Wally Schmidt

La Haute Provence

 

 

 

La Haute Provence, das Land der Steine.

 

Sonne und atemlose Stille in der Einsamkeit. Eine Stille, die durchbrochen ist von dem leisen Plaetschern der Durance und verschiedenartigem Zwitschern der Voegel. Von Zeit zu Zeit kuendigt sich ein maechtiger Mistral durch zarte Federwoelkchen an. Er reinigt die Luft und die Seele.Er gibt neue Kraft, neue Hitze, neue Sonne. Ich liebe die Sonne! Die Ferien sind vorbei mit einer Fahrt in ein anderes Land. Ich habe es genossen, doch bin gluecklich, wieder in meiner geliebten Heimat zu sein. Eine neue Heimat, doch schon viele Jahre mein Zuhause. Hier wird mein Koerper verwoehnt mit Sonne, Hitze, Lavendelduft, dem Zirpen der Cigalle und vor allem Ruhe. Ein Blick aus dem Fenster auf endlose Weite, Berge in der Ferne, auf einen Fluss und auf einen maechtigen Felsen. Ein Gefuehl, dass sich auf den ganzen Koerper ausbreitet, wenn ich mir das alles anschaue. Was fuer ein Gefuehl? Ich kann es nicht genau beschreiben, aber es ist einmalig und sehr beruhigend. Der Blick nach unten auf den terrassenfoermigen Garten mit einer hohen,schlanken Zypresse, ein paar Olivenbaeumen und vielen, vielen Blumen, er lockt mich immer wieder.

Ein Spaziergang durch das Dorf mit seinen alten Haeusern, zum Teil verfallen. Viele sind auch mit grosser Liebe wieder erneuert worden und stehen jetzt ganz stolz da und verschoenern mit ihren Farben die doerfliche Atmosphaere. Ein paar abgerissene, alte Plakate von irgend einer Wahl oder von einem Essen mit Tanz, von einem Boulespiel, das irgendwann einmal stattgefunden hat, sie haengen an einer Plakatwand. Mir gefallen sie nicht, wie sie da so rumhaengen, halb zerrissen, doch auch sie gehoeren einfach dazu. Ein neuer Teil mit vielen neuen Haeusern erstreckt sich auf der Hoehe des Dorfes. Sie sind klein und einfach, oder gross und schoen. Die neue Zeit bringt neue Haeuser hervor. Das laesst sich nicht vermeiden und ist auch noetig. Doch der alte Teil des Dorfes ist mit seiner Vergangenheit viel heimeliger und interessanter. In unserem alten Viertel fuehlen wir uns so richtig wohl. Hier ist es viel mehr wie ein Dorf, und man hat irgendwie mehr ein Gefuehl fuer das Laendliche. Ein Spaziergang ueber die Hoehe zeigt weit in der Ferne maechtige Berge. Im Winter scheinen sie noch imposanter und, komischerweise, auch viel naeher. Man kann sich um die eigene Achse drehen und sieht dort oben bei uns, immer Berge.

Die Felder sind im Sommer mit leuchtend gelbem Korn uebersaet, aus dem oft hunderte leuchtend rote Mohnblumen hervorgucken. Die Bauern haben viel Arbeit in jedem Jahr, die unzaehligen Steine aufzulesen, die wie aus der Erde rauszuwachsen scheinen. Man nennt nicht umsonst die Haute Provence das Land der Steine. Dem Korn machen die vielen Apfelplantagen grosse Konkurenz. Sie sind ueber das ganze Land verbreitet. Im Fruehjahr ist es ein einziger Bluetentraum, und man kann sich nicht satt genug daran sehen. Die Bauern koennen die Ernte im Herbst nicht alleine bewaeltigen, und deshalb kommen, oft aus anderen Laendern, Apfelpfluecker, um mitzuernten.

