Kai Restlaune

Gestatten, Elwin - Frau Bundeskanzels Katze



 
Das Erste, woran ich mich erinnern konnte, war weiss.
 
Fast alles um mich herum war weiss, die kleine Box, das Kissen, die Kiste zur Verrichtung der Notdurft und die zwei Schalen, die mit meinem Futter, Wasser und manchmal Milch gefuellt wurden.
 
Die einzigen Lebewesen, die mit mir zu tun hatten, waren Menschen mit weissen Kitteln und Hemden, die mich auf- und hochzogen. Meine Mutter hatte ich nicht kennengelernt – oder ich kann mich einfach nicht an ihre Erscheinung erinnern.
 
Aber ich wuesste nicht einmal, welche Farbe ihr Fell gehabt haben sollte.
 
Das war naemlich schon der deutlichste Kontrast in meinem jungen Leben und der Beweis, dass auch andere Schattierungen neben weiss existierten: mein Fell war pur und ausnahmslos pechschwarz. Und falls die eine Schuessel mit Wasser gefuellt war, spiegelten sich zwei gruene Augen wieder.
 
Ganz nach meinem Geschmack. Ich fand mich sehr huebsch.
 

 
Mein Name ist Elwin. Ich bin eine Katze, durch und durch schwarz, und Sie brauchen nicht zu erwaehnen, dass Katzen nicht sprechen koennen: sie koennen es auch nicht. Es stimmt, Katzen koennen im Allgemeinen nicht mit Menschen kommunizieren. Bis auf ganz wenige Ausnahmen.
 
Nehmen Sie mich: die Crème de la Crème, das Topmodell, eine high-end-cat, wie immer sie mich bezeichnen wollen. Ich bin uebrigens in mehreren Sprachen ausgebildet worden.
 
Natuerlich haben mir Menschen alles beigebracht, was ich weiss. Es muss ein sehr selektives Testsortiment gewesen sein. In meinem ganzen Leben hatte ich keinen bewussten Kontakt mit anderen Modellen meiner Art, aber ich hatte sie gehoert, stunden- und tagelang, und ich schnupperte ihren Duft, der selten, vertraut und anziehend zugleich war, als die langen und schwierigen Auswahlvefahren liefen, um die richtige, die beste, die einzige Katze zu finden. Voila. C’est moi.
 
Ein kleines Pelzknaeuel war ich, als viele Tests in besagten weissen Boxen an mir probiert wurden. Ich fand keine der Aufgaben besonders schwer. Mich im Spiegel wiederzuerkennen, was fuer eine Aufgabe! Laecherlich, unter den Kunstfellmaeusen diejenige Farbe wiederzuerkennen, wo der Leckerbissen zuvor versteckt war. Eine Tuer mit Klinke zu oeffnen. Schon kniffliger, mit einem Stock ein drehbares Rohr so zu bearbeiten, dass die Belohnung rausfiel.
 
Gesehen hatte ich sie nicht, die vielen anderen Katzen, aber meine feinen Ohren hatten vernehmen koennen, wie sie an Aufgaben scheiterten, wie sie weggebracht und Neue herbei geschafft wurden. Mit der Zeit schienen sich immer mehr der Menschen in Hemd oder Kittel fuer mich zu interessieren, zunehmend tauchten sie in Gruppen auf, es kamen die ersten in dunklen Anzuegen.
 
Dann wurden keine Pruefungen mehr durchgefuehrt, ich wurde getrimmt und trainiert, ich wurde unterrichtet und spezialisiert. War ich am Anfang noch eine unter sehr vielen, so waren die Menschen jetzt sehr freundlich und sprachen nur Gutes ueber mich, ich konnte sie ja verstehen. Irgendwann wurde eine kleine Operation
 
durchgefuehrt, 2 Tage hat es weh getan da unten, seitdem bin ich kein richtiger Kater mehr. Nachdem mich die Menschen aber ohnehin immer als Katze sahen und bezeichneten, uebernam ich den Begriff einfach. Der Unterschied zwischen mir und meinen normalen Artgenossen war mir wohl bewusst. Ich kannte ja auch keinen anderen meiner Art, hatte auch wenig Interesse an diesen offensichtlich zumeist einfach strukurierten, wenn nicht gar etwas duemmlichen Pelztieren und konzentrierte mich auf meine Beziehungen zu den herrschenden Wesen, den Menschen. Nicht, dass ich mich selbst als einer sah, aber deren Niveau und Intelligenz passten eben mehr zu einem Top-Modell wie mir. Elwin ist uebrigens nur einer der Namen, auf die ich hoeren musste. Bei den Tests nannten sie mich noch K 8012, woraus ich rueckschloss, dass ungefaehr 10000 meiner Art getestet wurden, um mich herauszufiltern. Sehen Sie mich bitte nicht als arrogant, aber dieses Wissen gab mir ein gewisses Selbstverstaendnis und ein Bewusstsein um das Aussergewoehnliche an mir, spaetestens als die vielen Menschen mich nicht mehr K 8012, sondern Elwin nannten und sehr bemueht um mein Wohlergehen waren.
 
Ach ja, ich bin Ihnen noch die Institution schuldig, in der ich aufwuchs: der Bundesaufklaerungsdienst in Braunach, auch bekannt als BAD. Ich bin sozusagen eine Agentenkatze, aber das klingt mir zu anonym und verschroben, deswegen sehe ich fuer mich eher die Bezeichnung Katze fuer besondere Aufgaben angebracht, das klingt stilvoller.
 
Ich empfand es nie als Nachteil, zu verstehen, aber nicht sprechen zu koennen. Die Menschen hatten ihre Methoden, zu erkennen, dass ich so gut wie alles verstand, auch technische Termini waren kein Problem fuer mich. Und ich hatte meine Methoden, ihnen meinen Standpunkt darzulegen. Diese Methoden musste ich allerdings im Falle von Desinteresse meinerseits staendig verfeinern: mich dumm zu stellen reicht nicht aus, da durchschauten mich die clevereren unter meinen Menschen schnell.
 
Dass ich zu hoeheren Aufgaben geboren war als alle anderen Katzen, ja, als alle anderen Tiere ueberhaupt, war mir mit der Zeit bewusst geworden. Ich sollte mit wichtigen Menschen in hoechsten Kreisen verkehren, wichtiger und hoeher als die Menschen, mit denen ich zunaechst zu tun hatte.
 
Leicht war der Weg keineswegs, abgesehen von den Intelligenztests, die waren insgesamt ein Klacks. Schlimm waren die vielen Blutabnahmen und diese Psycho-Belastungstests, stundenlang im Kaefig ohne Licht eingesperrt zu sein. Ich wusste, ich durfte nicht durchdrehen und gross Krach machen, das wurde mir ja vorher gesagt. Schoen ist trotzdem anders. Schoen war auch nicht der zweite kleine Eingriff, als mir hinter meinem rechten Ohr etwas unter meinen Pelz eingepflanzt wurde. Auch das tat weh, ich konnte diesen Buckel bei der Fellpflege regelmaessig spueren.
 
Man hatte mir mittlerweile den Namen “Elmer” verpasst, K 8012 war auf die Dauer wohl zu sperrig und anstrengend. Doch viel Zeit, mich an meinen neuen Namen zu gewoehnen, blieb mir nicht.
 
Irgendetwas hoechst Spannendes musste bevorstehen, vom Benehmen meiner mich umgebenden Menschen her zu schliessen. Es tauchten noch mehr Leute in immer dunkleren Anzuegen auf, musterten und bedauerten mich. Ich muesste von Braunach in Richtung Hauptstadt umziehen. Noch sagte mir das wenig. Ich hoffte nur, mich gelegentlich auch mal ausserhalb von Gemaeuern aufhalten zu duerfen, das war mir bis auf ganz wenige Gartenaufenthalte unter Aufsicht beim BAD versagt gewesen.
 
Die kommende Reise war dann doch etwas besonderes: nicht im abgedunkelten Kaefig, sondern mit freier Sicht aus dem Auto heraus ging es stundenlang ueber Strassen. Nun erst wurde mir bewusst, wie gross die Welt um mich herum war. Es wurden dann mit einem Mal immer mehr Haeuser und riesige Gebaeude mit gigantischen Plaetzen davor, in einem durften wir nach einem Check in die Tiefgarage.
 
Das Gebaeude, durch das ich -welch unwuerdige Situation- im Kaefig getragen wurde, hatte ueberdimensioniert grosse Zimmer. Um so kleiner war dann der Raum, in dem ich endlich aus meinem nicht mehr ganz so sauberen Zwinger raus durfte. Fuer mich eine Qual, denn ich halte mich fuer eine ganz besonders reinliche Katze, die mit ihren Ausscheidungen nicht in unmittelbarer Naehe leben moechte.
 
Lauter neue Leute erschienen, die alten, auch die vertrauten, verschwanden ploetzlich und fuer immer.
 
Noch schien der Hoehepunkt meiner Reise bevorzustehen, vom nervoesen Benehmen der Menschen um mich herum zu schliessen. Endlich ging es in Begleitung zweier dieser Gestalten ueber mehrere Stockwerke in repraesentable Gemaecher, wo am Ende eines Schreibtisches eine Frau stand und mit einem Mitarbeiter in ein Gespraech verwickelt war. Bei meinem Anblick setzte sich die Dame und ich wurde ihr auf den Arm gesetzt. Das war also die Frau Bundeskanzel, von der mir meine Braunacher nicht genug erzaehlen konnten. Nicht alle dieser Geschichten waren netten Inhalts.
 
Ich wurde ihr mit meinem Namen vorgestellt, also Elmer, nicht K 8012, aber irgendwie ging der exakte Wortlaut unter und als die alten und vertrauten Maenner verschwunden waren, die mich hergebracht hatten, wurde ich von meiner neuen Umgebung “Elwin” tituliert. Dieser Name blieb mir dann. Kein schlechter Tausch, wie ich fand. Mal sehen, auf welche Namen die Menschen im Lauf der Zeit hier noch so kommen wuerden.
 
Ich musterte die Dame, die jetzt fuer meine Versorgung zustaendig schien. Von ihrem fingerfertigen Gekraule her wusste sie, mit Katzen umzugehen. Aber bevor ich noch mein bestes Schnurren starten konnte, legte mich Frau Bundeskanzel ab und widmete sich ihren Amtsgeschaeften. Ganz klar, diese Dame war wichtig, wahrscheinlich die Chefin in diesem ganzen grossen Gebaeude.
 
Einer der Lakaien wies mich in die Wasser/Fressen/Katzenklo-Spezialitaeten des Hauses ein. Ich war einmal mehr meiner raschen Auffassungsgabe halber ziemlich gelobt worden, fuer Banalitaeten, wie mir schien.
 
Meine neue Heimat schien in staendiger Aufruhr zu sein, ein Kommen und Gehen von Menschenmengen. Keine drei Tage spaeter wurde ich eingepackt und war mit einer Delegation unterwegs, nur sehr kurz, eher in die unmittelbare Umgebung.
 
Meine Menschen hatten begriffen, dass ich es vorzog, rechtzeitig informiert zu werden ueber eventuell notwendige Veraenderungen, also hatten Sie mir von dem anstehenden Besuch eines Monsieur Sarcasti Bescheid gegeben. Wieder wurde bei jeder Gelegenheit betont, wie wichtig meine Kooperation waere, ja, dass der Erfolg des Treffens und meine ganze Ausbildung von meinem wohlwollenden Verhalten abhinge. Das interpretierte ich wiederum als typische Uebertreibungen der Menschenrasse; wie koennte sich eine Katze schon gross falsch verhalten? Klar, man hatte viel Zeit darauf verwendet, mir diese unappetitliche Franzosenzunge beizubringen, die im Hinblick auf den anstehenden Besuch so eminent wichtig waere. Hatte man schon in Pullach nicht nur nett ueber Frau Bundeskanzel geplaudert (gegen die ich zunaechst nichts einzuwenden hatte, was fuer ein Kraulen…), so war Sarcasti offenbar ein rotes Tuch fuer meine BAD-Agenten. Wie oft er unsere Nation ueber den Tisch gezogen haette, es fielen Stichworte, die mir noch wenig sagten, wie Satellitensysteme, europaeische Flugzeugproduktion oder Zusammenlegung von irgendwelchen Pharmagiganten. Egal, worum es da im Einzelnen ging, jedenfalls war Sarcasti einer der weniger beliebten Figuren meiner ehemaligen Ausbilder.
 
Das Treffen fand exakt in dem Raum statt, wo ich Frau Bundeskanzel zum ersten Mal getroffen hatte. Mehrere Grueppchen bevoelkerten das Zimmer, je nach Wichtigkeit in ihrem Abstand von Frau Bundeskanzel und Sarcasti aufgereiht, die sich gerade erst getroffen hatten mussten; wie beste Freunde hielten sie sich noch im Arm.
 
Ich wurde Sarcasti von Frau Bundeskanzel vorgestellt und mein Lakai drueckte mich direkt in Sarcastis Arme. Er wirkte nicht furchteinfloessend, im Gegenteil, eher ein kleineres Exemplar seiner Rasse mit vielen freundlichen Falten und einer lauten Stimme. Er warf mich dann einer grossen Dame an die Brust, Carola, die sehr begeistert von mir schien und hektisch zu sreicheln und in Franzenzunge auf mich einzuschnattern begann. Sie schien nicht zu wissen, dass mir ihre Sprache gelaeufig war, denn in dem uebertrieben freundlichen Tonfall mischten sich einige versteckte derbe Schimpfworte. Gehoerte das zum Repertoire von Franzenkosenamen? Oder vertraute Madame Carola nur darauf, das sie hier sowieso niemand ausser dem Uebersetzer verstehen wuerde? Vielleicht hiess sie auch deshalb Sarcasti.
 
Auch ihr Streicheln konnte sich nicht mit dem fingerfertigen Knstwerk von Frau Bundeskanzel messen; um so mehr erstarrte ich, als ebenjene Frau Bundeskanzel mich zum Staatsgeschenk erklaerte und nich offiziell an Familie Sarcasti uebergab.
 
Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Ich meine, was gibt diesen Menschen das Recht, mich nach Belieben hin- und herzuverschieben wie eine ungeliebte Wohnzimmervase?
 
Zugegeben, ich hatte meinen letzten, sehr vorteilhaften Umzug sehr begruesst: es standen mir weitlaeufige Areale, ein ausgesucht und mehr als ausreichend bestueckter Kuehlschrank sowie viele wohlwollende Lakaien zur Verfuegung, daran hatte ich mich schnell gewoehnen koennen. Und ich war schliesslich und endlich eine hochspeziell ausgebildete Auftragskatze mit einer Mission, wie auch immer die aussah.
 
Mit Sarcasti musste meine Mission etwas zu tun haben, dem Benehmen meiner BAD-Agenten nach zu schliessen.
 
Aber gerade nur drei Tage war ich in meinem neuen Paradies, das haette ich schon gerne noch etwas verlaengert. Also musste ich in die Offensive gehen. Auf die feine Katzenart, Kratzen, Beissen oder Auf-dem-Teppich-Haeufchen-Machen waeren absolut indiskutables Niveau.
 
Nein, ich huepfte Monsieur Sarcasti auf den Schoss, der inzwischen an einem Tisch mit Frau Bundeskanzel Platz genommen hatte. Ein allgemeines Aufraunen des Entzueckens ging durch den Saal: Wie schnell ich doch Gefallen an meinem neuen Herrchen gefunden haette und wie schlau ich doch waere… Der uebliche hinlose Kuschelkatzenkram halt. Auch Sarcasti strahlte und fing an, mich zu kraulen, exzellente Technik uebrigens, ich waere schon fast eingeknickt und haette mitgespielt… Aber mein Stolz war dann doch zu stark: Ich schloss meine Augen, schnurrte auf franzenzuengisch und hielt den fingerfertigen Bewegungen meines Moechtegern-Herrchens abwechselnd meinen Hals hin, meinen Kopf, mein rechtes Ohr und dahinter…
 
Sarcasti stutzte, als er den Gnubbel hinter meinem Ohr entdeckte. Er untersuchte ihn mit zwei Fingern, was kurz ziemlich weh tat, aber er schien schnell zu begreifen und reagierte: Er winkte einen seiner Sicherheitsbeamten zu sich heran, drueckte mich -wie erwartet- in dessen Haende und schon ging es ab in Richtung seiner Gemaecher, nicht ohne zumunternde Rufe der versammelten Gesellschaft in meine Richtung. Wir betraten einen Raum, der nur mit Franzenmaennern bestueckt war, die sich schnell und kurz Worte an den Kopf warfen, die meine Kenntnisse der Franzenzunge schlicht ueberforderten. Einer holte ein schwarzes Geraet, einem sehr kleinen Tennisschlaeger nicht unaehnlich, aus einem Koffer, aktivierte es und begann, meinen Koerper systematisch abzutasten. Als dieses Instrument in Hoehe meines rechten Ohres einen Fiepton von sich gab und die Agenten den Gnubbel abtasten konnten, erweiterte sich mein Repertoire franzoesischer Schimpfwoerter um einige heftige Exemplare: Die Franzenmaenner sparten nicht an Kraftausdruecken fuer Frau Bundeskanzel und ihr gesamtes Team im Allgemeinen sowie extra fuer einige spezielle Exemplare im Besonderen.
 
Es wurden weitere Franzenmaenner hinzugezogen, die nach Ruecksprache mit ihren Handys recht schnell einen Beschluss fassten. Ich wurde auf dem Arm meines Traegers zurueck zur Feiergesellschaft in den Saal transportiert. Wieder stand ich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, als einer der Franzenmaenner in perfektem Deutsch verkuendete, dass Monsieur Sarcastis Leibarzt sich aus der Heimat gemeldet und dringend drauf aufmerksam gemacht haette, dass Seine Exzellenz doch bitte nicht ausser Acht lassen duerfte, dass er an einer Katzenallergie litt.
 
So wurde ich unter grossem Bedauern aller Beteiligter, insbesondere von Carola Sarcasti, die die neuesten Einzelheiten meiner Untersuchung nicht mitbekommen hatte und furchtbar unter dieser neuen Entwicklung zu leiden schien, meiner urspruenglichen Chefin Frau Bundeskanzel wieder in den Schoss gedrueckt.
 
Hier sass ich nun, an meinem Ziel, aber es wurde mir nicht mit einer ausgiebigen Kraulstunde gedankt. Frau Bundeskanzel wirkte sehr verbissen und verkrampft, wies mir aus protokollarischen Gruenden noch einige Streicheleinheiten zu, bevor sie mich dann, offenkundig sehr unter Dampf stehend, unter dem Tisch auf den Boden entliess - besser hinschmiss.
 
Das Treffen der Delegationen dauerte nicht mehr lange, alle Franzenzungen verliessen geschlossen das Gebaeude. Eigentlich sollte ich nun meinen Triumph auskosten, vor dem vereinten diplomatischen Corps und der versammelten Presse war ich ja zum offiziellen und bleibenden Haustier von Frau Bundeskanzel erklaert worden, aber der Preis war ein hoher.
 
Kaum war der innere Zirkel dieses hohen Hauses unter sich, explodierte Frau Bundeskanzel, sie hatte Reste vom Champagner an ihren Mundwinkeln, oder war es doch Schaum? Jedenfalls war es ein guter Tag zur Erweiterung meines Schimpfwoertervokabulars; wenn ich es richtig im Kopf habe, kamen “Dilettanten”, “Dumpfbacken”, “Brezelkoepfe” (fuer die Braunacher?) und “Vollkretins” hinzu. Bei letzterem wusste ich nicht, ob ich es in meine deutsche oder franzoesische Schimpfwoerterdatenbank einordnen durfte.
 
Nein, Frau Bundeskanzel war ueberhaupt nicht gluecklich mit der Arbeit ihrer Mitarbeiter und sie machte auch keine Moerdergrube aus ihrem Herzen. Es wurden noch extra zwei urspruenglich nicht geladene Minister herbeizitiert, die sich zusammen mit drei vorhandenen Mitarbeitern einer ziemlichen Abreibung unterziehen mussten. Mit mir schien die Tirade seltsamerweise wenig zu tun zu haben, obwohl ich es war, der diese internationale Verwicklung ausgeloest hatte, aber das schienen die Menschen zum Glueck nicht zu durchschauen, zumindest nicht die hier. In Braunach sassen schon einige Zweifuessler, denen ich nichts vormachen konnte. Die kannten mein wahres Potential und durchschauten meine Tricks und Finten, waren aber nunmal weit weg.
 
Also genoss ich die Schimpfkanonaden der obersten Frau Bundeskanzel in ihrem Sitzungszimmer abgedaempft auf einem Seidenkissen in der Kueche mit Pate du Canard. Dieses Stueck Entenleberpastete stammte -darauf moechte ich unbedingt hinweisen- nicht als Rest von einem der Gaesteteller, sondern wurde hier und heute abend extra fuer mich aufgemacht. Mit halbgeschlossenen Augen genoss ich dieses kulinarische Kleinkunstwerk und unbeabsichtigt entfuhr mir zum Abschluss dieses aus meiner Sicht gelungenen Tages ein langes Schnurren.
 
Ein bisschen musste ich dann doch die naechsten Tage unter der angespannten Atmosphaere leiden - wobei “leiden” uebertrieben waere, zumal ich dieses Wort auch nicht zu den fuer mich vorgesehenen zaehlen wuerde. Jemand wie ich war nicht zum Leiden geboren.
 
Frau Bundekanzel war von Arbeit ueberladen und immer noch maechtig verstimmt, weswegen ich ihr zwar nicht aus dem Weg ging, aber doch etwas mehr Abstand als ueblich hielt, um die Emotionen abkuehlen zu lassen. Aus dem Augenwinkel heraus behielten wir uns gegenseitig unter Kontrolle; blitzte es gefaehrlich bei Frau Bundeskanzel, war ich schon aus dem Zimmer und beschaeftigte meine Lakaien, ohne sie unnoetig zu provozieren und einen womoeglich anhaltenden Wutausbruch mit dem Ziel meiner Person hervorzurufen.
 
Den von mir gewuenschten Nebeneffekt der Entfernung des Gnubbels hinter dem rechten Ohr konnte ich mit meiner Aktion uebrigens nicht bezwecken. Kein Mensch schien sich darum zu scheren. Schlimm war das nicht, tat der Gnubbel doch schon lange nicht mehr weh und eine erneute Operation war mir auch nicht gerade recht.
 

 
Zu dem Zeitpunkt hatte ich ja noch nicht ahnen koennen, dass Frau Bundeskanzel sehr selten ausser Fassung geriet oder laut wurde, dieser sollte auch fuer lange Zeit ihr letzter Ausbruch sein.
 
Es trafen andere Besuche ein, an die ich mich alle erinnern kann: Von der Freude seines Empfangs von Seiten Frau Bundeskanzels her zu schliessen, musste Ministerpraesident Junger ein sehr grosses Land befehligen, “Dschankie” nannte ihn Frau Bundeskanzel und “Ober- Europaer”, was immer sie damit gemeint haben wollte. Ein Disput ueber “Europa” und den “Euro” entwickelte sich zwischen den beiden, wobei Frau Bundeskanzel eine skeptische Position vertrat, sie forderte “Flexibilitaet” bei der EU-Zugehoerigkeit verschiedener Laender.
 
Ich verstand nicht alles , wovon die beiden da so engagiert palaverten, und dieses Nicht-Verstehen aergerte mich sehr. Ich hatte den Anspruch, als kluegstes Element meiner Saeugetierklasse den Durchblick in allen Sachfragen der naechsthoeheren Saeugetierklasse (es nutzt ja nicht, das nicht anzuerkennen, auch wenn es mir nicht past) anzustreben. Ungluecklicherweise hatten meine Ausbilder wenig Zeit in politisches Briefing mit mir investiert. Klar, sie benoetigten ein blitzgescheites, auf einen Auftrag focussiertes Instrument und keinen Tausendsassa mit Allgemeinbildung, der womoeglich Hintergruende erfasst, die seinem Zweck nicht entsprechen und seinen Einsatz gefaehrden. Kurz, man kann auch ueberqualifiziert fuer einen solchen wie meinen “Katzenjob” sein.
 
Also lag es an mir, mein Wissen um Zusammenhaenge zu erweitern; dafuer schien mir diese Umgebung, speziell das Buero der Frau Bundeskanzel, sehr geeignet zu sein.
 
Ich schien die richtige Mischung aus gewollter Praesenz und unauffaelligem Versteckt-aber-doch-dabeisein geradezu zu perfektionieren. 5 – 10 Minuten pro Tag belohnte ich Frau Bundeskanzels gedankenverlorenes Streicheln ueber ihren Diktaten mit Schnurren meinerseits, was meine Existenzberechtigung festigte (sie hatte die Affaere um Sarcastis zurueckgewiesenes Geschenk gluecklicherweise nicht auf meine Person bezogen).
 
Leider bin ich womoeglich ein guter Menschenversteher, aber weniger ein Menschenkenner: bei Junger hatte ich mich gruendlich verschaetzt. Ich liess mich waehrend seines regen Gedankenaustausches mit Frau Bundeskanzel nur kurz vor dem Schreibtisch blicken, da brach der Obereuropaeer mit angstgeweiteten Augen hinter seiner extrem wackeligen Brille in ein entsetzliches Gezeter aus. In einem kaum verstaendlichen Mischmasch aus Deutsch und Franzenzuengisch sprang er auf, gerade, dass er nicht auf den Tisch huepfte. Wuerden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen erzaehlte, wie der Herr Junger in Panik auf mich zeigte und stotternd lamentierte?
 
Frau Bundeskanzel und die herbeigeeilten Sicherheitskraefte wechselten ihre verstaendnis- und ratlosen Blicke zwischen mir und dem offensichtlichen Katzenphobiker hin und her; schliesslich beruhigte sich Junger und damit die Lage, als einer der Waechter mich entschlossen auf den Arm nahm und zu einem aus meiner Sicht wohlverdientem Leckerbissen als Entschaedigung fuer erlittene Unbill in die Kueche entfernte. Ich haette die Situation auch durch ein dezentes Entfernen meiner Wenigkeit entschaerfen koennen, aber die Psyche von Katzen im allgemeinen und mein besonders ausgepraegter Stolz im speziellen Fall lassen solche zweideutig auszulegende Rueckzuege nicht zu, also musste dieser Konflikt zwangslaeufig ausgetragen werden. Ich sah mich nicht als Verlierer und auch keiner der restlichen Anwesenden interpretierte mein vordergruendig passives Verhalten als eine Niederlage.
 
Da mochte sich der ehrenwerte Herr Obereuropaeer Junger noch so sehr auf ein in seiner Kindheit erlittenes Seelentrauma mit einer schwarzen Karze berufen, sein Nervenkostuem liess ihn doch aus meiner bescheidenen Warte als eher fuer ein Staatsoberhaupt eines kleineren Landes in Frage kommen, wenn nicht gar des kleinsten.
 
Dabei war mir Junger eigentlich gar nicht unsympathisch. Natuerlich lieben wir Katzen es wie jedes andere Lebewesen auch, wenn man sich Ihnen unterordnet - und nichts anderes hatte Junger mit seiner unterwuerfigen Geste getan. Was sollte sich also eine hochausgebildete Katze wie ich mir mehr wuenschen, als dass sich moeglichst viele Staatsoberhaeupter sich ihren Zwecken unterordneten? Da taten sich Optionen am Horizont auf, die unbedingt einen Platz in meiner Zukunft finden sollten.
 
Ich verstand rasch, dass Frau Bundeskanzel in den Wochen, in denen sie ihre Gemaecher meiner Obhut ueberliess, Gegenbesuche nicht nur in der Welt der Regierungschefs, sondern auch der restlichen Politik oder Hochfinanz abarbeitete. Meines Naturells halber war ich ihr auch nicht im entferntesten boese, dass sie mich voruebergehend verliess oder dass sie nicht daran dachte, mich etwa zu fragen, ob ich mitzukommen wuensche. Ich hatte vollstes Verstaendnis dafuer, dass ein solcher Palast wie der Frau Bundeskanzels -und es ist ein Palast, ohne wenn und aber- staendiger Aufsicht bedurfte. Dieser mir ohne grossen Worte uebertragenen Buerde kam ich mit Gewissenhaftigkeit nach, indem ich genaueste Rundgaenge durch den gesamten Komplex zu meiner Gewohnheit machte.
 
Wenn ich mich in einem der Spiegel so beobachte, muss ich gestehen, da sind einige Zuege an mir, die auch in groesseren Lebewesen wie eben Herrn Junger doch ein leichtes Schaudern hervorrufen koennten. Ich uebte diese Geste mit gesenktem Kopf, aufgestellten Nackenhaaren und halbgeoeffnetem Maul so bis zur Perfektionierung, dass die duemmeren unter den Abgestellten lachten und Scherze ueber meinen vermeintlichen Angriff auf mein Spiegelbild machten. Diesen Halbgebildeten den Unterschied zwischen einer Droh- und einer Imponierhaltung zu erklaeren, waere vergebens; deshalb durften sie auch solche untergeordneten Taetigkeiten ausueben wie mein Klo reinigen.
 
Genau mit diesem Imponiergehabe war ich Herrn Junger entgegengetreten –zum Ausprobieren. Dass ich so einschlagen wuerde, hatte ich doch erhofft, aber es braucht dazu eben auch eine entsprechend empfaengliche Charakterstruktur wie die von “Dschankie”.
 
Junger blieb auch der einzige Katzenphobiker, den ich auf dem falschen Fuss erwischte, aber ich probierte meine Theatralik auch nicht mehr so oft aus – mit unscheinbarem Dabeisein erreichte und erfuhr man mehr. Viel mehr.
 
Schade eigentlich, die Buckelhaltung loeste selbst bei mir im Spiegel einen wohlig-angenehmen Schauer aus.
 

 

 
Ein anderes Kaliber als Junger war Mr Meredith, dessen stark osteuropaeischer Zungenschlag ein ansonsten umfassendes englisches Vokabular deutlich einfaerbte, fuer mich aber besser verstaendlich blieb als die meisten Original-Amerikaner und –Briten.
 
Staatsgaeste aus dem Osten teilten sich neben ihrem Akzent etliche Besonderheiten: so verzogen sie keine Miene, wenn beim Empfangsbuffet Alkoholika aller Art gereicht wurden und griffen zum Orangensaft. Kaum aber war der Uhrzeiger jenseits der 6 Uhr-Nachmittagsmarke, brachen alle Daemme und die harten Sachen kamen zum Zuge – in Unmengen. Dann konnte es auch mal froehlich warden und man hatte das dringende Beduerfnis, Spaesse zu machen, auf wessen Kosten auch immer, und die Suche nach Opfern konnte beginnen.
 
Meredith hatte mich schon nach dem ersten Glas Wodka erspaeht und gleich zum Mittelpunkt der Unterhaltung in der hochkaraetigen Runde erkoren:
 
“What a lovely cute little animal!” deutete er auf mich, mit etwas zu lauter Stimme.
 
Die versammelten Gaeste nickten beifaellig mit ihren Koepfen und murmelten zustimmende Worte.
 
“I love cats indeed, I used to have a whole collection back home in Leningrad in the old days.”
 
Nun mussten die Anwesenden natuerlich nachfragen, speziell unser Aussenminister Wolfener, Meredith ein Katzenfan? Doch eher sibirische Woelfe oder Kamtschatkabaeren, aber Kuscheltiere passten schon rein optisch nicht zu dem kantigen Russenfuersten: “How comes you are in favor of kitties, Mr President?”
 
Meredith antwortete mit seinem breitesten Kremlgrinsen: “Cats have always been my favorites. They are excellent for Rheumatism and cold. If you have no use for this little fella here give it to me, I will make it the highlight of my private exhibition.”
 
