Ewald Frankenberg

20 Jahre Nevermind

20 Jahre Nevermind
 

     Mit den auslaufenden achtziger Jahren begann für mich eine Zeit des Umbruchs. Ich ging hart auf die Dreißig zu, dann ist das Leben vorbei, man hat sich den ernsten Dingen zu widmen wie Familiengründung, Hausbau, …

     Ich hatte mich in meiner Beziehung sowie meinem Leben festgefahren, es ging träge, schleppend, alles schien wie befürchtet zu laufen. Oder?

     Gehen sie zurück auf los. Ich sortierte mich komplett neu, brach mit alten Gewohnheiten und auch Beziehungen. Es wurde wieder spannender. Fehlte nur noch der passende Soundtrack zu meinem neuen Leben.

     Die Musik in den Achtzigern war festgefahren, träge, schleppend, aufgeblasen. Sicher kam auch mal was Gutes, aber insgesamt war der Maßstab wohl eine tödlich cleane Produktion gepaart mit absoluter Massenkompatibilität. Dazu massives einschwören der Menschen auf dieses Qualitätsprodukt. Alles schien zu laufen wie befürchtet. Oder?

     Wenn man etwas tiefer grub, gab es durchaus interessantes. So fanden Mudhoney und Green River auf meinen Plattenteller. Was war das eigentlich? Nicht neu. Eher der Hardrock aus meiner frühen Jugend. Eine gehörige Portion Punk vielleicht auch noch. Aber total entstaubt und mit einer in damaliger Zeit fast nicht mehr gekannten Frische hingerotzt. Grunch nannten wir das und federführend war das Sub – Pop – Label in Seattle. Und die Gerüchteküche versprach noch viel, viel mehr.

     Im Sommer 89 tat ich für mich das „Forum“ in Enger auf, ein kleiner, enger Keller, der eigentlich nur zur Durchführung von Rockkonzerten von Idealisten geöffnet wurde. Für mich das Größte seit man uns des alten „Hyde Park“ beraubt hatte. Hier spielte genau die Musik, die ich hören wollte, verlässlich, jede Woche, für den Festpreis von zehn Mark. Die Namen, vorher nie gehört, aber auf den Veranstalter war Verlass.

     Für den 10.11.89 waren Tad und Nirvana angekündigt. Beide mir unbekannt, aber wenigstens letzteren eilte schon ein guter Ruf voraus. Auf einem Sub – Pop – Sampler waren beide vertreten, jetzt hörte ich das erste Mal bewusst Nirvana. „Spank Thru“ – nicht uninteressant, etwas flachbrüstig, aber Live war immer eine andere Kiste, also los. Etwa zweihundert Leute bevölkerten den Keller, sprangen auseinander, als Tad Doyle seine zweieinhalb Zentner zum Crowdsurfen von der Bühne hechtete und erzählen heute stolz ihren Kindern, wir waren dabei, als Nirvana hier gleich um die Ecke im „Forum“ aufspielten.

     In meinem Kulturtagebuch steht in etwa: klasse Stimme, tolle Gitarre, hingerotzt, aber doch irgendwie virtuos; starke Songs, aber wohl keine Aussicht auf kommerziellen Erfolg, die Typen zu abgerissen, die Musik zu wild und ungezügelt.
    
     „Bleach“ war die erste LP, laut Aufdruck für 600 Dollar von Jack Endino produziert, ungeschliffen, rau, kantig. Aber mit Evergreens wie „About a Girl“. Nur, was habe ich für eine Fassung? Bei mir fehlt komplett die Singleauskopplung „Love Buzz“, ein fantastisches Shocking – Blue – Cover.

     Nirvana trat dann wieder etwas in den Hintergrund, es gab für mich plötzlich wieder hunderte spannende, interessante Bands die zwar nicht in der Hitparade oder im Radio auftauchten, aber alle spielten sie im „Forum“.