Kuehe gibt es bei uns nicht, dafuer aber grosse Schafsherden. Es ist immer ein eindrucksvoller Anblick, die Schafe auf einer Weide zu sehen. Der Schaefer oder die Schaeferin wandern mit ihrer Herde von einer Weide zur anderen. Ein paar aufmersame Hunde sind natuerlich immer dabei. Wenn man so einer Herde von weitem zusieht, fuehlt man sich in eine andere Welt versetzt. Die Ruhe, die das Ganze ausstrahlt, tut einem gut. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass sich in vielen Regionen der Welt die Menschen gegenseitig umbringen.

Ganz wichtig in einem Dorf sind die Feste. Es gibt sie in allen Variationen. Feste mit Essen und Tanz sind sehr beliebt. In einer grossen, alten Scheune, die im Moment unsere Ersatzfesthalle ist, geniessen die Menschen bei uns aus dem Dorf und der Umgebung das Ereignis immer wieder. Ein Comité des Fêtes sorgt fuer gutes Essen, schoen gedeckte Tische, gute Musik und fuer einen guten und langen Apéritif, der immer sehr wichtig ist. Es ist nicht nur das Trinken, sondern auch ein wichtiges Treffen fuer ein Schwaetzchen, was besonders die Suedfranzosen ueber alles lieben. Die Begruessung nimmt viel Zeit in Anspruch wegen der vielen Kuesschen, die jeder bekommt. Eigentlich hat jede Region in Frankreich eine bestimmte Anzahl Kuesse bei der Begruessung, doch ich glaube heute geht das etwas durcheinander. In Paris wird am meisten gekuesst, naemlich viermal. Hier wohnen viele Leute aus dem Norden, so kuesst halt jeder wie er gerne moechte, ist ja auch egal, die Hauptsache, man kuesst. Wir haben uns schon an die Begruessung mit Kuessen so gewoehnt, dass es mir komisch ist, wenn nur die Hand gegeben wird. Allerdings gibt es verschiedene Arten, wie die Kuesserei ablaeuft. Meistens kuesst man so an den Baeckchen vorbei, doch das ist ganz verschieden. Ein sehr alter Mann aus unserem Dorf kuesst so richtig schoen nass auf die Backe.( hm lecker!) In der Silvesternacht, wenn manchmal viele Leute zusammen feiern, nimmt die Kuesserei kein Ende. Wir haben schonmal mit 40 Leuten gefeiert. Das war die aeltere Generation. Die Jungen feierten fuer sich. Um 12 Uhr kamen alle zusammen, um sich ein frohes Neues Jahr zu wuenschen. Es wurde gekuesst ohne Ende!!!

Der Aperitif ist immer eine wichtige Sache und zieht sich oft stundenlang hin, so dass man dabei die einzelnen Typen mit ihrer Mimik und mit ihren Gesten wunderbar studieren kann. Sie sind so verschieden und alle interessant. Ihre Gesichter druecken alles aus was sie erlebt haben und was sie bewegt. Am eindrucksvollsten sind die Alten mit ihren Runzeln oder erstaunlicherweise oft sogar auch mit glatter Gesichtshaut. Die Augen sind noch jung und lebendig. Es ist immer richtig spannend, sie zu beobachten, wenn sie diskutieren, was sie nicht nur mit dem Mund machen, sondern mit dem ganzen Koerper.

