Er trottete in die Küche, um sich ein Bier zu holen. Den ganzen Vormittag
hatte er im Bett verbracht, denn er fühlte sich unwohl. Das lag nicht am
übermäßigen Alkoholgenuss des Vorabends, vielmehr fühlte er eine Erkältung
heraufziehen.
Seine Frau war über dem Backofen gebeugt, als er die Küche betrat. Sie
buk wie jedes Jahr zu Ostern seine Lieblingsspeise, butterzarte, duftende
Rohrnudeln.
Das war eigentlich das einzige, was sie ihm zuliebe tat. Genau genommen
hasste sie ihn, so wie er sie hasste. Nach zwanzig Jahren Ehe waren sie
einander in tiefer Abscheu verbunden. Trotzdem löste ihr Anblick manchmal so
etwas wie Lüsternheit in ihm aus. Speziell in diesem Moment fühlte er diese
Gier in sich aufsteigen, als sie ihm ihre wuchtigen Hintern
entgegenstreckte, der unförmig in eine buntgeblümte Kittelschürze
eingezwängt war. Ein krauses Dauerwellengebilde stand in wild gemusterten
Farben von ihrem flachen Hinterkopf ab, die breiten Füße steckten strumpflos
in ausgetretenen Latschen und ihre Waden hatten selten eine Rasur gesehen.
Während er sie betrachtete, drehte sie ihm ihr schweißgebadetes Gesicht zu:
„Was willst du hier? Entweder du bleibst im Bett oder du wäscht dich erst
einmal, bevor du mir deinen Anblickt zumutest!“
Wie ein ertappter Junge sah er an sich hinunter. Er sah selbst nicht viel
besser aus, als sie. Die ausgefranste Hose seines muffigen Schlafanzuges
spannte über seinem biergeschwängerten Bauch.
Er wollte die Küche verlassen, wie sie ihm befohlen hatte, überlegte es sich
jedoch anders: „lass mich wenigstens probieren“, flötete er so liebevoll er
konnte.
Das perfide Glitzern ihrer kleinen, wässrigen Knopfaugen entging ihm nicht,
als sie hervorstieß: „Verschwinde, bevor ich dir Beine mache!“
Müde schlürfte er davon. Wie immer hatte er nicht die Kraft aufgebracht,
sich ihr zu widersetzen. Ihm graute bei dem Gedanken, die Osterfeiertage mit
ihr allein verbringen zu müssen. Früher hatten sie wenigstens seine Eltern
besuchen können. Diese Möglichkeit entfiel, seit sie tot waren. Weitere
Verwandte gab es nicht und Freunde hatten sie keine mehr. Mit ihrem
Brachialcharme hatte Luise alle vertrieben. Sie war nicht erst in den
letzten Jahren so bösartig geworden, diese Eigenschaft war bei immer latent
vorhanden gewesen.
Er fühlte sich unfähig sie zu verlassen und er verachtete sich dafür. Trost
fand er im Schnaps. Wenn er genügend getrunken hatte, dann wurde ihm
regelmäßig bewusst, dass er ihr eigentlich hörig war und deshalb nicht die
Kraft fand, aus seinem engen Ehegefängnis auszubrechen. Ihre dominante,
rücksichtslose Art und ihre vulgäre Ausdrucksweise zogen ihn auf
unerklärliche Weise an. Das Leben mit ihr war schlimm, ein Leben ohne sie
hätte er nicht ertragen.
Früher, als er noch halbwegs ansehnlich ausgesehen hatte, hatte er Luise
gelegentlich mit Kolleginnen in seiner Firma betrogen. Das war lange vorbei,
seine Verführungskünste zogen nicht mehr. Da half es auch nicht, dass er
seine spärlichen Haare schwarz färbte. Er nahm an, dass Luise über seine
Eskapaden Bescheid wusste. Vermutlich war sie sogar froh darüber gewesen,
hatte sie doch so ihre Ruhe gehabt. Merkwürdigerweise wurde er anhänglicher,
je weniger er aushäusigen Freuden nachhing. Ja, es gab diese Momente, in
denen er sie unsäglich begehrte. Und diese Momente waren meist die, in denen
sie besonders abstoßend aussah, so wie jetzt in der Küche. Wenn sie an ihren
Töpfen hantierte, schwitzte sie und es bereitete ihm ein sinnliches
Vergnügen, zu sehen, wie Schweißperlen an ihren fleischigen Armen hinunter
glitten. Da sie selten etwas unter ihren bunten Kitteln trug, konnte er die
Umrisse ihrer schweren wippenden Brüste wahrnehmen und das strenge Aroma
ihrer dunklen, haarigen Achselhöhlen einsaugen.
Er ging ins Bad, weil ihm heiß geworden war, wusch sich das Gesicht und
putzte sich die Zähne. Dann griff er sich seinen Regenmantel von der
Gardarobe, schlüpfte in braune Slipper und verließ die Wohnung, um
Zigaretten zu kaufen.