     Im Sommer 91 kamen dann die ersten Meldungen: die Nächste wird klasse; und Major – Deal – naja. Ich weiß garnicht mehr, ob „Smells like Teen Spirit“ schon vorab veröffentlicht war, als am 24.08.91 Sonic Youth als Headliner eines kleinen Festivals zum Tanzbrunnen lockten, bei dem auch Nirvana für den frühen Nachmittag angekündigt waren. Zu früh für die Band, die – offiziell wegen Verkehrsproblemen – sich vier Stunden verspätete und dann, auf Kosten der Anderen, noch ein zwanzigminütiges Set einschieben durfte, auf von der Band Rausch geliehenem Equipment, was Curt aber nicht hinderte, die Gitarre am Ende zu demolieren.

     Der Gig war sicher nicht so toll, aber die unbekannten Stücke waren so gut, dass ich heiß war auf die neue Platte. Und dann war es ja wohl der 24.09.91 als das Ding endlich in den Regalen stand.

     „Smells like Teen Spirit“, der Überhit gleich als Opener, gefolgt von elf Stücken, die heute wohl allesamt Klassiker sind, was für die Qualität und Eingängigkeit der Songs spricht. Klasse auch das Cover, auf dem ein unschuldiges Baby schon mit Kapital geködert wird.

     Und der Sound? Ganz anders als auf „Bleach“, heller, klarer, eingängiger. Die Platte hatte Power, ging anständig los, aber wer genau analysierte, dem fiel auch gleich schon ein gewisser Popappeal auf, Major – Deal halt. Und ich stellte mir ernsthaft die Frage, ob ich das dann noch gutfinden darf. Drauf geschissen, die Songs waren klasse, alles Andere egal. Und dass das Ding dann so durch die Decke geht war sicherlich für alle überraschend.

     Kleine Anekdote am Rande: im CD – Laden lief ein Pärchen auf, brachte die CD zurück, die wäre nicht in Ordnung. Das letzte Stück, schon schön ruhig, war durch, die Beiden kuschelten weiter und fuhren nach zehn Minuten erschrocken hoch weil plötzlicher Krach, noch mal über sieben Minuten, losbrach. Der Hidden Track, der zusätzlich ganz ans Ende der CD gestellt wurde, war da eine noch neue Erfindung, selbst dem Dealer unbekannt, er nahm die CD anstandslos zurück.

     Aber was habe ich für eine Fassung? Bei mir fehlt der Track komplett. Der war dann aber wohl schon in der zweiten Auflage ein lautes Aufbegehren der Band gegen den Erfolg, ein Hinweis, vertut euch nicht, wir sind nicht so, eigentlich sind wir anders.

     Man kann die Platte finden, wie man will, unbestritten ist, dass der Erfolg einen Sog auslöste, der nicht nur das Genre erfolgreich machte sondern alternativer Musik allgemein einen Schub nach vorn brachte. Somit ist die Platte musikgeschichtlich absolut wichtig.

     Ich würde aber gern mal die Originalbänder hören, aus der Zeit bevor Butch Vig sie in die Finger bekam. Das wäre doch mal eine anständige Veröffentlichung, jetzt zum Ehrentag. Bis dahin höre ich dann lieber „In Utero“. Die Songs haben die gleiche Qualität, die Produktion ist aber wieder rauer, unpoppiger. Als Meilenstein steht bei mir auch die „Unplugged“ im Regal. Leute, so muss sich akustische Musik anhören.

     Nirvana waren jedenfalls auf meiner Favoritenliste weit nach oben gerutscht und ich wartete auf weitere Geniestreiche, als ich um den 10. April 1994 während einer Bullitour mit meiner neuen Partnerin diese auch mit guter Musik konfrontierte. „Wie heißt der“ kommt von ihr die Rückfrage, „Curt Cobain? Ich glaube, da kam gestern was in der Tagesschau.“

     Und das, obwohl er uns auf „Nevermind“ mehrfach schwört, er habe kein Gewehr.





 

©Ewald Frankenberg 24.09.2011

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