Karl-Heinz Franzen

Herr Helbig und das Ende der Fantasie

Es klingelte an der Haustür. Theodor Helbig schreckte aus seinen Gedanken, vielleicht aus Träumen, auf. Wer konnte das so am frühen Abend noch sein, der ihn besuchte? Seine Verabredung mit Martin, Elisa und Martha hatte er heute Vormittag in der Stadt gehabt. Am frühen Nachmittag hatte er sich noch einmal mit Elisa bei Elisa getroffen. Sie hatte es ihm in einem Moment, als Martin und Martha zur Toilette gingen, die in diesem kleinen Café auf dem Marktplatz immer besonders sauber gehalten wurde, beide, sowohl die Herren- als auch die Damentoilette, flüsternd angeboten. Er hatte keine Miene verzogen und ließ Elisa, somit zumindestens von der Mimik her, im Unklaren.
 
„Guten Abend, Herr Helbig!“
 
„Guten Abend, Frau Gärtner. Ich freue mich, Sie zu sehen. Darf ich etwas für Sie tun?“ Theodor war immer sehr freundlich zu Frau Gärtner. Sie hatte es nicht einfach mit ihren beiden Kindern im Alter von fünf (die Tochter Melinda) Jahren und dem Sohn Fritz (welch ein Name in der heutigen Zeit), der sieben Lenze zählte. Sehr aufgeweckt und lustig, diese beiden Kinder. Theodor hatte Frau Gärtner einige Male auf dem Weg zur Stadt begleitet und sich mit ihr recht angenehm unterhalten. Sie gefiel ihm, diese Frau Gärtner. Wäre sie nicht mit diesem Monteur verheiratet. Übrigens, sehr sympathisch, und ein Baum von einem Kerl. Frau Gärtner wirkte dagegen eher feingliedrig, ja fast zierlich, wenn auch nicht ohne Figur. Olala, bei ihren circa einen Meter und siebzig Zentimetern … und? Ja, sie hatte ein so fröhliches Lachen. Wenn sie dabei ihre langen braunen Haare schüttelte und sich ein wenig nach vorn bog, sich die Hand vor den Mund hielt und ihre kohleschwarzen Augen spitzbübisch darüber hervor lugten, dann war Theodor, dann war er versucht, sofort noch einmal etwas Lustiges zu erzählen. Er würde Frau Gärtner auf der Stelle „vom Fleck weg“ mit ihren beiden Kindern heiraten und in seine Wohnung aufnehmen. Für Frau Gärtner und die Kinder wäre das keine große (technische) Umstellung, denn sie waren Nachbarn. Oh, Frau Gärtner.
 
„Ja, lieber Herr Helbig“, sagte sie mit diesem großartigen Lächeln im Gesicht, „ja, das könnten Sie. Sie könnten etwas tun. Meine Kinder habe ich bei meinen Eltern deponiert. Ich habe also frei heute Abend … und ich möchte vögeln. Sie vögeln. Mit Ihnen vögeln.“ Frau Gärtner sagte das mit diesem Lächeln, völlig ruhig. So als sagte sie: „Herr Helbig, könnten Sie mal eben meinen Schuhschrank mit anpacken? Ich möchte ihn vom Korridor in den ersten Stock stellen. Die Schuhe sind raus. Ja, ja, das ist einer von IKEA, einer von der Leichtbauweise. Sie wissen ja, mein Mann, der ist …“
 
Theodor Helbig fühlte sich genau in diesem Moment ‚ich möchte vögeln’ erwischt. Ja, direkt erwischt. Genau dieses ‚ich möchte vögeln’, das hatte er noch kurz vor dem Klingeln an der Haustür gedacht. Mit Elisa hatte er sich in diese Stimmung gebracht. Es ging mit Elisa besser, als er es sich vorgestellt hatte. Er hatte lange nicht. In den Puff zu gehen? Ja, hätte er können. Vielleicht sollte er es einmal probieren. Er hatte sich schon ein paar Mal bewusst ansprechen lassen, um zu sehen, wie er selbst auf so etwas reagierte. Theodor vermochte nicht zu sagen, dass ihm das nicht gefiel. Er war in der vorteilhaften Situation, dass er sich seinen Typ, eine so wie Frau Gärtner zum Beispiel, kaufen konnte. Preis verhandeln, mitgehen, bumsen, bezahlen, gehen, nichts ist mehr. Bisher hatte er es beim Handeln um den Preis gelassen. Das konnte er also. Das war schon mal ein Anfang, vielleicht. Elisa war nicht unbedingt sein Typ. Sie hatte ein „total“ niedliches Gesicht. Wirklich. Und lustig war sie auch. Doch das musste sie sein, denn der „Rest“ ihrer Erscheinung war von der Natur recht unförmig ausgestattet worden. Doch das „Vögeln“, um bei den Worten von Frau Gärtner zu bleiben, hatte ihm sehr gut gefallen und so eine Art Ventil bei ihm geöffnet. Ja, und dieses Ventil hatte er gerade Richtung Nachbarin Gärtner geöffnet, und seine Jeans waren ihm dabei eng geworden. Wow. Verdammt eng. Wie direkt sie es doch aussprach. Theodor Helbig war einen kurzen Moment „von den Socken“. Vielleicht gab es doch so etwas wie eine Verständigung über Gedanken und Wünsche. Diesen Ureinwohnern in Australien, den Aborigines, denen sagte man nach, dass sie diese natürliche Gabe noch besaßen und über weite Entfernungen nutzten ... und ihn trennte nur eine dicke Mauer von der Natur der Frau Gärtner.
 
