Walter Dierauer

Der Kaput




Vor dem Abstieg stopfe ich Baumwolle und Talg in die blutende Einschusswunde. Dann hänge ich das Gewehr unter und schultere ihn auf. Ein Leichtgewicht. Meine Fäuste umklammern die Läufe. Der Stutzer baumelt. Ich kenne den Weg auch im Dunkeln. Doch an einer steilen Kehre rutsche ich auf Kieseln aus. Beim Sturz rammt sich die Kolbenkante in den Oberschenkel. Der Streckmuskel ist taub. Den Abstieg ins Dorf schaffe ich leidlich.

Früh am Morgen, noch eine Stunde vor Büchsenlicht, zerlege ich ihn auf einem aufgebockten Brett in der Garage. Ich breche die Decke der Länge nach auf, verknote vorschriftsgemäss den Schlund, schärfe Magen und Gescheide heraus, separiere die Leber und die Milz vom Pansen, trenne das Gewebe vom Ziemer, ziehe das Geräusch an der Drossel heraus und lege die Lenden und Keulen frei.

Ich habe den Spiesser mit einem Herzschuss erlegt. Am Rand der Weide über dem Stein hatte ich ihn im Visier. Er schreckte. Wir waren beide überrascht. Schlank und bocksteif stand er nahe vor dem Lauf im Gehölz. Jetzt, nach der Zerlegung, weiss ich’s. Der Schuss war eine Musche. Eine Meuchelmusche zwar. So oder so kein Grund, dass mich Zufriedenheit beschleicht, ich lebe mit Tatbeständen. Die Hand am Abzug zögert nie.

Als im ersten Stockwerk über dem Hofgang das Licht angeht, sehe ich im Blickwinkel die Nachbarin herunteräugen. Das Ausweiden habe ich inzwischen abgeschlossen. Im Schenkelstrecker fängt jetzt der Schmerz zu ziehen an. Geprellt oder verstreckt. Im Rucksack habe ich Murmeltierfett parat. Ich öffne die Gürtelschnalle und reibe unter dem Hosenlatz eine Prise ein. Da tritt aus dem Haus, wahrscheinlich auf den Ruf der Frau, die mich beim Zerlegen erspäht hat, der Nachbar. Er steigt über die knarrende Treppe auf den Boden herunter.

Gerade abgeschossen, sage ich und stramme den Gürtel. Im Feld, lüge ich hinzu. Er fordert keine Erklärung. Das Recht auf Beute steht einem Jäger in der Jagdzeit zu. Im Dorf macht keiner ein Aufheben. Wenn der Schuss in der Nacht fällt, so fällt er. Ich frage nicht, obschon es mich verwundert, dass der Nachbar völlig angekleidet zu einer Zeit aus dem Haus kommt, wo der Bürger für sich ein Recht zu ungestörtem Schlaf in Anspruch nimmt. Er wirkt nicht aufgestört. Meine stille Arbeit gäbe dazu auch keinen Anlass. Bin mir doch im Klaren, selbst wenn er Anlass zu irgendeiner Klage hätte, würde er mich nie zur Rede stellen. Man gerät aneinander, rauft im Dorf, packt aus. Aber man streut, mauschelt und verzeigt sich hinterhältig. Was will er denn?

Hager steht er, mit blankem Hals und fast wie zum Ausgang angezogen, in der Garage. Steht da und betrachtet das sauber präparierte Wildbret mit einem ehrlichen, sachverständigen Blick. Ich habe die Einschussstelle genau geprüft und zeige ihm auf dem Tisch die Beweisstücke für den Herzschuss, das Projektil und das Herz mit der Durchschussstelle. Die Kugel, die ich aus dem Bindegewebe des Schultergelenks seziert habe, hebe ich auf dem linken Handteller ins Licht der schwachen Birne. Ein Martinischuss, sage ich. Meine Stimme tönt dabei weder anbiedernd noch angeberisch. Er lacht und fasst schräg die Flinte ins Auge, welche mit aufgeschraubtem Zielfernrohr an der Tischkante lehnt. Der Scheinwerfer steckt im Rucksack. Da der Vollmond um halbdrei noch über der Bergkante stand, hat die Linse den Bock scharf herangeholt.