Mir schwante Uebles, aehnlich ging es meinen deutschen Schutzherren. Gesundheitsminister Riesling war es, der eher vorsichtige und umgaengliche Typ, der als erster einen kleinen Verteidigungswall zu meinen Gunsten errichtete: “You would not intend to skin our darling Elwin, Your Excellency?”
 
Sowohl Rieslings verspanntes Grimassieren als auch Merediths eindeutige kleine Handbewegung zur Kehle machten die letzten Zweifel an den Absichten des Grossfuersten zunichte: “I will honour its kind by displaying it right over my datscha’s chimney!”
 
Ob ausgestopft oder als Fellpraeparat, dieser Mensch ging zu weit mit seinen Ideen, sollten sie auch nur scherzhaft gemeint sein. Zuzutrauen waere ihm weniger, mich neben ausgestopften Elchen und praeparierten Baerenkoepfen zu haengen, aber auch als Rheumafell wollte ich mich nicht allzu gerne auf einem Couchtischchen wiederfinden, umgeben von geleerten Kaviardosen und Wodkaflaschen.
 
Schlimmer noch, die Gesichter der Regierungsauswahl um mich liess durchaus Zweifel an den moeglichen Reaktionen zu – wie erstarrt wirkten Wolfener, Riesling und Schaffan. Meine Frau Bundeskanzel hatte sich geschickt aus der Affaere gezogen: unauffaellig war sie zu ihrem Schreibtisch am Ende des Saales gegangen und kramte moeglichst unbeteiligt wirkend in irgendwelchen garantiert belanglosen und unwichtigen Akten – und liess mein Schicksal in den Haenden ihrer hilflos wirkenden zweiten Garde, die nach wie vor mit der Situation ueberfordert schien und mein Schicksal im Zweifelsfall dem hohen Gast ueberlassen haette.
 
Mit einem droehnenden Lachen loeste Meredith die gespannte Atmosphaere: “Just kidding, Gentlemen, I never kill cats!” Schnell trat er einen Schritt auf mich zu und richtete seinen Zeigefinger drohend auf mich: “At the first encounter!”
 
Dann drehte er sich um, gab Riesling, einen Kopf kleiner, einen maechtigen jovialen Klaps auf den Ruecken und droehnte weiter, bis das Widerhallen der sich entfernenden Gesellschaft in den weiten Fluren verstummte.
 
Es ist nicht meine Aufgabe, von Menschen Psychogramme zu erstellen. Aber Meredith gehoerte mit seiner zur Schau gestellten reinen Angeberei verstaendlicherweise nicht zu meinen Lieblingen, Spass hin oder her.
 
Auslaendische Staatsgaeste zeigten sich unregelmaessig, das taegliche Besucherspektrum bestand aus Fraktionsvorsitzenden, Ausschuessen und Kabinettsmitgliedern. Ich hatte nichts gegen das niedere Personal; im Gegenteil, auch so ein geistig anspruchsvolles Tier wie ich war an den simplen Genuessen des Lebens und Leckerbissen, die ja fast nur vom Personal und nicht von der Prominenz zu erwarteb waren, sehr interessiert. Aber sie gehoerten wie die Bediensteten zu den Selbstverstaendlichkeiten des Palastes. Man kam also mit den einfachen Menschen gut aus, war sich aber seiner besonderen Position zu jedem Zeitpunkt bewusst und wahrte stets eine gewisse Distanz. Nur wenn ich mich ganz sicher von hoehergestellten Leuten unbeobachtet wusste, genehmigte ich dem Reinigungs- und Kuechenpersonal, mich auch mal zu streicheln und ueber diesen Weg des Kontakts zum ranghoechsten Tier der Republik der Macht im Lande so nahe zu kommen wie nur irgendwie moeglich.
 

 
So blieb mir nicht viel zu wuenschen uebrig; was die Kater-Katze-Geschichten betraf, wusste ich zwar Bescheid, aber dank der kleinen Operation fehlte mir jedes Beduerfnis. Ausserdem gab es (wie schon erwaehnt) keine anderen Exemplare meiner Gattung in der Umgebung. Falls doch welche auftauchen sollten - ich haette mein Revier schon verteidigt, intellektuell wie physisch. Aber ohne den Kontakt zu simianischen Wesen ausprobiert zu haben, verstand ich unter “meinesgleichen” eher die Kabinettsangehoerigen, die oft anwesend, wenn sie auch ohne Hausrecht mir doch nicht ganz gleichgestellt, aber im Grossen und Ganzen doch um ein neutrales bis gutes Verhaeltnis zu mir bemueht waren.
 
Imponierend, wie ein kleines Persoenchen wie Arbeitsministerin von Liebem in energischem Stechschritt jeden Auftritt zu einer kleinen Tempoeroberung verwandelte. Keine Geste durfte vergeudet, keine Sekunde verschwendet werden. Der reinen Neugierde halber sprang ich ihr waehrend einer der ruhigeren Kabinettssitzungen auf den Schoss. Mich kaum wahrnehmend, blieb von Liebem hoch konzentriert und wies mir mechanische und wenig einfuehlsame buerstende Streichelbewegungen zu. Interessant, aber roboterhaft und empathielos. Meinte Von Liebem etwa, ich waere mangels Stellung und Einfluss nicht etwas mehr Engagement wuerdig?
 
So viel Ignoranz musste mit einer kleinen Strafe begegnet werden. Ohne Anlass sprang ich mit einem meiner besseren, sehr schrillem Kreischen und hochgestelltem Fell senkrecht von Von Liebem hoch, um dann quer ueber den Kabinettstisch zu stuermen und mit einem weiteren entsetzlichen Miauen um die Ecke zu entschwinden. Hier stoppte ich ausser Sichtweite und lauschte neugierig der kommenden Dinge:
 
Da ein solch hysterisches Verhalten meinerseits allen Anwesenden unbekannt war, richteten sich vorwurfsvolle Augenpaare auf die arme Ministerin, die nur voellig perplex mit den Schultern zuckte und nur entschuldigende Bewegung hervorbrachte, ohne ein Wort aeussern zu koennen. Frau Bundeskanzel liess ihre Mundwinkel kurz missbilligend zucken, um dann nach einem weiteren Blick auf die arme Ressortchefin zur Tagesordnung zurueckzukehren.
 
Hatte sich von Liebem den sie von nun an begleitenden Ruf einer Tierquaelerin verdient? Aus meiner Warte ja - etwas mehr Respekt mir gegenueber und sie haette sich die demuetigende Szene sparen koennen.
 
Aber ich bin ja nicht nachtragend. Wenn die richtige Zeit dafuer gekommen ist, werde ich von Liebem wieder eine Chance geben, sich zu rehabilitieren und sich einen besseren Ruf im Umgang mit Tieren zu verdienen.
 

 
Wo es der einen Ministerin an hoeflicher Aufmerksamkeit und Zuwendung mangelte, schien die andere ein ueberschiessendes Mass zu besitzen:
 
“Ja, wo ist er den, ja komm doch her, so ein suesser grosser Schmusekater…”
 
Klingt das nicht einfach unerhoert peinlich?
 
“Her zu mir, komm zu Tante Kerstin, Schwarzpelzchen!”
 
Familienministerin Schreier war wieder im Haus, die Alleinbeauftragte fuer Mensch-Tier-Beziehungen und professionelle Katzenfluesterin hatte mich im Sitzungssaal entdeckt, leider noch deutlich vor Beginn der Ausschussitzung. Das bedeutete, sie hatte noch jede Menge Zeit, die sie mir, mir allein widmen wollte.
 
Ach, wie freute ich mich.
 
Nachdem ich nur unter Androhung besonderer Folter bereit bin, meinen Platz zu raeumen und die Flucht zu ergreifen, musste ich notgedrungen die ueberbordenden Liebkosungen der sich im hormonellen Ausnahmezustand befindlichen Jungministerin ueber mich ergehen lassen.
 
Rein streicheltechnisch war sie eine der besten, aber dieses Gelaber!
 
“Hat mein grosser Schatz mich sehr vermisst? Hab ich meinen Elwin drei Tage nicht sehen koennen. Ach, ich war ja ganz auf Entzug. Das muss ich jetzt alles in 15 Minuten nachholen!”
 
Es soll bei Flusspferden einen aktiven Schliessmechanismus geben, mit dem sie beim Tauchgang willentlich ihre Ohren verschliessen koennen. Katzenohren sind leider dazu verdammt, alle Toene, auch die Leisesten mit detaillierter Praezision wahrzunehmen. Und ich verspreche Ihnen, nach 2 Minuten Schreier-Zudroehnung wuerden auch sie, ob mit offenen oder verschlossenen Ohren, fuenf Meter tief in den Sambesi zu einer aggressiven Flusspferdherde springen, um dem akustischen Tsunami zu entkommen.
 
“Hast Du Muttis Haeuschen auch schoen maeusefrei gehalten? Oder sehe ich da hinten wieder 2 freche Ratten, die Du uebersehen hast?” Schreier blinzelte durch ihre Haarstraehnen hindurch in Richtung Flur; da sie sich verspannte, war ich einen Moment lang im unklaren, ob es sich um einen misslungenen Scherz oder um eine echte Nagetierpest handelte und drehte meinen Kopf in die gleiche Richtung.
 
Klar, da waren keine Ratten. Nur zwei weitere Ministerinnen, die sich auf den Weg zu unserem Tisch befanden, die Umweltministerin Ignazius und Bildungsministerin Schaffan. Ein angenehmer Nebeneffekt der zwei Neuankoemmlinge war, dass meine aktuelle Ministerin fuer Pelzkraulangelegenheiten, Frau Schreier, mit einem Schlag recht einsilbig wurde, mich rein kommunikativ links liegen liess, aber mit ihren Streichelkuensten kaum vom gewohnt hohen Niveau abfiel.
 
Richtig schade, dass sich die Sitzplaetze am Tisch mit den gewichtigen Personen fuellten und Frau Bundeskanzel mit zwei Assistenten mit ihrem Eintritt die Arbeit beginnen liess.
 
Ich machte mich von Schreier’s Schoss und strich zwischen den Stuhlbeinen umher.
 
Kann man aus der Beinhaltung Rueckschluesse auf die Geisteshaltung der Beinbesitzer schliessen? Die Haelfte der Maenner hatte ihre dunkelgrau behosten unteren Extremitaeten weit auseinander, flaezte also ungesehen herum. Die andere Haelfte sowie saemtliche Damen hatten Ihre Gliedmassen brav beisammen, als ob jederzeit aus irgendeinem Winkel eine versteckte Kamera auf sie gerichtet sein koennte.
 
Sprach ich gerade von einer Kamera? Da war doch tatsaechlich eine Hand mit einer winzigen roten Kamera unter dem Tisch. Auf wen war sie gerichtet?
 
Ich schlich von Stuhlbein zu Stuhlbein, die Kamera schien mir zu folgen! Welche Anarcho-Seele wagte es, im bestueberwachten Gebaeude des Landes bei einer geschlossenen Sitzung des illustresten Kreises versteckte Aufnahmen zu machen? Mit mir als Hauptdarsteller?
 
Ich ging lansam direkt auf die Linse zu, die unveraendert blieb. Kein Blinken, kein Ton, aber nachdem sie mich im Fokus behielt, war sie wohl aktiv und zeichnete mich auf.
 
Ein Mann hatte sie in seiner linken Hand, dessen Identitaet herauszufinden eine nicht allzu schwere Aufgabe fuer mich sein sollte. Vom zitronig-sportlichen Aromas des After-shaves und der ebenfalls sehr nachlaessigen Beinhaltung her koennte es sich um eigentlich nur um Buehr handeln, den jungen Gesundheitsminister. Tatsaechlich schien er mit dem rechten Arm seine heimliche Kamerafuehrung vor seiner Nachbarin abzudecken, waehrend er gelegentlich ueber den Monitor meine Position verfolgte.
 
Eigentlich sollte der Mann bei dem aktuellen Diskussionsthema “Stratifizierung gesetzlicher Kassenleistungen” hellwach dabei sein, da es um ein Kernthema seiner Zustaendigkeit ging. Spannend war dieser Tagesordnungspunkt genausowenig wie die anderen; Buehr hoffte –wie bei Themen mit europaweiter Problematik ueblich- auf die Benennung eines Ausschusses auf nationaler Ebene ohne Beteiligung seiner Person. Er wuerde, falls Frau Bundeskanzel ihn bei der Listenerstellung scharf anschauen sollte, grosszuegig einen seiner Staatssekretaere opfern. Sachbearbeitung war nun mal deren Job.
 
Und Buehrs Aufmerksamkeit galt fast ungeteilt meiner Wenigkeit, wie ich feststellen konnte, als ich mich in Richtung Frau Bundeskanzel am oberen Tischende bewegte. Ohne Verzoegerung folgte mir die Linse, gesteuert ueber den Kameramonitor bei unsichtbarem Ministerkopf. Eigentlich war das der Gipfel der Frechheit, was erlaubte sich der Bengel unter den Augen Frau Bundeskanzels? Fehlte nur noch, dass dieses Video bei youtube auftauchte, womoeglich noch mit Namensbezeichnung und Zugehoerigkeit der Beinpaare – und natuerlich von mir, dem Hauptdarsteller dieses fragwuerdigen Streifens.
 
Mir gefiel diese respektlose Haltung von Buehr, ganz abgesehen davon, dass es in der Natur unserer eitlen Gattung zu liegen scheint, gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, und sei es nur eine kleine, wacklige Kamera unter einem Sitzungstisch.
 
Buehr verbrachte vielleicht zehn Minuten der Besprechung mit meiner Filmerei, dann wurde die Kamera unauffaellig in die Tasche gesteckt und die Aufmerksamkeit wieder auf Frau Bundeskanzel und ihre Moderation gerichtet.
 
Als sich nach vielleicht neunzig Minuten alles erhob und zur verdienten Pause den verschiedenen Kantinen zustrebte, taenzelte ich auf Buehr zu, der mich mit einem verschmitzten Laecheln empfing: “Na, Killer, heute schon einen Oskar kassiert? Praechtige Bewegungen, elwin, fuerchte nur, dass Dein Kameramann das movie etwas verwackelt hat. Bin schon gespannt, wie Du Dich auf dem Laptop machst.”
 
So verbringt also der Kopf eines 1200- Mitarbeiter-Ministeriums die geballte Wichtigkeit seines Amts und seiner Zeit mit Aufnahmen von mir, dem eigentlichen Star des Frau-Bundeskanzel-Hauptquartiers. Koennen Sie sich vorstellen, dass es einem da schwer fallen kann, nicht abzuheben? Nicht alleine ich wusste um meine Begabung auf geistigem und intellektuellem Gebiet, ich hatte auch genug Anhaenger unter Deutschlands hoechsten Persoenlichkeiten, die Ihre Aufmerksamkeit mir nicht umsonst widmeten.
 
Schade eigentlich, das seine Platzierung bei youtube nicht moeglich war; ich haette sicher den einen oder anderen click abgeraeumt.
 

 
Ich war im ganzen grossen Bundeskanzelamt nicht nur die einzige Katze, sondern das einzige regulaere Tier ueberhaupt. Ausser mir als staendigem Bewohner gab es nur bei gegebenen Anlaessen ein paar Schaeferhunde vom Bundesgrenzschutz, die als Sprengstoffschnueffler ausgebildet reine Zweckmaschinen waren und sich auch genauso benahmen. Aesthetetisch wie intelligenzmaessig als auch emotional gaben sie wenig her, weswegen die staendig hechelnden Ungetueme auch nie von der kurzen Leine gelassen wurden und mit haengender Zunge und wildem Blick Spalier stehen mussten, wenn wir hoeher zivilisierten Wesen unseren Geschaeften nachgingen und die wenig erbauliche Bagage passierten. Unglaublich, dass manche Menschen diese fruehhistorischen Unterschichtsmonster uns Katzen vorzogen – sogar die duemmsten unserer Gattung mussten jedem derartigen Klaeffer haushoch ueberlegen sein.
 
Ich machte mir einen Spass daraus, mit den ein- oder ausfallenden Menschengruppen moeglichst nah und aufreizend an den Staffelfuehrern vorbeizustolzieren. Sie duerften nicht lange rumraetseln, um sich denken zu koennen, dass es fast jedesmal eine heillose Aufregung gab, wenn die enthirnten Urviecher klaeffend in ihrem Halfter hingen, nur um ihre Hilflosigkeit voellig auskosten zu koennen, wenn die peinlich beruehrten Hundehalter sie zunaechst nur kurz am Hals rissen, um dann, nachdem die jeweilige Delegation vorbeidefiliert war und sich entfernt hatte, eine ordentliche Strafe folgen zu lassen, inclusive einiger Frustpruegel.
 
Sichtbar fuer die winselnden Koeter blieb ich jedesmal stehen und betrachtete die wunderbare Demuetigung dieser seltsamen und ziemlich ueberfluessigen Rasse. Ich muss nicht hinzufuegen, dass die Dummheit der Schnueffelhunde wirklich unerschoepflich schien; einige Exemplare lernten auch beim zweitem, dritten oder x-ten Besuch nicht dazu und liessen sich immer wieder von mir zum gleichen unwuerdigen Spektakel provozieren.
 
Wenige, vor allem aeltere Schaeferhunde taten so, als wuerden sie mich ignorieren, ohne dass sie darum viel cleverer als die jaemmerlichen Nur-Klaeffer zu sein; an ihrem wild funkelnden, hervortretenden Glubschern konnte man sie erkennen, die praehistorischen Instinktviecher, bar jeder Selbstreflexion.
 
Selbstredend ging ich bei meinen Provokationen kein unnoetiges Risiko ein: auch wenn es manchmal nur zwei Meter waren, die mich von der Hundestaffel trennten und sich theoretisch auch einmal einer losreissen koennen – wir blieben doch immer noch durch die beste aller menschlichen Erfindungen (nach dem Kuehlschrank) voneinander getrennt: den Maulkorb.
 

 
Die andere Tierart, die gelegentlich meine Einzigartigkeit im Bundeskanzelamt erweiterte, bestand aus den gefiederten Artgenossen. Nicht, dass sie an meine Intelligenz auch nur annaehernd herankaemen, aber ihr Selbstverstaendnis war zumindest auf einem anderen Niveau als das der Halsbandklaeffer. Schon ihre Gefiederpflege hatte ein zumindest aeusserlich aehnlich kultiviertes Auftreten wie bei mir mit meinem Hochglanzfell zum Ergebnis. Hunde dagegen mit ihrem stumpfen, stinkenden Haarbesatz, man moechte ja kaum von einem Fell sprechen… Haben Sie schon mal einen Hund getroffen, der nicht stinkt?
 
Zwar hatten die Tauben, Sperlinge und die vereinzelten Moewen nicht viel anderes im Sinn als Fressen und Abhauen, aber zumindest einmal brachten sie mich in Verlegenheit (was auch sehr selbstbewusste Menschen nur selten fertigbrachten). Es war in einer der von aussen nicht einsehbaren Terrassen, die an eine Kantine angeschlossen war, wo sich nach einer Referatssitzung eine lockere Gruppe aus Ministerialraeten und Staatssekretaeren in der Mittagssonne zusammengefunden hatte. Die froehliche Runde hatte spontan einige Tische zusammengeschoben und sprach nun den -dank Bezuschussung sehr guenstigen- Hopfengetraenken zu. Dabei wurden sie von gefiederten Gesellen umgeben, die sich um den gelegentlich zugeworfenen Happen stritten: Tauben, Spatzen und eine verirrte Amsel.
 
Ich kann es ja zugeben: fuer solche Bettelaktionen war ich viel zu stolz, mit Bettelblick um die Stuhlreihen zu schleichen und Wurstreste zu erhaschen, das war nichts fuer ein Tier von Format und Klasse. Andererseits konnte ich gut philosophieren, hatte ich doch soeben eine uebergrosse Portion Thunfisch mit Dorschleber aus der Kueche erhalten und lag am aufgeheizten Betonsockel mit geschlossenen Augen und genoss die im dealwinkel einfallenden Strahlen. Fuer mich eine momentan perfekte Mischung, in der alles passte: Temperatur, Magenfuellung, Windstaerke (ganz leicht) und Geraeuschkulisse (gedaempft und von gelegentlich bruellendem Gelaechter der immer heiter werdenden Runde unterbrochen). Bei solchen Gelegenheiten muss ich spontanes Schnurren zu vermeiden versuchen, das mich in meiner Wohligkeit ueberkommt.
 
Und Sie werden mich nicht ernsthaft fragen wollen, ob mir beim Anblick der Voegel nicht so etwas wie ein Restbestand an Jagdtrieb ausbrechen wollte! Diese Neigungen ueberlassen wir mal schoen den niederen Tieren, die sich definitionsgemaess auf einem unteren Level der Natur befinden und keinen Zugang zu einem Kuehlschrank mit erlesenen Nahrungsmittelsortiment haben.
 
Da kein perfekter Zustand von Dauer ist, schreckte mich irgendwann ein erneuter, sehr lauter Heiterkeitsausbruch aus meinem Halbschlaf hoch. Gerade den Sicherheitsdienstechef, einen Herrn Kalt, hatte es kalt erwischt. Er musste zur Runde gestossen sein, als ich schon eingedoest war: nun stand er da und versuchte etwas wegzuwischen, was auf dem Schulterteil seines Jacketts war. Den feixenden Kommentaren seiner mitfuehlenden Nachbarn war zu entnehmen, dass sich eine der Moewen zielgerecht erleichtert haben musste, die sich inzwischen auch eingefunden hatten und ueber den Koepfen der Runde kreisten. Ihre Praesenz hatte die restliche locale Vogelwelt zur benachbarten Cafeterrasse getrieben, wo die Ausbeute zwar nicht so hoch war, aber eben die physische Naehe der Moewen auch nicht so bedrohlich.
 
Die Moewen waren ganz fanatisch hinter den Brezen her, die ein grosser Sponsor mittlerweile in einem grossen Korb auf den Tisch hatte stellen lassen; die hoeheren Beamten hatten ihren Spass mit den frechen Voegeln. Leiden durfte aber besagter Herr Kalt: nicht nur seine Schulter, auch sein Ruecken und sein Toupet waren Empfaenger erfolgreicher Moewenattacken. Dass er der einzig be- und getroffene der bierseligen Gesellschaft war, erhoehte den Spassfaktor der anderen nicht unwesentlich; ueber den derberen Witzen wurde die Laune des gutmuetigen, aber auch bulligen und aufgrund seines Amtes mit nicht allzuviel Nachsicht gesegneten Kalt allmaehlich schlechter. Der sich aufstauenden Aggression musste ein Ventil geschaffen warden: Kalt suchte die Terrasse nach einem Objekt zur potentiellen Ablenkung von seinem persoenlichen Desaster ab und sein Blick traf auf mich.
 
“Elwin,” schrie der Geheimdienstchef, “wie lange willst du noch pennen. Schaedlingsbekaempfung gehoert zu deinem ureigenstem Aufgabengebiet!”
 
“Nun lass man, Guenni,” grinste sein Nachbar, “dat is ‘n jehobenes Tier, der kommt hier gleich nach Mutti! Da haste nischt zu melden!”
 
Kalt liess nicht locker. Ich war seine Chance, die Blamage abzuwaelzen: “Jefreiter Elwin, ick ernenne ihnen zum Moewenbeauftragten. Ick jebe ihnen…” er schaute nicht mehr ganz nuechtern, dafuer etwas wackelnd, aber demonstrativ dramatisch auf seine Armbanduhr, “vierminutendreissig zur Behebung des Moewenunwesens in dieser strategisch wichtijen federverseuchten Anlage!”.
 
Fuer einen Zugereisten und seinen Promillestatus karikierte Kalt den hiesigen Zungenschlag exzellent.
 
Ich zuckte mit keiner Wimper und blinzelte unschuldig in die Sonne.
 
“Jefreiter Elwin, sollte ihrem Verhalten willentliche Insubordination (fehlerfrei artikuliert, Respekt!) zugrunde liegen, wuerde dies 2 tage Latrinenputzen fuer die gesamte Kompanie sowie Stiefelentzug fuer zwei Wochen zur Folge haben!”
 
“Guenni, dat is auch nich der jestiefelte Kater!” johlte einer der gegenuebersitzenden Herrschaften.
 
“Jenau, wenn hier einer was zu sagen hat, dann Elwin. Der ist schliesslich ein Kaderkater!”
 
In der wiederum aufkommenden allgemeinen Freude nahm “Guenni” wieder Platz und bestellte sich noch ein Malzgetraenk. Die Stimmung war trotz Moewenartillerie bestens, ich war ausserhalb der Schusslinie und trollte mich angesichts der untergehenden Sonne zufrieden und langsam in Richtung Kuechengemaecher, rein der Kontrollpflicht folgend, versteht sich.
 

 
Was die Themen der Sitzungen anging, hatte ich durchaus meine Interessen und Vorlieben. Internationale Affaeren, Wirtschaftsthemen, Infrastruktur sowie Wissenschaft/Technik fand ich interessant, soziale Themen oedeten mich im Normalfall an.
 
Seltsam, bei der Sozialgesetzgebung Faelle aufgetischt zu bekommen, in denen Katzen oefter eine Rolle spielten, als man das in einer menschzentrierten Gesellschaft vermuten sollte. Fuer mich war die Realitaet mein Palast mit seinen tausenden, oft interessanten Besuchern pro Jahr. Am unteren Ende der Menschenskala sahen die Verhaeltnisse anders aus, wie einige Referenten eindruecklich schilderten. Unter den Menschen am Rand der Gesellschaft mussten sich besonders viele Katzenliebhaber aufhalten, was mein Empfinden stoerte: Wieso sollten einfache oder gescheiterte Menschen eine selbstbewusste und unabhaengige Art wie Katzen vorziehen?
 
Warum Verlierer im Alltag Hunde schaetzten, lag auf der Hand: Auch wenn Dich sonst niemand leiden kann oder Deine Arbeit schaetzt, ein Hund, der ja schon per definitionem ein treudoofes Tier ist, wird dich immer lieben und schwanzwedelnd an der Haustuer empfangen, wenn du sein Frauchen oder Herrchen bist, auch als verlaustestes oder versoffenstes Mitglied der Menschenrasse. Die strunzdummen Klaeffer sind bar jedes Urteilsvermoegens, weswegen sie auch einfach abzurichten und zu konditionieren sind. Also schafft sich der unterdurchschnittliche Herr Niemand einen Hund an, wenn auch er von irgendjemanden bewundert und als Chef akzeptiert warden will.
 
Katzen –und ich spreche ausdruecklich fuer meine unterprivilegierten und minderbegabten Artgenossen – sind da ein ganz anderes Kaliber. Hier wird kein Mensch bewundert. Menschen sollten sich gluecklich schaetzen, wenn sie von uns ueberhaupt registriert werden.
 
Weshalb gab es dann diese ueberproportional vorkommenden Geschichten von ueberforderten und bemitleidenswerten Menschen oder ganzen Familien, die in verwahrlosten Wohnungen an der Seite von mehreren, manchmal dutzenden Katzen dahinvegetierten? Wobei die Katzen meist wohlgenaehrt zu sein schienen, wohingegen es bei ihren menschlichen Mitbewohnern genuegend Faelle von Unter- und Fehlernaehrung gab?
 
Nun, ich fuehre diese Entwicklung darauf zurueck, dass die durchschnittliche Katze dem 50%-Menschen ueberlegen ist – und falls nicht, dann ist sie dank der evolutionaeren Weichen auf dem Weg zur Superioritaet. Der Schwachpunkt der Menschen sind die schwachen Menschen – und genau an diesem Punkt setzt unsere Ueberlebensstrategie an. Wie Bakterien, die auf eine Schwaeche im Immunsystem treffen.
 
Katzen sind nun mal sehr clever, von Ausnahmeexemplaren wie mir mal ueberhaupt abgesehen.
 
Oder haben Sie schon mal von einer verhungerten Katze gehoert?
 

 
Ein anderes Sitzungsthema, bei dem mir der Kopf nicht nach zehn Minuten zu schwer wurde, waren die Regierungseingaben zur Tierversuchsgesetzgebung. Man koennte denken, dass solche Streitthemen kuehl und sachlich in Kabinettskreisen ausgearbeitet und erst spaeter im Bundestag kontrovers ausdiskutiert und angegriffen wuerden, aber die Fetzen flogen bereits hier in der Koalition! Meine Position muss ich hier wohl nicht gross erlaeutern – wie krank musste ein Wissenschaftler sein, um Katzen quaelen und opfern zu wollen? Die ethische Grenze war fuer mich abgesteckt: ich wuerde nicht erneut den Verdacht erwecken wollen, dass ich etwas gegen Hunde haette, nein, im Gegenteil, die Klaeffer sind durchaus nuetzliche Zeitgenossen. Zum Beispiel zur Testung der Medikamentesicherheit bei einem Krebsmittel. Oder bei Lidschatten oder bei Nagellack…
 
Es ist schade, dass Hunde zu Versuchszwecken leiden muessen, manchmal stunden-, ja tage- oder wochenlang, aber die Zivilisation muss eben ihre Opfer bringen, da stehen wir hoeheren Vertebraten alle in der Verantwortung.
 
Es kann ja auch Ruhm fuer die Klaefferbande bringen, siehe Laika, die erste Huendin und das erste “hoehere” Lebewesen im All, also wirklich, Respekt und Hut ab, ihr Hunde, ihr seid wirklich richtig nuetzliche Tiere und eure Existenz ist berechtigt.
 
Und damit ihr alle miteinander zu Hoeherem bestimmt werdet und eure Energie zielgerichtet auf Wesentliches gebuendelt wird, schlage ich eine allgemeine Maulkorb-, Leinen- und Tierversuchspflicht fuer euch jaemmerliche Klaeffer vor.
 
Leider war meine Zeit noch nicht gekommen, in der ich als Vorsitzender eines Ausschusses meine gewichtige Meinung den Entscheidern vorkauen sollte, also blieb mir vorerst nur die Rolle als stiller Beobachter, wie sich gerade bei diesem Thema quer durch die Fraktionen erbitterte Grabenkaempfe entwickelten.
 
Menschen sollten zum Thema Tierversuche eine andere Perspektive haben, wuerde man meinen; was kaempften auf dem einen Ende der Fronten Ministerin Latrouche-Sarnitza aus dem Justizressort zusammen mit ihrer Kollegin Schreier aus der Abteilung Familie und Senioren fuer die Respektierung saemtlicher Saeugetierformen, sprich, fuer ein sehr restriktives Tierversuchsgesetz gegen die Streitmacht fuer eine sehr liberale, pharma- und kosmetikindustriefreundliche Auslegung. Hier taten sich der Innenminister Freimann, sein Verkehrsressortkollege Rennsemmel sowie Bildungsministerin Schaffan hervor, die mit ihrem leidenschaftlichen Eintreten fuer die Ausnahmestellung des Menschen zumindest in diesem Moment keine Sympathiepunkte bei mir landen konnten.
 
Immerhin trauten sich bei diesen vertraulichen Sitzungen die Entscheidungstraeger aus der Deckung. Der normale, erfolgsorientierte Politiker verfolgt in der Oeffentlichkeit sein Ziel, es moeglichst vielen potentiellen Waehlern recht zu machen und so wenig Gegenwind als noetig aufzubauen. Alles andere waere nicht karrierefreundlich.
 
In den geheim gehaltenen Kabinettsrunden wurden aber schon mal aggressive (fuer mich dann sehr unterhaltsame) Meinungen ausgetauscht, die dann auch eher persoenlich als sachbezogen wirken konnten.
 
Alles nur Show und hinterher ging man dann noch ein Bierchen trinken? Keine Spur, hier gab es tiefere Graeben als im benachbarten Bundestag, wie ich heraushoerte. Die Vetreter anderer Parteien wuerden sich dort erst recht Redeschlachten liefern, aber nicht an die Gurgel gehen. Hier in der Kabinettsfamilie herrschte untereinander eine feindseligere Atmosphaere, weniger Schauspiel fuer die Berichterstatter und Medien als Abstecken eigener Claims um die Machttoepfe.
 
