellen die 4 schweren Koffer ins Treppenhaus und der gute Junge würde den armen alten Eltern die Koffer 40 Stufen hoch schleppen. Aber daraus wird nichts - er hat was vor.
Er schlägt vor, dass wir doch am nächsten Tag mit einem Apfelkuchen bei ihm vorbeikämen - und den Mitbringseln natürlich.
Tja, und dann sind wir nach der Fahrt noch in den Schrebergarten gefahren und haben die Falläpfel für den Kuchen geholt.

Es tut doch gut, dass unser Sohn uns nicht für hinfällige alte Leute hält !

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.08.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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