Die Leistung imponiert ihm. Ich habe kein Kadaver riskiert, tagelang Verwesungsgestank aus dem Gehölz, wo ein waidwundes Tier sich verkröche. Ich brauche ihn nicht umständlich zu bitten, ob ich das Wild, da ich es in seiner Garage ausgeweidet habe, welche ich für Arbeiten gelegentlich mitbenütze, auch in seiner Obhut zurücklassen dürfe. Jedoch füge ich mit einem Augenzwinkern bei, dass im Dorf nachts so viele Katzen herumstreunten. Ich bin mir seiner Komplizenschaft sicher. Ich werde ihm mehr als das kleine Jagdrecht abtreten, die Milz und einen Schlegel oder eine Viertelseite. Schweigegeld. Aber Leber und Herz gehören mir. Wir sind keine Feinde. Das ist so Brauch.

Er schliesst eigenhändig den Schlauch an den Garagenhahnen. Ich sprühe die Bauchhöhle des Bocks und die Organe ab. Ich würde ihn später zur Reifung abhängen und die Organe in Rotwein einlegen, sage ich. Enthäuten und teilen könne ich ihn dann abends. Was mich jetzt an der Verrichtung verhindere, nämlich dass ich um sieben Uhr im Gemeindeluftschutzkeller anzutreten und noch meine militärische Ausrüstung zu verpacken hätte, scheint ihm die Zustimmung zur Bürgerpflicht zu machen. Er holt aus dem Keller einen Schnaps und wir stossen wortlos auf das getane Weidwerk an. Viva.

Er müsse heute noch Rüben einwintern und Holz spalten, sagt er. Er werde auch ein paar Zainen für mich spalten. Ich hätte ja noch einen Ster letztjähriger Buchenprügel im Hofgang. Schon! Wenn er sich die Achsel auskugeln wolle, antworte ich, die Prügel seien bei der Witterung noch nicht trocken. Ich verabschiede mich. Auf später. Er meint, ich brauche nicht zu pressieren. Das Garagentor bleibe zu, aber die Kellertür offen, damit die Kühle aufsteige. Klar, sage ich im Hinausgehen, er verstehe sich darauf.



Ueberpünktlichkeit ist nicht meine Sache. Die Kasernenhatz, Zugschule dreimal ums Areal, durch die Latten kriechen, Herzflattern, das hat man einmal durchgestanden. Ein gedienter EK-Soldat braucht sich überhaupt nie mehr Zivilist schimpfen zu lassen. Oder vollgeschissener Sack! Von einem gescheiterten Pädagogen lässt man sich nicht mehr zur Sau machen. Die Handgriffe sitzen nun einmal, ob man mit beiden Händen in den Hosensäcken im Dorf herumläuft oder blöd mit beiden Armen baumelnd in den Passgang fällt. Wenn die Fingerspitzen die stramme Hosennaht längst vergessen haben, sitzen die eingeschliffenen Griffe für ewig. Die Prostur ist dann zwar aus der Form geraten. Die Uniform muss sich halt bei der Inspektion der Prostur anpassen, das Umgekehrte kann man nicht mehr verlangen. Aber in den Schlitzen der Brust- und Seitentaschen ist nötigenfalls immer noch Spielraum.

Ich nehme mir die Lizenz. Ich hinke. Unterdrücke den Schmerz. Doch abgesehen davon bin ich eh pünktlich ohne pressieren zu müssen. Man lernt sich’s nicht anmerken zu lassen, wenn’s pressiert. Den Winterabzug herausklinken, Druckpunkt nehmen, verzögern, nicht haudern. Alles schulmässig. Jeder Handgriff braucht seine abgemessene Zeit, beim Schiessen genauso wie beim Packen. Armer Kerl, der Offizier, der sich seinen Rekruten bei der Sturmübung als Zielscheibe stellte. Als Tarnscheibe im Feld! - noch bevor ihnen das Entladen nach dem Scharfschiessen automatisch in die Finger sprang. Herzschuss!

