Der 1973 in der ARD gezeigte zweiteilige Fernsehfilm „Welt am Draht“ von R.W. Fassbinder be-
wirkte Erstaunen und offenbarte Befremdlichkeiten, provozierte aber auch Neugier beim Zu-
schauer infolge kaum zu glaubender Geschehnisse.
Vermochte doch ein hochentwickelter Computer mittels virtueller Wirklichkeit eine detaillierte
Kleinstadt einschließlich der in ihr existierenden Wesen mit Bewusstseinseigenschaften zu si-
mulieren. Dieser Perfektion fehlte nur ein wesentliches Modul weitergehenden Wissens: jene
Kleinstadtmenschen ahnten nicht, dass ihr Dasein nur auf reiner Simulation beruhte.
Der gegenwärtige Leistungsstand elektronischer Rechenanlagen ist äußerst beeindruckend, ih-
re Fertigkeiten für Simultanprozesse sind geradezu phantastisch, aber eine Simulation in der-
artiger Vollkommenheit? Sicher, es wird immer Grenzen in der Vorstellbarkeit und technischen
Umsetzung geben – und dennoch…
Zunächst verfügen wir einmal über Simulationen in ihrer einfachsten Form, den Computerpro-
grammen für Handlungsabläufe mit situationsbedingten Lösungsvarianten. Vorhaben und ma-
nuelle Begabung des Anwenders produzieren im Spiel visuelle Szenen des Aufbaus oder der
Zerstörung. Das ist immerhin schon Interaktion, im Sinne der Informatik. Nützlichere Perspek-
tiven bieten dagegen die Programme einer Kategorie, die Trivialnutzungen gar nicht erst inte-
ressant erscheinen lässt, weil einfacherweise der Spielanreiz fehlt.
Die derzeitig zu beobachtende gesellschaftliche Entwicklung wird allemal bestimmt durch Com-
puterprogramme für Forschung und Arbeitswelt. Infolge der Computervernetzungen ergeben
sich für den Nutzer sich ständig ändernde Handlungsweisen, also soziale Interaktionen mit ent-
sprechenden Verhaltensprozessen.
Das nachweisliche Verändern des allgemeinen Verhaltens bewirkt plausibel ein anderes Vorge-
hen in der Kommunikation. Der direkte Weg scheint umständlicher und schwieriger. Beziehun-
gen stellen sich immer häufiger über „Chaträume“ dar. Kommunikation per SMS ist ein alltäg-
liches Bedürfnis, als Ladegerät für die Seele scheinbar ausreichend.
Und die Sprache ist anders geworden. Eine der Ursachen könnte tatsächlich in der Vielfalt der
elektronischen Datenverarbeitung liegen, denn Internetplaudereien und elektronische Post ent-
wickeln neue Spracheigentümlichkeiten, bedingt durch modifiziertes Realitätsempfinden. Ist je-
doch eine Sprachverarmung nur durch diese und weitere datenverarbeitende Tätigkeiten denk-
bar, wenn Mausklickmentalität und schematischer Softwaregebrauch allmählich das erlernte
Sprachniveau lähmt? Hinsichtlich der Wiederholbarkeit sprachlicher Vorgänge gewiss nicht.
Das Stereotyp ist eben kein spezielles Phänomen, welches einfachhalber der Datenverarbei-
tung angelastet werden sollte. Es sind wohl ebenso modische Gegebenheiten, die quasi über
Nacht sprachliche Begriffe strapazieren. Freilich, Redewendungen und Schlagworte kommen
und gehen seit je, ein Bedarf an gedanklicher Bequemlichkeit wird auch künftig erfahrungsge-
mäß vorhanden sein.
Aber nicht allein die Sprachgewohnheiten fallen auf, es ist das Fremde in der Sprache, mittler-
weile weit verbreitet und ungemein favorisiert, so dass nichts mehr befremdet und Fremdspra-
che genau genommen begrifflich neu definiert werden müsste.
Englisch ist denn auch die Sprache der Computerwelt. Wie auch sonst. Termini wie „screen-
shot“ und „provider“ gehen einstweilen nicht nur „online“ leicht über die Lippen – Worte, bei
denen Kurt Tucholsky unter dem Pseudonym `Theobald Tiger´die Pranke gehoben und in Kon-
frontation mit der ständig wachsenden Macht der Anglizismen gefährlich gefaucht hätte.
Kommunikation ist belangvoll, alltäglich, jedoch folgenreich, sobald der Automatismus produ-
zierte Daten erst einmal im Netz platziert hat. Die Datenlawine ist schier frei von Fehlerselekti-
on und die Schwelle des heutigen Peinlichkeitempfindens bei vielen Datenurhebern erstaunlich
niedrig. Sich mitzuteilen scheint verpflichtender, als die Scham vor der Lächerlichkeit. Wort-
austausch per Internet erfordert gedankliche Schnelligkeit und mancher besitzt diese Gabe nun
mal nicht. Satzaufbau und Wortwahl geraten dann mitunter ungewollt kurios.
