Hans Witteborg

Ungewöhnliche Begegnung



Es gibt Menschen, die in den Augen anderer als nicht besonders glaubwürdig erscheinen.
Das hängt mit ihren Tätigkeiten zusammen z.B. liegt die Glaubwürdigkeit bei Politikern bei nicht einmal ein Prozent, man nimmt es ihnen nicht übel, da ein pathologischer Defekt vorliegt, der unter dem Begriff des Verlustes vom Kurzzeit-Gedächtnis bekannt ist.
Eine andere Form der Unglaubwürdigkeit liegt bei Anglern und Jägern vor. Die über diesen Personenkreis verbreiteten Lügengeschichten sind ebenfalls krankhaft und werden als das Münchhausen Syndrom bezeichnet. Warum ich diese Vorbemerkungen mache liegt daran, daß ich als Jäger mit Vorurteilen bei dem Erzählen von Geschichten rechnen muß, zumal ich mich auch als Autor von Kurzgeschichten verstehe, die zum großen Teil der Fantasie entsprungen sind.
Das, was ich heute berichte ist aber die reine Wahrheit – Glaubwürdigkeit hin oder her –
Ich halte mich für glaubwürdig und das solltet ihr auch tun, wenn ihr Wert darauf legt mit mir gepflegten Umgang zu bewahren.
Es war im späten Oktober 2008. Ich erwähne diese Jahreszahl deshalb, weil es noch ungewöhnlich warm war und eigentlich nicht das typische Wetter für eine Treibjagd auf Niederwild war. Nach der üblichen Prüfung der Jagdscheine, der Vergatterung in Sachen Sicherheit bei der Ausübung durch den Jagdherren, wurde noch ausdrücklich erwähnt, welches Wild zur „Ernte“ dieser Treibjagd frei gegeben wurde. Es ging auf Fasanenhähne, Hasen, Füchse, Ringeltauben, wenn denn vorhanden auf Lagerschnepfen – hier grinste der Jagdherr, denn es waren wohl kaum welche zu erwarten. Zusätzlich rechnete man im Laufe des Treibens damit vielleicht das eine oder andere Wildschwein – Jährlinge, Überläufer aufzustöbern. Die Empfehlung lautete, die auch für Flinten geeignete Brennecke Patronen
bereit zu halten, falls die Hunde auf Sauen stießen. Die Plätze der Schützen wurden Abschnittsweise zugewiesen, die Treiberkette nahm in der Ferne Aufstellung . Die Jagd wurde angeblasen.
Mein Standort befand links sich in der Nähe eines Bruchs aus Mischgehölzen, davor war eine etwa 20 m breite Wiese, die rechts an ein Feld von etwa knöchelhohem Senf grenzte, auf dem die erste Runde des Treibens stattfand. Vor mir lag undurchsichtiges Strauchwerk, hauptsächlich wilde Brombeerpflanzen, die an einem leichten Hang wuchsen. Ich ließ mich dort vorsichtig nieder, lud meine Bockflinte mit zwei Stahlschrotpatronen (der Jagdherr bat darum Bleischrot wegen der Umwelt zu vermeiden). Kaum hatte ich Stellung bezogen, da bemerkte ich etwas Ungeheuerliches -–ich schwöre, daß dies den Tatsachen entsprach –
keine zwei Meter von mir entfernt schaute mir ein Reh direkt in die Augen. Noch nie war ich einem frei lebenden Wildtier so nahe gewesen. Früher, als ich mit meinem kleinen Sohn öfter den Heimattierpark Olderdissen in Bielefeld besuchte, hatten wir beim Füttern schon eine geringere Distanz zu den Rehen gehabt, die aber waren an Menschen gewöhnt. Das war kein Vergleich. Ich frage mich bis heute, warum das Reh so verhalten war. Ich bewegte mich nicht.
Wir standen uns wie zwei gute Freunde gegenüber und beäugten uns. Diese wunderbaren sanften, großen Augen verrieten mir nicht die geringste Angst. Ganz leise, kaum hörbar murmelte ich: Na, meine Schöne“. Nicht einmal jetzt machte das Tier eine Fluchtbewegung.
Das mochte eine gefühlte halbe Minute so gegangen sein, da machte ich eine etwas ruckartige Bewegung. Das Reh drehte sich blitzartig zur Seite und sprang ab indem es den kürzesten Weg zu dem Bruch nahm. „Nicht schießen,“ hörte ich ein Stück weiter rechts von mir jemanden schreien. Da fiel auch schon der Schuß. Das Reh war völlig unbeeindruckt in dem Bruch verschwunden. Meine Freude darüber war groß. Dennoch war trotz dieses wunderbaren Erlebnisses der Jagd-Tag verdorben und die Stimmung bedrückt. Der Jagdherr hatte den voreiligen Schützen der Gesellschaft verwiesen. Das Treiben in diesem Abschnitt wurde abgebrochen. Alle Jäger zusammengerufen und erneut vergattert. Schade, daß dieses einmalige Erlebnis durch einen derartigen Abschluß getrübt wurde. Ob meine „Schöne“ wohl irgendwann doch einer Kugel erlegen ist? Ich fände dies schade, denn dieser Blick aus den wundervoll großen Augen geht mir nicht aus dem Gedächtnis. Glaubwürdigkeit hat auch mit Vertrauen zu tun...mir hat das Reh offenbar großes Vertrauen geschenkt. Von Euch, die ihr in einer Welt voller Lügen lebt, erwarte ich das nicht!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Vom Ufer aus von Hans Witteborg



Die Gedichte begleiten durch die vier Jahreszeiten und erzählen wie die Natur erwacht, blüht und welkt, wissen von reicher Ernte zu berichten. Der Spätsommer im Park, winterliche Gefilde oder Mailandschaften scheinen auf. Der Autor verwendet meist gereimte Zeilen, zeigt sich als Suchender, der neues Terrain entdecken möchte. Der Band spricht von den Zeiten der Liebe, zeigt enttäuschte Hoffnungen und die Spur der Einsamkeit. Wut und Trauer werden nicht ausgespart. Es dreht sich das Kaleidoskop der Emotionen. Der kritische Blick auf die Gesellschaft und sich selbst kommt zum Zuge. Kassandras Rufe sind zu hören. Zu guter Letzt würzt ein Kapitel Humor und Satire. So nimmt der Autor seine Zettelwirtschaft aufs Korn, ein hoffnungsloser Fall.

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