Die betontrockene Luftschutzluft verätzt die Nasenschleimhaut, verhockt in den Kiemen und lagert den Zungenhals herunter einen säuerlichen Geschmack ab. Zum Husten, aber es gibt nichts zu husten. Bloss leer zu schlucken. Ich knie auf Schaumstoff. Hätte Lust, den Kaput in den steifen Leinensack zu wursteln. Aber es fängt erst an. Der Ordnungssinn fängt an zu sortieren. Taschen und Säcke leeren, Auslegeordnung veranstalten. Auf sieben und zurück Sächelchen abzählen: Sackmesser, Leibgurt, Bajonett, Bajonettscheide, Gehörschutzpfropfen, Grabstein, Brotsack, Feldflasche, Waffenrock, Dienst- und Schiessbüchlein. Gewehr- und Mannsputzzeug ausfalten, Bürstchen und Büchschen aufreihen. Den Kaput ausrollen. Die Knarre zerlegen: Verschlussgehäuse, Verschlusskopf, Verschlussstift, Riegel, Lauf, Kolben, Riemen, Schrauben, Schräubchen, die man nur mit den Fingernägeln zu fassen kriegt. Die grosse Zerlegung! Denn der Lauf wird gespiegelt. Animaskopie auf Rost und Risse, Fettschussdeformation. Ich rieche den Fettbrand. Das kleine rote „r“ ist seit jenem verregneten Untertoggenburger Manöver im Dienstbüchlein eingeritzt. Daran hat sich nie etwas geändert. Ich stosse den Lauf mit einem Verbandlappen durch und klemme den Spiegel in die Riegelschiene. Äuge durch den glatten Glanz des Spiraltunnels, visiere auf der Seelenachse direkt den Himmel. Durch die kegelförmige Verengung des Laufzylinders würgt sich die Kugel. Die in den Lauf getriebene Spirale streckt ihre Wucht. In einem Bruchteil der Tausendstelsekunden zwischen Abzug und Einschlag. Ich spiegle. Kleines „r“ wird der Feldwebel sagen. Auch der Major und mal schon der Oberst.

Als ich heute früh aus der Garage trat, strahlte der Morgenstern in der Föhnklarheit über dem Gürgaletsch. Fällt mir ein, während im Luftschutzkeller der Schweiss perlt, wie der Stier die Rekrutengruppe durch Unterholz und Erlen ins Bachtobel herunterschreckte. Sein Schnauben im Finstern, das Stampfen und Astbrechen rundum. Das Feststellen bei der Besammlung unter dem Wiesbord, dass der Korporal beim Drunter und Drüber im Wald verloren gegangen ist. Das Ausschicken des Spähtrupps. Ich als Späher hinter der Feindfront allein, als der Schatten von der Weide her nocheinmal heransprengt und mir zur Rettung nur der Hechtsprung bleibt, der Satz mit vorgehängtem Sturmgewehr zwischen Stacheldrähten durch ins Tobeldunkel, welches mich zum Glück sanft auffängt mit seinem Laubgeruch. Doch dann spüre ich einen Schmerz in der Niere und sehe über der Weide den Stern. Ich hätte die blinde Kuh mit meiner blinden Munition militärisch abschrecken können. Jetzt werde ich immer in meinen Träumen gegen den schattenhaften Feind kämpfen, diesen Ungreifbaren im Dunkeln töten müssen. Nur der Stern bleibt stehen. Und der Schmerz in der Niere. Der Korporal ist später wieder aufgetaucht. Ich unterstelle ihm Feigheit vor dem Feind.

