Helene Hages

45 einviertel - 1.Teil

Als reife Mutter von garen bzw. halbgaren Kindern stellt man sich in einem gewissen Alter die alles entscheidende Frage:

WAR´S DAS?
Die Tochter, 19, selbst Frau und so beneidenswert selbstbewusst, schaute mich ob meiner Selbstfindungsversuche schon länger schräg von der Seite an, murmelte „schlimmer als in der Pubertät" und ging dann ungerührt fröhlich ihres Weges.
Erklomm der besorgte Mutterblick luftige Höhen, erhaschte er zuweilen oben in der dünnen Luft das schiefe Grinsen des Sohnes. Aus tiefster Kehle ertönte tröstend „Ach, Träubchen, reg dich nicht so auf!" und ein liebgemeinter Prankenhieb ließ die zarte Mutterschulter gnadenlos einknicken. Nach eingehender Selbstprüfung vor sämtlichen Spiegeln des Hauses musste ich mir nun eingestehen, die Kinder sind erwachsen, zumindest tun sie so, und du, meine Liebe, stehst an der Schwelle zum Alter.
Aus Selbstschutz hatte ich mir angewöhnt einem Stück reflektierenden Glases mein Knittergesicht als erstes zu präsentieren, das sich dann, oh welche Freude, in mein ureigenes Lächeln verwandelte. Und das ist so schlecht nicht, jedenfalls im Vergleich zu der Grimasse. Da wirken die Krähenfüße und die großen Poren nicht mehr gerade so schockierend.
Vorige Woche, gedankenverloren, wie ich neuerdings häufiger bin, ertappte ich mich dabei, wie ich in einem Kosmetikladen hypnotisiert in einen Tischspiegel starrte. Es war ein Prachtexemplar von einem Reflektor.

Zehnfache Vergrößerung!

Mit Beleuchtung!

Und so riesig!

Ich entdeckte unendliche Weiten von Landschaften mit Vulkanen, kurz vor ihrem verheerenden Ausbruch, tiefe Krater gähnten mir entgegen, Baumstämme, kahl und dunkel, wohin man auch sah.
Fasziniert und regungslos begutachtete ich die Vielfalt meiner Pickel, Poren und Härchen, die sich mir auf Molekularebene offenbarten.
Das angestrengte Hüsteln der inzwischen unruhig gewordenen Verkäuferin riss mich endlich aus meiner Starre. Mein Gehirn erhielt wieder genug Sauerstoff und Blutzufuhr, so dass ich mich fragte, welches Wesen auf Erden sich für den mikroskopischen Zustand meiner alternden Haut überhaupt interessieren würde.-

Bestimmt niemand.
Aber Marsianer eventuell...
Ich selbst werde mich bestimmt nicht täglich mit diesem Anblick quälen.
Nein, auch wenn mein Sohn in Kürze dazu übergehen muss, mich liebevoll "Rosinchen" zu nennen, den Preis, den die junge, erbarmungslos gut aussehende Angestellte des Ladens da nannte, nein, den war ich nicht bereit zu zahlen.
Fortan wende ich diesen Äußerlichkeiten wenigstens halb den Rücken zu und kümmere mich um meinen Geist und meine Seele.
Und so entdeckte ich das Internet ...

ã 2002 Helene Hages



 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.10.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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