Nie laut wurden unter anderem Riesling und Buehr. Die beiden schienen sich auch sonst gut zu verstehen, wobei Riesling der immer freundliche und gut gelaunte Typ war, Buehr der hintergruendig-anarchische Systemverweigerer. Na gut, letzteres war uebertrieben, auch wenn Buehr gern das Image eines nicht angepassten Ueberzeugungstaeters haette, war und blieb er doch letztendlich auch nur ein Berufspolitiker, der wie jede andere Bachforelle auf ihrem Weg nach oben ackern und kaempfen musste, zwangslaeufig aber immer auf der Suche nach dem geringsten Widerstand blieb.
 
Ein Privatleben gab es in dem Riesengebaeude nicht. Fuer Frau Bundeskanzel war zwar eine Wohnung im obersten Stockwerk vorhanden, aber sogar hier gab es zwei grosse Zimmer, die fuer Treffen aller Art reserviert blieben. Der Privatanteil war vernachlaessigbar klein, die Kueche und Baeder nur zweckmaessig, nicht repraesentativ.
 
Das Personal hier oben schien nicht zu wissen, dass ich ueberall Zutritt hatte; die beiden Damen, die sich hauptsaechlich um die Bewirtschaftung von Frau Bundeskanzels Refugium kuemmerten, verweigerten mir regelmaessig den Zutritt, wenn es einmal eins der seltenen Treffen hier oben gab. Sonst durfte ich ueberall hin, auch in die Computerraeume oder in den speziellen Sicherheitstrakt, der fuer Krisenzeiten in staendiger Einsatzbereitschaft gehalten wurde.
 
Es war mir nicht recht, dass mir die Privatraeume verwehrt blieben. Nicht, dass sie besonders interessant oder geheimnisvoll waeren; sie waren im Gegenteil besonders nuechtern gehalten worden. Interessanter, aber ganz vom republikanischen Gedanken durchseelter Aspekt, wenn man die Ausmasse des Palastes und seinen Zweck als auf eine Person zugeschnittenes Bundeskanzelamt betrachtet. Das eine Mal, als ich es unter den strengen Augen einer der zu spaet reagierenden Haushaelterinnen in die persoenlichen Gemaecher hineinschaffte, war ich eher enttaeuscht von der pflegeleichten Sachlichkeit.
 
Trotzdem betrachtete ich mich in gewisser Weise als Hausherrin, der jede gewuenschte Inspektion zugestanden werden musste; also lag ein offensichtlicher Mangel in der Kommunikation der Angestellten in Bezug auf meine Person vor.
 
Nachts schlief Frau Bundeskanzel auswaerts. Trotzdem hatte ich den Palast nie fuer mich allein: mindestens 8 Sicherheitsleute bewachten das Herzstueck der Republik rund um die Uhr. Da sie innerhalb eines nicht allzu grossen Teams von vielleicht 35 Mann rotierten, lernte ich die Truppe auf meinen naechtlichen Streifzuegen gut kennen.
 
Sie waren fuer mich schon deswegen was besonderes, weil meine ganze Wahrnehmung nachts anders ist als tagsueber. Ob es nur mir so geht oder dies allgemein fuer alle Katzen gilt, vermag ich nicht zu beurteilen. Tagsuber herrschte 16 Stunden lang - vom Anruecken des Funktionspersonals bis zum letzten Staubsaugerstoss der Putzkolonne - ein hoher Hintergrund-Geraeuschpegel. Auch fuer ein geuebtes Ohr sehr muehsam, da die interessanten und wichtigen Toene herauszufiltern.
 
Nachts aber waren meine Lauscher in einem ganz anderen Aggregatzustand: ich war selbst davon genervt, wie sich die Ohren automatisch spitzen und auf ein Knacksen am Ende des Flurs ausrichteten und parallel Adrenalin in meiner Blutbahn freigesetzt wurde, um mich auf eine Stressituation vorzubereiten, die mein ausser Konkurrenz fortgeschrittenes und hoch ueberlegenes Hirn schon laengst als ein Sicherungsknacken identifiziert und abgetan hatte. So kaempften eben manchmal Koerper gegen Geist in einer, meiner Person. Vor allem nachts.
 
Die Sicherheitscrew hatte einen wirklich langweiligen Job - auch wenn mal eine Frau Bundeskanzelrunde noch spaet in die Nacht debattierte, war doch nie was los, von den gelegentlichen Stromausfaellen abgesehen.
 
Die allerdings konnten es in sich haben. Eine Zeitlang funktionierte nicht einmal der Einsatz der Notstromaggregate, da konnte es nachts schon mal zappenduster werden. Da hatten die Wachleute endlich einmal ein bisschen Aufregung, nicht nur 80 % ihrer Arbeitszeit auf Monitore starren wie ueblich. Die Taschenlampen durften endlich ueber die Flure strahlen und aufgeregte Befehle suchten ihre Adressaten.
 
Da die meiste Zeit aber zuverlaessig nachts nix los war, waren die Maenner von der Security um jede Ablenkung dankbar, auch um mich. Ein einziges Mal hatte ich mir einen Spass daraus gemacht, ploetzlich aus einem Zimmer in den Flur zu springen, weil ich die Reaktion des Wachmanns testen wollte. Ich tat es auch nur dieses einzige Mal und nie wieder: der junge Beamte war sehr auf Zack und hatte im Nullkommanix seine Waffe heraus und entsichert auf mich gerichtet, bevor er mich, einige Zehntelsekunden spaeter, im Zwielicht identifiziert und ohne seine Miene zu verziehen, seine Waffe wieder eingesteckt hatte. Ein echter Cowboy, 100 % fit und aufmerksam.
 
Ich war dagegen noch einige Sekunden wie erstarrt. Eine geladene und entsicherte Pistole war auf mich gerichtet! Das haette auch ins Auge gehen koennen, aehnliche Tests ersparte ich mir von da an, zumindest beim bewaffneten Wachpersonal.
 

 
Stromausfaelle sorgten wiederholt fuer willkommene Abwechslung in meinem Tagesablauf. Warum so oft die Lichter ausgingen, kann ich Ihnen nun wirklich nicht erklaeren; trotz all meiner Begabung wuerde ich mir nicht anmessen, komplexe technische Probleme klarer zu durchschauen als das amuesant hilflos wirkende Heer von Elektrikern und Ingenieuren, die mit ihren Messgeraeten und Laptops hastig durch die weit verzweigten Raeumlichkeiten irrten. Gerne war ich bei diesen spannenden Umzuegen dabei, die nicht selten auch auf das ansonsten abgeschlossene Dach fuehrten, wo ein gigantisches, dunkel glaenzendes Gebilde in Form einer Photovoltaikanlage die Technikergilde wiederholt mit schwer loesbaren Herausforderungen konfrontierte.
 
Hoehnisch wartete das Sonnenenergie verwertende Konstrukt auf die Eingaben und Aenderungen in den Steuerungs- und Sicherungselementen, um irgendwann seine stumme Ignoranz aufzugeben und mit einem gar nicht so leisen Surren seine unfreiwillige Bereitschaft zu erklaeren, den Saft der Sonne in das Netz des Palastes unter ihr wieder einzuspeisen.
 
Da die Probleme gerne in Zeiten der Spitzenbelastung, also im Sommer und um die Mittagszeit aufzutreten schienen, schwitzten und fluchten die Maenner, was ich aus meiner Warte, im Schatten die Anstrengung beobachtend, als gelungenen Kontrast zur sonst zur Schau gestellten Kontrollbesessenheit und Zurueckhaltung empfand. Ich darf nebenher noch erwaehnen, dass etliche Entlueftungsanlagen ihre heissen Winde in Richtung der Photovoltaikanlage bliesen, was die Pein der armen Leute deutlich verstaerkte. Ein Hoch auf den Konstrukteur, das potentierte den Grad der Unterhaltung .
 
Aus meiner bescheidenen Warte, versteht sich.
 
An einen der Stromausfaelle kann ich mich dehalb gut und gerne erinnern, weil er zu einem in meinen Ohren eigenartig harmonischen konzertalen Erlebnis fuehrte. Aber ich muss dazu etwas ausholen:
 
Meine Versorger -die ich nicht als meine Hauptbezugspersonen bezeichnen moechte, die aber fuer mein vordergruendiges Wohlergehen unabdingbar waren- waren weitsichtig genug, mir fuer meine niederen Beduerfnisse nicht nur ein Katzenklo hinzustellen, nein, es durften gleich zwei sein, von der edleren Sorte, mit wechselnden und angenehm deodorisierenden Aromanoten versehen.
 
Eines befand sich im zweiten Stock, in einem Raum zur Waescheentsorgung. Das andere Katzenklo wurde im fuenften Stock in der Herrentoilette, umgeben von Sitzungssaelen, angelegt. Unnoetig zu erwaehnen, dass beide Einrichtungen taeglich fuer mich erneuert und wirklich intelligent durchdacht platziert waren: Sowohl der Waescheraum als auch die Herrentoilette waren Raeume, die verdeckt angelegt waren, aber den freien Zugang nicht mit unnoetigen Tueren behinderten. Das kam mir mit meinen 2000 Gramm sehr entgegen, die nur zur Bedienung von Tuerklinken der leichteren Bauart ausreichten, mit den vielen represaentativen schweren Messingklinken der nicht katzengerechten Umgebung aber ueberfordert waren.
 
So freilich hatte ich jederzeit Zutritt zu den Etablissements meiner Notdurft.
 
Den genauen Grund fuer die Einrichtung zweier Katzenklos fuer eine Katze fand ich nie heraus, aber zumindest einmal war ich sehr dankbar darum: schliesslich war der Palast riesig, sogar ich als zweifellos schnellster Bewohner brauchte meine Zeit, um die kilometerweiten Wege abzuspulen.
 
Es war ein Staatsbankett mit Beteiligung des Bundespraesidenten sowie den niederlaendischen und belgischen Ministerpraesidenten. Der Chefkoch hatte einige Gerichte zur Wahl gestellt, darunter auch zwei Sorten Gulasch. Selbstverstaendlich kein simpler Eintopf, sondern hoehere Kueche mit exotischen Gewuerzen, aber fuer mich eben doch nur Gulasch.
 
Ich denke auch im Nachhinein nicht, dass irgendeine Zutat verdorben war. Eher musste es die Kombination sein, die den unerwuenschten Effekt einer ausgepraegten Darmreizung zur Folge hatte, ziemlich genau eine halbe Stunde nach dem Festessen.
 
Falls Sie bisher den ungerechtfertigten Eindruck gewonnen haben sollten, dass sich mein Katzenleben hauptsaechlich aus den beiden Elementen Beobachtung und Schadenfreude (mit wechselnden Anteilen) zusammensetzen sollte, darf ich Sie zu meiner Entlastung enttaeuschen: Auch ich hatte meinen Anteil des besagten Gulasch erhalten, auch ich fuehlte dieses Rumoren in meinen Eingeweiden nach dem Bankett, auch ich stuermte relativ eilig zu meiner naechstgelegenen Toilette: diejenige im Herrenklo im gleichen Stockwerk.
 
Die Toilette umfasste neben meinem Privatplaetzchen genau 10 Plaetze fuer kleine und zehn Plaetze fuer groessere Verrichtungen; es war also eine regelrechte Toilette fuer die Massen; nicht gedacht dazu, dass sie gleichzeitig von 20 Maennern besucht wurde, aber moeglich war es.
 
Und tatsaechlich, gegen 21 Uhr und noch vor dem offiziellen Ende des Empfangs, waren alle Sitzgelegenheiten des Raumes ausgebucht, es bildeten sich auch davor kleinere Gruppen nervoeser Herren, die sich eilig die Klinke in die Hand gaben.
 
Wie es bei den Damen aussah, vermag ich nicht zu sagen; aber ich hatte irgendwie den Eindruck, dass die Herren besonders betroffen waren. Koennte es sein, dass sich das starke Geschlecht mehr zu einem deftigen Gulaschgericht bekennen, waehrend sich die Damen eher zum seafood hingezogen fuehlen?
 
In dem Fall kann ich nur sagen: Glueck gehabt, Maedels. Die allermeisten der Herrschaften besuchten die Toilette aus gutem Grund mehrfach, wie auch ich.
 
Nach einer Stunde hatte sich die Lage leicht entspannt, das Leibesgrimmen wurde weniger, der Drang aber blieb zunaechst; immerhin hob sich die Stimmung ein wenig, was mit dem schweren Rotwein zusammenhaengen duerfte, dem die Betroffenen zum Fluessigkeits- und Elektrolytausgleich zusprachen.
 
Man durfte schon mal ein Scherzchen von sich geben, wenn man sich unter Maennern das zweite oder dritte Mal auf dem Weg von oder zu der Notdurft begegnete.
 
So kam es, dass -auch ich besuchte mal wieder eilig mein mittlerweile nicht mehr so lieblich aromatisiertes Katzenklo- sieben oder acht der Herrentoiletten besetzt waren und man von diskreter Verdruckstheit zu offenen Kommentaren und anzueglichen Bemerkungen uebergegangen war, die im Raum hallten.
 
Die drei Staatsoberhaeupter waren nicht anwesend, als aus einer Kabine ein entspannter Bariton begann, die deutsche Hymne anzustimmen. Innerhalb von Sekunden fielen die Nachbarn ein und im Resonanzkoerper des vollverkachelten Raumes schaukelte sich ein unglaublich intensiver Gesang auf, als … mit einem Mal …das Licht ausging. Stromausfall. Nicht nur etwa gesangsbedingt in der Herrentoilette, der gesamte fuenfte Stock fiel in einen fahlen gruenweisslichen Schimmer, der von der spaerlichen Notbeleuchtung ausging.
 
Und was fiel den Herren dazu ein, die im Dusteren auf ihren Schuesseln sassen? So leicht waren diese gestandenen, von einem harten Politikerleben gestaehlten Personen nicht einzuschuechtern. Es dauerte wiederum nur Sekunden, da wurde anlassgemaess nach den harmlosen Zeilen der deutschen Hymne auf eine kaempferische Variante umgestellt (vom Bordeaux inspiriert?): mit doppelter Lautstaerke droehnte die Marseilleise nach aussen ueber die Fluren und erfuellte das ganze grosse Bundeskanzelamt.
 

 
Aus meiner Warte ist es selbstverstaendlich, Menschen nach ihrer Haltung zu mir zu katalogisieren. Die grosse Masse verhielt sich mir gegenueber uninteressiert bis freundlich-indifferent. Im allgemeinen wurden sie um so freundlicher, je oefter sie mich ashen und wiedererkannten.
 
Die Randguppen waren klein, aber auffaellig. Am einen Ende die Katzenfanatiker, die ueber meinen Anblick scheinbar den Verstand verloren und ihre Arbeit oder ihr aktuelles Gegenueber einfach liegen- und stehenlassen konnten, um auf mich zuzustuerzen, mich hochzunehmen und zu beschmusen, vorzudsweise mit kindischen Ausdruecken und kuenstlich hoher Stimme. Zu diesen Exemplaren gehoerte eben Ministerin Schreier, dann die Frau des IWF-Praesidenten und mit dem Vorsitzenden des Arbeitgeberbundes sogar ein Mann von beeindruckender physischer Statur, dem man eine Katzenaffinitaet so gar nicht zutrauen wollte.
 
Diametral entgegengesetzt gab es zwei Gruppen: die Felinophobiker und die Katzenhasser.
 
Meiner Spuernase machte es ausgesprochen Spass, die armen Phobiker herauszufiltern, die sich nicht verstecken konnten. Sie wichen einem aus und vermieden mich, wo immer es moeglich war. Meiner Natur nach war diese Macht eines so kleinen und harmlosen Geschoepfs ueber die Krone der Schoepfung faszinierend; ich konnte der Versuchung auch nicht widerstehen, diese Schwaeche weidlich auszunutzen und manche der Abgeordneten durch die Flure vor mich her zu treiben, bis sie sich schweissgebadet irgendwo einschlossen, um ihrer Panik ein Ende zu machen.
 
Eine Lobbyistin eines Sozialverbandes rueckte ich so nahe auf den Pelz, bis sie tatsaechlich einen Schreikrampf erlitt und beide Arme um Kopf, Augen und Ohren presste, um mich nicht mehr warnehmen zu muessen.
 
Beim ersten Mal erschrak ich noch selbst ueber ihren Anfall. Gespannt darueber, ob sich die Panikattacke reproduzieren liesse, provozierte ich zwei Wochen spaeter mit Erfolg eine Wiederholung mit Bonusmaterial. Der Bundeskanzeldoktor musste anruecken und durfte dem armen Lobbyistengeschoepf Beruhigungsspritzen und Infusionen geben. Ich wurde dann von den freundlichen, aber nicht so ganz einsichtigen Beistehern entfernt, die wenig Verstaendnis fuer die betroffene Dame hatten. Sie liess sich dann auch nach unserem vierten Treffen versetzen und ward nicht mehr gesehen.
 
Schade, ich hatte damit ein aufregendes und unterhaltsames Spielzeug verloren.
 

 
Unter die Katzenhasser reihte ich alle Menschen ein, die andere negative Empfindungen mir gegenueber hatten. Auch wenn seine Bemerkungen spassig gemeint waren, fiel Ministerpraesident Meredith mit seiner Katzenfellanalogie in diese Kategorie. Auch Piotr Brukkenstein, ein kantiger Fuehrer einer kleineren Oppositionspartei, der sich immer ausgesprochen guter Laune im Bundeskanzelamt, meiner ureigensten Biosphaere zeigte, liess in meiner Gegenwart launige Sprueche vom Stapel wie: “Schau an, unser Dachhase ist auch noch da, mein Leibgericht. Wieder mal dem Koch erfolgreich von der Kelle gesprungen, elwin?”
 
Koennen Sie da verstehen, dass man sich in Gesellschaft von Personen, die meinen Unterhaltungswert auf meine fragliche Essbarkeit reduzierten, unwohl fuehlt, auch wenn man versucht, unempfindlich gegenueber derartig derben Spaesse zu sein?
 
Und das war noch eine Aeusserung der harmloseren Art. Er konnte auch mit einem erstaunt klingenden Satz wie “Ja, hat denn die Katzenjagdsaison in diesem Reservat noch nicht offiziell begonnen?” nur auf beifaelliges Amusement seiner Gespraechspartner hoffen; mir blieb ein schales Gefuehl in seiner Naehe, Brukkenstein war einer der wenigen Menschen, um die ich in meinem eigenen Revier einen Bogen machte.
 
Noch abstossender die Menschen, die an mir ihre Aggression auslassen wollten, indem sie versuchten, mir ohne Vorwarnung einen Tritt zu geben. Das waren gar nicht so wenig enttaeuschte Feiglinge, die –wenn sie sich gerade unbeobachtet glaubten- ihr sonstiges Versagen mit einem Akt der Gewalt an einer vermeintlich minderwertigen Kreatur auslassen wollten.
 
Da kam mir mein Spuersinn zugute: Versager konnte ich von weitem identifizieren, diese spezifischen Frustausduenstungen eilten ihren Verbreitern voraus und hielten mich auf der Hut: erwischt hat mich nie einer. Ich bin nicht der Typ, der sich treten laesst.
 

 
Die Stunden, die ich im Hauptbuero von Frau Bundeskanzel verbrachte, konnten unterschiedlich ablaufen: Mal diktierte die Lady eine halbe Stunde leise und kaum verstaendlich in ihr Geraet, dann fuehrte sie wieder vier-, sechs- oder acht-Augen-Gespraeche mit Assistenten, Referatsleitern oder oft mit dem Kanzelamtsleiter.
 
In diesen uebersichtlichen Kleinrunden herrschte eine angespannte und geschaeftsmaessige Atmosphaere; ich schien von keinem der Teilnehmer registriert zu werden, ganz zu schweigen davon, dass sich einer zu mir herabliesse oder einen Scherz loslassen wuerde.
 
Manch einem stand der Schweiss vor Anspannung buchstaeblich auf der Stirn; am schlimmsten, wenn sie in den Vorzimmern warteten und juengeren Alters waren.
 
An einen aus der saarlaendischen Provinz stammenden, von seiner Erscheinung eigentlich smart wirkenden Jungspund kann ich mich erinnern: er war ein frischer Abiturient, der eine bundeweit agierende Schuelerinteressengruppe vertrat. Ob er sich fuer ein Praktikum bewarb oder fuer hoehere Aufgaben empfehlen wollte, vermag ich nicht mehr zu sagen, er wurde von mir nur dieses eine Mal gesichtet. Ruhig sass er in Begleitung da, schwitzte nicht einmal. Aber wenn er sich bewegte, konnte er mit merkwuerdig zuckenden Gesten seine ungeheure Anspannung nicht verbergen. Dann passierte es auch schon; ohne weitere Vorwarnung erbrach er in weitem Schwall ueber seinen hellblauen Anzug und den schoenen Hochflorteppich im Wartebereich. In der allgemeinen Aufregung -auch Sicherheitspersonal stellte sich innerhalb von Sekunden ein- brachten ihn Begleitung und eine der Sekretaerinnen zur naechsten Sanitaereinrichtung, aus der er einige Minuten kreidebleich und mit einem grossen dunklen Fleck auf seiner extra zu diesem Zweck angeschafften Hose versehen wieder erschien.
 
Das Treffen mit Frau Bundeskanzel fand dann trotz des Missgeschicks statt. Nachdem ich den Bedauernswerten nicht wieder erblickte, nehme ich an, er hat die Nervenprobe, die mit seiner Bewerbung verbunden war, nicht bestanden.
 
Warum ich diese harmlose Anekdote erzaehle? Nun, ich als Katze scheine eine um Groessenordnungen schaerfere Wahrnehmungsgabe zu besitzen als die mich umgebenden Leute, denen anderes, Schlimmeres verborgen bleibt. So konnte ich auch aus der Distanz ziemlich genau bestimmen, ob der Gast eingenaesst hatte, was nicht so selten vorkam. Auch wenn keine sichtbaren Spuren an der Kleidung wahrgenommen werden konnten: der kleine Aromaunterschied zwischen vorher und nach dem kleinen Unglueck konnte sich vor einem Praezisionsorgan wie meiner Nase nicht verstecken.
 
Peinlich fuer die ungueckselige Person, wenn einschlaegige Flecken wie ein Ausrufezeichen auf das Disaster hinwiesen. Zwischen Maennern und Frauen schien kein auffaelliger Unterschied zu bestehen.
 
So ein kleiner Ausrutscher war schon schlimm genug, aber noch nicht das Schlimmste, was einer aufgeregten Seele widerfahren konnte: ging naemlich mal was Groesseres in die Hose, merkten auch mal die in ihren sensorischen Sinnen deutlich reduzierten Menschen, was da passiert war: Naseruempfen und verdrehte Augen machten die Runde, die Ungluecksraben wurden schnellstmoeglich aus dem Buero -und aus dem Bundeskanzelamt- entfernt.
 

 
Wie ueberfordert auch die vegetativen Nervensysteme mancher Betroffener waren, eins hatten sie auffallenderweise gemeinsam: nur wenn der Kontakt mit Frau Bundeskanzel unmittelbar bevorstand und unausweichlich schien, passierte das Malheur.
 
Keine andere Person sonst schien den Organismus von Einzelpersonen so zu beanspruchen, kein Staatsgast, kein Praesident und auch kein Medienstar.
 
Dieses Phaenomen musste auch mit der Psychologie zu tun haben, dass man sich gefuehlt in der Hoehle des Loewen befand: schliesslich bewegte sich Frau Bundeskanzel in dem von ihr kontrollierten eigenen Bereich, der Fremde mit seiner Architektur schon beeinzudrucken und auch einzuschuechtern schien: nur der Hausherr wurde gefuerchtet, die Gaeste blieben harmlos, auch wenn sie auf dem Papier einflussreicher oder bekannter waren (was auf die Wenigsten zutraf).
 
Aus dieser Ueberlegenheit heraus konnte Macht von einer einzigen Person gut ausgeuebt werden. Auch wenn sich bei sehr vielen Menschen, die taeglich ueber Jahre hier im Bundeskanzelamt beschaeftigt waren, der Froschperspektivenaspekt allmaehlich relativierte, so ganz verschwand er nie.
 
Sogar ich muss zugeben, dass Frau Bundeskanzel nie ihre Faszination und Wirkung als Person, aber auch als Epizentrum der Macht auf mich verlor. Und ich gehoere schliesslich zur Gattung der Katzen, denen die Vorstellung, vor irgend etwas “Respekt” zu zeigen, prinzipiell fremder als jeder anderen Art sind. Die einfacheren Exemplare unter uns teilen andere Objekte vielleicht ein in die Kategorien essbar oder uninteressant…
 

 
Was ich an Gaesten und Besuchern ueberhaupt nicht ausstehen konnte, war Hundegestank, der sich aufgrund uebermaessigen Kontakts mit diesen niederen Wesen in ihre Kleidung hineingefressen hatte. Wie unvorteilhaft und ekelerregend dieser Gestank ist, werden menschliche Nasen wohl nie erfassen koennen. Schon gar nicht diejenigen, die sich freiwillig und -wie ich bass erstaunt nur vom Abhoeren menschlicher Unterhaltung her registrieren kann- gerne mit Hunden beschaeftigen bis zu dem Grad, dass es zu freiwilligen und intensiven Beruehrungen kommt. Fuer Katzen unvorstellbar, wir fassen nur Getier an, das wir fangen und verspeisen, aber Kontakt auch untereinander wird weitmoeglichst vermieden.
 
Hundeliebhaber fanden sich unter dem einfachen Personal wie unter hochgestellten Gaesten und Staatslenkern. Neben dem eigenartigen Sarcasti, der ebenso vom Hundearoma durchdrungen war wie der britische Staatslenker Cormone und der amerikanische Praesident Beamer (der mir -nebenbei gesagt- sehr sympathisch war, weil seine ganze Art und seine sportliche Erscheinung mit der geschmeidigen Bewegungsgrazie mich sehr an ein Katzenwesen erinnerte) gab es noch den finnischen Ministerpraesidenten Usurpii und die norwegische Regierungschefin Klaakda, die beide ihr Lieblingstier aufgrund ihrer schaebigen Ausduenstungen nicht verheimlichen konnten. Klaakda ging sogar so weit, das Foto ihres geliebten Untiers in einem Medaillon um den Hals zu tragen: es zeigte das Schwarz-weiss-Foto eines duemmlich-treu dreinblickenden Husky.
 
Hundefanatismus dieser Kategorie verwirrte mich; wuerde Frau Bundeskanzel je soweit gehen, mein Abbild zum Zeichen ihrer Zuneigung in einem Schmuckstueck zu verewigen? Meist schien sie mich gar nicht zu registrieren, aber das wirkte nur fuer Umstehende so. Wir hatten eine spezielle, nonverbale Kommunikation miteinander, die auch funktionierte, wenn wir weder Sicht- noch Hoerkontakt hatten. Schliesslich teilten wir uns die schwere Buerde der Aufsicht ueber diesen Palast. Und nachdem sie die meiste Zeit ausserhalb verbrachte und ich ausschliesslich hier wohnte, fiel der groessere Anteil der Verpflichtung automatisch an mich.
 
Trotzdem wuerde sie nicht mein und ich nicht ihr Portrait staendig um den Hals tragen - das waere weder respekt- noch stilvoll.
 
So interpretierte ich Klaakdas Husky-Plakette als eine persoenliche Marotte, die vor allem eins zeigte: das Gefaelle zwischen ihr und dem untergeordneten, schwanzwedelnden und hechelnden Heimtier!
 

 
So fremd und irreal mir diese enge emotionale Bindung zu einem Hundewesen schien, so begehrenswert und vorbildlich wirkte sie im Vergleich zu den Eindruecken, die eine westafrikanische Delegation -ich glaube, mehrfach den Begriff Akkra vernimmen zu haben, folglich waere sie aus Ghana- bei mir hinterlassen hatte.
 
Der Besuch begann vergleichsweise unorthodox und froehlich: ich konnte anhand der Vorbereitungen, die vormittags liefen, schon vermuten, dass ein Staatsempfang bevorstand. Wenn Tische vorbereitet und zuhauf Blumen und Pralinen aus den eigens dafuer vorgesehenen Kuehlraeume praepariert werden, steht ein groesserer Anlass unmittelbar ins Haus. Ueblicherweise bin ich ueber den Anlass fruehzeitig informiert; damals war ich aber erst kurze Zeit im Bundeskanzelamt und noch nicht hundertprozetig mit den Ablaeufen vertraut.
 
Jedenfalls erklang dann auch vor dem Haupteingang die obligate Blaskapelle, die eine Wagenkolonne mit einer 25-koepfigen Besuchergruppe empfing. Da diese Vorgaenge damals fuer mich neu waren, sauste ich nach draussen auf die Treppe und durfte eine lustige Truppe bewundern: allesamt tiefschwarz mit herrlich bunten Klamotten und Muetzen, manche ziemlich wuchtige Gestalten.
 
Als die deutsche Militaerkombo ihr Repertoire beendet hatte, fing das Spektakel erst richtig an: Etwa zehn der ulkigen Ghanaer zogen unter ihren weiten Kostuemen Zupf-, Blas- und Schlaginstrumente hervor und begannen ein rhythmisches und lautes Lied anzustimmen, das sie aus voller Kehle begleiteten. Alle, besonders die Damen, wiegten sich dazu ausgiebig im Takt. Ich wusste nicht, wer der Leiter der Truppe, also das Staatsoberhaupt war, aber er musste sich in jedem Fall am Tanz beteiligt haben, keiner blieb wuerdevoll und ernst stehen.
 
Die Gastgeber uebernahmen den Part der stillen Beobachter, unsere Leute haben es nicht so mit Tanzen.
 
Damals war ich noch ein schlechter -oder genauer, nicht ganz so erfahrener- Menschenkenner: mir hatten diese Leute anfangs gefallen. Sie wirkten wie aus einer anderen Welt und brachten ordentlich Stimmung in das wuerdevolle Bundeskanzelamt.
 
Aber beim Bankett zeigten die Schwarzafrikaner dann ihre wahre Seele: als sie mich wahnahmen, schienen sie begeistert, holten mich zu sich und schnatterten auf mich ein. Sorry, ich bin zwar schlau, beherrsche aber nicht alle Zungen der Menschheit. Abwechselnd deuteten sie auf ihre Bongos und strichen ueber deren Bespannung und ueber mein Fell, bis mir ein boeses Licht aufging und die unheimliche Vermutung wenig spaeter von einem der Delegationsmitglieder im schwarzen Anzug bestaetigt wurde, der einigen der Gastgeber in bestem Oxford-englisch erklaerte, woher der Enthusiasmus ruehrte, mit dem mich die Ghanaer empfangen hatten. Sie sahen in mir schon die Bespannung fuer eins ihrer Trommelinstrumente, fuer die sich Katzenleder ja besonders gut eignen wuerde!
 
Gut, ich war damals noch ziemlich jung und leicht zu verstoeren, aber trotzdem glaube ich, dass ich mit meinem unmittelbarem und ploetzlichen Abgang in den ruhigen Winkel eins anderen Stockwerks die richtige Reaktion bewiesen hatte: falls die afrikanische Delegation soweit gegangen waere und um mich als ein Geschenk gebeten haette, wer weiss, wie die Vertreter der deutschen Regierung darauf geantwortet haetten? Vielleicht haette die internationale Etikette unter den diplomatischen Erfordernissen die Auslieferung einer Katze erforderlich gemacht…
 
Unvorstellbar, meine fleischlichen Anteile waeren in einem Kochtopf einer vielkoepfigen Familie in Akkra gelandet, waehrend meine gute Haut getrocknet und auf eine bunte Bongo gespannt fuer Rhythmus und gute Stimmung unter den Einheimischen gesorgt haette…
 

 

 
Einer der entspannendsten Oertlichkeiten im Bundeskanzelamt ist der im obersten Stockwerk befindliche Fitnessraum –angenehm klimatisiert, blitzsauber und praktisch unbenutzt; Frau Bundeskanzel hat es nicht so mit regelmaessiger Leibesertuechtigung. Die angenehme Atmosphaere ruehrt auch aus dem Gegensatz der chromblitzenden Geraete, deren makelloser Neuzustand durch das woechentliche, gaenzlich ueberfluessige Abstauben und Polieren nur noch verbessert wurde, zur wunderbaren Aussicht durch die Panoramascheiben auf den grossen Stadtpark hin.
 