Das Sturmgewehr ist meine persönliche Waffe. Auf seinem Verschlussgehäuse ist eine sechsstellige Nummer aufgeprägt. Früher haben die Jäger mit der Büchse geredet, ihr einen Namen gegeben. Der Wildtöter schlief an der Seite seiner Killdeer. Für mich ist ein Gewehr eine perfekte Mechanik, mehr nicht. Ich setze mein Sturmgewehr wieder zusammen. Ich klinke den Verschlussriegel ein und mache die finale Ladebewegung. Den Kaput knöpfe ich zu. Ich falte ihn sorgfältig, lege einen doppelten Ärmelfalz über die Handkante und rolle ihn vom Kragen her. Dann stopfe ich die Wurst, ich staue die Schlange, das Knie draufgestemmt, in den Rucksack, stramme den Bändel und zurre die Lederlaschen ins sechste Loch. Bei dieser Anstrengung fällt mir jedesmal das staubspröde Bild Laokoons im Zimmer des Lateinlehrers ein, der Muskelkrampf, die schwellenden Adern. Ueber dem Schaumstoff schwankend sacke ich auf, dann nichts als durch die Schleusen hinauf an die frische Luft!

Auf dem Schulhausplatz treten wir unverlesen zur Entlassung an. An der Inspektion gibt es keine Fahnenrede. Keinen Appell an das unbeirrbare Pflichtgefühl. Nur ein paar Hinweise durch den halbzackigen Feldwebel in Zivil a.D.. Zu enge Kleidungsstücke sind mindestens 14 Tage vor dem Einrücken dem nächstgelegenen kantonalen Zeughaus zur Abänderung zuzustellen. Na, schon. Abtreten, ab heim! Exitiation wie ein Fusstritt. Da bleibt mir nur: Sack, Kaput und Waffe im Estrich verstauen und die Attacke der zivilen Depression, die sich auch nach vier Stunden Inspektion unweigerlich einstellt, durchzustehen. Gegen ihre Heimtücke werde ich für das Wochenende das Wildfilet präparieren. Das Fleisch ist jung und zart. Ich werde es sieben Stunden in den Saft legen und den Inferno Riserva dekantieren. Sonst habe ich nichts für Rituale übrig.



Aufgeschulterter Aff und Sturmgewehr wiegen zusammen nicht mehr als der Bock. Eine Geschichte, eine andere, macht mir auf dem Heimweg zu schaffen. Als ich im Luftschutzkeller auf der Kaput-Schlange kniete, brannten die Augen. Der Blick verfing sich auf einen im Filz eingefressenen Fleck. Ein stumpfer Fleck, bleibraun und konturlos, bloss an den Rändern schwärzlich, sass da links vom Ansatz des linken Kragenfalzes im Kriegsgrün. Brenzlig hockte er sich auf dem Heimweg in meinen Gedankenwindungen fest.

Es war eine sternklar eisige Nacht gewesen. In der Kneipe, vor Ende des Ausgangs, schob sie das Bierglas herüber, rückte auf der Bank nahe an mich heran und drohte an meinem Ohr heimlich, sie werde es schaffen, auf das Kasernenareal zu gelangen. Sie wolle mich um zwei, wenn ich mit der Wache an der Reihe sei, auf meinem Posten besuchen. Ich wusste nicht, ob sie einen andern Posten - und womit? - bestochen hatte. Jedenfalls war sie zwischen den scheckig leuchtenden Stämmen der Platanen in der Allee, wo ich mit eingeschlafenen Füssen in den Marschschuhen stand, wie aus dem Nichts plötzlich da. Meine Hände, so empfindungslos wie die Fussballen und Zehen, umklammerten auf der Höhe des Geschlechts den Lauf der Knarre. Ich liess die Waffe einfach in den Kies fallen und wir drückten uns aneinander. Sie knöpfte meinen Kaput auf, zog beide Kragen mit den Erkennungszeichen über ihre schmalen Schultern und schmiegte sich an meinen Bauch. Sie musste frieren, denn sie hatte nur einen kunstledernen Fetzen und einen Seidenschal über der dünnen Bluse. Ich spürte ihre Haut, tastete unter dem Ausschnitt nach ihren putzigen Brüsten. Wir schmusten, eine Viertelstunde, vielleicht auch eine halbe, ich weiss nicht, bis die Stollen der Wachtablösung auf dem Hofpflaster knallten. Da zog sie rasch ihren Lippenstift aus dem Handtäschchen und malte mit Druck ein dunkelrotes Herz auf die Stelle des Kaputs, genau dort wo das Herz ist, das Mannsherz darunter. Dann malte sie mir flink mit zwei Strichen einen dünnen Clark-Gable-Schnauzer über der Oberlippe, küsste mich heiss und verschwand. Liess mich wehrlos stehen.