Jedes Dorf hat so ganz besondere Typen. Ein sehr alter Mann bei uns im Dorf, der ein grosser Jaeger ist, erzaehlt gerne wie es auf der Jagd war. Er ist schon einige Jahre ueber 80. Seine Beine sind etwas krumm, doch er geht immer sehr zielstrebig durch die Gegend. Manchmal ein klein wenig wackelig, aber er macht auch noch alles im Garten. Er traegt eine Kappe, die auch schon einige Jahre auf dem Buckel hat, doch Sonntags macht er sich schick. Wenn er dann in unserer Kueche auf dem Stuhl sitzt -manchmal besucht er uns - ist es sehr spannend, wenn er mit Armen und Beinen uns vormacht, wie er ein Wildschwein im Visier hatte. Man meint das Ganze vor sich zu sehen. Er zeigt uns, wie er das Gewehr von rechts nach links dreht , das Tier aber in eine ganz andere Richtung laeuft. Nach Hin und Her hat er es natuerlich meistens am Schluss erlegt, das ist doch klar. Die Jagd ist in der Haute Provence sehr wichtig.Wir finden es nicht so gut, doch was verstehen die „Leute aus der Stadt“ schon davon. Mein Mann hat sich eine rote Muetze gekauft. Er wurde gefragt warum er ausgerechnet eine rote gekauft habe. Er sagte ihnen, dass er sie umzieht wenn er spazieren geht, damit sie sehen koennen, dass er kein Wilschwein ist. Natuerlich kam daraufhin ein grosses Gelaechter.

Bei uns gibt es einige sehr alte Leute. Sie arbeiten noch fleissig auf dem Feld oder im Garten. Wir koennen uns darueber nur wundern. Viele Menschen, die hier zugezogen sind, kommen aus der Stadt. Sie waren zum Teil sogar richtige „ Schreibtischhengste“. Wir arbeiten auch ganz viel im Garten, werden aber schneller muede und haben Rueckenschmerzen. Die alteingesessenen Menschen hier haben ihr ganzes Leben auf den Feldern und in den Gaerten gearbeitet. Deshalb haben sie wohl mehr Energie.

Eine immer wieder grosse und unbedingt noetige Taetigkeit ist das Boulespiel. Die Leute machen das mit einem grossen Ernst, dass man jedesmal fasziniert ist. Die Beschaffenheit der Kugeln ist sehr wichtig. Wir wollten einmal mit Boulekugeln spielen, die wir im Supermarkt gekauft hatten. Als die Anderen das sahen, waren sie entsetzt. Wie kann man nur sowas benutzen! Ich sehe da keinen Unterschied, doch die „ Spezialisten“ haben dafuer ein Auge. Die Haltung muss auch genau eingehalten werden, und nicht nur die des Koerpers, nein auch der Hand. Die ernsthaften Spieler haben immer ein Zentimetermass dabei. Wenn Zwei fast gleich am cochonnet ( kleines Schweinchen) mit ihren Kugeln sind, wird genau abgemessen, wer naeher dran ist. Es gibt oft grosse Wettkaempfe im Sommer, mit tollen Preisen. Dann kommen die Spieler auch aus der Umgebung in die Doerfer. Doch jedes Dorf hat auch seine eigenen Spiele, nur fuer die Leute, die da wohnen.

Ein sehr grosses Ereignis ist unser Dorffest, wie in allen Doerfern. Es gibt viel Arbeit fuer das Comité des Fêtes. Wir helfen fleissig mit, weil wir auch Mitglieder sind. Das Fest findet an Himmelfahrt statt, meistens im Mai. Jedes Dorf in der Haute Provence hat sein Fest, wie in anderen Regionen auch. Die Vorbereitungen sind schon mit viel Arbeit und Ueberlegungen ausgefuellt. Die ganzen Getraenke, das Essen, die Musik, die Reklame und vieles mehr muessen gut organisiert sein. Sehr wichtig ist die Musik. Es kommen natuerlich viele junge Menschen und auch alte Leute zum Fest. Wir haben zwei Abende, die mit Tanz und den passenden musikalischen Klaengen ausgefuellt sind. Die Jungen wollen flotte Rockmusik, und den Alten ist Musette lieber. Dann koennen sie ihre alten Gelenke nochmal so richtig bewegen. Es kommen abends alle, sogar Babys werden mitgebracht. Alle Altersstufen sind zu sehen. Die ganz Alten sitzen auf Baenken am Rand der Tanzflaeche und gucken zu. Manche schieben auch noch ein flottes Taenzchen. Sie machen sich sehr schick mit schoenen Kleidern und malerischem Zubehoer. Natuerlich sind auch viele mit Jeans und Pullover da. Man kann halt anziehen, was man will, und das ist eine gute Sache. Die Kinder versuchen, sich schon fleissig die Taenze der Erwachsenen anzueignen, indem sie sich mit viel Schwung und grossem Ernst um sich selbst drehen, bis sie zuletzt mit viel Gekicher umfallen.