Meine bevorzugten Stellen waren der breite Sattel der Rudermaschine und die Kraftliege neben der Hantelreihe. Die Deckenlautsprecher berieselten den Raum mit herrlich einschlaefernder Hintergrundsmusik, die meine Lider schwer machten und mich meist nach nicht einmal einer Minute zum Eindoesen brachten. Wenn der Raum nicht gar so abgelegen von meinen sonstigen Mittelpunkten waere, haette man mich hier als Dauergast sehen koennen – aber fuer eine wissbegierige und neugierige Kreatur war es mittelfristig zu langweilig.
 
Immerhin wurde ich etliche Male unerwartet von Besuchern aus dem Schlaf gerissen: nicht nur Sportliebhaber fanden sich unter den diversen Angestellten, die ihr Privileg eher dazu nutzten,
 
Freunden oder der Familie den Blick ueber das gruene Regierungsviertel zu praesentieren.
 
Ministerin von Liebem war eine der wenigen Prominenteren, die sich mehr als einmal hier sehen liessen – und die auch die diversen Geraete generalstabsmaessig und mit engem Zeitplan durcharbeitete. Sicher hatte von Liebem mehrere Moeglichkeiten der Koerperertuechtigung innerhalb der Stadt, aber die zaehe, kleine Person war es gewohnt, jede Minute ihres Tageskalenders zu nutzen – wenn sich also noch eine halbe Stunde Muskeltraining vor einem Termin im Bundeskanzelamt einschieben liess, dann nutzte von Liebem diesen Exklusiv-Gym mitsamt seinen praechtigen Sanitaereinrichtungen und ackerte mit einer gewissen Verbissenheit etwa einmal die Woche und so gut wie immer alleine ihre Uebungen ab.
 
Nun hatte Frau von Liebem schoene lange Haare, die sie vor Uebungsbeginn akkurat unter einem Schweissband zusammenzustecken pflegte. Nur ein einziges Mal schien Frau Ministerin diesen kleinen, aber wichtigen Job nicht ordentlich erledigt zu haben: bereits am Anfang wedelte das eine oder andere Straehnchen vorwitzig im Takt des Hotsteppers, unbemerkt von ihrer Traegerin, aber von meiner Warte auf dem schweren schwarzen Polster bei den Gewichten aus nicht zu uebersehen. Von Liebem beobachtete angestrengt die CNN-news, ohne ihrer loser herumflatternden Haarpracht entgegenzuwirken, um ohne nennenswerte Pause zu einem Geraet fuer Schulter- und Armmuskulatur zu wechseln, in dem die Gewichte ueber eine flaschenzugaehnliche Mechanik aufwaerts gestemmt werden mussten.
 
Die CNN-Nachrichten mussten aussergewoehnlich fesselnd gewesen sein, denn von Liebem liess ihre Augen nicht vom Bildschirm in der Ecke. Mein Blick dagegen ruhte auf den paar dunkelblonden Haaren, die sich ganz langsam in die Rollen einzogen, bei der Rueckbewegung aber nicht wieder befreit wurden. Es wurden immer mehr und mehr Haare, die sich millimeterweise um die Rollen und die Metalldraehte wickelten. Erst als die Haare wie Saiten gespannt kollektiv an der ministerlichen Kopfhaut zerrten, merkte Frau von Liebem, dass etwas nicht stimmen konnte. Dass sie in richtigen Schwierigkeiten war, kam ihr Sekunden spaeter: liess sie an den beidseitigen Arm-Hebeln mit der Kraft nach, verstaerkte sich die Spannung soweit, dass mittlerweile der Kopf unter Schmerzen nach hinten gezogen wurde; erst wenn sie ihre Armmuskeln wieder anspannte, hatten ihre Haare wieder Spiel.
 
Das Dumme an der Situation war, dass niemand –ausser mir- im Raum war, der Hilfe anbieten konnte. Von Liebem war gefangen, noch schlimmer: sie blieb nur schmerzfrei, wenn sie kraeftig zog. Die Kraft wurde weniger, zu der Arretierung und Gewichtseinstellung war der Abstand zu gross – und der vorhandene Alarmknopf war an der Eingangstuer.
 
Bei der extrem disziplinierten Ministerin schien sich aufgrund der aussichtslosen Situation Panik breit zu machen; sie konnte nicht einmal ihren Kopf zur Seite drehen, als sie schliesslich um Hilfe zu rufen begann.
 
Ob sie bei ihrer Ankunft registriert hatte, dass ich im Raum war, bezweifle ich. Frau von Liebem war eine pragmatische Person ohne jegliche wahrnehmbare Gefuehlsregung fuer mich – bisher hatte sie mich permanent und geflissentlich ignoriert.
 
Ihr Rufen artete schnell in Schreien aus, also sprang ich von meinem Lederthron und begab mich zur Buehne, an der sich das Drama abspielte.
 
Ich als zunaechst unbeteiligter Zuschauer hatte vorausgeahnt, dass sich mit den Haaren ein Malheur entwickeln duerfte.
 
Ich naeherte mich von Liebem, die mich ohne zu zoegern beim Namen nannte: “Elwin, hilf mir, mach was!”
 
Entweder sie hatte also doch schon zuvor ueber meine Praesenz Bescheid gewusst zu haben oder die Ministerin hatte ein phaenomenal schnelles Wahrnehmungs- und Kombinationsvermoegen. Beim Namen hatte ich sie mich jedenfalls noch nicht rufen hoeren; ich war erstaunt, dass sie ihn ueberhaupt kannte. Andererseits stand sie unter einem extrem hohen Stresshormonpegel, der ihr ohnehin schon weit ueberdurchschnittliches Denkvermoegen noch einmal beschleunigte.
 
“Schneid mir die Haare ab, Elwin!” Sie starrte mich unter Traenen mit aufgerissenem Mund an und wenn Katzen ueberhaupt ein dummes Gesicht machen koennen, dann war das jetzt bei mir der Fall.
 
“Beiss sie mir durch, mach schon, tu was!” kam es verzweifelt von der Ministerin. “Oder hol Hilfe!”
 
Wofuer hielt mich von Liebem?
 
Ich hatte mir ihre Haarpracht aus der Naehe angesehen: Vielleicht waere es moeglich gewesen, die Haare nach und nach durchzukauen und abzutrennen, aber zehn Minuten haette mich die Aktion sicher gekostet. Letztere von von Liebem angedeutete Option schien mir die sinnvollere.
 
Ob die Ministerin die Ueberwachungskamera im Raumeck in ihrem Blickfeld hatte, die sie –falls aktiv- im Focus haben musste, weiss ich nicht. Aber nachdem kein Sicherheitspersonal zu Hilfe geeilt war, ging ich davon aus, dass aktuell niemand sein Auge auf dem entsprechenden Monitor hatte. Kein Wunder, dieses Haus musste Tausende davon besitzen und von Liebem war ohne Zweifel attraktiv, aber ihr eine Stunde lang beim Schwitzen zuschauen, war trotzdem kein Knueller.
 
Kurz dachte ich noch nach, ob ich mir irgendein scharfes Instrument zur Bereinigung der haarigen Situation besorgen sollte, dann sprintete ich aus dem Zimmer, begleitet vom ministerlichen Jammer.
 
Zwei Treppen runter, zur Security-Zentale mit Dutzenden von Monitoren, die abwechselnd monotone Bilder uebertrugen. Klar, zwei Uniformierte anwesend, ohne die Kameras im Blick zu haben. Was hatte ich fuer Moeglichkeiten? Die unueberwindbare Sprachbarriere musste ich durch eindeutige Gesten ersetzen. Aber wie?
 
Mit den Zaehnen an den Hosen in eine Richtung zu zerren, waere schlechter Hundestil und aussichtslos –die ueberraschten Beamten haetten mir bestenfalls einen Tritt verpasst.
 
Also musste ich schnell und scharf weiterdenken. Das ah ich das Bild der unglueckseligen von Liebem auf einem der Monitore aufblitzen – mit einem Fauchen, das einem Panther Ehre gemacht haette, sprang ich genau auf dieses Geraet, wohl wissend, dass nach zehn Sekunden zu einem naechsten, belanglosen Monitor weitergeschaltet wuerde.
 
Die beiden Augenpaare der Sicherheitsmaenner ruhten zunaechst begriffsstutzig auf mir und meinem wundersamen Treiben. Ich konnte foermlich erkennen, welche Diagnosen sie mir im geiste zuzuordnen versuchten: Tollwut? Hirntumor? Rinderwahnsinn?
 
Der Juengere der beiden erkannte die verzweifelten Schwarz-weissen Bewegungen auf dem Monitor zuerst, brauchte dann noch zehn Sekunden, um den Notfall zu erkennen.
 
Selten, dass ich einen Menschen so schnell sich bewegen gesehen hatte. Wie der Blitz stuermte der junge Uniformierte aus dem Buero ueber Flur und Treppe hoch, dass ich mir doch Muehe geben musste, um Anschluss zu halten. Der Aeltere hatte auch begriffen, dass die Zeit fuer einen schnellen Einsatz gekommen war, mit grosser werdendem Abstand folgte er.
 

 
Oben angekommen, waren die verzweilfelten Rufe von von Liebem schon zu vernehmen. Der Sicherheitsmann stuermte durch die Tuer und hielt auf die verkrampft daliegende, eingeklemmte Ministerin zu. Wieder erkannte er das Problem schnell und wuchtete zunaechst die Gewichte hoch, um die entkraeftete Ministerin sowohl von den Armen als auch von den Haaren her zu entlasten. 20 Sekunden lang versuchte der junge Mann, eine Loesung zu finden, da kam auch schon sein Kollege angeschnauft.
 
“Schneid die Haare ab!” rief der Junge dem Neuankoemmling zu. Die Ministerin lag so erschoepft da und aeusserte keine spezielle Meinung zur Problematik. Der Aeltere zog schon ein Taschenmesser hervor und setzte es an die Haarpracht, da kam ihm eine bessere Idee.
 
Die Plastik-Schutzhuelle ueber der Umlaufrolle mit den eingedrehten Haaren wurde kurzerhand abgebrochen und das Seil aus seiner Fuehrung gerissen, dass Frau von Liebems Kopfschmuck lose und unversehrt befreit wurde.
 
Die Besitzerin der unglueckselig langen Haare war aber so am Ende, dass sie sich weder erheben noch ueber ihre physische Unversehrtheit freuen konnte. Sie lag einfach da, erleichtert ueber das Ende ihrer Qual und wurde erst wieder schlagartig aktiv und aufmerksam, als die Wachmaenner ihr anboten, einen Arzt zu holen.
 

 
“Nein, nein, vielen Dank die Herren, keinen Arzt! Ueberhaupt waere ich ihnen sehr verbunden, wenn sie diesen Vorfall fuer sich behalten koennten. Das ist mir dann doch etwas peinlich.”
 
Die Wachmaenner murmelten zwar irgendwas von Protokollverpflichtung, liessen die Angelegenheit aber auf sich beruhen, als von Liebem sich energisch aufschwang, Haare und Kleidung ordnete und mit ausholenden Schritten zu den Duschen bewies, dass sie keinen nennenswerten Schaden genommen hatte.
 
Die Sicherheitsleute schauten ihr unsicher hinterher und sich dann gegenseitig an, bevor sie wieder zu ihrem Stuetzpunkt aufbrachen.
 
Unnoetig zu erwaehnen, dass mich keiner der Betroffenen mehr beachtete und meinen nicht unerheblichen Anteil an der glimpflich ausgegangenen Geschichte somit ziemlich vernachlaessigte. Entweder die Beamten hatten tatsaechlich keinen Zusammenhang zwischen meinem Rumgetanze auf dem Monitor und dem dramatischen Bild gesehen oder Menschen sind an sich keine Experten im Deuten von Schluesselszenen, wer weiss?
 

 
Der gleiche Tag sollte es noch in sich haben, die spannenden Momente warteten zu dem Zeitpunkt noch. Und wieder wuerde ich eine Rolle spielen, die den beteiligten Menschen raetselhaft und undurchsichtig schien.
 

 
Ministerin von Liebem war an ebenjenem Tag urspruenglich zu einem Treffen des Kabinetts mit ausgewaehlten Ruestungslobbyisten einbestellt worden; die Wartezeit zu dieser Konferenz hatte sie sich mit sinnvollem Training vertreiben wollen, das in jenem dramatischen Zwischenfall kulminierte.
 
Verteidigungsminister Dresdien war von Frau Bundekanzel gebeten worden, die Budgetausgaben seines Ressorts innerhalb der Regierung vorzustellen, worauf er sich laenger vorbereitet hatte.
 
Als Person war Dresdien ein Prinzipienreiter und Ueberzeugungstaeter, mehr Beamter als Beherrscher der Pilitklaviatur und ein definitiver Katzenfeind. Starr in seiner Art, hatte Dresdien wenig uebrig fuer unterschiedliche Interessen und Lebensstyle – Katzen als Inbegriff der Individualitaet und Selbstverliebtheit schienen ihm ein besonderer Dorn im Auge zu sein.
 
Das sauge ich mir nicht aus den Pfoten. Den ersten Tritt, den mir Dresdien einst unter dem runden Tisch im Konferenzraum Zwei geben wollte, konnte man noch mit etwas Phantasie als zufaellig in meine Richtung gehend interpretieren; beim naechsten Tritt hatten wir beide Blickkontakt –Dresdiens Brillenpupillen fixierten mich, bevor sein Fuss zuschlug.
 
Muessig zu erwaehnen, dass er mich nicht getroffen, nicht einmal beruehrt hatte. Fuer ungeschickte Bewegungen plumper Menschen bin auch ich, ein untrainiertes Haustier ohne die lebenslange physische Herausforderung einer Wildkatze, viel zu reaktionsschnell. Aber ich wusste von da an, was ich von Dresdien zu halten hatte. Klare Fronten sind mir lieber als vorgespielte Harmonie mit einer Hand hinter dem Ruecken am Dolch.
 
Ueber Motive konnte ich mir den Kopf nur zerbrechen: Hasste Dresdien Tiere oder nur alle Katzen? Oder nur dieses eine, spezielle Exemplar, von dem als Frau Bundeskanzels Katze eine sehr spezielle, nicht leicht fassbare Bedeutung ausging? Schliesslich war ich nicht Frau Bundeskanzels kleine Privatkatze in ihrer Wohnung, sondern irgendwo in der Grauzone zwischen inoffiziell herrschendem Palasttier und offiziell erstem Tier der Republik, anzusiedeln noch ueber der traurigen Figur der Wappen- und Geldscheinadler dieses Staates.
 
Also war fuer mich schwer auszumachen, welcher Symbolik Dresdien mit seinen Tritten schaden wollte. Ich denke, dass die gesamte Brandbreite der moeglichen Motivationen ihm selbst nicht bewusst war. Wie auch immer, die Fronten zwischen uns waren abgesteckt. Habe ich erst einmal eine Person als Feind identifiziert, bedeutete das noch lange nicht, dass ich Naehe oder Kontakt in Zukunft vermied. Dazu bin ich doch zu selbstbewusst und stolz. Ich fuehle mich auch –ganz im Sinne meiner Bedeutung als Frau Bundeskanzels Katze- zu maechtig und stark, um vor Konflikten zurueckzuschrecken und klein beizugeben.
 

 
Doch zurueck zur Konferenz. Ministerin von Liebem sah uebrigens wieder formidabel aus; ihr war aber auch nicht der kleinste Hinweis auf die Folter anzumerken, die sie vor eben mal einer halben Stunde durchgemacht hatte. Sie sass aufmerksam und konzentriert direkt neben unserer aller Dienstherrin da, kerzengerade und imponierend.
 
Die Thematik bestand aus der Praesentation der groben Eckpunkte des Verteidigungshaushalts. Wie es sich fuer ein anstaendiges Budget geziemte, waren es unauffaellig betitelte Einzelressorts wie “IT-Sicherheit-Update” oder “Mobile Sanitaets- und Lazarettmodernisierung”, denen man nicht unbedingt ihre Brisanz und unabkoemmliche Relevanz fuer die Landesverteidigung vom Namen her anmerkte, deren billigster Einzelposten aber immer noch einen gewaltigen dreistelligen Millionenbetrag beinhaltete.
 

 
Ich geriet notgedrungen in die Faenge von Familienministerin Schreier, die mich mit einem Freudenschrei, aufgerissenen Armen, Augen und Mund einer wahren Schmuseorgie ausetzte, peinlich fuer mich wie auch die Umstehenden. Auch Frau Schaffan wandte sich seltsam beruehrt ab –so sproede, wie die Ministerin fuer Bildung und Forschung auch sein mag, es war ihr nicht zu verdenken. Der Anblick engen koerperlichen Kontakts zwischen zwei Saeugetieren voellig unterschiedlicher Gattungen musste ziemlich befremdlich auf unbefangene Zuschauer wirken.
 
Ich wurde gekuesst und geherzt und musste mich mit einem Sprung aus dem ministerlichen Schoss in Sicherheit bringen, was mir erst kurz vor Sitzungsbeginn gelang.
 
Kaum hatte ich mich unter dem Tisch in Deckung gebracht, um mein durchgewuehltes Fell zu ordnen und meine Barthaare zu sortieren, da wurde das Saallicht schon abgedimmt und die Vortraege begannen mit kurz eingespielten Videoclips. Ich begab mich Richtung Tischanfang, wo die drei Hauptredner ihre Plaetze hatten. Der Verteidigungsminister war als erster aufgestanden, aber nach einer Einfuehrung von etwa zehn Minuten ueberliess er das Feld seinen Vasallen und nahm wieder Platz. Ihm war die Anspannung anzumerken, denn er und Verkehrsminister Rennsemmel waren sonst diejenigen, die jede Gelegenheit bei aehnlichen Konferenzen nutzten, um sich ihres Schuhwerks zu entledigen und ungeniert die bestrumpften unteren Extremitaeten ausserhalb jedermanns Sichtweite baumeln zu lassen. Ausserhalb jedermanns Sichtweite mit einer Ausnahme: meiner.
 
Es konnte niemanden geben, der mit den wichtigsten Beinen der Nation, ihrer Optik, ihren Ausduenstungen und ihrem Bewegungsmuster so vertraut war wie ich:
 
Sehr charakteristisch, wie von Liebem ihre Beine auch unter dem Tisch kerzengerade hielt. Und manchmal ihrem Unmut anlaesslich irgendwelcher ueber dem Tisch gefallener Aussagen durch schnelles, ungeduldiges, kurzes Aufstampfen freien Lauf liess.
 
Typisch, wie die Ministerin fuer Ernaehrung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Frau Ignazius, stundenlang mit ihren Zehen in ihren cremefarbenen Schuechen wippen konnte, als ob der Rhythmus fuer ein imaginaeres Zitherspiel herhalten musste.
 
Aufschlussreich, wie ein sonst so selbstkontrollierter Herr wie der Minister fuer Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Nordenheim, seine Slipper gewohnheitsgemaess immer in der gleichen Stellung positionierte: fast schon so, dass die hellen Sohlen gen Himmel schauten, wurden die Unterschenkel verdreht. Zudem hatten seine italienischen Designerschuhe ein suessliches Aroma nach Lavendel und Rosenholz, das auffaellig anders als sein sonstiges Rasierwasser imponierte, als ob sie extra parfuermiert wurden. Wahrscheinlich ein besonders edles Pflegemittel.
 
Traurig, wie Finanzminister Swaba seine muskellosen Beine aufgrund einer Erkrankung immer in der gleichen leblosen Haltung hatte.
 
Wenig einladend die Treter von Innenminister Freimann, deren Sohlenbelag eine verraeterische Duftnote mit sich trug. Freilich war diese Spur Reiter- oder Bauernhof nur von meinem feinen Riechorgan zu entschluesseln: Jede Menge Pferde- und auch noch widerwaertigerer Hundemist waren nicht wegzudiskutieren.
 
Aber es waren eben meistens Rennsemmel und Dresdien, die ihren Fuessen eine unbeschuhte Ruhepause goennten, kaum dass sie sassen.
 
Gegen Rennsemmel hatte ich nichts.
 
Ich hatte Dresdien im Visier. Er war mir ein Dorn im Auge. Ich konnte ihm sein Fehlverhalten nicht durchgehen lassen. Man tritt keine Lebewesen, schon gleich gar nicht grundlos, am allerwenigsten mich.
 
Ungluecklicherweise stand Dresdien heute im Mittelpunkt und dachte eben ausnahmsweise nicht daran, seine Schuhe abzustellen. Womit mein Plan, sie weguzerren und unauffaellig ausserhalb des Raumes zu verstecken (was sich heute im Dunklen wirklich angeboten haette) und mich spaeter an Bild eines schuhesuchenden und genervten Verteidigungsminister zu erlaben, leider hinfaellig geworden war. Schade, ich hatte mir das Bild so schoen ausgemalt und haette mich koestlich amuesiert.
 
Aber Dresdien war zu involviert in die Vortragsserie, sprang auch oefter mal auf, um seinen Standpunkt zu erlaeutern, so dass ich mein ausgehecktes Spielchen zumindest fuer diesen Tag begraben musste.
 
Wie so oft im Leben kam es zu einer ueberraschenden Wendung, die so seltsam war, dass ich sie mir nicht selbst haette ausdenken koennen.
 
War Dresdien zuvor schon ziemlich nervoes gewesen, so schien ihn mit einem Mal eine regelrechte Unruhe befallen zu haben. Er konnte sich kaum hinsetzen, sprang immer wieder auf, durchsuchte die Computer, seine Hosen- und Jackentasche, fluesterte hektisch mit einigen Helfern. Er kam zu keinem Ergebnis, wuselte immer mehr und auffaellig herum, bis an den Punkt, als wieder ein Teilvortrag beendet war und nun offensichtlich Dresdien mit einer Zwischenpraesentation an der Reihe war.
 
Was auch immer er gesucht hatte, er hatte es nicht finden koennen.
 
Dresdien stand auf, wandte sich an die Tischrunde, raeusperte sich und gab bekannt, dass er beim folgenden Punkt auf die Dateien seines Speichtersticks angewiesen waere. Frau Bundeskanzel war nicht gluecklich mit dieser Ausfuehrung. Warum er diese Dateien nicht eher in die Praesentation eingebaut haette?
 
“Leider sind auf dem Stick ziemlich vertrauliche Informationen enthalten, weswegen ich sie erst bei Bedarf hochladen wollte. Es waere mir auch ueberhaupt nicht recht, wenn diese vertraulichen Informationen irgendwie verloren gegangen oder in falsche Haende geraten waeren. Koennen wir bitte das Licht anmachen?” Letzter Satz ging klar und laut in Richtung der Saalbediensteten.
 
Schon wurden die grossen Leuchter aufgedimmt und Dresdien suchte schon den blauen Teppichboden unter seinem Platz ab. Keine zehn Sekunden spaeter tauchte sein verschwitzter Schaedel unter dem Tisch auf, mit beiden Haenden abwechselnd wischte Dresdien ueber den Boden. Da erfasste mich durch seine halb beschlagenen Brillenglaeser sein Blick.
 
Schlau ist er, dieser Dresdien, aber wie hinterlistig und ruecksichtslos er sein konnte, bewies er einen Wimpernschlag spaeter.
 
“Elwin!” bruellte er. “Der Kater! Er hat den Stick verschluckt!” Seine Rechte deutete auf mich waehrend die andere Hand in der Luft verzweifelt um Hilfe und Zuspruch winkte.
 
Mir schwante Uebles. Wie weit wuerde Dresdien gehen?
 
Vorsichtshalber wollte ich aus dem Raum flitzen, bis sich die Lage etwas beruhigen wuerde, aber die Tore waren verschlossen und die Saalbeamten machten keine Anstalten, sie meinethalben zu oeffnen.
 
Im allgemeinen von einem hohem Laermpegel durchwirkten Getuemmel versuchten Einzelne, mich zu packen. Kein Problem fuer mich, allen auszuweichen und zu entkommen, aber ich war chancenlos. Flucht war in einem geschlossenen Raum keine Option, zumal 35 Leute hinter einem her waren. Nun ja, etwa 10 beteiligten sich aktiv an der Katzenjagd. Frau Bundeskanzel sass nur zurueckgelehnt da, verdrehte ihre Augen mit Blick nach oben und gefalteten Haenden; sie wirkte extrem genervt von dieser skurrilen Situation.
 
Ich konnte nicht das Gleiche von mir behaupten. Mir wurde mulmig zumute. Ich musste irgendwann aufgeben. Was wuerden die Menschen dann mit mir anfangen? Was wuerde ein heimtueckischer Dresdien mit mir anstellen, wenn er ueberzeugt davon waere, dass ich in meinem Inneren staatstragende Geheimnisse befaenden? Auf welche Ideen kaeme ein politischer Wuerdentraeger, der mich ohnehin nicht ausstehen konnte und der mit meinem “Opfer” zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.
 
Oder…
 
Meine Lage war schon mal ziemlich aussichtslos und miserabel, aber es konnte noch negativer kommen. Wenn nun Dresdien diese Affaere nur vorgetaeuscht haette, um mich loszuwerden?
 
Es lief mir heiss ueber den Ruecken.
 
Ein Einfaches, mich zu betaeuben, schlachten, um dann reumuetig zuzugeben, dass man sich eben geirrt haette. Ich sah ihn schon vor mir, diesen Dresdien, in einer Pressekonferenz nach meiner erfolgten Abschlachtung ohne Ergebnis: :Wir mussten dieses Opfer im Sinne der Staatsraison eingehen.”
 
Es handelte sich ja nur um eine Katze, kein Grund, sich darueber gross aufzuregen…
 

 
Ich hatte noch maximal einige Minuten, mir eine Gegenstrategie einfallen zu lassen. Wie sollte ich also meine Erfolgschancen maximieren?
 
Hin zu Frau Bundeskanzel und um Asyl bei der Hausherrin selber suchen?
 
Schwer zu sagen, wie sie reagieren wuerde. Sie hatte es emotional nicht so mit mir. Wie gesagt, wir respektieren uns, aber uns ein Herz und eine Seele zu nennen waere sicherlich uebertrieben.
 
Ich schaetze Frau Bundeskanzel schon so ein, dass sie mich der allgemein blutruenstigen Stimmung entsprechend einem Fachmenn ausliefern wuerde, nur um ihre Ruhe zu haben.
 
Dresdien hatte Teile des Kabinetts mit seiner Pogromstimmung inzwischen tatsaechlich und buchstaeblich in Aufwallung gebracht. Einige versuchten, eine Kette zu bilden, um mich in einer Ecke einzuklemmen. Ich konnte mehrfach entwischen, aber es wurde zunehmend enger.
 

 
In der allerhoechsten Not entsinnt man sich auch der Freunde, die einem gewohnheitsmaessig auf den Geist gehen, kurz vor dem Abgrund aber als letzter Ausweg sehr willkommen sein koennen. Kurz entschlossen, machte ich einen Satz und landete an dem sichersten Ort, den mir dieser verruchte Saal bieten konte – im Schosse der Ministerin fuer Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Schreier. Frau Schreier breitete sofort mit bestem Mutterinstinkt ihre Arme als Schutz vor dem Lynchmob ueber mich aus.
 
Da schnaufte auch schon Dresdien an und laeutete die naechste Runde unseres Zwists ein:
 
“Her mit dem Vieh, Frau Kollegin, ich brauche meinen Stick unbedingt. Ab zum Tierarzt, der soll Elwin aufschneiden und wieder zusammenflicken. Ich kriege meinen Stick wieder, das Land ist gerettet und keiner kommt zu Schaden. Also?”
 
Er streckte die Haende nach mir aus, ohne gross eine Antwort seiner Kabinettskollegin abzuwarten.
 
Frau Schreier machte das aus meiner Sicht einzig Richtige, sie presste mich noch fester an sich und wandte sich von dem ungehobelten Unhold ab.
 
“Frau Kollegin, bitte, keine ueberfluessigen Gefuehlsduseleien! Von der Sorte rennen Tausende in den Strassen herum.”
 
Wie bitte? Aus dem Munde dieses Mannes konnte kein Satz kommen, der nicht so grauenhaft war, dass der naechste Satz nicht noch schlimmer sein konnte.
 
Blutruenstig packte er Frau Schreier am Arm, unterstuetzt von seinen beiden Lobbyisten und Minister Freimann. Meine Situation war aussichtslos. Frau Schreier fiel keines der hunderttausend Argumente ein, die es gegen meine Exekution gab. Und ich konnte sie ihr nicht einfluestern.
 
Da ertoente wie aus dem Nichts eine tiefe, wunderbar beruhigende Stimme mit einer herausragenden Idee:
 
“Nun beruhigen Sie sich einmal, Dresdien, wir geben dem armen Elwin ein Abfuehrmittel und lassen die Natur wirken!”
 
Der so weise sprach, mit aller Lebenserfahrung und Weisheit dieser Welt, war kein Geringerer als der beste Aussenminister aller Zeiten, Wolfener. Ausgerechnet Wolfener, der sonst mit seiner manchmal so herausfordernden und selbstverliebten Art schon mal negativ auffallen konnte, besass im allgemeinen Trubel die Souveraenitaet und Uebersicht, die in dieser Situation angebracht schien und mir auch sehr willkommen war.
 
“Geben Sie her!”
 
Wolfener nahm mich aus Schreiers Haenden, die wortlos geblieben war und nur stumm vorwurfsvoll Dresdien anblickte. Dankbar strahlte ich meinen Retter an und verzieh ihm sofort und grossmuetig sein Dobermannaroma, das ihm sein Klaeffer daheim angehaengt hatte.
 
Dresdien wiederum fuehlte das Zepter des Handelns entgeiten und verhehlte keineswegs, dass ihm die radikalere Loesung in Bezug auf meine Person eindeutig lieber waere:
 
“Herr Wolfener, wir haben keine Zeit fuer Wartespielchen. Wir koennen es uns nicht leisten, den Stick laenger in den Daermen von diesem Etwas als unbedingt noetig zu lassen. Stellen Sie sich vor, die Magensaeure zerfrisst den Stick oder loescht den Inhalt!”
 
“Nun machen Sie aber einen Punkt, Dresdien!”
 
Hoppla, unbemerkt von den Diskutanten hatte sich Frau Bundeskanzel von hinten genaehert, um sich des Problems anzunehmen und ihre Richtlinienkompetenz voll auszuspielen. Ich spuerte leise Hoffnung, dass sich der Wind zu meinen Gunsten drehte. Frau Bundeskanzel, sonst immer sehr auf Form bedacht, hatte den Verteidigungsminister direkt und ohne ein “Herr” adressiert. Hoffentlich wusste Dresdien diese kleine Spitze richtig zu deuten?
 
“Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, Sie haetten keine Sicherungskopien von ihrem Stick?”
 
Die Art, wie sich die Mimik der Regierungschefin mit ihren fixierenden Augen auf Dresdien ausrichtete, war jetzt nicht mehr misszuverstehen. Frau Bundeskanzel hatte eindeutig zugunsten des Erhalts meiner physischen Integritaet Stellung bezogen.
 
Dresdien zuckte und wich etwas zurueck.
 
