Ewald Frankenberg

Tagebuch (Chapter H)

Sonntag, 16.10.2011

Schlafen konnte ich vergessen letzte Nacht. Ich war seit zehn Jahren
nicht mehr in der Kirche. Um dort hin zu gelangen, muss man durch den
Park. Die Kirche ist gerappelt voll.
    
      –Herr, nimm die Seele der armen Meike bei dir auf-
  
    -Wir bitten dich erhöre uns-
 
      –Herr, gib uns die Kraft, unsere Gedanken und unseren Zorn in Zaum
zu halten, um sie nicht in Gewalt gegen den Täter entgleisen zu lassen-
  
    –Ich bitte dich erhöre uns-
  
     –Herr, gib den Ermittlern die Kraft, das Geschick und das Glück,
den Täter zu überführen, um ihn der irdischen Gerichtsbarkeit zuführen
zu können-

Ich schweige. Und schaue mich um in all der Scheinheiligkeit hier. Der
da hat gestern in der Kneipe vielleicht eine Frau gegen ihren Willen
angegrabbelt, der daneben schlägt vielleicht seine Frau, oder vergewaltigt
sie, wenn sie keine Lust hat. Die Frau da, die hier in aller Öffentlichkeit
ihrem Kind auf den Po gibt, weil es Gott fröhlich lachend begegnet, schlägt
daheim sicherlich fester zu. Und vom Kirchenvorstand, der hier mit dem
Klingelbeutel sammelt, weiß ich, dass er besoffen Auto fährt. Potentieller
Mörder. Und da, ich fasse es nicht: in der Kirche, ein Soldat in Uniform.
Ob es hier richtige Mörder gibt? Was wollen die alle hier? Gott vergibt.
Ja, wenn ihr draußen seid, ist euch allen vergeben, geht es dir besser, ist
deine Schuld getilgt.

Keiner redet drüber. Nicht einmal der Priester wird alles wissen. Nicht
einmal das Tagebuch. Ihr tragt Mauern in euren Köpfen, Mausoleen, in
denen ihr eure Schuld vergrabt. Je mehr Schuld, desto mehr wird von
euch eingemauert. Edgar Allen Poes Alptraum. Ihr zelebriert ihn an euch
selbst.

Was tust du hier? Es war der unauffällige Gang durch den Park. Was
treibt dich fort? Es ist hier die Mauerkrone deines Mausoleums. Raus
hier, bevor der letzte Stein anbindet.

Du musst heute noch raus. Party. Disco. Frauen. Eine Frau, die dich von
Meike ablenkt. Du kannst nicht mehr hoffen, sie wiederzusehen, zu
treffen, jetzt musst du sie vergessen. Vergessen machen mit einer
anderen. Lächeln, charmant sein. Tanzen. Du bist Kumpel, bist Freund.
Hilfsbereit, nett, nein, kein Böser. Das kann keiner von dir denken.
Zweifelst du etwa selbst an dir?

Stopp!

Zurück auf Anfang. Die letzte Woche war daneben. Deine Gier. Das war
nicht ich. Der Alkohol. Teufel. Du warst nicht betrunken, einfach nur scharf.
Du hast dich einfach nur daneben benommen. Weiter ist nichts passiert.

Es ist nichts passiert.


                                                                                           ©Ewald Frankenberg

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