Arno Gündisch

Nach zwanzig Jahren

Da steht er also wieder und sieht die Statue an, die, Taubendreck auf dem Kopf, mit dem rechten Zeigefinger irgendwohin weist. Eigentlich nicht irgendwohin, sondern auf ein Fenster, vor dem ein Lindenast seine Zweige hin und her wiegt. Auf dem wippenden Zweig schaukelt ein Spatz mit, mal über, mal unter dem Zeigefinger. Jetzt steht er still, in Schießrichtung des Zeigenden.
Eigentlich müsste der Finger auf das Büro des Rektors weisen, der diese ehrwürdige Anstalt leitet. Du da! Erfülle dies und jenes , und wie stehen wir heute mit der Moral? So hm hm.
WAAS? Na dann aber…Er kann den Schrei der Statue förmlich hören. Vielleicht wäre sie sogar vom Sockel gestiegen und die Stufen zum Büro hinauf gestampft, Bumm, Bumm, Rumms, so Herr Schwerenöter (gefolgt von einem lateinischen Fluch), jetzt geht’s zum Appell!
Aber nein, Du Ärmster…Du bist ja nur ein Symbol. Dein amtlicher Nachfolger verkriecht sich irgendwo am anderen Ende des Gebäudes, betrachtet Dich vielleicht sinnend in Mußestunden, wohl darüber nachdenkend, wie sich einer fühlen muss, der täglich angeschissen wird. Herr Rektor Spatz.
 Du siehst auch nichts. Nicht die Limousine, aus der Festtagsgarderobe entsteigt. Nicht die gepflegten Dreitagebärte mit Anzug, die prozessionshaft folgen, flankiert von Galakleidern und Kostümen in dezenten Farben. Noch eine Limousine, markierend die  Ankunft von Eberhard, dem Strahlemann und Musterschüler. Künstliche Oohs und  Aahs , Küsschen links und rechts, direkt unter dem Sockel des Spatzenschiessers.
Selbst der Lindenzweig wippt nicht mehr, die Galagarderobe sonnt sich im Festlicht. Zeit der Digicams, Spiegelreflex, aus teurer Fototasche sprießend. Futterreserven für hungrige Mailboxen..
Sein Sakko kleidet ihn wie eine Vogelscheuche..an dem hat sich seit dem Abi nichts geändert. Wie gut, dass ich rechtzeitig an meinen Maßanzug dachte..
Der Spatz ist nicht mehr da: Den Rektor und seinen besudelten Vorgänger gibt es aber  noch.
 Da steht er, der  Eberhard, von Kopf bis Fuß in bestes Tuch gepackt. Sein Blick gleitet in die Runde, erfasst auch ihn-und zuckt zurück.  Und das Galakleid neben ihm-wird das etwa von der Hildegard ausgefüllt?
Wegen ihr habe ich mich mit diesem Streber auf dem Schulhof geprügelt, gar nicht weit von hier…wegen ihr wurde ich damals fast der Schule verwiesen. Vergeudete Lebensmüh, wie sich zeigt…
Eine Bewegung  im ersten Stock erregt seine Aufmerksamkeit. Ein krawattenbewehrter Maßanzug lässt seinen Blick in die Runde schweifen, schätzt die Lage ein, verschwindet dann wieder.
Zu Zeiten seines Vaters wäre dieses das Signal für die schuleigene Blaskapelle gewesen. TRARA-Bumm, TRARA-Bumm, im Gleichschritt um die Aula rum…herzlich willkommen!
Der Maßanzug betritt den Hof, ein strahlendes Lächeln auf dem ansonsten eher mittelmäßigen Gesicht.
„Herzlich willkommen nach zwanzig Jahren. Folgen Sie mir bitte in die Aula-ich hoffe, Sie haben den Weg nicht vergessen!“
Einzelne, pflichtbewusste Lacher folgen dem Tross, der sich zum Schuleingang in Bewegung setzt.  Vorne der Rektor mit jugendlichen Schritten,  gefolgt von Eberhard und Hildegard.
 Nochmal musste er an seinen Vater denken. Bei dessen Schulabschluss gab es zu Hause im Dorf ein großes Fest. Im Vorfeld wurde das stattlichste Schwein im Stall geschlachtet, obwohl es Sommer war. Ganze zweihundertfünfzig Kilo.
 Hauszucht, keine Metro-Bestände, die nach der obligatorischen Aula-Besichtigung  im edlen Restaurant gediegen serviert werden.
Ein schlanker Schatten setzt sich im Lindenbaum fest. Der Sperber glättet sein Gefieder und  sucht die umliegenden Baumkronen nach ahnungslosen Spatzen ab.
Der Zeigefinger des Spatzenschiessers erfasst ihn, rein symbolisch.

Bei einem Klassentreffen wird versucht, die Vergangenheit zur Gegenwart werden zu lassen, nur um wieder und wieder daran zu scheitern. Vielmehr stellt man fest, wie sehr die einstige Zukunft alle verändert hat.
Vorliegender Text entstand Ende 1989 in Siebenbürgen. Nach gut 21 Jahren musste ich den Text überarbeiten-nun ist es der Sohn des damaligen Absolventen, der sich an die Zukunft von einst erinnert.
Die Zeit verschont eben auch Klassentreffen nicht....
Arno Gündisch, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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