“Selbstverstaendlich, Frau Bundeskanzel, Kopien gibt es genug. Ich will nur nicht, dass dieser Stick irgendwann zum Vorschein kommt und in falsche Haende geraet, das waere…”
 
“Schoen, dann geben wir Elwin also zum Tierarzt, der gibt ihm ein Abfuehrmittel und wird ihn nicht aus den Augen lassen, bis das Corpus Delicti wieder ans Tageslicht kommt. Haben Sie ein Problem mit dieser Vorgehensweise?”
 
Dresdien wusste um seine Niederlage und gab jeden Widerstand auf, in bester Politikermanier wurde der Meinungsumschwung noch rasch als eigene Idee umgemuenzt: “Wunderbare Idee, ich schicke einen meiner Leute noch mit, um auf den kleinen Uebeltaeter aufzupassen.”
 
Dresdien versuchte, erleichtert und ungezwungen zu klingen, was ihm nicht gelang. Er wuerdigte mich keinen Blicks, als ich einem Sicherheitsbeamten anvertraut wurde, der mich bis zum Eintreffen des Tierarztes beaufsichtigen sollte.
 
Der Veterinaer, ein kleiner, dicker Mann mit Schnauzer und lustigem einheimischen Dialekt, kam auch bald ums Eck, begleitet von einer Helferin. Er hoerte sich die Problematik an, die ihm einer von Dresdiens Lakaien schiderte. Der Verteidigungsminister selbst hatte naemlich schon den Rueckzug angetreten.
 
“Wie schaut denn dieser Speicherstick aus, wie gross ist der?” fragte der Tierarzt, der mittlerweile auf einem der Ledersessel Platz genommen und mich aus den verkrampften Armen des Sicherheitsbeamten befreit hatte. Ich wurde von ihm kontinuierlich langsam gestreichelt, wohl, um mich zu beruhigen. Dass mir eine angenehme Atmosphaere in diesem Moment denkbar unwichtig war, konnte der Tierfachmann ja nicht wissen. Keiner der Anwesenden konnte auch nur ahnen, wie gut ich sie verstand; bestenfalls einige Eingeweihte oder Leute, die mich besser kannten, wussten Bescheid um mein Potential. Viel mehr Wert als auf Gestreichle legte ich also auf die mich betreffenden Aeusserungen.
 
Dem Tierarzt wurde von dem Firmenvertreter ein zweiter Speicherstick praesentiert, der identisch mit dem Vermissten war, ein kleines, blaues, viereckiges Plastikteil.
 
“Hmm..”
 
Der Doktor kniff zweifelnd ein Auge zu, inpizierte das Teil und nahm dann mich in Augenschein.
 
“Du Halunke willst mir erzaehlen, du koenntest so etwas Leckeres verschlucken? Zerkaut oder im Ganzen?”
 
Waehrend er mich verschmitzt angrinste, starrte ich ihn an, dann den Stick. Wer immer auf die Idee gekommen war, dass irgendeine Katze einen derartigen Speicherstick verspeisen wuerde, absichtlich oder aus Versehen, bewies damit nur, dass er von unserer Rasse keine Ahnung hatte.
 
Moeglicherweise koennte einem Hund in seiner Gier ein solcher Fauxpas passieren. Eine Katze dagegen muesste sich ueberwinden und anstrengen, um einen Fremdkoerper dieser Groesse ueberhaupt nur in den Mund zu nehmen.
 
Vielleicht haette ich es sogar erwogen, um Dresdien eins auszuwischen, aber in diesem Fall war ich die reine Unschuld, hatte den Originalstick ja nicht einmal gesehen.
 
Das musste ich dem Herrn Fachmann aber erst einmal beibringen.
 
Ich zerbrach mir meinen Kopf ganz umsonst. Der Herr Doktor bewies, wieviel er an logischem Denken an der Universitaet aufgesogen hatte und brachte eine brilliante Idee zu Tage:
 
“Hoert mal, ihr habt doch sicher irgendwo in diesem Prachtbau ein Roentgengeraet stehen?”
 
Er drehte seinen Kopf hoch und blickte ueber sein randlosen Brillenglaeser und seine Schultern hinweg die Security-Leute fragend an.
 
Wieder schaltete der Juengere der beiden schneller: “Na klar, unten am Haupteingang. Und am Seiteneingang. Und noch ein Grosses am Materialeingang.”
 
“Na prima, dann gebe ich euch mal einen Tip: nichts wie dahin. Dann koennen wir dem kleinen Rabauken hier das Abgefuehre und uns stundenlanges Warten ersparen; ausserdem ist die Diagnose dann sicherer.”
 
So sehr ich erleichtert war und mit dem neuen Vorschlag war: ein bisschen mehr Respekt haette der Herr Doktor schon walten lassen koennen; ich bin nicht irgendein hergelaufener Halunke oder Rabauke, ich bin immer noch Frau Bundeskanzels Katze!
 
Aber ich war dem Tierarzt doch dankbar, dass ich jetzt zumindest die Aussicht hatte, um die Verabreichung darmverkrampfender Mittelchen herumzukommen. Ganz zu schweigen von dem ersten Vorschlag Dresdiens, mich aufzuschneiden!
 
Die kleine Karavane setzte sich in Bewegung, hauptsaechlich Sicherheitspersonal, das uns geleitete sowie den Tierarzt umrahmte, um mir eine Flucht unmoeglich zu machen.
 
Wir landeten am Nebeneingang, der mit Personendetektoren und eben einem Roentgengeraet wie eine Flughafenbarriere ausgestattet war. Zunaechst wurde der Speicherstick durch die Personenschleuse durchgereicht – negativ, kein Ausschlagen.
 
Dann wurde er zum Abgleich im Roentgengeraet durchleuchtet – er war eindeutig auf dem Monitor zu identifizieren. Ich durfte die spannenden Untersuchungen weiterhin in den Armen des Veterinaers mit verfolgen, umgeben von Zuschauern, die ihren Spass an der mittlerweile willkommenen Abwechslung von der eintoenigen Routine hatten und ihre Spaesschen machten.
 
Nun war ich an der Reihe. Man setze mich in eine Plastikschuessel, schob die Bleivorhaenge zur Seite und befoerderte mich in das Innere des Diagnostikapparats. Draussen schlossen alle auf Geheiss der Security einen Kreis, um meine Fluchtchancen weiterhin zu minimieren.
 
Ich dachte nicht an Flucht; ich wusste ja, was draussen am Monitor erscheinen wuerde, als das Geraet kurz aufsummte und seine Strahlen durch mich jagte,
 
Die Menschen draengten sich vor dem Monitor und bewunderten meine offenliegende knoecherne Anatomie. Mit dem Finger wurde da- und dorthin gedeutet.
 
Der Tierarzt hatte selbstverstaendlich seine Erfahrung mit Roentgendurchleuchtungen von Tieren; er scannte den Monitor kurz mit seinem fachmaennischen Blick ab und beschied dann: “Negativ, Elwin ist sauber. Sucht euren Stick woanders, der Racker hier hat ihn jedenfalls nicht.”
 
In der allgemein entstehenden Unruhe war ich mit einem Schlag vergessen, uninteressant, Vergangenheit. Weg war meine Hauptrolle in dieser Schmierenkomoedie. Es bildeten sich eifrig palavernde Diskussionsgruppen. Ich entwischte tatsaechlich unbemerkt und wollte erst einmal Distanz zwischen mir und diesem aufgeregten Menschenhaufen schaffen, begab mich zwei Stockwerke entfernt an ein ruhiges Plaetzchen und widmete mich endlich meiner ueberfaelligen Fellpflege. Aus dem Augenwinkel hatte ich aber noch einen fragenden Blick des Tierarztes in meine Richtung mitbekommen. Er hatte mit einem Finger auf einen kleinen Punkt in der Halsregion meines Monitorabbilds gedeutet. Er begriff, dass da etwas sass, was da nicht heingehoerte, mit dem verloren gegangenen Stick aber auf keinen Fall etwas zu tun haben konnte.
 

 
Womoeglich war meine absolute Alleinstellung innerhalb des Bundeskanzelamtes der Grund dafuer, dass sich viele unterschwelligen Aggressionen auf ein so scheinbar wehrloses Wesen wie mich fokussierten. Oberflaechlich schien ich den Inbegriff fuer Dekadenz zu verkoerpern: Ein stress- und leistungsfreies Leben an der Spitze der Gesellschaft, gehegt und gepflegt vom direkten Umfeld, schoen und elegant und bar jeder Verpflichtung oder Terminkalenderzwangs. Kurz: ich stellte mit jeder Faser meines Koerpers dar, was zahlreiche Menschen auch nicht annaehernd erreichen konnten.
 
Nicht jeder lebte seine Aversion so offen gegen mich aus wie Dresdien; der Hass auf mich wurde normalerweise versteckt gezeigt. Wenn Frau Bundeskanzel zugegen war, hatte ich ausnahmslos nie etwas zu befuerchten – ausser den ein oder anderen versteckten boesen Blick. Nicht, dass mich die Regierungschefin je als Schmusetier missbraucht oder auch nur grossartig Zuneigung oder Empathie zu mir gezeigt haette, weder alleine oder in Gegenwart anderer Leute.
 
Aber ich war nun mal ihre Katze, stand ihr offiziell sehr nahe und war damit Neidobjekt zahlloser Menschen.
 
Was meine Feinde betraf, die ihre Scharmuetzelchen gegen mich ausfochten: Auch wenn sie es so verbissen anstellten wie Dresdien, sie gewannen mal eine Schlacht, aber nie den Krieg.
 
Auch der Verteidigungsminister sollte sein Fett noch abbekommen, der Zwist zwischen uns hatte gerade erst begonnen und ich wertete die Affaere um den Speicherstick mal eben als einen Punktgewinn fuer mich…
 

 
Meine Zwistigkeiten mit dem Verteidigungsminister sollten damit noch lange kein Ende haben. Er sah unser Kraeftemessen von der verbissenen, ich eher von der sportlichen Seite. Ich darf vorwegnehmen, dass er mir nie auch nur annaehernd ernsthaften Schaden zufuegen konnte.
 
Im Gegensatz zu einem anderen politischen Schwerkaliber. Der hatte mich tatsaechlich in einer unaufmerksamen Phase kalt erwischt, was ich auch richtig buessen musste.
 
Doch von Anfang an:
 
Es hatte in der italienischen Presse eine Reportage ueber die Haustiere der Maechtigen gegeben; aufgrund des grossen Anklangs gab es Veroeffentlichungen und Uebersetzungen rund um die Welt. Und -Sie werden mir schon glauben- neben den ganzen Hundemassen und Pferdehorden gab es den einen oder anderen Exoten: ein Kaninchen, eine Schildkroete, einen Leguan, einen Kakadu, einen Papagei, einen Pfau und auch eine ganze Schar Katzen. Die meisten schienen wenig Persoenlchkeit zu besitzen und wurden von ihren Besitzern aus dekorativen Zwecken gehalten, doch es gab zwei Ausnahmen.
 
Das eine Exemplar war eine Siamkatze, die einem asiatischen Staatsfuehrer gehoerte, der zu seinem Liebling ein inniges Verhaeltnis pflegte: sie fehlte selten bei Kabinettssitzungen und war auch in seinen Privatgemaechern zu Hause; es hiess, sie waere auch Gegenstand spiritueller Familiengedenksfeiern, was immer das heissen mochte.
 
Nicht dass die Katze des fernoestlichen Regierungschefs irgenwelche wundersamen Eigenschaften oder besondere Faehigkeiten besessen haette, sie waere eine richtig eigenschaftslose Durchschnittskatze.
 
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: ich will dieses Katzenexemplar, das ich nie getroffen habe, weder ab- noch irgendwie bewerten. Ich beziehe mich rein auf den Artikel, ueber den selbstverstaendlich auch in meiner Gegenwart diskutiert wurde. Das war wenig verwunderlich, denn die andere beschriebene Katze war ich.
 

 
Ich hatte bedauerlicherweise keine Moeglichkeit gehabt, den Originalartikel selbst lesen zu koennen, kann mich also nur auf die vielen Versatzstuecke beziehen, die sich die Schenkelklopfer gegenseitig an den Kopf warfen, wenn sie mich sahen.
 
Der Autor (ein gewisser Ernisto di Felinoce - das musste einfach ein Pseudonym sein) hatte sich die Freiheit genommen, mich aus irgendwelchen Gruenden als mysterioeses Wesen mit unergruendlichen Faehigkeiten hinzustellen. Ich durfte also annehmen, dass er (oder sie) mich irgendwann selbst hatte in Augenschein nehmen koennen. Ich dachte angestrengt an die diversen italienischen Delegationen nach, die diesem Haus schon die Ehre gegeben hatten. Es waren nicht so wenige; allerdings konnte ich mich an keine einzelne Person erinnern, die sich irgendwie auffaellig mit mir beschaeftigt haette.
 
Ich moechte auch nicht ausschliessen, dass der Artikel lediglich eine Allegorie oder eine Satire war, die mich nur als zufaellig vorhandenen Vorwand fuer das nicht nachvollziehbare Entstehen politischer Entscheidungen in Anspruch genommen hatte.
 
Wie auch immer, nun war ich einmal eine Zeitlang wegen dieser mehr oder weniger fiktiven Publikation eine Art oeffentliche Figur und durfte Anspielungen und leichten Spott ertragen.
 

 
Doch ich wollte ja eigentlich davon erzaehlen, wie es einmal, ein einziges Mal ein Mensch geschafft hatte, mich zu uebertoelpeln.
 
Es war der italienische Ministerpraesident persoenlich, Commandante Comtilano, der gar nicht so gut gelitten war von meiner Frau Bundeskanzel. Er war eine der wenigen Objekte, ueber die sie wie ein Rohrspatz schimpfen konnte, um so lauter und intensiver, je fortgeschrittener die Stunde und kleiner der teilnehmende Personenkreis war.
 
Was auch immer der Signore verbrochen hatte, um meiner Chefin so zu missfallen, er hatte einer ueberbordend herzliche und vordergruendig einnehmende Art, so auch damals, als die ueberschaubare, aber hochrangige Regierungsvertretung aus Italien abends im Bundeskanzelamt eintraf. Tagsueber mussten in der Hauptstadt Termine wahrgenommen werden, nun sollte der Abschluss des Besuchs mit einer Feier in der Terassenetage stattfinden.
 
Die Terassenetage umfasst die bessere der zwei Kantinen, eigentlich eher ein Restaurant mit einem penthouseaehnlichem Doppelsaal, einem sehr schoenen Dachgarten und einem Pool, der nachts mit seiner Innenbeleuchtung und seiner Aussicht ueber das Regierungsviertel besonders gut zur Geltung kam.
 
Dabei war der Pool nur zur Dekoration gedacht; man erwartete nicht von Staatsgaesten, dass sie die Kleider von sich warfen und sich in den Pool schmissen, Nichtanwesenheit der Presse hin oder her.
 
Doch abends um zehn hatte Comtilano mit seinen Begleitern und auch einigen der Gastgebern ueber einige Stunden einer ordentlichen Portion Rotwein den Garaus gemacht, stimmungsmaessig uebernahmen die Suedlaender das Kommando ueber die herrliche Anlage ueber den Daechern der Hauptstadt.
 
 
 
Nun hatte der Signore also die ploetzliche Eingebung, dass der Pool seinem eigentlichen Zweck zugefuehrt werden musste und teilte die Idee spontan seinen Trinkgefaehrten mit. Die waren promillemaessig zwar schon gut dabei, aber noch nicht bei dem Level angelangt, bei dem man unreflektiert Verruecktheiten anstellt. Auch nicht, wenn sie einem von Freunden nahegelegt werden. Oder eben vom italienischen Regierungsboss, der die Durchfuehrung des Schwimmgedankens nunmehr als eine Frage der Landesehre ansah; er hatte die neugierigen und abschaetzigen Blicke der gastgebenden Regierungsmitglieder schon richtig interpretiert.
 
Um nicht als substanzloses Grossmaul dazustehen, musste jetzt einfach jemand ins Wasser; dieser Jemand hatte ein Italiener zu sein.
 
Das schwaechste Glied in der Kette war der Dolmetscher. Comtilano hatte zuvor lautstark nach einem der Chauffeure verlangt, aber die Burschen hatten Lunte gerochen, die Gefahr fruehzeitig erkannt und sich vor ihrem Chef unauffaellig in die unteren Stockwerke in Sicherheit gebracht.
 
Sie kannten ihren Chef.
 
Der arme Uebersetzer wurde vom Signore selbst nun dazu verdonnert, in den Pool zu springen.
 
Seitdem es diese wunderbare Terassenanlage gab, hatte ich noch nie jemanden darin sich erfrischen sehen, auch nicht wenn die Sonne knallte und die Kantinenbesucher schwitzend auf dem Maeuerchen sassen, weil sich alles um die Mittagszeit draengte und die Plaetze besetzt waren.
 
Es gab alles, was fuer einen angenehmen Poolbesuch erforderlich war: Leitern, Liegen, eine Dusche und eine Umkleidekabine. Aber es gehoerte als ungeschriebene Regel zur Hausetikette, dass dieser Pool nur Dekorationszwecken zu dienen hatte.
 
Die fuer mich unverstaendlichen, aber heftigen Worte Comtilanos brachten den mageren Dolmetscher dazu, sich auszuziehen, was er erstaunlich elegant hinbekam fuer den Umstand, dass ihm etwa 50 neugierige Augenpaare verfolgten.
 
Auch sein Kopfsprung war durchaus beeindruckend; dieser kleine Italiener hatte Stil.
 
Woher Comtilano auch seinen nunmehrigen Triumphausbruch vollzog; mit suedeuropaeischer Begeisterung wurden jetzt die Einheimischen genoetigt, es dem Heldentum der Italiener gleichzutun und als zweite Sieger in den Pool von Frau Bundeskanzel zu huepfen. Sie selbst hatte sich bereits aus privaten Gruenden entschuldigen lassen und verabschiedet, was fuer sie aussergeoehnlich war; so gut wie nie mussten dienstliche Verpflichtungen unter der Privatsphaere leiden, also ging ich davon aus, dass diese Gruende vorgeschoben waren und mit Comtilanos Persoenlichkeitsstruktur zu tun hatten.
 
Moeglicherweise wollte sie ja auch eine Situation wie diese vermeiden, dass am Ende sie selbst genoetigt wurde, sich in den Pool zu begeben…
 
In diesem, sehr wahrscheinlichen Fall hatte ihr Instinkt sie einmal mehr die richtige Entscheidung treffen lassen; die verbliebenen Gastgeber versuchten, sich unsichtbar zu machen und Blickkontakt mit dem exaltierten italienischen Ministerpraesidenten zu vermeiden.
 
Comtilano suchte zumindest ein zweites Opfer, war im Sinne eines selbsternannten Moderators aufgesprungen, um seine Runde zwischen den Tischen zu machen und die einzelnen potentiellen Kandidaten anzusprechen.
 
Ich hatte diesen einen klitzekleinen Moment nicht aufgepasst.
 
Meine Position war halb um eine kleine Zierpalme gewickelt, die in einem riesigen Keramiktopf am Pool stand. Comtilano war die meiste Zeit mit dem Ruecken zu mir gestanden.
 
Eine echte Instinktluecke meinerseits. Zu meiner Schande war ich davon ausgegangen, dass Comtilano mich im Halbschatten gar nicht wahrgenommen hatte.
 
Zuvor, als die Sonne noch am Himmel stand, hatte er bereits genuegend fuer mich unverstaendliche Witzchen auf meine Kosten gerissen, die sich wahrscheinlich auf meine Darstellung in eben jenem original italienischen Magazinartikel bezog.
 
Ich ahnte nicht, was kam.
 
Mit einer unglaublichen Behendigkeit hatte sich der Signore umgedreht und mich gepackt. Schon war ich im hohen Bogen Richtung Poolmitte unterwegs und aergerte mich schon im ersten Drittel meiner Flugbahn ueber meine Vertrauensseligkeit und Schlafmuetzigkeit.
 
Kaum war ich mit einem Knall in das ungeliebte Element eingetaucht, in dem der Uebersetzer nach wie vor einsame und kraftvolle Bahnen zog, als ich auch schon wieder zum rettenden Ufer in Gestalt der Badetreppe schoss und wie der Blitz triefnass in den Katakomben verschwand, meiner Schande als uebertoelpelte Katze gewiss.
 
Welch Blamage aber auch!
 
Ueber die Reaktion des Publikums konnte ich zu dem Zeitpunkt ueberhaupt nichts sagen; ich war so mit mir und meinem Entkommen beschaeftigt, dass ich mir erst die naechsten Tage die diversen Geschichten anhoeren konnte, wie die einzelnen Zeugen diese Aktion wahrgenommen hatten.
 
Mein Fell brauchte Stunden, um zu trocknen und wieder einigermassen Facon anzunehmen. Einen Tag lang war ich richtig beleidigt und blieb ohne Sichtkontakt zur zweibeinigen Gesellschaft. Ich war in einer ureigensten Katzendomaene geprueft worden und hatte versagt: in der Faehigkeit, Situationen interpretieren und Wendungen vorweg nehmen zu koennen. Im Nachhinein war ich -zumindest an diesem Abend- plump wie ein Mensch und Frau Bundeskanzel die bessere Katze.
 

 

 
Und Comtilano durfte sich vorerst ruehmen, der einzige Mensch zu sein, der mich je ausgetrickst hatte. Immerhin hatte er seinen Ruf mit dieser Aktion nicht unbedingt aufgebessert, fast alle, die sich ueber den “Katzenwurf” unterhielten, waren eher peinlich beruehrt.
 
Aber eben nicht alle.
 

 
Nachdem ich mich nun einen Tag lang ueberhaupt nicht und zwei weitere Tage nur zum allernotwendigsten in der Palastoeffentlichkeit hatte sehen lassen, vertraute ich auf die Vergesslichkeit der Menschen im Allgemeinen und auf die Schnellebigkeit des Bundeskanzelamtes im Speziellen und nahm meine gewohnten Schleich- und Kontrollrunden wieder auf.
 
Normalerweis passieren so viele Geschichten und Dramen innerhalb kurzer Zeit gerade hier, wo Schicksale ganzer Bevoelkerungsgruppen, ja sogar Laender entschieden werden, dass weniger praesente und stillere Interesseneinheiten oder gar Einzelpersonen schon mal unter die Raeder kommen koennen. Also sollte sich im hiesigen Machtzentrum niemand laenger als einige Minuten um einen laecherlichen Zwischenfall mit einer Katze kuemmern, sondern sich um die wichtigen Belange der Menschheit kuemmern.
 
Weit gefehlt.
 
Gerade weil ich einige Tage nicht zu sehen war, schienen sich viel zu viele Personen viel zu viel Gedanken um mich gemacht zu haben. Das Hallo war gross, als ich bereits auf meinem allerersten Gang ueber den Hauptflur dem Kabinett in seiner geballten Vielkoepfigkeit entgegenkam, das gerade eine Sitzung beendet hatte und deshalb ungluecklicherweise eine Menge Zeit damit verbringen konnte, mir ihr Mitgefuehl und Mitleid in Unmengen erklaeren zu muessen. Bei dieser Art Emotion taten sich die ueblichen Verdaechtigen wie Frau Schreier und Frau Ignazius hervor.
 
Aergerlicherweise hatte auch deren emotionaler Gegenpol, versammelt um die Minister Dresdien und Freimann, auffaellige Freude an meinem Erscheinen. Gerade den verkniffenen Dresdien hatte ich nie zuvor so guter Laune gesehen. Waehrend die Damen mich abstreichelten und mit suessen Worten zukleisterten, hielt er mit seiner Maennerclique Abstand und warf sich mit Freimann und Rovano, dem Chef des Bundeskanzelamts die Baelle zu:
 
“Schoen, dass du wieder da bist, Elwin! Und wie sauber das Fell glaenzt!”
 
“Irre ich mich, oder hast du da einen schicken neuen italienischen Haarschnitt?”
 
“Du bist ja ‘ne richtige Rakete im Wasser, Elwin!”
 
“Ja, Jugend trainiert fuer Olympia!”
 
Bruellend vor Lachen schlug sich die Herrenbande auf die jeweiligen Schenkel. Es ging noch minutenlang so weiter. Man uebertraf sich in billigen Scherzen auf meine Kosten.
 
Also schien ich mich ziemlich geirrt zu haben in Bezug auf die menschliche Vergesslichkeit. An manche Sachen erinnern sich die Zweibeiner offenbar jahrelang; mein Abflug in den Pool hatte auf die Anwesenden einen maechtigen Eindruck gemacht.
 
Dieser Spass auf meine Kosten musste Sanktionen meinerseits zur Folge haben. Wenn ich die Sache schon nicht vergessen machen konnte und Comtilano inzwischen ausserhalb jeder Reichweite meines Einflusses war, so sollten zumindest diese Trittbrettfahrer den Hauch einer Abstrafung fuer ihr laesterliches Gebahren erhalten. Oder auch etwas mehr. Auf alle Faelle und zuallererst Dresdien, dieses Zentrum der Schadenfreude und Katzenhasses mit seinem offen zur Schau getragenen menschlichen Chauvinismus.
 
Die abfaelligen Sprueche hatten meine Katzenseele zunaechst zum Kochen gebracht. Aber als ich wieder allein war, liess ich mir die Situation noch mehrmals durch den Kopf gehen und fand ganz neue Facetten: Dass Dresdien mich nicht mochte, war bekannt. Indem er mich mittlerweile offen wie einen Widersacher und Feind behandelte, wertete er mich unbewusst auf - oder sich selbst ab- und stellte uns beide gewissermassen auf eine Ebene. Und er war mit seiner Ablehnung meiner Person in Vorleistung gegangen, was mir eigentlich einen relativen moralischen Vorteil verschaffte, von der Motivation seiner Abneigung mal ganz abgesehen (ich hatte nie den Eindruck, ihm etwas angetan zu haben).
 
Ziemlich zufrieden mit mir und meinen neuen philosophischen Erkenntnissen, genoss ich meinen abendlichen Kalbsleber/Paprikamix und traeumte mich langsam mit dem Spinnen von Rachegedanken in den Schlaf.
 
Nach der Kabinettsitzung ist vor der Kabinettsitzung.
 

 
Eigentlich ist es doch erschreckend, wie viel Zeit man mit unnuetzen und schaedlichen Dingen wie Rachegeluesten verbringt. Wieviel Produktiveres koennte man mit seinen Grosshirnkapazitaeten in der verlorenen Zeit erreichen. Aber ich bin auch nur eine Katze und kein Engel.
 
Ich muss zugeben, ich hatte mir schon vor den letzten Ereignissen einige Plaene ausgedacht, dem Innenminister in seine Schranken zu weisen. Also brauchte ich auch nicht lange herumzufeilen. Die Strafe sollte nur eindeutig sein - Dresdien musste geschadet werden und er musste auch erkennen koennen, dass ich der Verursacher war. Wenn schon Krieg, dann mit offenem Visier.
 
Bei Bedarf kann ich auch anders als Katze.
 

 
Dresdien war kein Wackelkandidat im Kabinett, er galt als stark in der Meinungsbildung und fest verankert in Fraktion, Partei und Wahlvolk. Ich hatte kein Interesse, ihn substantiell zu schaedigen oder ihn aus seinem Amt zu treiben. Obwohl der Gedanke reizen wuerde, meine Macht und Intelligenz in diese Richtung auszuprobieren…
 
Doch das war zu weit gedacht, es galt nun, eine simple, aber eindeutige Strafhandlung auszuueben. Dabei halte ich es mit der menschlichen Erziehungslehre, die Sanktion, egal ob positiv oder negativ, der zugrundeliegenden Tat moeglichst bald folgen zu lassen, damit das betroffene Objekt sein zugrunde liegendes Verhalten im Zusammenhang mit der jeweiligen Strafe oder Belohnung sieht.
 
Kurz, damit er derartige Fehler in Zukunft vermeidet.
 
Identifikation gegnerischer Schwachpunkte sollte zum Portfolio jedes halbwegs intelligenten Wesens gehoeren: mein Plan war simpel, nicht besonders brilliant, sollte aber die von mir selbst gestellten Voraussetzungen erfuellen.
 
Zielobjekt waren Dresdiens frei herumliegende schwarze Slipper. Wie schon erwaehnt, nach der Kabinettssitzung ist vor der Kabinettssitzung.
 
Keine 24 Stunden spaeter war schon die naechste beanraumt; diesmal interessierte mich das Thema ueberhaupt nicht, es ging mir nur um die Befriedigung meiner niederen Instinkte, der primitiven Rachegelueste, ich gebe es ja zu.
 
Ich durfte mich weitgehend unbemerkt unter den schweren dunkelroten Tisch schmuggeln: wie meistens, war Dresdien puenktlich und einer der ersten, wie fast immer mit ausgezogenen Schuhen. Schoen schwarz glaenzend, wie es sich fuer einen obersten Truppenfuehrer gehoert. Mit einem nur ganz leichten Aroma nach Rindsleder, der ueberdeckt war von einer aromatisierten Schuhpflegecremenote. Von ihrer Herkunft her undefinierbar, aber, wie ich trotz des mir unsympathischen Besitzers zugestehen musste, recht angenehm und stilvoll.
 
Mein Job war es nun, diese edlen Slipper so mit Biss- und Kratzspuren zu verzieren, dass es weithin sichtbar waere und zumindest fuer einige peinliche Momente sorgen duerfte, von dem kleinen finanziellen Verlust mal ganz abgesehen.
 

 
Es geht ein alter und abgestandener Spruch herum ueber das Bundeskanzelamt; es waere noch nie ein Plan so ausgefuehrt worden, wie er dieses ehrwuerdige Haus betreten haette. Und leider, leider traf dieser Spruch auch auf diesen meinen, so winzigen Plan zu.
 
Ich hatte die Qualitaet des Leders unterschaetzt. Es war dick, sehr hart und so gut praepariert und gepflegt, dass meine Beisserchen auch an den Kanten nicht genug Halt fanden, um ernsthaft nachweisbare Spuren zu hinterlassen.
 
Wie reiner Hohn mutete es an, dass, waehrend ich mit dem rechten Schuh zwischen den Pfoten abmuehte, der ehemaligen Kuh Verletzungen zuzufuegen, Dresdien derweil nichtsahnend und nonchalant wiederholt seine Beine ausstreckte und uebereinander schlug, ohne auch nur im Entferntesten zu vermuten, welches Schuhdrama sich unter seinem Stuhl abspielte. Er machte sich nicht einmal die Muehe, hin und wieder seine Schuhe zu suchen, was nur bedeuten konnte, dass die Sitzung noch eine Weile andauern sollte.
 
Nur der Tatsache, dass Katzen nicht schwitzen, verdankte ich es, trocken zu bleiben. Ich rollte mit dem Treter hin und her, ueberschlug mich sogar damit in meinem Eifer, Bissmarkierungen zu setzen. Ich hatte ja auch keine Uebung im Gebrauch meiner Kiefer, der Grossteil meiner Nahrung bestand aus vorgefertigter Kost oder weichen Fleischstuecken.
 
Auch meine Krallen hatten wenig Effekt - ich sass hilflos vor dem Stueck Leder.
 
Vielleicht die Schnuersenkel durchkauen? Das klang fast schon wie eine Kapitulation und war keinesfalls angemessen fuer Dresdiens Ueberheblichkeit, zumal er ja noch fuer Comtilanos Tat mitbuessen sollte, der sich meiner Rache unerreichbar entziehen konnte.
 
Improvisationstalent war jetzt gefragt.
 
Wie waere es damit, beide Treter zu verstecken? Ich sah mich um. Im Raum gab es nichts in Bodennaehe, wo zwei Schuhe laenger als zehn Sekunden unentdeckt bleiben wuerden -keine Schraenke, Winkel, Pflanzentoepfe… Auch diese Option schied aus, zu billig haette ich mich da ohnehin verkauft.
 