Als er zurückkehrte, kam ihm im Hausflur Heinz Knoll entgegen, der ihn
freundlich lächelnd grüßte. Offenbar hatte sich sein Nachbar auf Gäste
eingerichtet, denn er trug eine dick gefüllte Plastiktüte bei sich, aus der
die verkorkten Hälse von Wein- und Sektflaschen ragten. Knoll sah an diesem
Tag ausgesprochen gepflegt und aufgeräumt aus. Das war nicht immer der Fall
und dass er Besuch bekam, war ungewöhnlich. Herbert Schrembs hatte ihn noch
nie in Gesellschaft gesehen, obwohl Knoll für sein Alter – Schrembs schätzte
ihn auf etwa fünfzig – recht gut aussah. Luise hatte einmal behauptet, Knoll
sei schwul. Vielleicht war das der Grund, dass er niemanden bei sich zu
Hause empfing. Schrembs war es egal, was seine Nachbarn trieben.
Als er die Tür zu seiner Wohnung aufschloss, vernahm er den süßen Duft
frischgebackenen Gebäcks. Er raste in die Küche, um endlich ein ersehntes
Stück frischer Rohrnudeln zu erhaschen. Luisa war wieder über das Backrohr
geneigt, um die begehrten Köstlichkeiten herauszuholen. Die Hitze, die dem
Offen entströmte, vermischt mit den würzigen Gerüchen seiner Frau, lösten
das starke Verlangen in ihm aus, ihr den Kittel hochzuschieben.
Er konnte kaum noch an sich halten, als sie sich plötzlich umdrehte. In
ihren Händen hielt sie das heiße Backblech. Erschrocken über den Anblick
ihres Mannes, der mit geöffnetem Mantel und erregtem Geschlecht, das sich
deutlichen unter seinen Pyjama-Hosen abzeichnete, schwer atmend vor ihr
stand, ließ sie das Blech fallen. Es landete krachend auf den Füßen
Herberts, der einen gellenden Schrei ausstieß. In diesem Augenblick schlug
Luise zu, sie versetzte ihm einen gewaltigen Kinnhacken. Bevor Herbert
merkte, was passierte, stürzte er rücklings auf den Steinfußboden.
Verschwommen nahm er noch wahr, wie sie sich über ihn beugte. An seinem
Hinterkopf fühlte er eine warme Flüssigkeit, die sich langsam auf dem
Fußboden ausbreitete.
Luise erhob sich schwer. Sie konnte nichts mehr tun für Herbert, dessen
erloschene Augen sie überrascht anblickten. Die Rohrnudeln, die in der Küche
verstreut lagen, hob sie auf, wischte Herberts Blut ab und richtete sie
ordentlich auf das Backblech.
Dann ging sie in das düstere Schlafzimmer mit den gestreiften Tapeten und
dem blinden Siegel an der Schranktür. Sie zog ein schwarzes Seidenkleid aus
dem Schrank, ihr bestes Stück, das sie nur zu besonderen Gelegenheiten trug.
Jetzt war so eine besondere Gelegenheit. Passend zu diesem Kleid bewahrte
sie schwarze Satinunterwäsche in ihrer Kommode auf, die sie nun aufgeregt
herauskramte. Als sie alles für ihren großen Auftritt bereit gelegt hatte,
nahm sie ein langes, heißes Bad und schminkte sich mit großer Sorgfalt. Als
sie ihr Werk beendet hatte, war sie sehr zufrieden mit ihrem Anblick. Sie
dachte an Herbert, der offenbar der einzige Mann gewesen war, der
ungepflegte Frauen im Bett geschätzt hatte.
Im Wohnzimmer fand sie eine silberne Platte, auf die sie ein selbst
gehäkeltes Platzdeckchen legte und die Rohrnudeln liebevoll darauf
arrangierte. Weil sie noch etwas Zeit hatte, setzte sie sich entspannt auf
das ausgesessene Riesensofa und trank ein Gläschen Kirschwasser zur
Einstimmung.
Als die Sonne endlich hinter dem trüben Grau der Vorstadtfassaden versank,
machte sie sich auf den Weg. Er öffnete die Tür, bevor sie läuten konnte und
umarmte sie. Dann führte er seine Geliebte in sein Wohnzimmer an einen
phantasievoll gedeckten Tisch. Das Kerzenlicht verwandelte den kleinen Raum
in einen edlen Salon und Luise in eine passable Schönheit.
Heinz nahm ihr das Tablett mit dem Kuchen ab und küsste sie lange und
ausgiebig. Als seine Lippen ihr linkes Ohr erreicht hatten, flüsterte er
zärtlich „mein Lieblingsgebäck“, wobei er offen ließ, ob er Luisa oder die
Rohrnudeln meinte. Noch bevor sie ihn fragen konnte, war er in die Küche
geeilt, um gekühlten Sekt zu holen.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Roswitha Kammerl).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.08.2011.
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