Ewald Frankenberg

Tagebuch (Chapter L)

Donnerstag, 20.10.2011

Die ganze Nacht schlecht geschlafen. Ich hatte heftige Alpträume.
Immer wieder sah ich heruntergelassene Jeans, nackte Frauenbeine,
wehende schwarze Frauenhaare, weinende Augen in einem Gesicht,
das ich fest an mich drückte, bis es mir aus den Armen glitt und am
Boden zerschellte. So kann man von außen in die Schuldigenrolle
gedrängt werden, und dann soll man noch unbefangen gegenüber den
Ermittlern auftreten. Umso überraschender und erfreulicher die
heutige Schlagzeile, wieder erste Seite: 

                           -Meikes Mörder gefasst-

Mein Magen krampft zusammen, kalter Schweiß steht mir auf der
Stirn, die Knie geben nach und die zittrigen Finger können kaum die
Zeitung halten.

                           –Meikes Mörder gefasst-

Na, Gott sei dank! Damit ist der Alptraum zu Ende. Gute Nachrichten
in der Zeitung sind noch überzeugender als schlechte.

Wer war es?

   –Ex-Freund von Meike verhaftet. Spermaspuren überführen ihn-

Na, wer möchte da noch nachfragen. Die Menschen lächeln wieder.
Lächeln mich wieder an. Aufmunterndes Nicken, Schulterklopfen gar.

       –Na, warst du es doch nicht-
       
       -Ich habe ja immer gesagt, der tut keiner Fliege was, der friedfertigste
Mensch, den ich kenne-

Und ich möchte ihnen entgegen schreien

     –Und was war gestern; und was ist morgen?-

Aber ich lächele zurück, flachse die Leute an, zeige schon mal scherzhaft
den gestreckten Mittelfinger. Während drei Jahren in der Firma war
ich noch nie so Mittelpunkt wie in den letzten Tagen. Gestern Mittelpunkt
in einem Kreis um mich herum, heute Mittelpunkt in einer Menge um mich
herum. So ein Verdacht macht einen doch ganz schön populär, und wenn sich
der Verdacht zerschlägt, braucht keiner mehr die Anziehung verbergen,
die dieser vermeintliche Mörder auf einen ausgeübt hat. Mein Tisch in der
Kantine ist voll besetzt. Ich darf erzählen, wie schlecht Meike drauf war
und was ich mir für Vorwürfe mache, weil ich sie allein zurückließ. Und ihr
werdet es nicht glauben, ich habe eine Einladung ins Kino von einer Kollegin,
von der ich mich bisher zickig abweisend behandelt fühlte.

Trotz schlechter Nacht bin ich also wieder total obenauf, als sich die
Kollegen der SoKo Meike erneut zu mir durchfragen.

          –Wann sind Sie an dem Abend nach Haus gekommen?- 
    
     -Weiß ich nicht so genau, aber wohl direkt nachdem ich die Frau allein
ließ; ich war ziemlich fertig-
         
          -Hat Sie jemand gesehen, der eine genaue Zeitangabe machen könnte?-
    
     -Ne, ich bin allein nach Hause, ich war ziemlich fertig-
         
          -Und als Sie gingen, lebte das Mädchen noch?-
    
     -Natürlich, was soll das denn jetzt?-
         
          -Sind Sie sicher?-
    
     -Klar Mann. Ihr habt doch Euren Mörder. Was wollt Ihr denn noch?-
         
          -Sie machen ihren Job doch vernünftig. Und das darf man von uns
auch erwarten. Dazu gehört auch, dass wir Entlastendes für den
Verdächtigen nicht übersehen. Das würden Sie von uns verlangen,
würden Sie einsitzen. Würden Sie uns eine Speichelprobe überlassen?-
    
     -Was soll das denn jetzt? Ihr habt doch den Vergewaltiger-
         
          -Würden Sie mit uns zu sich nach Haus fahren und uns die Kleidung
aushändigen, die Sie am bewussten Sonntag trugen?-

Ich versteh nicht ganz. Irgendwo stürzt ein Kartenhaus ein.

     –Ich versteh nicht ganz-

          -Wir haben Faserspuren sichergestellt, wenn die zu Ihnen gehören,
brauchen wir die Spur nicht mehr weiterzuverfolgen, Ausschlussverfahren-


                                                                                        ©Ewald Frankenberg

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