Der Schnauzer hatte sich mit dem Ärmel nicht wegputzen lassen. Denn im grellen Hoflicht über dem Eingang der Kaserne, wo die abgelöste Gruppe sich nach dem Rundgang zum Rapport besammelte, zeigte mir einer grinsend ins Gesicht. Was für eine Mieze hat Dich da angeschlichen? feixte er. Und mit verstellter Stimme höhnte der Kamerad vom Posten am Hofeingang: Sieh mal! Ein Nachtkätzchen hat an seinen Schuhbändeln herumgenestelt. Ich wollte mir die Ausbreitung dummer Gerüchte im Schlafsaal nicht leisten und putzte den Schnauzer im Waschraum weg. Das Lippenstiftherz hatte ich unter dem locker umgelitzten Kragen verdeckt. Ich hätte es niemals auf dem Stoff stehen lassen können, eh nicht an der Stelle, wo die Kasernennutte es hingemalt hatte, bevor sie mich zum letzten Mal filmheiss küsste. Sie hatte mich zur Maus gemacht. Ich Weiberheld hatte die Knarre losgelassen, einfach so.

Auf das Kompaniegespött und eine Untersuchung wegen Wachtvergehen wollte ich es schon gar nicht ankommen lassen. Das Herz versuchte ich beim JD am nächsten Tag verstohlen wegzukratzen, da war aber Juchtenfett dran. Das Bügeleisen der Mutter tat dann im nächsten Urlaub das Übrige, die Farbe des Flecks war darum so poliert. Sepia hätte der Pommadengeck, das pedantische As von Kunstlehrer am Gymnasium der Kantonshauptstadt gesagt, wo ich ein Jahr vor der Rekrutenschule die sechste Klasse geschmissen hatte, weil ich in Latein nicht bestand. In Wahrheit war mir an diesem alten Sandsteinkasten die Lust zu bestehen ausgetrieben worden. Auf dem Kasernenplatz wollte ich aber bestehen, weitermachen. Darauf war ich scharf.



Im Hof, bei der Knebelbeige, steht eine Zaine frisch gespaltener Scheiter. Dahinter ist der neue Coupé 111 parkiert, mein silbergrauer Renner. Nachmittags werde ich den Wagen waschen und mit dem Hirschleder sorgfältig polieren. Eine Garage wie der Nachbar habe ich nicht. Brauche ich auch keine. Ich hätte jedenfalls etwas Schnittigeres hineinzustellen, statt Stapel durchgewetzter Reifen und zerkrachter Vazerzainen. Aber ich werde gelegentlich das Vordach an der Bruchsteinmauer ausbauen und das Treppengeschoss fürs Holz räumen. Die beiden Oldtimer, den aufgerüsteten Chevrolet 1962 und den Pontiac Automatic, habe ich zu einem luxuriösen Preis verkauft. Den Silbergrauen konnte ich mir dafür kreditlos leisten.

Ich gehe in die Garage. Zum Abhängen brauche ich Hilfe. Der Nachbar bringt seine hohe Bockleiter. Als wir den Bock an den Läufen aufschnüren, sagt er: Du hast ja einen Spiesser getroffen. Wenn du deinen Ehering an die Sprosse hängst, rutscht er bis zur Rose runter. Also wäre er auch auf der ordentlichen Jagd nicht einmal jagdbar gewesen. Doppelt strafbar.