Die Wirkung des Wortes lebt ja weitgehend, abgesehen vom individuellen Kenntnisstand der
angesprochenen Person, als erstes von der dargebotenen Überzeugung und dann, fast gleich-
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zeitig, greifen die oberen Einordnungsmechanismen wie falsch oder richtig, wahr oder unwahr.
Darauf folgt die Reaktion mit den wohlbekannten Empfindungen, das gesagte, geschriebene
Wort hinterlässt jeweilige Wirkung, es beeindruckt, bewegt uns, bringt uns in Wut, und manch-
mal lässt es uns gänzlich unberührt, weil dummerweise ein wenig die Wortgewandtheit fehlt.
Gerade dieses Manko aber könnte demnächst eine Aufwertung erfahren, wenn nämlich tradi-
tionelle Bewandtnisse nicht weiter gefragt sind und die technische Entwicklung peu à peu eine
Sprache des zweckgebundenen Eilschriftcharakters hervorbringt, wenn die geschulte Sprache
ohne Phantasie und ausschließlich produktiver Vorstellungsverknüpfungen zu einem harmlosen
Informationsträger verkümmert. Welche Erforderlichkeiten begründen sich eigentlich in den
Einsichten des Programmierers und seiner Sprache? Vielleicht wird ja eine digitale Tech-
nik stufenweise die Sprache im Sinne der mathematischen Aussagenlogik reglementieren und
folglich Kommunikationsvereinfachungen willkürlich bestimmen. Eines scheint sicher, reduzier-
te Sprache ist überschaubar, verwaltbarer im politischen System.
Der Hinweis sei erlaubt, Gebräuchlichkeiten zur simplifizierten Sprache zeigen sich gegenwärtig
ohnehin recht ungeniert. Wortstandards in den Medien sind meist verlässliche Indikatoren für
vordergründige, gar nicht mal wirklich subtile Formen manipulativer Absichten. Standards sind
wirkungsvoll durch Nachahmung. Und tatsächlich, bestätigt dank moderierender Akteure mit
vorgefertigten Wortblöcken bescheidet sich das allgemeinvorhandene Anspruchsniveau und
neigt zu verärgernd langweiligen Sprachgewohnheiten. Sie ist präsent, die Dominanz der Wort-
hülsen.
Wenngleich, noch gibt es sie, die gegensätzliche Welt des Wortes. Dazu bedarf es bislang kei-
nes Simulators, keines Labors für synthetisch formulierte Poesien. Noch ist sie nicht illusorisch,
die Erzählkunst von Heine und Remarque, oder die saloppe Eloquenz Tucholskys.
Stirbt aber die Magie des Wortes, wenn wir es digitalisieren, wird der Zauber der gescannten
und ins Netz gestellten Werke Schillers und Goethes an Wirkung einbüßen, weil wir vor dem
Bildschirm abweichend von erlernten Gewohnheiten lesen und empfinden?
Der künftige Umgang mit den Worten am Draht ist nicht unbedingt vorhersehbar. Die sich ra-
sant entwickelnde Informatik stellt von selbst adäquate Anforderungen an den Nutzer. Indivi-
duelle Computerkenntnisse und Mentalität werden seine Aktionen steuern. Könnte er sich nun
für die in der Realität vorhandenen Bedingungen entscheiden, unter Berücksichtigung bewähr-
ten Wissens, dann wäre sein Tun höchstwahrscheinlich sinnvoll. Entscheidet er sich dagegen
für die Dinge einer virtuellen Scheinwelt, könnten alsbald kreative Impulse hinsichtlich bisher
ungelöster Phänomene in eine irrtümliche Richtung gehen. Seine zunächst schimärenhaften
Absichten dürften womöglich irgendwann irgendjemanden Schaden zufügen. Überwiegt dabei
erst einmal die Versuchung zur illegalen Cyberhandlung, ändern sich die Interessen. Gewiss,
zwangsläufig müssen keine kopfgesteuerten Drahtgewirre allerlei Unfug nach sich ziehen. Den-
noch stehen fortan Goethes Worte zur Disposition, werden gelöscht, weil die Sprache des com-
puterversierten Enthusiasten sich nur jener Programmiersprache bedient, mit der er Sicher-
heitslücken aufspürt und in fremde Computersysteme einzudringen versucht.
Wäre es daher gleicherweise vorstellbar, wenn die dunkle Seite seines Hirns eventuell auf die
Abschaltung des regionalen Elektrizitätwerkes zielte? Erfolg durch erreichten Endzweck hieße
hier aber auch gleich Zusammenbruch, infolge seines urplötzlich kollabierenden PC’s.
Er wird also zögern und die Berührung mit der Bestätigungstaste letztlich vermeiden. Und das
ist sein Glück. Denn ihm widerfährt dafür Erstaunliches: aus der Tiefe des Monitors erscheint
unerwartet Remarque, als vollkommene Simulation. Stumm ergreift dieser die Tastatur, ver-
ständnisvoll lächelnd und mit ruhiger Geistigkeit, so, als käme er aus der Zukunft. Dann diri-
giert er sie in den Draht, seine Worte, beeindruckend und gekonnt, zur herbeigewünschten Er-
hellung des programmierten Verstandes.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.11.2011.
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