„Ich habe gerade daran gedacht“, erwiderte Theodor Helbig, „kommen Sie doch bitte herein!“ Jetzt hatte Theodor Frau Gärtner sozusagen kalt erwischt. Eine feuerrote Röte stieg ihr aus dem Nichts in das hübsche Lächeln und den Rest des Gesichtes. Sie glühte. Es war Theodor sofort klar, dass Frau Gärtner Ihren Text vorher geübt hatte. Es konnte nicht anders gewesen sein, bei der Röte. Ermutigt durch die Nachmittagsstunden mit Elisa, dachte Theodor ‚ Du kommst jetzt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Deinen Garten werde ich gärtnern’.
 
Der Rest des Abends ist schnell erzählt. Theodor zog Frau Gärtner an der rechten Hand, sie war mit seiner noch immer zur Begrüßung vereint, zur Tür herein … und ehe Frau Gärtner hätte, wie es so gesagt wird, bis drei zählen können, bewegte sich Theodor mit seinem von den vorhergehenden Gedanken noch immer prallen „Kleintheodor“ schon rhythmisch zwischen ihren Schenkeln. Sie hatte Zigarillos, seine Lieblingsmarke, das hatte sie sich also gemerkt!, mitgebracht. Theodor holte aus dem Keller eine Flasche Rotwein. Als die Abendüberraschung so etwa gegen Mitternacht ging, war klar, sie hatte noch nicht alles aus ihrem Leben erzählt … und Theodor war einverstanden damit, sich alles, aber auch wirklich alles, anzuhören.
 
Er hatte noch niemals so viele Zigarillos in so wenigen Stunden geraucht. Die zweite Flasche Rotwein war zur Hälfte geleert. Sein Herz schlug bis zum Halse. Er würde den Rotwein austrinken und darüber nachdenken, wann er überhaupt einmal binnen so weniger Stunden … Tanja Gärtner. Wer hätte das heute Morgen beim Duschen gedacht! Der Monteur war nun schon drei Monate weg. Bei den Saudis. Er hatte heute Morgen angerufen. Er hatte um weitere drei Monate verlängert. „Nicht traurig sein, Süße“, hatte er ihr ins Ohr geflüstert, „das gibt Extra-Kohle und zwei Monate am Stück frei …“ Und noch so Einiges, was hier nicht interessiert. Tanja Gärtner, danke. Danke, dass Du mich als Ventil für Deine Wut sofort zum Vögeln auserwählt hast! Danke!
 
Theodor Helbig freute sich auf die nächste Runde mit Tanja. Doch, wenn er so richtig ehrlich mit sich war, dann hatten ihm die zwei Stunden mit Elisa wohliger gestimmt. Nicht, dass das mit Tanja Gärtner ihm nicht gefallen hätte. Doch, doch, doch. Prima, war es gewesen … Nur irgendwie hatte er sich bei Elisa umhüllt umarmt gefühlt. Wohlig und warm und honigsüß.
 
Keine Schubladen bitte, Theodor Helbig! Nimm diese Versuchungen an und packe sie an, diese beiden Tauben, sagte er sich wiederholt. Warum sollte er mit Bahnhofsspatzen in der Hand ... Er würde sich mit Elisa und Tanja wieder und wieder treffen. Ja! Vielleicht drehte sich die Erfahrung ins Gegenteil? Wow! Obwohl er insgeheim hoffte, dass besser nicht. Wie sollte er in drei Monaten den Monteur ertragen können? Der würde doch die erste Woche nach der Rückkehr kaum aus der Tanja herauszulösen sein. Und er, der Theodor Helbig? Mit einem Ohr an der Wand …? Gut, gut, gut, wenn es mit der Gärtner beim Vögeln bliebe!
 
Copyright by Frei Schnauze
10. November 2011
 

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