Christa Astl

Knallerbsenfreundschaft




 
 

Es war in der zweiten Klasse der Hauptschule. Sie saß, weil sie so groß war, wie immer in der letzten Bank. Sie ging nicht gerne zur Schule, obwohl sie eigentlich eine gute Schülerin war. Vor manchen Lehrerinnen hatte sie geradezu panische Angst.
Auf Fragen antwortete sie mit so leiser Stimme, dass vor allem die Lehrerinnen rasch ungeduldig wurden. Sie saß meist auch alleine in der Bank, niemand wollte sich zu ihr setzen, auch niemand ihre Freundin sein. Wahrscheinlich war sie allen zu langweilig. So träumte sie während der Stunden vor sich hin, entsprechend waren auch ihre Noten, besonders in Geschichte und Naturkunde.
Und wieder einmal hatte sie eine so stille Traumstunde, Geschichte stand am Stundenplan. Mit welch glänzenden Farben die Lehrerin auch das Leben der Babenberger schilderte, sie bekam nicht viel davon mit.
Plötzlich zerriss ein ohrenbetäubender Knall die gespannte Unterrichtsstille. Sie fuhr aus ihren Träumen auf, alle anderen erschraken genauso. Direkt neben ihr blitzte ein kurzer Funken auf, - dann nichts mehr. Alle Köpfe reckten sich zurück, sie wurde glührot. Ihre Nachbarin auf der anderen Seite des Mittelgangs war wohl ebenso erschrocken und wurde ebenso angestarrt, der schien es nichts auszumachen. Sie hatte wohl die besseren Nerven. Der Schreckensschrei mancher Mädchen war verstummt, erregtes Raunen trat an seine Stelle. Irritiert musterte die Lehrerin ihre aufgeregt schnatternden Gänse. Erschrocken, wie sie selber war, dachte sie gar nicht daran, die Ruhe wieder herzustellen.
Gottlob klingelte es bald zur Pause.
Die ganze Horde stürmte, sobald die Lehrerin den Raum verlassen hatte, auf die letzte Bank zu. „Was hast du denn gemacht? – Wer war es denn? – Was hast du da gehabt?“ - - Fragen und Anschuldigungen prasselten auf das völlig verstörte Mädchen hernieder, das diesmal mit Recht die Antwort schuldig bleiben musste, bis es durch das Klingelzeichen zur nächsten Stunde erlöst wurde.
Die Klassenlehrerin trat wieder herein, gefolgt von der strengen, allseits gefürchteten Mathelehrerin. Nun begann das Kreuzverhör: „Wer war es?“ – 32 Augenpaare schauten unschuldig zur Tafel, auf der noch nichts stand. Die Lehrerinnen fragten und redeten abwechselnd, hielten Predigten über Ehrlichkeit, Tapferkeit, vom Eingestehen einer Schuld, es half nichts, niemand war’s.
Und endlich war die Schule aus, die aufgeregten Mädchen wurden in Freiheit entlassen, um „ihr“ Erlebnis weiter zu verbreiten.
Auch sie kam mit dieser Neuigkeit nach Hause. Und als sie nachmittags mit der Mutter in die nahe Gemischtwarenhandlung ging, erzählte es die Mutter der Geschäftsfrau. „Was kann das nur gewesen sein?“ – Die Verkäuferin begann in ihren Laden zu wühlen, holte etwas Kleines, Schwarzes hervor und warf es auf den Boden. Ein ohrenbetäubender Krach – das Mädchen sprang zur Seite. „Dann wird es wohl so eine Knallerbse gewesen sein?“, meinte die Verkäuferin lachend.
Tage um Tage wurden in den Schulstunden neue Fragen gestellt, die Klase wurde zu Strafarbeiten, sogar zum kollektiven Nachsitzen verdonnert, es half nichts. Und dann erwähnte das Mädchen das Wort „Knallerbse“. Jetzt war es natürlich heraus: Sie muss es gewesen sein, sie weiß schließlich genau, was es war.
Alle mussten einzeln zur Frau Direktor. Das Mädchen brachte auf die Fragen der Schulobersten vor Angst und Aufregung kein Wort hervor, und das trug natürlich auch nicht zu ihrer Verteidigung bei. In der Klasse galt sie jetzt nicht nur als Lügnerin, sondern als Schädling der Klassengemeinschaft und wurde gemieden und nicht einmal mehr eines Blickes gewürdigt. Lange stand sie diese Belastung nicht durch und wurde schließlich krank.
Als sie nach Wochen endlich wieder zum Unterricht erschien, war die Geschichte eingeschlafen oder Gras drüber gewachsen. Sie hatte wieder ihre Ruhe, der Verdacht blieb allerdings an ihr hängen, was ihr in diesem Jahr eine schlechte Betragensnote einbrachte.
Das Thema „Knallerbse“ wurde die nächsten zwei Jahre nicht mehr erwähnt.
 
 
Beim Klassentreffen nach 45 Jahren tauchte die Frage wieder auf, und wir zwei, die links und rechts des Tatortes gesessen waren, waren natürlich immer noch die „Täter“. Mir war es inzwischen egal, ich konnte nur noch über dieses „spannende Geheimnis“ lachen, diesmal litt die Andere, fühlte sich verdächtigt, so verunsichert, dass sie mir anderntags einen Brief mit einer Einladung zu einem Treffen schickte, sie wollte diesen Fall bereinigt wissen.
Klären konnten wir die Situation immer noch nicht, wir waren beide wirklich unschuldig, aber durch dieses offene, tiefgehende Gespräch lernten wir uns so richtig kennen. Wir merkten, dass wir auf einer Welle sendeten, auch damals schon. Nur waren wir damals beide zu schüchtern, um auf einander zuzugehen. Seit diesem Gespräch aber ist unsere Freundschaft besiegelt, und verstärkt sich von Begegnung zu Begegnung.
So bekam ich auch – spät zwar – noch meine Schulfreundin.
 

 

ChA 01.08.11

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.08.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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