Der Gedanke, dass mich das versammelte Kabinett mit missbilligenden und mitleidigen Blicken ueberziehen wuerden, weil ich auf die grossartige Idee verfallen waere, die beiden Schuhe sechs Meter weit wegzuschleppen… Das were ja fast schon ein Punktsieg fuer Dresdien.
 
Ich hasste diese rat- und planlose Ohnmaechtigkeit. Wie sollte ich diese Gelegenheit nur sinnvoll wahrnehmen? Ausserdem musste ich dringend mal wohin…
 
Moment!
 
Eine andere Idee!
 
Das waere eigentlich nicht meine Vorstellung eines stilvollen Duells! Andererseits waere diese Idee, die Treter eindeutig zu markieren, schon extrem verlockend…
 
Also, versuchen wir es auf die ruede Art, manchmal muss man sich halt kurz entschliessen. Ich griff mir meinen einen Feind, den rechten Schuh, hockte mich darueber und drueckte und presste und krampfte… Nix ging!
 
Wenn man Stubenreinheit von klein auf eingeblaeut bekommen hat und effektiv nie woanders als auf zwei sauberen Katzenklos sein Geschaeft verrichtet hat, tut man sich verdammt schwer damit, seine Hinterlassenschaften woanders loszuwerden, so seltsam das klingen mag. Als saubere Katze mit einwandfreier Kinderstube reichte es nicht aus, mich zu ueberwinden, ich musste mich zwingen…
 
Immer noch nix.
 
Obwohl meine Blase und Enddarm gut gefuellt waren, verkrampfte ich mehr, als dass ich der natuerlichen Entleerung freien Lauf lassen konnte.
 
Ich verzweifelte. Es schien nicht meine Woche zu sein, es sei denn, eine Woche des Versagens.
 
Zu allem Ueberfluss geriet die ueber mir tagende Ministerrunde aus irgendeinem daemlichen Grund ins kollektive Lachen, und raten Sie mal, wer am lautesten wieherte?
 
Genau!
 
Dieses Lachen klang wie eine ueberhebliche Verspottung einer unfaehigen, niederen Kreatur in meinen Lauschern!
 
Ich wurde wuetend!
 
Ich musste tricksen, viel Zeit blieb mir nicht mehr. Ich stellte mir das feiste Gesicht meines Widersachers vor, ganz gross vor mir. Und ich wurde wuetend! Ich hasste Dresdien, redete ich mir ein.
 
Selbstverstaendlich war das nicht der Fall, eher schon umgekehrt. Aber mit Hass war meine Empfindung Dresdien gegenueber sehr unzureichend beschrieben. Viel eher traf der Terminus “mal schauen, wie der in der naechsten Eskalationsrunde reagiert?” meine Gefuehlslage, eine Art neugierige Erwartungshaltung meinem selbsternannten Gegner gegenueber.
 
Aber fuer eine kurzen Moment musste ich mir einreden, dass ich Hassgefuehle hegte! Ich schloss meine Augen, machte einen Buckel und presste!
 
Der Erfolg blieb dismal nicht aus!
 
Nur der Anfang war wirklich schwer, die Menge bahnte sich nun frei ihren Weg. Aber halt, nicht alles in den einen Schuh! Es galt, meine Kostbarkeiten moeglichst gerecht in beide Lederbehaelter zu verteilen!
 
Also huepfte ich zwei, drei Mal hin und her, bis ich meine Arbeit vollendet hatte.
 
Mit dem Ergebnis konnte ich nur zufrieden sein. Fuer eine Katze war die ans Tageslicht gekommene schiere Masse rein volumenmaessig sehr anstaendig, sowohl die fluessigen wie auch die festeren Anteile verteilten sich schoen auf der glaenzenden Innensohle.
 
Keinen Moment zu frueh, wie sich zeigte. Frau Bundeskanzel war gerade bei den letzten ihrer Schlussworte, was am allgemeinen Aktengeraschel und Fussgescharre zu erkennen war.
 
Auch mein Opfer suchte danach, mit seinen Fuessen seine Schuhe zu erreichen. Ich konnte ihm gerade noch den Linken zuschieben, als er sich schon unter den Tisch zu beugen anschickte.
 
Aber er hatte schon beide Schuhe zwischen seinen Beinen eingeklemmt und war dabei, in den Rechten zu schluepfen, als ich davon schoss!
 
Das Wichtigste haette ich beinahe versaeumt! Die Ansicht eines Gesichts in dem Moment, als der Besitzer bemerkt, dass ihm gerade ein graesslicher Scherz zugefuegt wurde!
 
Ich schoss also auf die Garderobe am Saalausgang und nahm Dredien ins Visier.
 
Doch welche Enttaeuschung!
 
Mit vollkommen unbewegter Miene schluepfte er in die Schuhe! Hatte er kurz gestutzt? Er war ja immerhin verstummt, waehrend er noch kurz zuvor mit seinem Nachbarn, Aussenminister Wolfener geplaudert hatte.
 
Aber jetzt, als ob kein Waesserchen getruebt waere, erhob sich Dresdien und strebte, eingeklemmt zwischen Wolfener und dem Entwicklungsminister Niedrig, dem Ausgang zu.
 
Ich war enttaeuscht und ziemlich am Boden, dass er meinen Streich so ueberhaupt nicht wahrgenommen hatte und schlich mich von der Garderobe auf den Teppichboden. Da war mit einem Mal dieser Blickkontakt und aus diesen Augen war es absolut unmissverstaendlich, dass er meinen “Scherz” sehr wohl in seiner ganzen Bedeutung wahrgenommen hatte und dass ich mir einen unversoehnlichen Feind gemacht hatte.
 
Seine ganze Zurueckhaltung war einfach damit zu erklaeren, dass er dem Kabinett keine Moeglichkeit geben wollte, von der neuesten Entwicklung unseres Konflikts zu erfahren.
 
Diese Peinlichkeit sparte sich der Verteidigungsminister. Bei genauerem Hinsehen konnte einem nicht verborgen bleiben, wie rot der Schaedel geworden war und wie sehr er mit den Haenden vor Wut zitterte.
 
Unser Duell wuerde darauf hinauslaufen, dass es nur einer ueberleben wuerde, dessen konnte ich mich mit einem erneuten Augenkontakt vergewissern. Am liebsten haette Dresdien noch heute abend seiner Luftwaffe den Einsatzbefehl gegeben…
 
Dieser Gedanke wie auch der erfreuliche Ausklang dieser Kabinettsitzung amuesierten mich; ich begab mich in guter Laune und ziemlich zufrieden mit meiner Untat aufrechten Hauptes taenzelnd hinaus, um ueber Umwege mein Lieblings-Rueckzugsareal zu erreichen.
 

 
Meine Hochstimmung sollte bis zum Nachmittag des Folgetages voruebergehend noch gesteigert werden.
 
Ich erklaerte dieses Ereignis zur kompletten Kapitulation des Verteidigungsminister vor einer Kreatur, die in ihrer Nische nahezu unschlagbar war, naemlich mich: Dresdien haette sich krank melden lassen und ein Treffen mit Frau Bundeskanzel und dem Finanzminister Swaba
 
abgesagt.
 
Sieg auf der ganzen Linie oder purer Zufall? Mein Herz huepfte vor Freude und Stolz, meine Phantasie schlug Kapriolen:
 
Reaktives Magengeschwuer? Akuter beidseitiger Fusspilz? Vor Wut eingewachsene Zehennaegel…?
 
Koennten Katzen vor Freude pfeifen, waere das Bundeskanzelamt erfuellt mit froehlichen Melodien gewesen…
 

 
Der Ministergipfel mit Frau Bundeskanzel fiel also flach; ich hatte zwar noch mitbekommen, dass Dresdien seinen Fahrer mit einem Paket an die hoechste Stelle hatte vorbeikommen lassen. Aber fuer irgendwelche Aktenpakete interessierte ich mich nicht und schlich mich meiner Wege. Noch kurz ging mir das verpackte Buendel durch den Kopf, hatte Dresdien wirklich erwartet, dass Swaba und Frau Bundeskanzel sich in seiner Abwesenheit durch seine Dokumente und Unterlagen haetten wuehlen wollen? Er hatte ja nicht einmal einen seiner mit der Sachmaterie vertrauten Staatssekretaere mitgeschickt.
 
Oder verlangte er vom Frau Bundeskanzel Rechenschaft und von mir Schadensersatz fuer seine von einer Ueberschwemmungskatastrophe betroffenen Schuhe, die er als corpus delicti anklagend hatte demonstrieren lassen?
 
Bei diesen Gedanken wurde ich von einer regelrecht albernen Heiterkeitswelle ueberrollt, dass ich nur noch im Kreis herumsprang und meinen Schwanz erhaschen wollte und danach vor lauter Wohlgefuehl einen seltenen spontanen Schnurranfall bekam, der ungewoehnlich lange anhielt.
 
Ich verbrachte einen wunderbar amuesanten Nachmittag am Restaurant auf der Dachterasse und liess mich von einigen Besuchern mit Leckerbissen verwoehnen. Der Anblick des Pools konnte mir an einem derartig erfolgreichen Tag doch nichts ausmachen; von wegen Stelle meiner grossen Schmach, ich war gerade dabei, die Machtverhaeltnisse hier im Haus neu zu sortieren und der Verteidigungsminister reihte sich reumuetig, wenn auch zaehneknirschend irgendwo in der Hierarchie ein.
 
Irdendwo hinten, hinter mir…
 

 
Oh Elwin, etwas Demut taete dir von Zeit zu Zeit nicht schlecht.
 
Unterschaetze deine Widersacher nicht. Verschwende deine Energie nicht auf das sinnlose Auskosten deines Triumphs, versuche lieber, Jedem, ob Freund oder Feind jederzeit mindestens einen Schritt voraus zu sein.
 
Im Nachhinein moechte ich behaupten, dass ich schon etwas geahnt hatte. Es waere ja auch zu schoen gewesen, dass der Verteidigungsminister die Waffen streckte. Er bekleidete sein Amt nicht umsonst. Dresdien war kampfeslustig und nicht konfliktscheu.
 

 
Aber im Nachhinein laesst sich viel behaupten.
 
Zum Abschluss dieses amuesanten, wenn auch wenig produktiven Tages torkelte ich noch meiner unteren Schlafstaette in der Naehe der Zentralwaescherei entgegen. Anstelle der ueblichen Weichmacher- und Feinwaschpulveraromen kam mir schon auf dem Flur ein unangenehmer Geruch entgegen, der sich mit dem Naeherkommen ueberproportional zu verstaerken schien.
 
Man haette mit einem Messer durch diesen penetranten Gestank schneiden koennen. Ich schlich mich um die Ecke und lugte vorsichtig.
 
Auf meinem Schlaflager lag eine neue Decke in der Farbe knalllila. Sie war fest eingespannt und zweifellos die Quelle der ueblen Ausduenstungen.
 
Es war nicht schwer, eine Differenzierung vorzunehmen: 90 Prozent Collie, 10 Prozent Lavendeloel.
 
Was auch immer der fuer mich zustaendigen Haushaelterin da eingefallen war, konnte ich in dem Moment nicht klaeren. Ich machte eine 180 Grad-Wende und schoss zwei Stockwerke hoeher zu meinem Ersatzlager bei einer der Konferenzsaalkuechen.
 
Der widerliche Gestank schien mich noch durch die Fluren zu verfolgen. Unterwegs war ich noch so froh, dieser Qual bald zu entkommen, mir erst spaeter einfiel: Ich kannte ja einen Colliebesitzer. Doch wer war das gleich nochmal?
 
Keine Zeit, im Gedaechtnie zu kramen.
 
Kaum bog ich um den Eingang in den Vorraum der Kueche, da standen meine Haare schon wieder zu Berge. Exakt der gleiche Gestank empfing mich hier, nur um eine Zehnerpotenz intensiver und ekelerregender.
 
Diesmal war der Ausgangspunkt eine babyrosa Decke, die ueber mein Zweitlager gespannt war.
 
Ich fiel praktisch rueckwaerts auf den Flur hinaus und war zunaechst sprachlos. Wieder Collie und Lavendel, in einem aehnlichen Mischungsverhaeltnis.
 
Wie vor den Kopf geschlagen, setzte ich mich draussen auf dem Flur erst einma auf meine Hinterbeine und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
 
War diejenige Haushaelterin die Initiatorin, die mich sowieso wenig leiden konnte und damals nach meiner Ankunft durchgesetzt hatte, dass ich Bewegungsverbot in den geheiligten Hallen von Frau Bundeskanzler erhielt? Welcher Teufel hatte sie dann geritten, mir eine solche Grausamkeit zuzumuten?
 
Immerhin war sie auch ein Teil meiner Versorgungskette, die fuer meine Speisenzubereitung, meine Hygienestationen und eben meine Ruhestaetten verabtwortlich war. Auch wenn sie keine besondere Zuneigung zu mir erkennen liess, hatte sie sich doch zu keinem Zeitpunkt boesartig verhalten.
 
Aber nein, sie war in keiner der heutigen Tagesschichten taetig gewesen. Moeglicherweise war sie sowieso im Urlaub.
 
Also kam das Hauspersonal nicht als Initiator in Frage; mein Verdacht musste in eine andere Richtung gehen.
 
Ueberhaupt, der Colliegestank. Jemand, der ein Katzenlager mit einer nach Hunden stinkenden Unterlage ausstattete, war entweder sehr beschraenkt oder ein sehr durchtriebener Katzenhasser,
 
Wie war dann die Rolle des Lavendeloelaromas zu verstehen? Es handelte sich nicht um eines der ueblichen, Waschmitteln oder Weichmachern beigefuegten leichten Duftnoten, sondern um schwere Geruchszusaetze, die extra zugefuegt wurden.
 
Das musste ich mir irgendwie zusammenreimen.
 
So ekelhaft ist Hundegestank in unseren Riechorganen, dass es nicht eine Sekunde auszuhalten ist. Und ein Katzenbett mit einer ungewaschenen Hundedecke auszustatten, entspricht einer Matratze aus frischen Hundefaekalien fuer einen Menschen. Wir nehmen diese Geruchswelt halt ganz anders wahr, viel intensiver.
 
Intensiver?
 
Dass das bisschen Lavendel das Geruchsinferno in einer Katzennase nicht annaehernd neutralisieren duerfte, nahm der Uebeltaeter in Kauf. Nein, das hatte derjenige beabsichtigt! Also war die Haushaelterin, die mich mit diesen oberflaechlich nach Bluemchen duftenden verseuchten Lumpen ausstattete, vermutlich ahnungslos.
 
Das Lavendeloel war fuer sie bestimmt gewesen, die nur Werkzeug des Deckenphantoms war, um den Menschennasen den fur mich bestimmten Hundemief zu kaschieren!
 
Aber wer steckte dann hinter dem hinterhaeltigen Miefangriff?
 
Dieser eine Funke, den eine logische Gedankenkette benoetigt, brauchte gar nicht so lange bei mir, wie es jetzt im Nachhinein schien.
 
Trotzdem haette ich frueher darauf kommen koennen.
 
Dresdiens Schwiegereltern waren die unglueckseligen Besitzer von gleich zwei Collies. Der Verteidigungsminister selbst stank deshalb nur selten und nicht allzu intensiv nach diesem unverkennbar einem der widerlichsten Gestaenkern aller Zeiten. Dazu passte das Paket, das er von seinem Fahrer heute morgen hatte abliefern lassen!
 
Die beiden Collies sollten mich wehrlos holen, wenn da nicht ein gefuehlsduseliger Brief beigelegen war, der etwas von einem Geschenk “fuer Elwin, dem ganz besonderen Hauskater” (oder so aehnlich) faseln duerfte…
 
Ein regelrechtes Ein-Mann-Komplett, ein selektiver terroristischer Anschlag!
 
Soviel zum Thema Unterschaetze Deine Gegner nicht.
 
In diesem Privatscharmuetzel gingen die Punkte an Dresdien. Der malte sich moeglicherweise gerade aus, wie ich irgendwo auf einem vergleichsweise harten Teppichboden kauernd meine Nacht verbrachte und kicherte sich in den Schlaf!
 

 
Es gab nicht nur Kabinettgeschichtchen im Hause der Frau Bundeskanzel, auch wenn sich das bei mir so anhoert. Tatsaechlich fand sich die Ministerrunde rein statistisch nur vergleichsweise selten zusammen. Es gab ja noch so viel andere Arbeitsgruppen, die sich hier trafen und den Ablauf der Weltgeschichte aenderten, seien es internationale Gipfel, Botschafteranliegen, Lobbygruppen aus Bruessel oder sonstwo, repraesentative, informelle, kuengelnde oder einfach hart verhandelnde Tischrunden.
 
Der besondere Reiz der Ministertreffen war eben, dass man sich regelmaessig traf. Eben weil
 
Man sich regelmaessig ueber einen langen Zeitraum traf, kannte und gleichzeitig respektierte, beneidete, bekaempfte, verachtete man sich und goennte sich gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot. Man belauerte sich auf Fehler, notierte sich die seiner Gegner eifrig, um sie an geeigneter Stelle wieder hervorzuholen und auf diese Triumphmomente zu warten, fuer die ja nicht nur Politiker leben. Im Grunde stellten Anzuege und Kostueme die eigentlichen Unterschiede zu einem naechtlichen Treffen unter Nachbarschaftskatzen dar. Nicht dass ich das je selber miterlebt haette, aber ich bin mit den Lebensstilen meiner Artgenossen durchaus so sehr vertraut, um mir ein vergleichendes Urteil erlauben zu koennen.
 
Dieses spannende Beziehungsgeflecht, das darueberhinaus von wechselnden Interessenlagen und unerwarteten Zweckkoalitionen lebte, konnte mehr bieten als meine Grabenkaempfe mit Dresdien.
 
Dass Frau von Liebem die weibliche Meinungshoheit ueber ihre weiblichen Kolleginnen Schreier, Ignazius und Schaffan beanspruchte, zeigte sie in hartnaeckigen Wortgefechten am Kabinettstisch, nur die Justizministerin Latrouche-Scharnitza und selbstverstaendlich Frau Bundeskanzel wurden von ihr in Ruhe gelassen. Ihre Gunstvergabe richtete sich auch nach dem Alter ihres Gegenuebers; so kamen auch Gesundheitsminister Buehr und Entwicklungsminister Niedrig regelmaessig in den zweifelhaften Genuss, Zielscheibe von Liebems Scharfzuengigkeit und Frotzeleien zu sein.
 
Die langgedienten Eminenzen wie der Finanzminister und eben die Justizministerin hatten nichts von der Arbeitsministerin zu befuerchten.
 
Kanzelamtsminister Rovano wiederum verband die gegenseitige Abneigung zu Innenminister Freimann und Verkehrsminister Rennsemmel mit Umweltminister Nordenheim.
 
Sollte es aber zu Abstimmungen am Kabinettstisch kommen, bildeten sich Kreuz- und Querfraktionen gegen alle persoenlichen Vorlieben - das eigene Fortkommen war Jedem lieber als eine gefaehrlich konsequente Linie, man war ja schliesslich Berufspolitiker.
 
Frau Bundeskanzel ragte heraus. Bei Abstimmungen durfte sie abwarten, um dann kuehl laechelnd ihr Votum abzugeben, das auch die Mehrheit in die Schranken verweisen konnte.
 

 
Dass die Minister allesamt Politkarrieristen waren, hinderte sie nicht daran, ausgepraegte Charaktere ausgebildet zu haben. Man musste dazu ja sein aufgeblasenes Ego nicht allzusehr in den Vordergrund spielen wie Kanzelamtsminister Rovano oder Verkehrsminister Rennsemmel, es reichte auch die hintergruendig stille Freundlichkeit von Riesling, dem Leiter des Wirtschaftsministeriums, der die Gabe der mehrdimensional umklammernden Argumentation beherrschte, um seine Ziele durchzusetzen.
 
Am meisten aus der Reihe tanzte --aus meiner bescheidenen Warte heraus- Gesundheitsminister Buehr. Vor allem anfangs beherrschte er die Gabe perfekt, mich zu verwirren, wie damals mit seinem heimlichen Videomitschnitt.
 

 
Beispielsweise schaffte es der Jungminister, mich anlaesslich einer Videodemonstration in abgedunkeltem Raum und kleiner Runde erneut ins Visier zu nehmen.
 
Und zwar wortwoertlich. Wieder war eine der haeufigen Situationen gegeben, in der die einzelnen passiven Sitzungsteilnehmer sich ungeahndet Tagtraeumen oder einem Nickerchen hingeben durften, ohne Konsequenzen oder Kollegenspott fuerchten zu muessen. Fuer die wohlige Atmosphaere sorgte der einzig Engagierte, naemlich der Vortragende, der mit seinen sanft dahinrieselnden Satzwolken peinlichst jedes die Aufmerksamkeit aufruettelnde verbale Schlagloch vermied.
 
Auch mich hatte es erwischt. Auf einem dunkelblauen leeren Sofasessel an der Wand hatte ich es mir bequem gemacht und haette im Dunklen so gut wie unsichtbar sein muessen. Um so stoerender waren dann ein oder zwei Fliegen, die wiederholt gegen meinen Kopf und die Ohren knallten und meinen Schlummer erst leicht stoerten, dann allmaehlich gewaltsam vertrieben. Ich wachte schliesslich ganz auf, als sich die Einschlaege im Minutentakt wiederholten. Es waren Papierkuegelchen.
 
Ihre Herkunft war nicht so einfach auszumachen. Als ich, schnell wieder hellwach, meinen Kopf hob und mich im Raum umsah, war mir kein Gesicht zugewandt. Alles schien zu schlafen oder die Videos zu verfolgen.
 
Ich legte mich auf die Lauer. Der Gewohnheitsschuetze wuerde nicht von seinen Untaten lassen koennen.
 
Tatsaechlich, eine verraeterische Handbewegung verriet den Scharfschuetzen, der mich nicht einmal annaehernd fixierte, die Bewegung war verdeckt angesetzt. Der Schuss verfehlte mich, aber Buehr war identifiziert.
 
Wie bei den Videos wusste ich wieder nicht, wie mit derart anarchischem (oder kindischem?) Vverhalten umzugehen war.
 
Ungeruehrt machte Buehr weiter. Er hatte den tieferen Sinn diesen Abends gefunden. Viele Schuesse hatten ihr Ziel gefunden, er hatte mich wach geschossen und verpetzen konnte ich den Gesundheitsminister schlecht.
 
Das war ueberhaupt nicht meine Absicht.
 
Im Gegenteil, ich fuehlte mch auf seltsame Weise geschmeichelt. Umgeben von intellektuellen Hochkaraetern, widmete ein Bundesminister mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
 
Das verstand ich als Kompliment.
 
Und deswegen kam eine Racheaktion a la Dresdien ueberhaupt nicht in Frage. Freilich durfte ich mir nicht zuviel auf ein paar verschossene Papierkugeln einbilden, aber irgendwie war da eine besondere Beziehung entstanden, die nur wir beide verstanden. Geheim blieb sie auch, in Gegenwart anderer Personen blieb Buehr absolut neutral zu mir.
 

 
So abwechslungsreich der taegliche kleine Kabinettskrieg auch war, er blieb doch zumeist in den Niederungen der Landespolitik und verzettelte sich gar so oft in Postenschiebereien und Buchhaltertricks.
 
Ganz anders, wenn hoher internationaler Besuch angesagt war, was fuer willkommene Abwechslung sorgte. Erkennbar fuer jeden Mitarbeiter im Bundeskanzelamt wurden die Rituale geschaeftsmaessig durchgezogen: Korridore verwandelten sich in blumengeschmueckte Laufstege, Teppiche wurden ausgerollt und Podeste aus ihren Lagern herbei verfrachtet und von den Technikerbrigaden zusammengeschraubt.
 
Wer das Treiben laenger als einige Monate mitverfolgen durfte, konnte die feinen Unterschiede in den Vorbereitungen abhaengig vom Status der zu erwartenden Besuchern herauslesen. Die hoechstrangigen Gaeste liessen ihre Sicherheitstruppen Tage und Wochen zuvor schon auflaufen, um ihre Listen mit allen Risikoprofilen abzuarbeiten. Dabei wurde oft munter diskutiert und gar nicht so selten gestritten - verkompliziert durch Sprachbarrieren. Ungewollt lustig, wenn ein bulliger Agent mit schwarzer Sonnenbrille offensichtlich lange und weit ausholende Flueche auf hohem Dezibelniveau von sich liess, die ein in Diplomatie geschulter Dolmetscher in ein moeglichst neutrales und sachbezogenes Deutsch uebersetzte; anschliessend liess der bekannt rustikale hauseigene Chefingenieur in nicht minder heftigem Tonfall seine Sicht der Dinge vom Stapel, was wiederum vom Uebersetzer, seiner Filterfunktion bewusst, ruhig sprachlich zuruecktransferiert wurde. Dass es manchmal um technische Details ging, vereinfachte die Arbeit des Dolmetschers nicht und beguenstigte das Entstehen von Missverstaendnissen, zumindest auf persoenlicher Ebene.
 
Aber es gab auch die abgespeckteren Empfaenge mit einem gemuetlichen Repraesentanten des Gaststaats, der vielleicht eine Stunde vor Eintreffen seines Staatsoberhauptes die einzelnen Punkte der Zeremonie mit unseren Sicherheitsleuten durchging und brav abnickte.
 
Typischerweise handelte es sich dann um ein kleineres oder aermeres Land.
 
Denn soviel konnte ich aus derartigen Empfaengen ablesen: Frau Bundeskanzel regierte ohne Zweifel ein sehr reiches und einflussreiches Land, das seine Gaeste mit einem dem Status entsprechenden Pomp und Aufwand empfing.
 
Am einfachsten war die Wichtigkeit der Gastnation an der Groesse unseres Orchesters abzulesen: bei den irrelevanten Staatsgaesten wurde schon mal der eine oder andere Musiker daheim gelassen; fuer eine Weltmacht spielten bis zu drei personell voll aufgeblasene Kapellen auf.
 
Ich liebte diese geschaeftige Hektik, die solchen Ereignissen vorausging; ich kannte sie ja fast alle, die hin- und herlaufenden Mitarbeiter, auch die externen Caterer und Lieferanten waren ja meist die Gleichen. Jetzt durften sie sich wichtig fuehlen, und das waren sie ja auch, als ein kleines Raedchen im grossen Geschichtsrad. Und so erfuellte jeder Staatsbesuch auch die nicht zu unterschaetzende Funktion einer Seelenmassage zum Wohl der Besetzung des Bundeskanzelamts und ein bisschen ja auch fuer die Stadt und die ganze Nation.
 
Ich als Koenig der Nische sollte ja eigentlich als einziger ausserhalb jeder Verpflichtung stehen und mir das beste Plaetzchen zur Beobachtung der Ablaeufe aussuchen koennen.
 
Und denken Sie nicht, dass ich um die vorbereiteten Riesenbuffets mit all den Koestlichkeiten schleichen wuerde, etwa auf einen guenstigen Moment lauernd, mir einen Hummer zu sichern! Dazu war ich zu wohlerzogen, verantwortungsbewusst und ueber den profanen Dingen stehend. Meine regulaeren Speisen waren reichhaltig und erstklassiger Provenienz, da hatte ich einen Diebstahl wirklich nicht noetig. Ausserdem waren die Buffets abgedeckt und gut bewacht…
 
Meine Funktion bei solchen Events hatte sich ueber die Jahre drastisch veraendert. War ich am Anfang noch die kleine Streichelmieze, mutierte ich bald zu dem selbstbewussten Oberhaupt aller Haustiere mit allerdings noch passiver Funktion, noch spaeter uebernahm ich schon mal eine relevante Rolle, unruehmlich bei Ministerpraesident Comtilano, meist aber mit Wuerde, Praesenz und Charisma.
 
Ich betrachtete es als meine Aufgabe, mittels meiner Praesenz fuer eine guenstige Grundstimmung zu sorgen; die meisten Menschen sehen Katzen als eine Quelle der emotionalen Waerme und Gemuetlichkeit. Das ideale Tier zur menschlichen Seelenmassage.
 
Damit setzte ich eine Kontrast zur protzig-kalten Architektur, deren verinnerlichter Wille zur Repraesentation sein Besucher einschuechterte. Einschuechtern sollte. In ihrem Selbstverstaendnis relativieren sollte.
 
Da tat manch einem Besucher der Anblick einer Katze zur psychischen Entspannung ganz gut.
 
Es gab die einen Gaeste, die erstaunt und ueberrascht waren, mich zu erblicken; es gab andere, die von mir wussten und sich auf ein Treffen mit mir vorbereitet hatten, das waren die Perfektionisten.
 
Einer von der letzteren Sorte war der koreanische Ministerpraesident Wai Kin. Seine Delegation war gross; Kanzelamtsminister Rovano, der fuer diese Empfaenge verantwortliche Zeremonienmeister, hatte die Trumpfkarte ausgepackt und alle Register gezogen.
 
Als die Koreaner mitsamt ihrer Wirtschaftsvertreter in Kompaniestaerke in das Bundeskanzelamt einmarschierten, bemerkte ich interessierte und suchende Blicke. Zunaechst deutete ich, der ich mich am Fusse eines Sockels befand, diese als Interesse am Bau.
 
Weit gefehlt, wie sich beim Empfang am Buffet zeigte. Wai Kin hate sich nach meiner Wenigkeit erkundigt! Seine Leute hatten speziell nach mir Ausschau gehalten!
 
Wie sich herausstellte, gab es auch eine koreanische Version des bereits erwaehnten Artikels von Ernisto di Felinoce. Mit der Gruendlichkeit, die asiatischen Informanten zueigen ist, wurde Wai Kin und seinen hoechsten Regierungsbeamten im Zuge der Vorbereitungen auf den Besuch im Bundeskanzelamt di Felinoces Machwerk (oder darf ich schon “Klassiker” sagen?) zugeschanzt.
 
Also war ich somit Bestandteil des Bundeskanzelamts und Teil der abzuhakenden Sehenswuerdigkeiten. Zumindest aus Sicht der Koreaner.
 
Nun ja, nachdem nun der besuchende Staatschef nach mir verlangte, blieb unseren Leuten nicht viel Spielraum. Frau Bundeskanzel war selbst von Wai Kin angesprochen worden und nachdem sie es ja nicht so eng mit mir hatte, kannte sie meine Rituale und Lieblingsaufenthaltsorte nicht. Also gab sie den Auftrag, mich zu suchen, zu finden und heranzuschaffen. Adressat war Rovano, der Kanzelamtsminister.
 
Der wiederum pfiff seine Leute zu sich, Kommandos wurden nach unten durchgereicht und schon war eine halbe Hundertschaft Mitarbeiter, vom Sicherheitsbeamten bis zum verschwitzten Staatssekretaer auf Katzenjagd.
 
Ich hatte aus meiner halb versteckten Warte nur die Aufregung erkennen koennen, die sich da unten abspielte. Worum es ging, konnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen, zunaechst war fuer mich nur erkennbar, dass sich etwas ausserhalb des Protokolls abspielte, dann recht schnell, dass etwas gesucht wurde.
 
Um so groesser meine Ueberraschung, als ich aus den Sprachfetzen und Walkie-Talkies der umherschwirrenden Leute andauernd die Woerter “Katze” und “Elwin” herausfiltern konnte.
 
Ich musste nicht lang kombinieren, um zu begreifen, dass Wai Kin mich suchen liess. Daran hatte ich auch keine weiteren Zweifel: ich mag ja zurueckhaltend sein, aber Komplexe oder falsche Bescheidenheit gehoerten nicht zu meinen Staerken.
 
Also sprang ich von meinem Saeulensockel runter und stolzierte in Richtung Buffet und koreanische Delegation.
 
