Diethelm Reiner Kaminski

Sag niemals nie



Der gefürchtete Tag war gekommen. 007 hatte ihn Jahr um Jahr hinausgezögert. Erst 66, dann 67 … Bis 70, fünf Jahre über die reguläre Zeit, aber jetzt machte M 16 endgültig nicht mehr mit. Er war ihnen zu langsam geworden. Im Denken wie im Handeln. Und die Affären mit immer jüngeren Frauen wurden zunehmend peinlich. Der wahre Grund war jedoch, dass die erwarteten spektakulären Erfolge bei den Geheimmissionen ausgeblieben waren. Ein Leben lang hatte seine Devise „Sag niemals nie“ gelautet, aber nun sagte sein Auftraggeber: „Jetzt ist Schluss. Sie müssen auch andere leben und sterben lassen, Bond.“

Ein Minimum an Trost blieb. Seine Erfahrung als Geheimagent konnte ihm niemand nehmen. Sein Leben war ein einziger Feuerball gewesen, mit dem Tod im Rückspiegel war er im Auftrag Ihrer Majestät durch ein aufregendes Leben gerast. Der Hauch des Todes hatte ihn pausenlos umweht. Was sollte ihn noch schrecken? Weder der Ruhestand noch die drohende Mittellosigkeit. Zwar hatte er nicht schlecht verdient und auch eine Menge Sonderprämien eingeheimst, aber mit Geld hatte er nie einen Goldfinger gehabt. Es war ihm unter den Händen zerronnen. Mit anspruchslosen Frauen hatte er sich nie abgegeben. Seine Geliebten stellten gehobene Ansprüche. Luxusweibchen, denen die kurze Liaison mit einem Geheimagenten den ultimativen Kick gab. Man lebt nur zweimal, sagte sich Bond. Er würde nicht untätig auf seinem Hintern sitzen. Er würde sich eine neue Identität zulegen, denn sein Erkennungscode 007 war mit der Pensionierung eingezogen worden. Dieser Code hatte ihn durch sein Leben begleitet. So ganz von ihm trennen konnte und wollte er sich nicht. Eingeweihte sollen ihn auch zukünftig bewundern und fürchten. Er würde sich Privatagent 700 nennen.

700 war ohnehin die Zahl seines Lebens. 700 Monate war er Geheimagent gewesen, zumindest in Gedanken, schon als Jugendlicher. 700 Agenten feindlicher Nationen hatte er enttarnt oder unschädlich gemacht. Gewissenhaft hatte er darüber Buch geführt. Die meisten mit einem Kreuz hinter dem Namen. Vorwiegend Russen und Chinesen, aber auch Nordkoreaner, Malayen und Pakistani. Und deutsche Ex-Nazis. Er nahm sich vor, die Listen nach Nationalitäten aufzuschlüsseln. Eine Freizeitbeschäftigung für einsame Stunden.

Und er könnte, was er bisher versäumt hatte, eine zweite Liste anlegen. Die seiner Geliebten. Ob er auch auf 700 käme? Unwahrscheinlich war das nicht. Schließlich hatte er nicht selten mit zwei oder drei gleichzeitig im Bett gelegen. Ob er noch alle zusammenkriegte? Aber da war er optimistisch. Seine stärkste Waffe war immer sein phänomenales Gedächtnis gewesen.

Das Schrillen des Telefons schreckte ihn aus seinen Überlegungen.

„Hi, ich bin´s, Peggy, erinnerst du dich noch an unsere heißen Nächte in der Karibik vor 20 Jahren?“

„Aber selbstverständlich, davon träum ich noch heute jede Nacht. Möchtest du, dass wir sie wiederholen?“

„Das lassen wir lieber, Bond. Ich denke, du bist auch nicht mehr der Jüngste. Dreißig Jahre älter als ich. Es könnte peinlich für dich werden. Nein, ich habe gehört, dass sie dich in den unverdienten Ruhestand abgeschoben haben. Da habe ich mir gedacht, dass du doch vielleicht Zeit für einen privaten Auftrag hättest.“

„Im Auftrag welcher  Geheimdienstorganisation?“

„Wenn du mich als eine solche betrachtest …“

„Worum geht´s?“

„Ich habe den Verdacht, dass mein Mann mich betrügt. Da hätte ich gerne Gewissheit.“

„Soll ich ihn unauffällig aus dem Wege räumen? Das würde das Honorar aber verdreifachen.“

„Vorerst nicht. Das hat Zeit. Wann können wir uns treffen, damit ich dir die Fotos von ihm übergebe? Was ist? Du sagst ja gar nichts. Willst du oder willst du nicht?“

Bond sann ein paar Sekunden nach und stimmte dann zu. Das war zwar nicht das, was er sich vorgestellt hatte, aber es war ein Anfang, um im Geschäft zu bleiben. Und er hatte schon den ersten Namen für seine zweite Liste. Denn an den Namen Peggy konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. Trotz seines phänomenalen Gedächtnisses.


30.11.2011

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