Er tönt nicht witzig, darum sage ich: Ordentlich oder unordentlich kommt doch aufs Gleiche heraus.
Da er ziemlich sauer schweigt, frage ich direkt: Du willst doch nicht nur die Milz, oder?

Als der Bock hängt, reichen die Spiesse gerade bis zur zweituntersten Leitersprosse. Das Tier ist schmal, sagt er, ich will die Hälfte oder gar nichts.

Du kannst ja den ganzen Bock haben, antworte ich, er hängt schliesslich in deiner Garage. Ich wildere nicht, weil ich es nötig habe.

Der Schuss sitzt, er schweigt. Ich benütze die Verlegenheit: Du hast doch nicht etwa Schiss. Oder hast du gehört, dass der Wildhüter Wind davon bekommen hat? Hat deine Frau ausgestreut?

Nichts da, die ist nicht schwatzhaft. Der Bock ist sicher, fasst er sich. Aber Halb-Halb sind klare Verhältnisse. Du hast ihn abgeschossen, bei mir hängt er. Wir hängen beide, wenn es auffliegt.

Ja, sage ich, und hängt dann auch der Ehesegen schief?

Bei dir vielleicht, deine darf ja nicht einmal wissen, dass Du das Fleisch gewildert hast.

Das kannst du meine Sache sein lassen, gebe ich zurück. Dass du im Süsswinkel über den Zaun grast, reibst du deiner auch nicht hinter die Ohren.



Als ich auf den Hof hinaustrete, hat die Bise einen durchsichtigen Schneeschleier auf den Staub geworfen. Aber die Sonne dringt schon fast wieder durch und die Karosserie leuchtet.

Ich klappe die Türe hoch und lasse mich in die tiefgelagerte Sitzschale fallen. Dann lasse ich den Sechszylinder-Motor einmal aufröhren, dass der Lärm, von den Bruchsteinmauern zurückschlagend, die schläfrige Stille des Hofs zerreisst. Aus dem Tiefsitz komme ich schier nicht mehr hoch, der Strecker spukt. Der Schmerz fährt wie ein Stromstoss zum Fuss.

Ich lebe zwar als Eingeheirateter in ererbten Verhältnissen im Dorfkern, bin aber als Zuzüger nicht mit den Altsässen verrammelt. Bin kein Hofgasser und Stammweibler, hole noch anderswo Wind, streife auf fremden Wechseln. Am Sonntag werde ich auf eine Spritzfahrt den Pass hinaufwetzen. Die Höhe! Schon eingeschneit. Sehen, wie er sie nimmt. Im Hospiz stosse ich mit italienischen Jägern an. Dort oben treffen sich auch die Grenzer, die Zigarettenschmuggler und die Devisenschieber beim Sforzato. Sie sprechen Ladin. Jägerlatein! Das Wort kommt von ihren Geschichten, bin ich mir sicher.

Doch ich will nicht vergessen, den Efeukranz mit den vier Kerzen im Kofferraum zu verladen. Daneben den Stutzer. Den Feuerlöscher muss ich noch montieren. Den Kranz werde ich im Friedhof unter der Wasserscheide auf dem Grab meiner Eltern deponieren. Am Dorf fahre ich vorbei, war eh nie mehr dort. Die Mutter, heute ist ihr Todestag, wird sich freuen. Sie war eine Italienische. Sie sagte nicht wie andere, wenn die Frauen stimmen könnten, komme die Politik dümmer. Sie sagte bloss nicht schlauer. Jung hat sie in der Kantine gedient, der Vater war Sprengmeister im Druckstollen. Er ging auf die Hochjagd, sie in die Messe, zündete jeden Tag eine Kerze an. Sie hat ihn überlebt. Der Vater war sternhagelvoll, als er im Dorf in die Grube stolperte und starb. Die Geschichte erzähle ich niemandem. Vor dem Friedhof werde ich am Sonntag also kurz parkieren. Dann hinauf auf die Passhöhe. Nichts wie los!





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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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