Natuerlich musste so ein uebereifriger Praktikant von Rovanos Leuten mich von hinten schnappen und auf seinen Arm nehmen, um mich quasi als Trophaee vorzufuehren. Eigentlich war er ein rotbaeckiger, netter und etwas unbedarfter Kerl, Jurastudent aus der Provinz mit Landrat als Vater, aber gerade jetzt ziemlich aufgeregt und ueberfordert damit, mir eine angemessen stilvolle Vorstellung bei dem koreanischen Ministerpraesidenten zu bereiten.
 
Dazu hatte mich der Kerl eingeklemmt, als wuerde ich beabsichtigen zu fliehen und ihn unter Schande allein stehenzulassen.
 
Keine Angst, Andreas (So nannte sich der Juengling), ich renn dir nicht davon und du wirst nicht bestraft werden… haette ich ihm gerne zugerufen, um ihn zu beruhigen.
 
Zwecklos, bei dem ziemlich grossen Wai Kin angekommen, versagten Andreas die Nerven und sein Englisch liess ihn auch im Stich.
 
Frau Bundeskanzel selbst erkannte die Situation als Erste und uebernahm formvollendet meine Einfuehrung bei dem Staatsgast:
 
“Dear Wai, may I introduce you to our famous Elwin...”
 
Frau Bundeskanzel hatte keine Uebersetzer noetig, um ordentlich zu uebertreiben; aber was sollte ich schon gegen ihre Schmeicheleien a la “smartest cat in our country” haben?
 
Wai Kin grinste mich durch seine Brille an, einem Lehrer nicht unaehnlich. Aber er stellte keine Testfragen, sondern reichte in seine rechte Jackentasche und holte ein Paeckchen hervor:
 
“For you, Dear Elwin, from Korea with greetings from my people at home… and also all our cats are sending you best regards!”
 
Nun gut, man musste eine Katze sein, um den Inhalt trotz Verpackung als Delikatesse schon aus der Distanz zu identifizieren. Es roch streng, etwa nach getrocknetem Fisch oder aehnlichen Meeresfruechten.
 
Das Paeckchen wurde geoeffnet und auf dem Boden plaziert. Endlich wurde ich aus Andreas’ anhaltendem verkrampften Klammergriff befreit und dazu gestellt, um das Praesent bewundern und untersuchen zu koennen..
 
Ich konnte gut zwei Handvoll gelber trockener Kuegelchen erkennen und beschnupperte das Staatsgeschenk.
 
Interessant!
 
Ich blickte nach oben, die Runde der politischen Schwergewichte hatte sich um mich versammelt und grinste mich kollektiv an.
 
Eine solch massive Erwartungshaltung durfte ich nicht enttaeuschen. Also zurueck zu den streng riechenden Kuegelchen.
 
Mein Zungentest wies nach: sehr hoher Salzgehalt. Noch einmal nach oben geschaut; vor Spannung gingen die Staatsoeberhaeupter schon fast in die Hocke, so tief beugten sie sich, um nichts von meiner Vorstellung zu verpassen.
 
Es gab keinen Ausweg, ich war der Gelackmeierte.
 
Eine Kugel geschnappt und zerkaut.
 
Widerlich. Sehr intensiv. Broeslige Konsistenz.
 
Nicht gut. Diagnose: sehr viel getrockneter Meerschlick und noch mehr Salz.
 
Ich verzog mein Gesicht und schaute flehend auf Wai Kin und Frau Bundeskanzel. Der koreanische Ministerpraesident kriegte sich vor Freude ueber meinen scheinbaren Appetit nicht ein, lachte und nickte voller Begeisterung nach rechts und links.
 
Menschen koennen bei Katzen eben keine verzogenen Gesichter erkennen.
 

 
Ich wusste, was ich mir und der Nation schuldig war. Mit Verachtung schluckte ich vier, fuenf der Kuegelchen runter. Mein Hals und Gaumen entwickelten ein taubes Gefuehl.
 
Die hochgestellten Personen waren’s zufrieden. Sie wandten sich ab, vermutlich in der Vorstellung, mich nicht weiter bei meinem Delikatessenmahl stoeren zu wollen, und begaben sich zu ihren wichtigen Geschaeften.
 
An der dafuer notwendigen entspannten und positiven Atmosphaere hatte ich einen grossen Anteil, das jedenfalls lasse ich mir nicht ausreden.
 
Kaum waren die Delegationsteilnehmer aber aus dem Blickfeld, sauste ich wieder davon, ohne Ruecksicht auf die restliche Belegschaft.
 
Meinen diplomatischen Verpflichtungen bin ich mit meinem Opfer sehr pflichtbewusst nachgekommen, ich durfte eigentlich stolz auf mich sein.
 
Obwohl ich meinte, auf internationalem Parkett eine gute Figur abgegeben zu haben, war ich noch nicht aus dem Schneider; ein Elwin machte sich nicht so einfach aus dem Staub.
 
Also rein in den Raum, wo die etwa 20 Frauen und Maenner sich zusammengefunden hatten. Die Tueren in diesen Sitzungssaal waren schon verschlossen; als der Beamte erkannten, dass ich gerne hineinwollte, oeffneten sie. Es hatte sich herumerzaehlt, wie Wai Kin nach mir hatte suchen lassen.
 
Warum ich den Kontakt mit den Asiaten noch einmal suchte, nachdem die erste Begegnung so unvorteilhaft fuer mich verlaufen war?
 
Nennen Sie es Anstand, Ehre, Pflichtgefuehl als nationaler Katzenvertreter. Ausserdem wuerde sich, wenn ueberhaupt, nur auf diese Weise herausfinden lassen, was ich da eigentlich verschlungen hatte!
 

 
Ich verdrueckte mich wieder in die Sofakissen und wartete die Pause ab. Der Nachgeschmack der gelben Kuegelchen war noch nicht verschwunden. Und mittlerweile fand ich diese exotische Mahlzeit gar nicht so uebel. Fast wie Anchovis.
 
Ich durfte mich ueber meine uebliche Versorgung nicht beschweren, sie war eigentlich schoen abwechslungsreich. Aber nicht annaehernd so wuerzig, so angenehm im Gaumen brennend,
 
Ich wuerde es ja nicht jeden Tag haben wollen.
 
Der zweite Grund, den Kontakt zu den Koreanern zu suchen, waren die angenehm schmeichelnden Saetze von Frau Bundeskanzel, die mich doch sonst weitgehend ignorierte. Auch Lob, gerade sparsam dosiertes, kann gluecklich machen.
 

 
Die Hauptdarsteller hatten mich bereits vor Ende der ersten Sitzungsrunde wahrgenommen, man erhob sich von den Stuehlen, Wai Kin kam auf mich zugeschossen, als haette er Angst, ich wuere mich unsichtbar machen. Ich fuehlte mich ein bisschen wie der Hoehepunkt seines Gastbesuchs. Frau Bundeskanzel folgte ihm pflichtschuldig.
 
Sie taten wirklich alles dazu, dass ich mich wichtig fuehlte, und ich unterstuetzte die beiden nach Kraeften.
 
“Elwin, good boy!” strahlte er, ein wenig goennerhaft, aber in feinstem Englisch, “How did you like our dried sea worms?”
 
Schluck. Jetzt war es raus. Das in der Zwischenzeit als fein geschmeckte Aroma am Zungengrund wich recht ploetzlich einem leichten aufkommenden Brechreiz.
 
Aber halt. Ich hatte ja noch eine diplomatische Mission abzuschliessen.
 
Also nicht abhauen und mich uebergeben, sondern Brust durchdruecken und mit geradem Kreuz meinem Goenner fest in die Augen blicken zum Dank. Ich hoffte nur, er hatte in der linken Hosentasche nicht noch so ein Paeckchen…
 
Auch Frau Bundeskanzel hatte einen Moment so etwas wie Schrecken in ihren Augen, der aber schnell Erleichterung wich, als sie meine weltmaennisch abgeklaerte Reaktion verfolgte.
 
Ob der Schreck wegen der Seewuermer oder aus Angst vor einem Wutanfall meinerseits entstand, vermochte ich nicht zu beurteilen.
 
Nicht doch, Frau Bundeskanzel, Katzen kriegen nicht so leicht einen Wutanfall, schon gar nicht ein Elwin.
 
Aber diese kurze und intensive Belastungsphase der interkulturellen Fronten hatte ich doch prima hinbekommen, oder?
 

 
Sie haben meine Geschichte ziemlich lange durchgehalten, wenn Sie sie von Anfang an verfolgt haben, wie es sich gehoert, und nicht zufaellig sich zu diesem Punkt durchgeblaettert haben sollten. Ich koennte mir vorstellen, dass Sie sich doch manchmal fragen, welches Identitaetsgefuehl ein Wesen wie ich habe.
 
Wie fuehlt sich ein Kater, der nach einer kleinen Operation kein Kater mehr ist, sondern dem dritten Geschlecht angehoert, nie mit seinen Artgenossen in Kontakt getreten ist und nur unter Menschen aufwuchs?
 
Wie kommt ein so weit ueberdurchschnittlich differenziertes und intelligentes Wesen mit dieser Lebensweise zurecht?
 
Nun, zum Ersten bin ich davon ueberzeugt, dass die meisten Katzen nicht entschieden anders als ich ihr Leben verbringen, auch wenn es da massive qualitative und natuerlich quantitative Unterschiede zum banalen Hauskatzenexemplar geben duerfte.
 
Unsere Art haette substantielle Problem mit dem Ueberleben, wenn keine Menschen existierten, um uns zu unterstuetzen.
 
Umgekehrt glaube ich, dass auch viele Menschenexemplare nur sehr schlecht ohne Katzenunterstuetzung durch ihr Leben finden duerften.
 
Einigen wir uns also auf eine Art Symbiose, das klingt auch gleich viel netter als Haustierhaltung.
 
Zum Anderen: Mir fehlt jeder Vergleich zu einem Leben als “vollwertiger” Kater. Mir sind die entsprechenden Beduerfnisse, Emotionen und physischen Noete fremd, also kann ich in dieser Richtung auch nichts vermissen, so sehr mir die theoretischen Unterschiede auch klar sind.
 
Deswegen sehe ich mich halt nicht als einen vollwertigen Kater, sondern als eine ueberkomplett begabte und talentierte Katze.
 
Ob Sie mich als Katze oder Kater bezeichnen, ist mir ziemlich egal, bleiben wir doch beim dritten Geschlecht und lassen wir es dabei.
 

 
Wenn mich ein Staatsbesuch richtig mitgenommen hat, dann war das derjenige der drei baltischen Regierungsoberhaeupter, Gossip, Solutis und Fabrinius. Das Dreigespann war auf einer Vermarktungstournee durch Asien und Europa und erhofften von ihrem gemeinsamen Auftritt, wirtschaftlich und politisch mehr wahrgenommen zu werden. Hauptsaechlich sollte aber das Baltikum auf das Radar der Tourismusbranche und ihrer Kunden gesetzt warden, also war ein froehlicher Begleittross mit folkloristischen Darbietungen zugange, der weniger die Gastgeber oder die vor dem Bundeskanzelamt mehr zufaellig anwesenden Zuschauer belustigen sollten, sondern eher den Auftrag besass, die Millionen vor dem Bildschirm sitzenden Nachrichtenzuschauer zu einer naeheren Auseinandersetzung mit den drei Ostseeanrainerstaaten als moegliches Urlaubsziel zu bewegen.
 
Nun war es mir nicht neu, dass manche Menschen, vor allem die weiblichen, sich gerne mit Tierfellen behaengten, was auf mich –hoffentlich habe ich da Ihr Verstaendnis- wenigstens befremdlich, zumeist aber abstossend und verletzend wirkt. Bereits die Gattin des russischen Praesidenten Meredith fuehrte aus Anlass Ihres damaligen Besuchs einen maechtigen Pelz aus sibirischen Jungwoelfen vor; aber gut, damals herrschte zumindest Winter, ein ziemlich kalter sogar. Und ein Wolf, das mag ich vielleicht etwas zu pauschal sehen, ist doch nichts anderes als ein wilder Hund und Hunde sind wiederum nichts anderes als Gebrauchstiere. Also Schwamm drueber, Wolf als menschliches Kleidungsstueck lasse ich durchgehen. Zumal ein sibirischer Wolfspelz ja auch gewissermassen ein Aushaengeschild der russischen Heimat ist.
 
Uebrigens auch ein Hinweis darauf, wie sehr Menschen degeneriert sind und sich klammheimlich eine Pelztierausstattung wuenschen.
 
Diesmal aber hatten die weiblichen Begleiterinnen der baltischen Staatschefs jeweils einen Jaguar, einen Tiger und einen Ozelot, alle mehr zu einem ueppigem Schal als zu einem echten Mantel verarbeitet, um ihren Hals haengen. Das war als Gag gedacht und selbstverstaendlich abgesprochen.
 
Im ersten Moment dachte ich noch, dieser Anblick waere an Widerwaertigkeit nicht zu ueberbieten. Mag sein, dass unsere grossen, wilden Verwandten nicht die Allerschlauesten sein mochten, aber sie repraesentierten immerhin die grosse und stolze Katzenfamilie. Wie unendlich traurig, diese mutigen und starken Prachtexemplare zu Dekorationszwecken umgebracht und verarbeitet kraftlos um Menschenhaelse haengen zu sehen.
 
Schoenheit kann einen halt umbringen. Aber nur huebsch und nicht smart zu sein, kann einen manchmal ins Aussterben treiben.
 
Darueberhinaus waren die drei Damen im Hochsommer unterwegs. Und keine der drei Grosskatzen hatte ihre Heimat auch nur in der Naehe des Baltikums.
 
Also lag mein Verstaendnis fuer diesen Auftritt bei Null.
 
Noch konnte ich nicht ahnen, dass der Hoehepunkt der Schande noch nicht erreicht war. Es traf mich noch viel mehr ins Herz, als die Volkstaenzerinnen auftraten, um ihre Show abzuliefern: Jede der jungen Blondinen trug die gleiche Tracht, in den Farben rot, weiss und schwarz.
 
Die Farbe Schwarz war in die Westen eingearbeitet. Diese waren aus Katzenfellen.
 
Ich wuerde sagen, die gleiche Konsistenz, Dichte und Farbnuance wie in meinem eigenen, lebendem Haar.
 
So etwas Deprimierendes hatte ich in meinem Leben noch nicht durchmachen muessen.
 
Was waren sie wohl fuer einen Tod gestorben, die vielen Verwandten, um spaeter eine Pseudo-Landestracht mit dem profanen Zweck zu zieren, Touristen anzuziehen?
 
Warum schmueckten sich diese Tanten nicht mit Giraffen, Meerschweinchen oder Stachelschweinen?
 
Die drei Damen und erst recht die Taenzerinnen waren fuer mich der Abgrund des menschlichen Daseins, von einem Tiefpunkt zu sprechen, reicht da gar nicht mehr aus.
 

 
Und Frau Meredith, die russische Praesidentengattin mit dem grauen Hundefell stieg im Nachhinein in meiner Achtung in geradezu ungeahnte Hoehen auf. Die Dame hatte Stil und Verantwortungsbewusstsein ihrer Umwelt gegenueber, davor musste man einfach Achtung und Respekt haben.
 
Kein Wunder, dass ihr Mann ein groesseres Land unter sich hatte als die Ehemaenner der drei baltischen Zombie-Gestalten.
 

 

 

 
Soviel hatte ich verstanden, dass Frau Bundeskanzel einer Partei vorstand, die im Lande das Sagen hatte, deswegen gehoerte der Spitzenjob ja auch ihr. Die meisten Leute, die hier im Bundeskanzelamt ein- und ausgingen, waren ebenfalls Mitglieder dieser Partei.
 
Eine andere, kleinere Gruppe gehoerte einer kleineren Partei an, die aber an den Regierungsgeschaeften beteiligt war und deswegen auch zu den regelmaessigen Besuchern des hohen Hauses zaehlte. Die Minister Buehr und Riesling zum Beispiel.
 
Weitaus seltener schickten andere Parteien ihre Vertreter hierher, aber wenn sie kamen, hatten sie so gut wie immer einen Termin mit Frau Bundeskanzel selber, entweder unter vier Augen oder im kleinen Kreis.
 
Einer der auffaelligsten dieser “Fremdparteien”-Exemplare war Brukkenstein, Er tauchte meistens alleine auf (bzw. liess seine Leibwaechter am Eingang warten) und schien immer guter Laune zu sein.
 
War er angekuendigt, dann war ich dabei. Ich wollte doch keinen guten Spruch verpassen.
 
Auch das Verhaeltnis zu Frau Bundeskanzel schien ein sehr Spezielles zu sein: in seiner Abwesenheit bezog sie sich auf ihn als ihren Hauptkonkurrenten.
 
Aber auch, wenn sie mit ihm plauderte, wurde dieses Konkurrenzverhaeltnis angesprochen, ob in lustige Worte verpackt oder direkt nuechtern angesprochen.
 
Das fuer mich Faszinierende an Treffen dieser Beiden war die Art der Kommunikation. Ich verstand grosse Teile davon nicht, was mich ziemlich aergerte. Nicht, dass sie eine andere Zunge sprachen, die einzelnen Woerter waren mir allesamt gelaeufig.
 
Aber ihre Kombination machte mir Schwierigkeiten. Sie sprachen einen ganz eigenen Code, wie ich vermutete. Als Schnelldenker und Antizipierer waren Gedankenspruenge eher die Regel als die Ausnahme, was einem Aussenstehenden wie mir die Verfolgung erschwerte. Ganze Themenkomplexe und Problematiken wurden mit einzelnen Stichworten erwaehnt oder gekontert.
 
Wie sollte da eine arme Katze ohne jahrzehntelange tagesgenaue Beobachtung der Politik nur im Entferntesten mithalten koennen?
 
Nun uebten beide Figuren eine gewisse Faszination auf mich aus, also gab ich mir redliche Muehe, den gemeinsamen Code dieser beiden “Konkurrenten” zu dechiffrieren. Es war ja nicht so, als kaeme diese Kommunikationsform von einem fremden Stern; der Politsprech kam gerade hier im Bundeskanzelamt an allen Ecken und Enden vor.
 
Aber nur diese beiden beherrschten ihn zur Perfektion.
 
Selten, dass ich nach einem Dialog zwischen Frau Bundeskanzel und Brukkenstein schlauer war als zuvor. Aber fuer jedes Quaentchen Information, das ich den beiden entwinden konnte, hatte ich ziemlich viel Energie aufgewandt, Wissen ist in diesem Haus schliesslich alles.
 

 
Ich weiss nicht, wie es anderen Katzen geht. Ich jedenfalls liebe die Routine. Alles unter Kontrolle zu haben, mit geregelten Tagesablaeufen und vorhersehbaren Ereignissen, ist ein fuer mich erstrebenswertes Ziel.
 
Natuerlich liebe ich auch die Abwechslung, Ueberraschungen und Neues. Aber Abweichungen vom eingefahrenen Rhythmus sollten ueberschaubar bleiben; perfekt waere es, wenn ich mir diesen Anteil je nach Tageslaune selbst dosieren duerfte.
 
Dieser eine Tag, an dem die Routine so sehr und so unerwartet aus dem Ruder lief, dass es einer Achterbahnfahrt aehnelte, sollte sich in mein Gedaechtnis einmeisseln.
 
Angekuendigt war der viermonatliche Besuch meines Tierarztes. Sie koennen sich erinnern, jener baerbeissige Mensch mit Bart und starkem lokalen Akzent, der mir damals bei Dresdiens verschwundenem Speicherstick so wunderbar aus der Klemme geholfen hatte. Er war bereits zuvor mein betreuender Doktor, allerdings hatte ich ihn seit der Aufregung damals nicht mehr gesehen.
 
Anders als bei konventionellen Haustierexemplaren werde ich nicht zu meinen Kontrollen in irgendeine Hinterhofpraxis verfrachtet, womoeglich noch zu meiner oeffentlichen Schande in einem Transportkorb.
 
Nein, der Tierarzt hatte sich selbstredend hier im Bundeskanzelamt einzufinden. Dieser Service war nur mir und Frau Bundeskanzel vorbehalten (sie beschaeftigte natuerlich andere Spezialisten, keine Veterinaere). Aber sogar Frau Bundeskanzel musste gelegentlich unser gemeinsames Heim verlassen, um –meist spaetabends- auswaertige Untersuchungen durchfuehren zu lassen, da sich nicht alle Geraetschaften praktischerweise hierher transportieren liessen.
 
Bei mir dagegen gab es keine Ausnahmen: Alles wurde hertransportiert und vor Ort geschafft.
 
Diese Tests waren moeglicherweise nicht ganz so aufwaendig wie die von Frau Bundeskanzel, aber immerhin.
 
Ich wusste also bereits am Morgen, dass mich mein Tierarzt aufsuchen sollte. Gefreut darauf hatte ich mich nicht, denn er mochte ja ein netter und einfuehlsamer Kerl sein, seine Visiten waren doch meist mit unangenehmen Handlungen verbunden, fuer die ich auch nicht immer hundertprozentiges Verstaendnis zeigte. Warum zum Beispiel sollte eine eingeschworene Indoor-Katze wie ich ueberhaupt entwurmt werden?
 
Nach einiger Zeit hatte der Herr Tierarzt dann auch ein Einsehen und beliess es groesstenteils bei Impfungen, Gewichts- und Zahnkontrollen und der gegegentlichen Blutprobe.
 
Die gemischten Gefuehle, die ich in Erwartung an seine Person hegte, wurden jeh abgeloest von der Ueberraschung, als jemand ganz anderes auftauchte. Eine grosse, dunkle Gestalt, die ich kannte.
 
Ich hatte sie vor langer Zeit sehr oft gesehen, dann noch laengere Zeit jeden Kontakt verloren.
 
Nach einigen Sekunden hatte ich die Person identifiziert: es war einer der Mitarbeiter vom BAD, der mich als frisches Kaetzchen zwar nicht verpflegt, aber einer ganzen Testreihe unterzogen hatte. Kein Zweifel, auch wenn die Frisur abwich, er sich eine Brille zugelegt hatte und den damals unvermeidlichen weissen Kittel gegen einen dunkelgrauen Anzug getauscht hatte.
 
Die Tasche in seiner Hand wiederum war exakt dasselbe Exemplar, das mein alter Veterinaer immer mitgebracht hatte. Ihr Duft bestaetigte mir: es war die gleiche Tasche.
 
Die Situation verwirrte mich. Auch meine Haushaelterin war erstaunt, nicht das vertraute Gesicht zu sehen und erkundigte sich.
 
Der neue Tierarzt erklaerte, dass unser alter Freund erkrankt waere. Er wuerde ihn bei diesem einen Besuch vertreten.
 
Diese Begruendung haette mir durchaus eingeleuchtet, wenn nicht die Identitaet des Mannes waere.
 
War die Erklaerung naheliegend, dass dieser Herr wirklich ein Tierarzt war, der damals fuer den BAD gearbeitet hatte und den es durch die Wirrungen eines Berufslebens jetzt in die Hauptstadt verschlagen hatte, wo er zufaellig auf seinen alten Schuetzling traf.
 
Der Haushaelterin jedenfalls reichte seine Begruendung, sie ahnte nichts von der Vorgeschichte und liess gar kein Misstrauen aufkommen. Warum auch, hatte der Mann doch bisher schon mehrere Sicherheitsebenen offenbar klaglos passiert?
 
Wir beide wurden in einem kleinen Sanitaetsraum alleine gelassen, wo auch sonst die Untersuchungen stattgefunden hatten. Sehr schnell war mir klar, dass es sich nicht um einen Routinebesuch eines Veterinaers handelte.
 
Der erste Griff ging hinter mein Ohr; mit Zufriedenheit registrierte der Pseudo-Tierarzt, dass der unsaegliche, manchmal stark juckende Gnubbel unter dem Pelz noch zu tasten war, um den sich seit Jahren niemand mehr geschert hatte.
 
Er hielt ein kleines Instrument, das mit einem Kabel an ein anderes Geraet aus seiner Tasche angeschlossen wurde, dicht an den Gnubbel und schien irgendwelche Untersuchungen und Aufzeichnungen zu machen.
 
Dann wurde das erste Instrument entfernt und eine stumpfe Klemme angebracht, die in einer Hautfalte den Pelz mitsamt dem Gnubbel umschloss und wiederum ueber zwei Kabel an etwas in der Tasche Befindliches angeschlossen.
 
Es war nicht sehr angenehm, tat aber auch nicht weh.
 
“So. Elmer, jetzt muessen wir beide eine Weile warten.”
 
Er erinnerte sich an meinen alten Namen. Wie kam es nur, dass ich ihn lange Zeit nicht gesehen hatte und warum war er auf einmal aufgetaucht?
 
Der Gnubbel war, was ihn interessierte, wozu auch immer der gut war.
 
Die Klemme verbreitete eine richtige Waerme, die mir bis auf die Knochen ging und gut tat.
 
Ich hatte mich gar nicht erst versucht, mich gegen meinen ehemaligen Beschuetzer zu wehren. Das haette schon damals in meiner Jugend keinen Sinn gehabt und jetzt noch weniger.
 
Das konnte ich dem entschlossenen Blick ohne Zweifel entnehmen.
 
Andere Untersuchungen wurden nicht angestellt. Aus meiner Sicht dauerte es lange, sehr lange, bis ein Piepsen aus der Tasche dem Herrn, der nun mit Sicherheit kein normaler Tierarzt war, anzeigte, dass es genug war mit der Waerme. Ich empfand es uebrigens genauso.
 
Der Tierarztdarsteller verabschiedete sich noch mit einem “Und schoen bei Frau Bundeskanzel bleiben, Elmer!”, verschwand zur Tuer hinaus und hinterliess eine ratlose Katze.
 

 
Das Gespenst aus der Vergangenheit war aus dem Nichts aufgetaucht und war ins Nichts verschwunden. Hatte sich fuer mich etwas geaendert?
 
Ich streunte nach wie vor durch die Fluren und Hallen und dachte nicht mehr an meinen Gnubbel, der diesem einem Mann so wichtig schien.
 
Eine Reihe von Sitzungen standen an; mein staatsbuergerliches Selbstverstaendnis und Pflichtgefuehl trieben mich durch den Konferenzmarathon. Nicht alles fand in der Gegenwart von Frau Bundeskanzel statt, es gab auch parallel durchgefuehrte Veranstaltungen.
 
Nachdem Frau Bundeskanzel natuerlich an den wichtigsten Sitzungen teilnahm, orientierte ich mich an ihr, zumal ich ja das einzige Lebewesen war, das sich den Besuch der Meetings frei aussuchen konnte, wohingegen Frau Bundeskanzel durch ein enges und obligatorisches Zeitkorsett jeden persoenlichen Wunsches oder spontaner Vorliebe enthoben war.
 
Die Veranstaltungen samt der Redner und wichtigsten Teilnehmer waren in einem Verzeichnis im Foyer ausgestellt.
 
Und tatsaechlich fand sich fuer mich ein ausser der Norm liegendes und interessantes Thema: “Zukunft der MIEZ und des BAD”.
 
Mit MIEZ war die Militaerische Informationseinholungszentrale gemeint, mit BAD mein altbekannter Bundesaufklaerungsdienst.
 
Information vor allem zu Letzterem war fuer mich natuerlich brandaktuell, schon aus Anlass des Besuchs, den der Pseudotierarzt mir abgestattet hatte.
 
Ich sah mir die Teilnehmerliste an: sie war nicht nur hochkaraetig, sondern auch einschlaegig besetzt. Vor allem die Anwesenheit von Finanzminister Swaba konnte nur bedeuten, dass es um Sparmassnahmen bezueglich der beiden Dienste gehen konnte, die den auch teilnehmenden Ministern Dresdien (MIEZ) und Aussenminister Wolfmann (BAD) offiziell unterstellt waren. Unter der Hand war bekannt, wie eigenstaendig die zwei Vereine agierten, die sich ihre Aktivitaeten oft selbst aufgeben konnten und nicht nur um ihre Aufgabengebiete konkurrierten, sondern auch um Macht, Einfluss und Geld.
 
Ein weiteres Zeichen dafuer, dass es fuer MIEZ und BAD an die Substanz gehen koennte, war die Abwesenheit direkter Vertreter der Dienste.
 
Dass nur ihre jeweiligen Minister an einer Konferenz ueber die Zukunft der sich als autark und unverzichtbar fuer das nationale Wohlergehen betrachtenden Vereine teilnahmen, konnte auch ein Zusammenlegen zur Folge haben. Denn weder Dresdien noch Wolfmann waren begeistert ueber die Arbeit der Dienste, die einerseits als unbewegliche Buerokratieapparate verschrien waren, andererseits oft genug ausserhalb des Gesetzes agiert hatten, um viele verantwortliche Politiker gegen sich aufzubringen.
 
Und dass weder Sparfuchs Swaba noch Frau Bundeskanzel etwas gegen das Streichen eines der Milliarden kostenden Einrichtungen einzuwenden hatten, war auch kein Geheimnis.
 
Schlechte Aussichten also fuer MIEZ und BAD, das Stattfinden dieser Geheimkonferenz. Um so interessanter fuer mich, der ich zwar nicht von irgendwelchen Einsparungen, Streichungen oder Zusammenlegungen betroffen waere, aber mich gerade nach dem Auftritt des Tierarztes, der frueher beim BAD gearbeitet hatte, vielleicht ueber Struktur und Arbeit informieren koennte.
 
Schliesslich war ich einmal eine BAD-Katze.
 
Und ich war neugierig geworden.
 
In einem kleinen Sitzungssaal hatten sich Frau Bundeskanzel, Verteidigungsminister Dresdien, Innenminister Freimann, Finanzminister Swaba und Aussenminister Wolfmann versammelt, jeweils von einem Staatssekretaer begleitet.
 
Dass Swaba mit seiner Sicht der Dinge die Diskussion eroeffnen durfte, war eine Vorgabe von Frau Bundeskanzel und klares Zeichen: Sparmassnahmen waren das Ziel, hier sollte ein Kurs vorgegeben und abgesteckt werden.
 
Kurioserweise waren sowohl Wolfmann in seiner Rolle als Chef des BAD als auch Dresdien als Oberhaupt der MIEZ in einer sehr aehnlichen Lage: Beide Einrichtungen waren in den Augen der Minister so etwas wie ungeliebte Kinder, die ein undurchsichtiges |Eigenleben hatten und fast unkontrollierbar in ihren Aktivitaeten waren. Quasi Kinder mit einem Hyperaktivitaetssyndrom.
 
Weitere Parallelen zeigten sich im Verhaeltnis der Minister zu den eigentlichen Chefs der Behoerde: Diese sahen sich als eigenstaendig an, nicht weisungsgebunden und zur umfassenden Auskunft verpflichtet. Als guter Beamter misstraute man den ihrer Karriere und dem wankelmuetigen Waehlerwillen verpflichteten Politikern und fuehlte sich nur der hoeheren Staatsraison gegenueber in einer Bringschuld.
 
Nicht einmal in geheimen Ausschuessen wurden Karten offen auf den Tisch gelegt. Und wenn Frau Bundeskanzel persoenlich um Auskunft gebeten haette, waeren ihr von beiden Behoerden nur abgefilterte und aufbereitete Manifeste durchgereicht worden, deren Informationsgehalt eher sparsam gehalten waere.
 
Und diese selbstverstandene Autarkie war nur die eine Seite der Medaille.
 
Denn so geheim die Aktivitaeten von BAD und MIEZ auch sein mochten, mit schoener Regelmaessigkeit sickerten Protokolle ueber verbissene Lausch- und Abhoermassnahmen durch, die nicht etwa gegen Staatsfeinde oder missliebige internationale Maechte gerichtet waren, sondern gegeneinander und gegen andere Staatseinrichtungen der Exekutive und Judikative.
 