Am fruehen Abend gibt es den obligatorischen Apéritif draussen auf dem Dorfplatz. Viele verschiedene Alkoholsorten, Bier, Cola, Limonade und Sprudel stehen auf den aufgebauten Bartischen. Zu knabbern ist auch reichlich vorhanden. Spaeter am Abend gibt es Wuerstchen und Pommes frites. Die Stimmung steigt natuerlich mit dem Alkoholkonsum, aber ohne ist es auch lustig. Falls es mal regnet, schert sich keiner darum, es wird weiter gefeiert, man stellt sich unter einen aufgebauten Sonnenschirm oder wird halt ein wenig nass. Die bunten kleinen Gluehbirnen erleuchten den ganzen Dorfplatz mit ihrem warmen Licht. Auf der Buehne, die extra dafuer aufgebaut wurde, bewegen sich oft junge Maedchen im Rhythmus der Musik. Sie haben schoene Kostueme an, und natuerlich schoene Beine. Bei ihrem Anblick vergessen die Maenner sogar, das Bierchen zu trinken. Der Abend zieht sich bis 2 Uhr nachts hin. Das junge Volk haelt am laengsten aus. Fuer die Mitglieder des Comité des Fêtes ist es eine anstraengende Sache, aber sie halten aus.

Am Ende des Jahres gibt es ueberall Loto. Im Dorfsaal finden sich viele Leute aus dem Dorf oder aus der Umgebung zusammen. Man bekommt Karten mit Zahlen, die man aussuchen kann. Zwei Leute drehen die Kugeln rund. Die Nummer wird dann aufgerufen. Man legt jetzt ein Plaettchen, oder bei uns auch Maiskoerner, auf die Zahl auf der Karte. Es gibt dann verschiedene Systeme, wie man etwas gewinnen kann. Die Preise sind oft sehr schoen und wertvoll. Herrlich bei der ganzen Sache sind die Freudenschreie, wenn einer etwas gewonnen hat. Manchmal bekommt man natuerlich etwas, was man schon hat. In dem Fall, wird es halt auf dem naechsten Flohmarkt verkauft.

Ein Flohmarkt findet in jedem Sommer in allen Doerfern statt. Manchmal weiss man gar nicht, wo man hingehen soll, weil es mehrere in der Umgebung gibt. Dann geht man halt von einem zum anderen. Es gibt oft schoene alte Sachen, doch auch viel Schund. Ich bin eine grosse Flohmarktgaengerin. Auch wenn ich nichts finde, das Gucken ist doch etwas Herrliches. Man muss sich nur immer wieder wundern, was manche Leute so verkaufen. Sogar rostige Naegel kann man finden, und sie werden auch gekauft. Wenn bei uns der Flohmarkt ist, machen wir immer mit. Das ist lustig. Man kann dann auch oft Leute treffen, die man lange nicht mehr gesehen hat. Was nicht so schoen ist, dass wir schon um 5 Uhr morgens zum Dorfplatz gehen muessen, um einen Platz im Schatten zu kriegen. Morgens ist es ganz schoen kalt. Wenn die Sonne rauskommt, sind alle froh, dann kann man sich „entblaettern“. Doch es gibt am Morgen schon heissen Kaffee, an dem sich alle aufwaermen. Mittags kann man Pommes Frites und Wuerstchen kaufen . Zu trinken ist auch reichlich vorhanden. Verkauft wird meistens nicht so viel, doch das zaehlt nicht, die Hauptsache ist das Mitmachen.

Anfang des Jahres gibt es im Dorf immer den Empfang vom Buergermeister. Der findet im Dorfsaal statt. Das „ Oberhaupt“ des Dorfes berichtet dann, was alles im Dorf im laufenden Jahr gemacht werden soll. Das klingt sehr verheissungsvoll. Aber, wie das in Suedfrankreich immer so ist, alles zieht sich wie Gummiband. Es dauert meistens viel laenger, bis etwas geschieht, als vorausgesagt. Wenn es nicht geklappt hat, dann eben im naechsten Jahr.

Das ist ueberhaupt etwas, was wir erst als „flotte“ Deutsche lernen mussten. Hier in der Haute Provence hat man die Ruhe weg. Man nimmt sich fuer alles Zeit, vor allem fuer ein Schwaetzchen. Wenn an der Kasse im Supermarkt sich zufaellig zwei Bekannte treffen, muss die Kassiererin eben warten, bis sie sich gekuesst und begruesst haben. Man fragt immer wie es einem geht. Und natuerlich wird erstmal ueber das Wetter gesprochen und was die Kinder machen, oder die Enkelkinder, wenn es welche gibt. Die Leute in der Warteschlange „warten!“. Fuer uns war es zuerst sehr komisch, dass sie nicht gemeckert haben, aber nein, sie sind doch selbst so. Wir haben uns nach all den Jahren schon angepasst. Irgendwie tut es richtig gut, wenn Menschen Zeit haben. In den grossen Staedten geht das wohl auch nicht immer so. Hier auf dem Land wird das Leben noch „gelebt“.Wenn sich zwei Autos auf der Strasse begegnen, kann es sein, dass sie mitten auf der Strasse stehen bleiben und man durch das offene Fenster ein Schwaetzchen haelt. Falls jemand dahinter ist, wird eben ein Augenblickchen gewartet, man hat ja schliesslich Zeit.

Anfang des Jahres gibt es bei uns im Dorf immer ein Essen fuer die „ Alten“. Wer ueber 65 Jahre alt ist, wird dazu eingeladen. Immerhin sind es hier bei 200 Einwohnern, 40 Leute. Es gibt meistens „Aiolï.“ Einige Frauen stellen sie selbst her. Das ist eine sehr dicke Maiyonnaise mit sehr viel Knoblauch. Herrlich!!! Dazu gibt es allerlei Gemuese und Stockfisch. Ich muss mich immer bremsen, damit es mir nicht hinterher schlecht wird, weil ich zuviel esse.( Eimal bin ich wirklich heimlich nach Hause gegangen, es war mir schlecht. Nachdem ich die Aiolï dahingebracht hatte wo sie eigentlich nicht hingehoert, war alles wieder gut, und ich habe weiter gegessen.) Es schmeckt koestlich. Mit dem Knoblauch ist das ueberhaupt so eine Sache, wir essen sehr viel davon. Ich sage immer: „ Wer zu uns zu Besuch kommt und kein Knobi mag, bleibt besser zu Hause“. Ganz schoen gemein und stimmt auch nicht ganz. Wir nehmen auch auf unsere Gaeste natuerlich etwas Ruecksicht. Besuche aus Deutschland moegen nicht alle Knoblauch. Doch auch dort hat man nicht mehr so viele Vorurteile. Seit es dort so viele auslaendische Mitbewohner gibt, vor allem aus der Tuerkei, haben die Menschen in Deutschland auch entdeckt, dass Knoblauch ein wunderbares Gewuerz ist. Es gibt kein besseres Heilmittel bei vielen Krankheiten.

Das Essen ist immer mit viel Schwaetzen und Lachen verbunden. Zwischen den einzelnen Gaengen wird oft zu einer Musette getanzt. Eine „ sehr schoene und nicht allzu schlanke Dame“ aus dem Dorf singt auch manchmal einige flotte Liedchen. Der besagte alte Mann, der so gerne von der Jagd erzaehlt, hat eine tolle Singstimme. Wenn das Essen halb verzehrt ist und genuegend Wein getrunken wurde, gibt es immer ein herrliches Ritual. Alle rufen ploetzlich, Robert - so heisst unser Tenor - soll jetzt singen. Er laesst sich natuerlich erstmal ganz schoen bitten. Doch gibt er am Ende ganz goennerhaft nach. Er singt immer ein Lied dass die Berge besingt und jodelt zum Schluss ganz grossartig. Es ist wirklich ein Genuss ihn singen zu hoeren. Seine Stimme ist kraeftig und klar.

In jedem Dorf und in jeder Stadt in Frankreich gibt es ein Kriegerdenkmal. Bei uns ist auch eins, mitten im Dorf. Zweimal im Jahr gedenkt man dort der Toten aus den zwei Weltkriegen. Die Maenner sind leider alle von deutschen Soldaten erschossen worden. Es ist traurig zu lesen, wieviele in den kleinen Doerfern ihr Leben lassen mussten. Hier in der Haute Provence war die Resistance sehr aktiv. In den Bergen waren viele Schlupfloecher. Es gibt sicherlich auch manchen Soldaten aus Deutschland, der hier irgendwo begraben liegt. Wir sind von Anfang an zu der Zeremonie an den Gedenktagen gegangen. Es ist fuer uns ein Zeichen der Verstaendigung und der Wiedergutmachung. In unseren Koepfen koennen wir diesen Hass zwischen Deutschland und Frankreich, der damals geherrscht hat, sowieso nicht verstehen. Die Menschen hier uebrigens auch nicht. Die Alten, so wie wir, waren im Krieg Kinder und wussten damals eigentlich garnicht, worum es ging. Die Leute hier im Dorf, sind vor den feindlichen Bomben auch in die Waelder geflohen, wie wir vor unseren Feinden in Deutschland. Man muss sich immer wieder wundern, wie nett die Leute hier zu uns sind. Allerdings muss ich sagen, dass wir auch immer sehr auf Andere zugehen. Wir haben sehr viele Freunde aus anderen Laendern und kennen keine Vorurteile.

Als wir noch nicht lange hier wohnten, haben wir uns sofort beim Comité de Fétes gemeldet, um mitzumachen. Es hat die Leute gefreut und wir haben viel Spass dabei. Wir haben das Gefuehl, gut in unser Dorf integriert zu sein. Vor zwei Jahren haben wir auch die franzoesische Staatsbuergerschaft angenommen. Oft werden wir von Deutschen gefragt, warum wir das gemacht haben. Fuer uns ist es einfach das Gefuehl, im Dorf und ueberall dazuzugehoeren. Die Leute hier haben sich sehr gefreut, als wir ihnen das erzaehlt haben, und wir haben im Comité des Fêtes darauf angestossen.

Es gibt natuerlich in ganz Frankreich nette Menschen. Fuer uns sind es die Provenzalen, die uns am besten gefallen. Ihr Temperament aeussert sich mit Armen und Beinen. Wenn sie anfangen zu erzaehlen, ist man ganz dabei und kann sich alles ganz genau vorstellen. Wir moegen das sehr.

Fuer uns ist das Leben hier genau, wie wir es moechten. Wenn wir Gespraeche oder sonstige Unterhaltung haben wollen, so finden wir sie. Moechten wir aber unsere Ruhe haben, so koennen wir sie auch bei uns geniessen.

Etwas ist allerdings anders, als wir es gewohnt sind. Die Menschen hier laden die Leute nicht so oft zu sich nach Hause ein , man geht in ein Lokal oder laesst es ganz sein. Wir sind allerdings sehr oft bei richtig guten, alten Freunden zum Essen gewesen. Vielleicht kommt es auf die Beziehung selbst an. Wenn man zum Essen eingeladen wird, dann muss man schon vorher einen leeren Magen haben, sonst schafft man es nicht aufzuessen. Die Franzosen im allgemeinen lieben ihre Mahlzeit, vor allem wird mehr mit den Familien zusammen gegessen, als in Deutschland. Essen ist sehr wichtig!Sie nehmen sich Zeit dafuer, im Gegensatz zu uns Deutschen, die oft zu schnell alles wegfuttern. Wir sind jetzt schon so viele Jahre in Frankreich und versuchen immer langsamer zu essen, doch es gelingt uns meistens nicht. Wir sind immer die Ersten die fertig sind. Es gibt ein schoenes Sprichwort: „Die Deutschen essen, um zu arbeiten, und die Franzosen arbeiten, um zu essen.“

Wenn man kurz vor 12 Uhr mittags mit dem Auto unterwegs ist, muss man hoellisch aufpassen, dass man frueh genug ausweicht, wenn ein Franzose wie ein hungriger Wolf mit seinem Auto an einem vorbeischiesst. Er muss unbedingt so schnell wie moeglich nach Hause, sonst faellt er tot um vor Hunger. Es ist etwas uebertrieben, aber so ungefaehr wahr. Da man in Frankreich ein Fruehstueck isst, was man eigentlich garnicht zu essen braucht, weil es so wenig ist, hat jeder mittags einen leeren Magen. Das Fruehstueck hier besteht meistens aus ein paar kleinen Baguetteschnitten mit Marmelade und einem café au lait, und das war's. Butter ist nicht dabei. Fuer die deutschen Urlauber ein fuerchterlicher Gedanke. In Deutschland liebt man doch meistens ganz schoene Leckereien zum Fruehstueck. Wenn wir bei Freunden sind, die nicht weit von uns wohnen und Franzosen sind, erleben wir das Fruehstueck immer wieder typisch, wie ich es beschrieben habe. Sie sind nicht arm und sehr geschmackvoll eingerichtet. Bei einem anderen Essen wird der Tisch wunderschoen gedeckt. Alles ist mit viel Ueberlegung zurecht gemacht, doch beim Fruehstueck ist es eben anders. Sie haben auf ihrem runden Tisch eine schoene Wachstuchdecke . In der Mitte liegt ein Baguette, daneben „ein“ Messer, ein Glas Marmelade und der Zuckertopf. Natuerlich hat jeder ein bol, eine grosse Tasse wie eine kleine Schuessel fuer den Michkaffee. Manchmal, ich glaube extra fuer uns, auch Butter. Das Ganze klingt jetzt ziemlich aermlich, ist aber normal und mit viel Herzlichkeit serviert. Unser Freund Henrie geniesst es, wenn er bei uns zu Besuch ist, ein typisch leckeres Fruestuecksei nach deutscher Art zu essen. Wir essen morgens auch nicht wie in Deutschland, sondern wenig, doch wenn wir Besuch haben, essen wir etwas grosszuegiger.

Jedes Land hat halt seine Eigenarten, man muss sich eben etwas anpassen. Die Deutschen sind ja bekannt dafuer, dass sie am liebsten ihre Bratkartoffel von zu Hause mit in den Urlaub nehmen wuerden. Noch schlimmer sollen die Hollaender sein, die angeblich so ziemlich alles mit von zu Hause mitschleppen. Ob das alles so stimmt weiss ich nicht. Heute vermischen sich doch die Angewohnheiten und Eigenarten schon ganz enorm, alles wird immer internationaler, und das ist gut so.

Es gibt eine wunderbare Zeremonie hier in Suedfrankreich. Wie sicher jeder weiss, isst man hier gerne Fischsuppe. (natuerlich in anderen Gebieten und Laendern auch.) Es gibt die beruehmte Bouillabaisse und die saemige Suppe ohne Fischstuecke. Bei uns auf dem Land wird meistens die letztere bevorzugt. Es ist herrlich, wenn man zu vielen am Tisch sitzt und die Zeremonie beginnt. Einige Koerbchen mit geroestetem Baguette werden aufgetragen und viele, ganze Knoblauchzehen. Jeder reibt die Brotscheibchen mit dem Knoblauch ein. Die Zehe wird so richtig feste aufgedrueckt, damit ordentlich viel Knoblauch auf dem Brot ist. Alle sind ganz emsig dabei. Man legt nun die Scheiben in den Teller. In kleinen Schuesselchen ist Rouille. Das ist eine dicke, scharfe Mayonnaise. Sie ist speziell fuer Fischgerichte. Sie ist koestlich und wir lieben sie sehr. Diese Sosse wird nun ueber das Brot gestrichen , und zuletzt streut man Reibkaese darueber. Jetzt kommt die Schuessel mit saemiger Fischsuppe auf den Tisch. Keiner kann dem herrlichen Duft widerstehen. Mit einer grossen Suppenkelle giesst man jetzt die Suppe ueber die Brotscheiben auf den Teller. Das Ganze wird dann eine schoene dicke Bruehe. Spaeter wird nochmal nachgefuellt, weil es sonst zu breiig wird. Mit Wein, meist Rosé, viel Erzaehlen und Lachen ergibt alles zusammen eine koestliche Mahlzeit.

Heimweh haben wir eigentlich nicht, nur manchmal fehlen uns unsere beiden Kinder. Im Sommer fahren wir nach Deutschland, aber nur fuer einige Tage. Es ist immer etwas Besonderes, die alte Heimat zu sehen und auch unsere Freunde, und vor allem natuerlich unsere „Ableger“. Wir geniessen dann fuer kurze Zeit das Leben in einer Grossstadt . Wenn es wieder in Richtung neue Heimat geht, freuen wir uns auf die Ruhe, unser schoenes Haus und auf unsere beiden „ Ersatzkinder“, unsere Katzen. Auf dem Land zu leben, ist doch eine einzigartige Sache, und wenn man in der Haute Provence wohnt, kann man das ganz besonders geniessen.

Hier hat man Mediterranes Klima und auch Bergklima gleichzeitig, was unvergleichbar wohltuend und gesund ist. Es ist einfach ein einmaliges, wenn auch etwas raues Land . Die Provence weiter suedlich ist auch eine eindrucksvolle Gegend und hat viel Charme. Wir besuchen sie manchmal und geniessen sie. Doch immer dort zu leben, moechten wir nicht. Es ist in der Haute Provence einfach so, als ob man mehr mit der Erde lebt. Die Berge, die Felsen, die gesunde Luft und die vielen Steine sind irgendwie mehr Natur. Ausserdem kann man hier im Sommer nachts besser schlafen. Es kuehlt ab. Am Tage kann es hier auch manchmal bis 40 Grad werden. Die Temperatur sinkt am spaeten Abend ab, und das tut gut.

Der Winter kann hier manchmal ganz schoen kalt sein. Und ab und zu gibt es auch eine Menge Schnee. Wenn dann unser Dorfarbeiter mit einem kleinen Schneepflug die Strasse saeubert, liegt die weisse Pracht hoch vor unserem Eingang. Jetzt muessen wir schippen damit wir nicht mit einem Hechtsprung die Strasse erreichen muessen. Unsere gute, warme Sonne sorgt dafuer, dass der Schnee uns nicht zu lange aergert. Sie ist auch im Winter warm und kraeftig . Oft sitzen wir schon im Januar mittags auf unserem Suedbalkon und essen unser Sueppchen dann freuen wir uns wieder auf das naechste Fruehjahr.

Hier gibt es ja so viele sehr alte Leute, vielleicht hat das lange Leben etwas mit allem zu tun was das Leben in der Haute Provence ihnen gibt: eine wunderbare, erdverbundene Natur, gesunde Luft, Ruhe und Zufriedenheit. Wir hoffen, dass wir noch viele, schoene und zufriedene Jahre in unserer geliebten Haute Provence leben duerfen.

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.11.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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