Roger Sponheimer

Rot - vierzig Sekunden im Leben des Versagers Eckzahn

Die Welt schwieg, als Eckzahn den letzten Versuch wagte. Abschätzig lauernde Visagen bildeten einen konturlosen Strudel aus Belustigung und Boshaftigkeit, jederzeit bereit, Eckzahn in schwarze Schlünde zu zerren. Ein sterbendes Flämmchen, genährt von einer Atmosphäre aus siegen müssen und widersinnigem Stolz, trieb ihn, immer aufs Neue zu hoffen.

Zu welchem Fanatismus der Mensch fähig ist, sein Ziel, und sei es noch so banal, mit allen Kräften zu verfolgen, sinnierte Eckzahn säuerlich grinsend. Einem schmalen Grat zu folgen, flankiert von Tiefe und bodenlosem Nichts. Einerlei, welche letzte Konsequenz düster drohen mochte. Unbarmherzig brüllte der Mahlstrom zertrümmerter Hoffungen und lachte ihm frech ins Gesicht. Man könnte wahnsinnig darüber werden, dachte er, sämtliche unerfüllte Wünsche zu nummerieren oder wie Glasperlen an eine imaginäre Kette aus Frustration zu reihen.

Bukowski hatte es kapiert: ,,You can't beat the horses!" Worte voller Weisheit. You can't beat the horses. Sie haben uns alle an den Eiern. Bukowski, der große Zocker gegen alle Chancen. Eckzahn beschloss, sich mal wieder einen Gedichtband dieses Weisen zu Gemüte zu führen.

Wortfetzen unaufrichtigen Bedauerns durchdrangen eine Luft aus feuchter Watte und prallten an seinem Schutzschirm aus gespielter Gleichmütigkeit ab. Starr hielt er die Augen auf einen Punkt jenseits einer nur für ihn wahrnehmbaren Sphäre geheftet. Kaum fühlbar hob und senkte sich sein tonnenförmiger Brustkorb, obwohl das Blut in seinen Adern brodelte. Einer verwitterten Felswand gleich stand Eckzahn in äußerlich stoischer Gelassenheit.

Betrachtete man die Angelegenheit durch den Filter der eiskalten Logik, standen alle Zeichen auf einen Abend voller Bitterkeit. Eckzahn fröstelte bei diesem Gedanken. Zwar hatte er sich so weit wie möglich mit dem immer wiederkehrenden dumpfen Gefühl des Versagens arrangiert. Aber an Tagen wie diesem würde ihm eine erneute Niederlage einen ernstlich schmerzhaften Leberhaken verpassen.

Als seine Sinne für einen winzigen Augenblick durch den Spiegel seines Geistes an die Oberfläche drangen, drosch eine Keule aus Lärm, Gerüchen und gleißendem Licht unbarmherzig auf ihn ein. Erschrocken igelte sich Eckzahn in seinen Kokon und tauchte hinab in die klare Geborgenheit seiner auf die Mission fixierten Gedanken.

,,Rot!" ratterte die Mühle in seinem Schädel. ,,Rot!" pochte sein Herz in irrem Stakkato. ,,Rot!" schrie sein unbeugsamer Wille. ,,Rot! Rot! Rot!" Die frühe Nacht leuchtete in pulsierendem Dunkelrot. Lautsprecherbatterien spieen grelles Karmin, die Sommerluft schmeckte feuerrot, die Welt spiegelte sich in zinnoberfarbenen Wasserlachen.

Es ist immer das Gleiche, dachte Eckzahn fast ein wenig belustigt über die offensichtliche Sinnlosigkeit seines Handelns. Die Würfel entscheiden. Oder ein gezinkter Kartenstapel. Manchmal auch ein Kinderspiel. Stein, Schere, Papier. Alles dem Sieger. Der Zweite ist der erste Verlierer.

Als Eckzahn aus seinem tranceartigen Zustand erwachte und das Unfassbare wie ein düster leuchtendes Fanal durch seinen Verstand zuckte, wurde ihm schneidend kalt. ,,Grün!" flüsterte er ungläubig, als ob er damit das scheinbar Unmögliche, Unaussprechliche aus der Wirklichkeit zu verbannen vermöge.

Fast mechanisch langte seine Linke in die Jackentasche, nestelten seine nervös zitternden Finger nach einem Fünfer, der sich dort versteckt halten könnte. Ein kleines Wunder für einen großen ldioten, bat Eckzahn die Mächte des Universums um Beistand. Zwei zerknüllte Papiertaschentücher waren alles, was er mit fiebernden Sinnen ertastete.

Der Gedanke an seine finanzielle Notlage schmerzte nicht sonderlich. Viel schlimmer nagte das Gefühl der Aussichtslosigkeit, diesen letzten Versuch auf absehbare Zeit nicht wiederholen zu können. Eckzahn wusste mit Bestimmtheit, dass sich der Bärtige nicht erweichen lassen würde, ihm ohne Gegenleistung eine Chance zu geben. ,,Zwei Euro" sprang ihm wie ein wilder Tiger in fettschwarzen Lettern vom handgemalten Pappschild in die Augen. ,,Zwei Euro" schrie die maßlos gierige bärtige Visage.

,,Darf ich noch einmal?" fragte Eckzahn schüchtern in einem Anflug von vornherein totgeborener Hoffnung. Er hätte sich jedes Wort sparen können. Mit nun bebenden Händen
reichte er dem Bärtigen die Angelrute und die Ausbeute seines letzten Versuches.

,,Für Grün können Sie sich hiervon etwas aussuchen", murmelte Rauschebart und deutete beiläufig mit seiner riesigen Knollennase auf ein Sammelsurium Kunststoffperlenketten, Lollis und Papierflieger. Die quietschgelbe Spielzeugente mit dem grünen Punkt setzte er wieder ins Wasser zu ihren Artgenossen, die fröhlich um die Wette schwammen.

Karussells, Wurstbuden, bunte Lichter, der Duft von Popcorn und Paradiesäpfeln, alles vermengte sich zu einer Wolke greifbaren Spottes. Verloren stand Eckzahn vor der Entenangelbude und spürte erste leichte Wellen des Hasses. Wie in einem bösen Traum langte Eckzahn in den Wust nutzlosen Tandes und stopfte einen der Papierflieger in die Tasche. Sehnsüchtig schaute er zu dem für ihn unerreichbaren Spongebob-Schwammkopf-Sofakissen. ,,Mich gibt es nur für eine Ente mir ROTEM PUNKT", feixte dieses gehässig.

Wortlos verließ Eckzahn den schrecklichen Ort und stapfte finster dreinschauend durch die Menschenmenge. „Scheiß Sprödentalkirmes!" fluchte er. „Alles Betrüger!"



In der Entenangelbude ließ eine quietschgelbe Ente mit rotem Punkt ihr schallendes Entengelächter erquaken.




Text: Roger Sponheimer

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.11.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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