So hatte die MIEZ mit ihren Agenten gesetzwidrige Aktivitaeten des BAD im Zusammenhang mit einer auslaendischen Konzernuebernahme registriert und verdeckt an die Staatsanwaltschaft weiterleiten lassen.
 
Der BAD liess sich daraufhin nicht lumpen und durchwuehlte seinerseits in einer Nacht- und Nebelaktion die Bueros und Computer der betroffenen Staatsanwaelte durch, um Beweise fuer die Beteiligung der MIEZ zu sichern.
 
Welch ein Gegentriumph, als sie diese Dokumente ihrem Chef praesentieren konnten.
 
Natuerlich sickerten die jeweilig unliebsamen Meldungen an die Presse durch, mit einer Frequenz, dass man nicht mehr von einem Kleinkrieg reden konnte.
 
Es verpuffte also ein Grossteil der Etats in aufwaendigen Scharmuetzeln gegen die ungeliebte Konkurrenz, von Futterneid und Missgunst getrieben.
 
Dass MIEZ und BAD auch zusammenarbeiten konnten, bewiesen sie mit der Aufdeckung einer Bestechungsaffaere bei der SEP, der Sicherheits-Einsatzpolizei, die nichts anderes war als eine Polizeitruppe fuer Sonderaufgaben des Innenministers.
 
Die SEP hatte einige spezielle Einsaetze erfolgreich abgeschlossen, unter anderem mit einer Geiselbefreiung beim Ueberfall auf ein Versicherungsunternehmen und einer Stuermung eines von Terroristen gekaperten Flugzeugs.
 
Damit hatte sich die SEP einen guten Ruf im Lande verdient. Die Eifersucht auf die Reputation der SEP einte MIEZ und BAD; beide suchten so lange nach Unregelmaessigen des kleineren und sie beide ueberstrahlenden Konkurrenten, dass man schliesslich fuendig wurde: Ein geringfuegiger Fall von Vorteilsnahme bei der Abrechnung mit einer Fluggesellschaft wurde unter tatkraeftiger Nachhilfe von MIEZ und BAD in die Presse gedrueckt, um das Image der SEP in ihrem Sinne zu korrigieren.
 
Jetzt verstand ich auch, warum auch Freimann anwesend war. Als oberster Dienstherr der SEP und indirekt Betroffener hatte er ein Woertchen mitzureden in der Neuregelung der Sicherheitsdienste.
 
Diese Schlangengruben galt es nun im kleinen Kreis zu reformieren. Von den hier Anwesenden war keiner offen gegen eine Zusammenlegung, tatsaechlich gab ein Jeder zu, dass das bisherige Neben- und Gegeneinander ein Ende haben musste.
 
Gleichzeitig waren sich die Minister darueber im Klaren, dass ihre eigenen Dienste ihre Munitions schon in Stellung gebracht hatten. Nicht unbedingt gegeneinander, sondern gegen ihre Dienstherren.
 
Niemand bei MIEZ oder BAD haette je ohne Folter zugegeben, dass die Behoerden sorgfaeltig gepflegte Dossiers ueber ihre Minister hielten. Man musste seine Chefs schon bei Stange halten und notfalls mit Nachdruck dafuer sorgen, dass sie die Interessen der Firma vertraten!
 
Diese nie erwaehnte, aber allen Beteiligten bekannte Erpressbarkeit forderte also das Staatsoberhaupt direkt heraus. Frau Bundeskanzel selbst musste nicht nur entscheiden wie ueblich, sondern diesmal ihre Entscheidung auch dem Publikum verkaufen.
 
Das wiederum setzte eigene Bedingungen voraus: die Wichtigste war und blieb, dass die Reform sie weder oeffetliche Zuneigung noch Waehlerstimmen kosten durfte.
 
Also war weniger die Reform selbst das Thema dieser Runde. Zusammenlegung und Einsparungen waren beschlossene Sache; ich denke, Swabas zusammengehefteter kleiner Stapel beinhaltete bereits alle Ingredientien und Details zu diesem Punkt.
 
Es ging nur um die Erstellung eines Schlachtplans; einer Reihenfolge, wie wer was verlautbaren durfte, um der Presse und dem Land Entschlossenheit und Tatkraft zu demonstrieren.
 
Gleichzeitig sollten in dieser Reihenfolge alle Aktionen so abgestimmt sein, dass alle Beteiligten –also die am Tisch sitzenden- optimal persoenlich profitieren wuerden.
 
Jedes oeffentliche Statement wurde also darauf geprueft, dass es seinem Verkuender eine Portion Respekt und Zuspruch zukommen liess. Aber nicht zuviel, gerade so wohldosiert, dass fuer die Anderen genug uebrigblieb.
 
Der einzige Tagesordnungspunkt war also laengst schon in Geheimgremien und Hinterzimmern ausgekuengelt worden; hier wurden einzig und allein die Pressekonferenzen und Interviews festgelegt, in denen sich jeder, inklusive der vier anwesenden Staatssekretaere, profilieren durfte.
 
Meine Erwartung, irgendetwas ueber die Strukturen beim BAD zu erfahren, wurde also verfehlt.
 
Dafuer war es um so spannender, wie mehr oder weniger Frau Bundeskanzel jedem nach Gutduenken und Proporz seine Haeppchen zukommen liess.
 
Ich hatte durchaus den Eindruck, die Runde hatte ihren Spass und war mit mehr Eifer als ueblich dabei. Klar, bei den potentiellen Waehlern sollte die Einsparung einer Behoerde immer gut ankommen, da war sauber zu punkten.
 
Mein Gnubbel hinter dem Ohr juckte. Das kam selten vor und wurde auch mit Kratzen nicht besser, aber ich kratzte wider besseren Wissens trotzdem.
 

 
Die heute kurze Halbwertszeit meiner Konzentration war darauf zurueckzufuehren, dass noch ueber zwei Stunden an dem Veroeffentlichungsplan herumgefeilt wurde. Nicht Frau Bundeskanzel oder Swaba wuerden den ersten Schritt wagen, sondern meinem alten Freund Dresdien war diese Ehre zugefallen.
 
Ich erhob mich aus meinem Kissen und schluepfte unbemerkt unter den Sitzungstisch. Tatsaechlich, der Verteidigungsminister hatte seine Schuhe wieder ausgezogen. Uebrigens: das damals von mir markierte Paar hatte ich nie wieder gesehen. Schade eigentlich, so gut duftende Qualitaetsschuhe… Aber ich nehme an, Dresdien wollte diese Episode der Schmach komplett aus seinem Leben streichen und hatte es nicht mit einer gruendlichen Reinigung belassen, sondern die gezeichneten Treter gleich aus seinem Leben sortiert.
 
Auch sonst schien Dresdien aus dem fuer ihn peinlichen Vorfall gelernt zu haben: zwar hatte er seine Angewohnheit nicht bleiben lassen, die Schuhe auszuziehen, bewahrte sie aber meist zwischen seinen bestrumpften Fuessen oder bewahrte zumindest Kontakt.
 
Der die nebeneinander laufende Zwietracht der MIEZ und des BAD beendende Strategieplan sah nun vor, dass der Verteidigungsminister eine erste Info in die Welt setzen durfte. Als zweiter konnte Wolfmann dazu Stellung nehmen, dann Swaba und dann erst Frau Bundeskanzel. Dann wieder Dresdien, dann Freimann, dann die Staatssekretaere…
 
Es war ermuedend und mir inzwischen recht egal, ob Freimann seine Botschaft in einem Zeitungs- oder Fernsehinterview an die Waehlerschaft bringen durfte. Leider musste ich warten, bis die Herrschaften fertig waren und aufstanden.
 
Einfach zur Tuer rennen und davor so lange miauen, bis sich jemand erbarmte und oeffnete, wuerde mir nicht entsprechen, das klaenge zu sehr nach einer bauchgesteuerten Katze. Ich hatte ja gegenueber den anderen Teilnehmern den grossen Vorteil, dass ich bei Erholungsbedarf keine falsche Aufmerksamkeit heucheln musste, sondern mich einfach in einer Ecke oder unter dem Tisch zu einem Nickerchen zusammenrollen konnte.
 
Ausserdem mochte ich ueberhaupt keine ueberfluessige Aufmerksamkeit erregen; keiner brauchte ja zu wissen, dass ich mich im Raum befand.
 
Als mich dann das allgemeine Stuehleruecken aufschreckte, wartete ich noch, bis der Raum leer war. Panik, eingeschlossen zu werden, hatte ich nicht. Eine Grundregel hier im Bundeskanzelamt ist, dass die Reinigungskolonnen immer noch abends jeden Raum durchsaugen, der im Laufe des Tages irgendwie benutzt worden war.
 
Ich schlich mich erst dann hinaus, als kein Auge mich mehr erblicken konnte. Ich bezweifle, dass irgend jemand ueberhaupt meine Anwesenheit bemerkt hatte.
 

 
“Elwin, schlechte Nachrichten, der Tierarzt ist schon wieder da und will dich impfen!”
 
Selten bin ich unsanfter geweckt worden als gerade am naechsten Morgen; ich hatte ausserordentlich lange gepennt und wilde und wirre Sachen aus meiner fruehesten Jugend getraeumt, von der Art, dass man wie gelaehmt ist und nicht imstande ist, sich vorwaerts zu bewegen.
 
Also war ich nach dieser Art Alptraum schon mal nicht ganz so gut erholt und leicht gereizt. Dass die Haushaelterin mein kleines bisschen Restlaune mit ihrer Begruessung auch noch verpuffen liess, war ein denkbar schlechter Einstieg in den Tag.
 
Was um alles in der Welt hatte der Tierarzt denn jetzt schon wieder verloren? War die letzte Visite nicht erst drei, vier Tage her?
 
Und welcher Tierarzt? Der Alte oder der Neue?
 
Die Antwort tauchte keine Minute spaeter auf; nicht der heimlich herbeigehoffte alte Veterinaer kam mit einem “Morgen, Elwin!” zur Tuer herein, sondern schon wieder dieser Tierarztersatz.
 
Was hatte er da von einer “noetigen Impfauffrischung” der Haushaelterin weisgemacht? Noch schaekerte der grosse Dunkle mit meiner Haupversorgerin; kaum war sie zur Tuer hinaus, verlor er keine Zeit mehr.
 
Von wegen Impfspritze!
 
Wieder wurde diese grosse, stumpfe Klemme aus der bekannten Tasche gekramt und mir ueber eine Hautfalte hinter dem Ohr aufgesetzt, den unsichtbaren Gnubbel von zwei Seiten einschliessend.
 
Nur diesmal ging die Prozedur im Eiltempo vor sich, keine Minute spaeter ertoente der Piepser schwach aus der Tasche, dann hatte es Herr Moechtegerntierarzt noch eiliger, verstaute seine Geraete und machte sich grusslos aus dem Staub.
 
Fuer immer. Ich sollte diese Gestalt nie wieder sehen.
 
Ich blieb eine Weile liegen und betrachtete die Waende des Sanitaerraums. Meine Gedanken gaben keinen Sinn.
 
Irgendwann hoerte ich trippelnde Schritte.
 
Die Hausdame schaute zur Tuer herein und schien selbst verbluefft: ”Komisch, ist er schon weg? Seltsam, gerade ist der Tee fertig. Na ja, schade, Aerzte im Stress halt…”
 
Kein Wort des Mitgefuehls zu mir, wegen der Spritze, die ich nach ihrem Wissen doch haette erhalten sollen. Ihr Interesse war auf den Verschwundenen konzentriert gewesen.
 

 
Das Ereignisreichste der naechsten paar Tage war -nach den Massstaeben des hohen Hauses- kaum erwaehnenswert: Der Gesundheitsminister hatte versucht, sich mit mir einen Scherz zu erlauben.
 
Wieder einmal im Halbdunkel einer Tischrunde im Internationalen Saal hatte mich Buehr damit ueberrascht, wie er, ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, mit eindeutigen Gesten und Fingerbewegungen zu sich her lotste und auf den Schoss nahm.
 
Etwas ueberrascht ob des ploetzlichen und unerwarteten Schmusebeduerfnis des Jungministers, liess ich mich doch gerne kraulen und streicheln; allerdings behielt ich die Augen offen, ich kannte Buehr mit seinen Hintergedanken und liess meine Genusssucht mich nicht soweit verfuehren, einzuschlafen.
 
Wie recht ich hatte.
 
War die eine ministerliche Hand damit beschaeftigt, mich einzulullen und in Sicherheit zu wiegen, froente die andere den anarchischen Neigungen ihres Besitzers.
 
Vor jedem der Teilnehmer am Tisch war urspruenglich eine distinguierte Mappe mit Unterlagen gelegen, die fuer ein europaweites Patientenerfassungssystem warb. Diese schwarzmatte Mappe mit Reptilhauttextierung war mit einem breiten, silbernen Band eingebunden.
 
An den Mappen der anderen Sitzungsteilnehmer war dieses Band noch befestigt.
 
Das Band von Buehrs Mappe hatte der Minister im Schutz der Dunkelheit entfernt, zu einer Schleife geknotet und gerade ueber meinen Schwanz gezogen, als ich auch schon mit einem Satz weg war.
 
Ich versuchte, Buehr aus der Distanz mit einem boesen Blick abzustrafen, aber natuerlich war sein Kopf abgewandt und ganz auf die Praesentation konzentriert.
 
Nachdem auch sonst keiner der Teilnehmer etwas von der Schandtat mitbekommen hatte, trollte ich mich und entfernte das zum Glueck nicht zu fest zugezogene Band. Minister Unschuld tat, als koennte er kein Waesserchen trueben und wuerdigte mich keinen Blickes.
 
Der Heuchler!
 

 
Der richtige Paukenschlag folgte noch: Frau Bundeskanzel schien urploetzlich richtig Stress zu haben. Sie war ausserplanmaessig aus einer Sitzung gerufen worden; dem Gesichtsausdruck zufolge war sie ziemlich schlechter Laune.
 
Sie stuermte in ihr Buero und liess den Kanzelamtsminister rufen. Rovano tauchte schnell auf und verschwand hinter der Buerotuer, ohne mir eine Chance zu geben, mit hineinzuschluepfen und die spannende neue Wendung mitzuverfolgen.
 
Nach zwanzig Minute oeffnete sich die Tuer; jetzt wirkte Rovano ziemlich gestresst. Er gab der Sekretaerin den Auftrag, die Minister des Inneren, der Verteidigung, der Finanzen und des Aussenamtes unverzueglich herbeizuzitieren.
 
Hoppla, das roch ja richtig nach Aerger! Vor allem die ungewohnt gepresste Art und Weise, wie der ansonsten sich jovial gebende Rovano den unverhohlenen Aerger seiner Chefin weitergab.
 
Nicht, dass ich schadenfroh waere, aber ein bisschen Leben in der Bude war prima. Irgendjemand schien hier maechtig was verbockt zu haben und olange ich nicht derjenige war, war mir die Angelegenheit ganz recht.
 

 
Und die Runde, die hier so ueberfallartig einbestellt wurde, kam mir bekannt vor.
 
Klar, mit Ausnahme der nicht erwaehnten vier Staatssekretaere war das die Besetzung, die die Zusammenlegung von MIEZ und BAD ausgekluengelt hatte.
 
War da was schiefgelaufen?
 
Zwei Stunden spaeter waren die vier Minister kurz nacheinander eingetroffen; diemal war ich schneller und vor ihnen in den kleinen Besprechungsraum gehuscht, in dem sich Rovano und Frau Bundeskanzel bereits aufhielten.
 
Es schien besser, ich machte mich wie gewohnt unsichtbar und verschwand hinter einem der Wandsofas. Es hatte sich ohnehin keiner um mich gekuemmert.
 
Wie sich herausstellte, waere morgen der Tag, an dem der Verteidigungsminister anlaesslich eines heute noch aufzunehmenden Interviews den ersten regierungsamtlich bestaetigten Vorstoss in Richtung Zusammenlegung von MIEZ und BAD in einer ueberregionalen Zeitung gewagt haette.
 
Heute aber waren in mehreren Pressequellen bereits Berichte ueber dieses Vorhaben zu lesen und zu hoeren. Danach beklagten Informanten, die nicht schwer in der Naehe der Geheimdienste zu finden waren, die angebliche Verbohrtheit der Entscheidungstraeger. Die Weise, in der die Verdienste und Errungenschaften insbesondere des BAD geruehmt wurden und wie die Undankbarkeit der Politiker beklagt wurde, erinnerte an Pamphlete.
 
Doch das Schlimmste an den Berichten war - und jetzt wurde Frau Bundeskanzel ganz leise- , dass genuesslich die einzelnen Anlaesse und Termine aufgezaehlt wurden, an denen die Zwangsvereinigung verkuendet werden sollte, nicht ohne zu jammern, welch persoenliche Vorteile sich die einzelnen politischen Akteure davon versprechen wuerden.
 
Dass vereinzelte Passagen wortwoertlich mit der Besprechung vereinbar waren und genauso erwaehnt oder gedruckt wurden, erboste Frau Bundeskanzel zutiefst:
 
“Dass damit die Sache erst einmal lange Zeit auf Eis gelegt werden muss, ist klar. Wir koennen dazu so, wie die Sache aussieht, nur Dementis abgeben. Aber..”
 
Jetzt geschah etwas extrem Seltenes. Frau Bundeskanzel verlor nie die Fassung und regte sich selten auf. Jetzt jedoch…
 
“wie kommt es, dass diese Informationen so detailliert nach aussen gelangen?”
 
Ihr Gesicht hatte sich kaum merklich verdunkelt.
 
“Meine Herrschaften, ich muss davon ausgehen, dass, nachdem es keinen Protokollanten dieses Treffens gegeben hat -dem ich uebrigens dringend vertraut haette-, ein Maulwurf in der Gruppe war. Jawohl, ein Maulwurf, und zwar ein Echter. Hier handelt es sich nicht um einige dahergeplapperte Aeusserungen, die irgendwie durchgesickert sind, sondern um ein geplantes und strukturelles Weitergeben von Details, um die Verhinderung des gesamten Vorhabens zu sabotieren.”
 
Puh, das war ja starker Tobak. Brachte Frau Bundeskanzel tatsaechlich die anwesenden Hochkaraeter mit Sabotage in Verbindung?
 
“Um es gleich klarzustellen, ich denke nicht, dass einer von Ihnen etwas damit zu tun haben duerfte.”
 
Die Ministergesichter entspannten sich sichtlich, wenn auch nicht alzusehr.
 
“Aber ich denke, einer ihrer Staatssekretaere ist hier weit darueber hinausgeschossen, was man noch als einen verzeihlichen Fehler bezeichnen duerfte.”
 
“Darf man fragen, ob Sie da einen ganz persoenlichen Verdacht hegen, Frau Bundeskanzel?” Rovano schaltete sich ein. Er hatte ja noch die beste Position, er war nicht anwesend gewesen und hatte weder offiziell noch inoffiziell von der Geheimdienstreform gewusst. Als Kanzelamtsminister war er aber auch fuer Abwehr und Aufklaerung von Geheimnisverrat in diesen Gemaeuern mit verantwortlich, nachdem er mit Frau Bundeskanzel zusammen das Hausrecht ausuebte.
 
“Ich hege ueberhaupt keinen speziellen Verdacht. Im Gegenteil, ich empfand alle vier als ausgesprochen zuverlaessig. Aber Maulwuerfe rennen nun mal nicht nit einem Schild um den Hals mit der Aufschrift “Maulwurf” herum.”
 
Sie drehte sich in die Runde. “Was meinen Sie denn dazu, wie stehen Sie zu Ihren Leuten?”
 
Schweigen und Raeuspern.
 

 
Eine schwierige Situation fuer die Minister. Falls wirklich einer der Staatssekretaere der Informant war, konnte das fuer seinen Chef Konsequenzen bis zum Ruecktritt haben. Deswegen kam auch keiner der am Tisch Sitzenden wirklich in Verdacht, selbst der Maulwurf zu sein, weil Keiner, weder kurzfristig noch auf lange Sicht, irgendwie von einer Affaere oder einem Scheitern des Projekts profitieren wuerde.
 
Das Problem war doppelt und dreifach verzwickt, weil normalerweise Geheimdienstkraefte auf diesen Maulwurf angesetzt wuerden, was in diesem Fall sinnlos war. MIEZ beziehungsweise BAD hatten ganze Arbeit geleistet; entweder sie hatten kooperiert oder ihre Informationen wohldosiert an die Presse durchgesteckt: indem beide Dienste gepriesen und die Politiker kollektiv geschmaeht wurden, fiel der Verdacht nicht automatisch auf eine der Institutionen allein.
 
Auch wenn der BAD in den Pressedarstellungen noch ein gutes Stueck besser wegkam.
 
Die vertrackte Lage musste mehr oder weniger von Frau Bundeskanzel selbst aufgedeckt werden, bestenfalls Rovano stand noch an ihrer Seite; noch mehr Leute einzuweihen schien nicht ratsam zu sein.
 
Also baten Rovano und Frau Bundeskanzel die drei Staatssekretaere und die eine Staatssekretaerin hintereinander zum Kreuzverhoer; der jeweils zustaendige Minister war ausserdem mit dabei.
 
Die einschlaegigen Presse stellen lagen griffbereit auf dem Tisch des kleinen Seitenzimmers in Frau Bundeskanzels Buero.
 
Als ob sie nichts Besseres zu tun hatte: etwa eine Million ungeloester und dringender Probleme in ihrem Land und Frau Bundeskanzel musste Polizistin in eigener Sache spielen.
 
Protokolliert wurde diese Veranstaltung nicht; ich war und blieb der einzig Unbeteiligte, der die Angelegenheit unglaublich spannend fand und selbstverstaendlich bei dem detektivischen Ratespiel mitmachen wollte.
 
Mal schauen, wer den Schuldigen (oder die Schuldige) schneller identifizierte: die kluegsten Menschen oder die smarteste Katze im Land.
 

 
Es wurde mit Dresdien und seinem Staatssekretaer Schoner begonnen.
 
Schoner wusste wie alle anderen Teilnehmer des urspruenglichen Gespraechs von der Problematik der durchgesickerten Informationen. Der Rest des Kabinetts, der Regierung und des gesamten Politapparats hatte bestenfalls eine Ahnung davon, dass etwas ziemlich schiefgegangen war im Hause von Frau Bundeskanzel.
 
Wenn er was zu verbergen hatte, dann tat Schoner dies ausgezeichnet. Er wurde ziemlich hart rangenommen von Rovano und Frau Bundeskanzel. Der Kanzelamtsminister spielte den aggressiven Kerl und versuchte, Schoner mit gewagten Unterstellungen aus der Reserve zu locken.
 
Dresdien blieb neutral, half Schoner aber, wenn er gefragt war.
 
Die Veranstaltung war fuer alle ziemlich anstrengend; Rovano legte sich ins Zeug. Er sah es als Ehrensache an, den Maulwurf in seinem Zustaendigkeitsbereich selbst zu isolieren und zu vernichten.
 
Nach zwei Stunden wurden der Staatssekretaer und sein Minister entlassen, ohne Ergebnis.
 
Da sowohl Rovano als auch Frau Bundeskanzel erschoepft waren und dringende andere Geschaefte warteten, wurde das im Anschluss geplante Verhoer mit Swaba und seinem Schuetzling, Staatssekretaerin Gudolf, auf den Folgetag verlegt. Beide hatten diesmal umsonst gewartet.
 
Am naechsten Tag fanden sich die vier im gleichen Raum zusammen, wieder in unsichtbarer Gegenwart von mir.
 

 
Rovano liess sich keine Schwaeche anmerken, wieder ging er mit Volldampf auf die arme Gudolf los und beschuldigte sie der schlimmsten Untaten, dass der armen Staatssekretaerin die Traenen an den Wangen runterzukullern begannen und Swaba und Frau Bundeskanzel ihn einbremsen mussten.
 
Wiederum war trotz Rovanos rueder Rabulistik kein Erfolg zu verzeichnen. Gudolf hatte sich so gut und ueberzeugend verteidigt, dass sie anhand dieses Verhoers eigentlich aus der Liste der Verdaechtigen gestrichen werden konnte.
 
Das machte die Aufgabe fuer Wolfmann und seinen Staatsekretaer Imbach aus dem Aussenamt am naechten Tag nicht einfacher. Aus Termingruenden fand man sich diesmal um 7 Uhr morgens ein, was mir zwar nicht behagte, vermutlich genauso wenig wie den Anderen, aber diese Spannung war es mir wert. Ich war ja nicht der Typ Nachtkatze, die den halben Tag verschlaeft.
 
Imbach stand im Mittelpunkt und wer immer gedacht hatte, dass Rovano in seiner Schaerfe und Intensitaet nachlassen wuerde, hatte sich schwer getaeuscht.
 
Der Kanzelamtsminister fuhr immer schwerere Geschuetze auf. Ihn hatte der gesamte verfuegbare persoenliche und berufliche Ehrgeiz gepackt; zum Glueck fuer Imbach hatte Rovano keinen Zugang zu mittelalterlichen Folterinstrumenten, er schimpfte und insistierte, als ob seine Zukunft und die seiner Nachkommen bis ins dritte Glied davon abhinge, dass einer der potentiellen Delinquenten zusammenbrechen und gestehen sollte.
 
Imbach blieb ruhig, Wolfmann half ihm, wie er konnte.
 
Je weniger greifbare Ansaetze Rovano mit seinen Schimpftiraden blieben, desto ausfallender und verzweifelter wurden seine Ausfaelle. Er machte sich mit seinen Angriffen sicher keine Freunde unter den Betroffenen, aber das schien ihm herzlich egal zu sein.
 

 
Imbach jedenfalls ueberstand das Kreuzverhoer mit der ganzen Routine seiner fuenfzig Lebensjahre und war auch der Erste, der sich am Ende im Angesicht des ueberstandenen Beschimpfungsschwall mit einem Laecheln im Gesicht und einem Haendedruck von dem mittlerweile ausgelaugten Rovano verabschiedete.
 
Kein Zweifel, auch Imbach kam nicht als Maulwurf in Frage. Seine Integritaet stand ausser Zweifel.
 
Waehrend Frau Bundeskanzel immer stiller wurde und nur noch vereinzelt das Wort uebernahm, hatte ihr Kanzelamtsminister die Gespraechsfuehrung mehr und mehr an sich gerissen.
 
Das hatte Spuren gelassen, Rovano war in einem koerperlichen und psychischen Zustand wie ein angezaehlter Boxer.
 
Er liess sich auch prompt fuer den Rest des Tages von allen Terminen entschuldigen, um sich daheim zu erholen: fuer die letzte Sitzung und den finalen Schlag am naechsten Tag.
 
Die paar Stunden Erholungszeit reichten dem armen Rovano nicht, er war richtig krank und liess sich entschuldigen.
 
Die Affaere schien ihn Jahre seines Lebens zu kosten.
 

 
Wieder um einen Tag verschoben, wurde die vierte und letzte Veranstaltung dieser Art dann doch gehalten.
 
Fuer Rovano hatte sich die Pause gelohnt; er wirkte gefasst und erholt.
 
Aber wiederum, er liess nicht nach in seinem Engagement: wie ein Pitbull an der Kehle seines Opfers machte er sich ueber den armen Eggenstein, den Staatssekreaer des Inneren, her. Die 24 Stunden Pause hatten Rovano noch einmal seine Kraefte sammeln lassen.
 
Prompt kam der arme Eggenstein, hart in die Defensive gedraengt, ins Straucheln und stockte de oefteren in seiner Argumentation.
 
In diese Luecken stiess Rovano ohne Gnade; allerdings ohne auf einen gruenen Zweig zu kommen. Eggenstein wurde aktiv von seinem Minister unterstuetzt; tatsaechlich stellte sich Freimann mehrfach vor seinen Mitarbeiter, als er merkte, wie sehr dieser seiner Unterstuetzung bedurfte. Wie ein Blitzableiter nahm Freimann die geballte Energie aus Rovanos Angriffen auf sich und verteidigte Eggenstein nach Kraeften.
 
Das war zuvor eigentlich anders mit Frau Bundeskanzel abgesprochen; die Minister sollten dem Verhoer nur beiwohnen, ohne gross das Wort zu ergreifen. Freimann aber spuerte, wie sehr sein Schuetzling wankte und gab seiner Fuersorgepflicht Vorrang gegenueber den zuvor getroffenen Vereinbarungen.
 
Wie auch immer, es blieb nichts Greifbares fuer den Anklaeger, was er in irgendeiner Weise gegen Eggenstein verwerten konnte.
 
Rovano stand vor einem Scherbenhaufen. Keiner der vier Verhoerten hatte sich auf dem ersten Blick eine Bloesse gegeben.
 
Freimann und der sehr erleichterte Eggenstein wurden nach drei Stunden intensiven Leidens ohne Ergebnis entlassen.
 

 
Die Eindruecke sollten einige Stunden sacken, aber unmissverstaendlich liess Frau Bundeskanzel eine Krisensitzung fuer den Abend einberufen. Sie stand vor der schwierigen Aufgabe, Konsequenzen zu verkuenden und durchzusetzen, ohne -zumindest noch zu diesem Zeitpunkt- eine Idee zu haben, wie sie die Affaere weiter handhaben sollte.
 
Spaet, sehr spaet trafen sich Frau Bundeskanzel, Innenminister Freimann, Aussenminister Wolfener, Verteidigungsminister Dresdien, Finanzminister Swaba und der arme Kanzleramtsminister in der kleinen Kammer im Bundeskanzelbuero.
 
Falls Rovano sich wirklich zwischenzeitlich etwas erholt haben sollte, war dieser Effekt augenscheinlich voellig verflogen. Er sass wie ein Haeufchen Elend am Tisch, als waere er der aufgedeckte Urheber der Affaere, der Maulwurf hoechstpersoenlich.
 
Die Teilnehmer wirkten nicht so, als wuerden sie noch ernsthaft an eine Aufklaerung glauben.
 
Es fielen keine Namen mehr, keine konkreten oder vagen Verdaechtigen wurden mehr angesprochen.
 
Hilflos sassen sie da, die Elite, der Zirkel der Auserwaehlten, das Beste, was das Land zu bieten hatte.
 
Und ich befand mich wie immer unter dem Tisch und spitzte meine Lauscher.
 
Es kam nichts Substantielles. So viel Resignation auf einem Haufen hatte ich nie zuvor erlebt.
 

 
Da sprang mir eine Idee ins Hirn.
 
Mir wurde heiss, siedend heiss.
 
Kurz spuerte ich eine Art Schwindel.
 
Doch genau diesen Moment hatte ich doch immer wieder vor dem Spiegel eingeuebt.
 
Ich machte zwei Saetze, sprang auf den Tisch, direkt in den Scheinwerferkegel, machte einen maechtigen Buckel und fauchte einmal im Kreis alle Sitzungsteilnehmer an.
 
Wie aus einem Munde entfuhr es den gerade noch Verzweifelten, jetzt erstaunten und perplexen Herrschaften:”Elwin!”
 
Und Frau Bundeskanzel starrte mich mit voellig ungewohnt aufgerissenen Augen und einem Blick in die Ferne an, als ob ihr etwas lange Vergessenes mit einem Mal wieder eingefallen waere.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Kai Restlaune).
Der Beitrag wurde von Kai Restlaune auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Kai Restlaune als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Die Gereimtheiten des ganz normalen Lebens von Petra Mönter



Ein kleiner Kurzurlaub vom Ernst des Lebens.

Petra Mönter's Gedichte beschreiben das Leben - auf humorvolle Art und Weise. Herzerfrischend und mit dem Sinn für Pointen. Es ist es ein Genuss Ihre Gedichte, welche alle mit schönen Zeichnungen unterlegt sind, zu lesen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Kai Restlaune

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Geschichten mit Pphiphph - Phür Phishing-Phreunde von Siegfried Fischer (Humor)
Vielleicht verlange ich zu viel... von Rüdiger Nazar (Leidenschaft)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen