Hans Witteborg

Geiz und Gier sind Geschwister


(ein Märchen auch für Erwachsene)

Einem wohlhabenden Kaufmann war die über alles geliebte Ehefrau nach langen, glücklichen Jahren miteinander weggestorben. Er vermißte sie sehr, doch nach einigen Jahren der Trauer war er der selbst auferlegten Einsamkeit überdrüssig geworden, und er sah sich nach einer neuen Partnerin um. Die Auswahl war groß, zumal sich schnell herumsprach, daß der Kaufmann ein überaus ansehnliches Vermögen besaß und in einem Alter war, das nach nicht gar so langer Zeit eine fette Erbschaft erwarten ließ.
Zugegeben, der alte Herr war eitel genug, sich um weitaus jüngere Damen zu bemühen,
was die Lebensweisheit unterstreicht, daß Alter auch vor Torheit nicht schützt.

Kurz und gut, von ihrer Jugendlichkeit und einem schönen Lärvchen angetan, machte sich der Galan an eine junge Frau heran, deren Herz er vermeintlich auch im Sturm eroberte. Diese wiederum konnte es kaum erwarten seine Ehefrau zu werden und drängte auf eine schnelle Hochzeit. Wenn man glaubt, nicht mehr allzu viel Zeit auf Erden verbringen zu können, ist man geneigt den Rest des Daseins noch schnell und in vollen Zügen zu genießen. Dieser Meinung war auch unser Kaufmann und so gingen beider Wünsche durch eine Eheschließung in Erfüllung.
Die Hochzeit wurde mit vielen Gästen und allem erdenklichen Pomp gefeiert, denn eines konnte man dem Ehemann bestimmt nicht nachsagen, daß er geizig sei. Ganz im Gegenteil, er war wegen seiner Wohltätigkeit und seiner Großzügigkeit in der ganzen Stadt bekannt.
Das aber änderte sich nach ein paar Wochen der Eheschließung. Die junge Frau dachte nicht daran auch nur einen ganz winzig kleinen Bruchteil des Vermögens an irgendeine Wohltätigkeitsstiftung abzugeben. Als ihr Ehemann es trotzdem einmal wagte, machte sie ihm die Hölle heiß und strafte ihn mit mehrwöchigem Liebesentzug. Der Kaufmann, Gutmensch wie er war, hatte ein ausgesprochenes Harmoniebedürfnis und spendete, wenn überhaupt, nur noch heimlich. Als seine Frau dahinter kam, warf sie ihn aus dem gemeinsamen Schlafzimmer und als zusätzliche Strafe kochte sie nur noch Graupensuppe ohne Fett- oder Fleischeinlage. Sie selbst aß zu den gemeinsamen Mahlzeiten hingegen nur wenig, hatte sich jedoch vorher an Käse teuren Pasteten Würsten und Schinken aus der Speisekammer bedient. Als er schon in der dritten Woche die kraftlose und unappetitliche Plürre vorgesetzt bekam, wurde es ihm doch zuviel. Er beschwerte sich heftig, was bei seiner Frau zu einem gespielten Weinkrampf führte. Sie meinte schluchzend, daß sie dies nur für die Vorbereitung auf schlechte Zeiten tue. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, brachte sie stotternd hervor.
„Wir werden auch in späteren Tagen noch keine Not leiden,“ entgegnete der genervte Ehemann. Er nahm eine Geldkatze aus seinem Gürtel und schütte etliche Goldmünzen auf den Tisch. Die Augen der Ehefrau glänzten vor Gier. Der Alte aber sprach listig: „Wenn du mir morgen eine Suppe servierst und ich die Fettaugen darin zählen kann,
bekommst du soviel Goldmünzen von mir wie Fettaugen in der Suppe schwimmen!“
Dieses Versprechen ließ sich die junge Frau nicht entgehen. In die Graupensuppe des folgenden Tages schmolz sie ein ganzes Pfund Butter mit ein und servierte voller Erwartungsgier diese ihrem Ehemann. Doch was war das? Die überreichliche Fettzugabe erwies sich als ein großer Fehler. Auf dem gesamten Teller verbreitete sich nur ein einzige Fettauge aus. Ein Fettauge!
Der Kaufmann krümmte sich vor Lachen. Er hielt aber sein Versprechen ein und schenkte der verärgerten Ehefrau ein Goldstück.

Ich weiß nicht, ob die junge Frau daraus gelernt hat, die Geschichte jedoch zeigt, daß Geiz und Gier immer Hand in Hand gehen.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Vom Ufer aus von Hans Witteborg



Die Gedichte begleiten durch die vier Jahreszeiten und erzählen wie die Natur erwacht, blüht und welkt, wissen von reicher Ernte zu berichten. Der Spätsommer im Park, winterliche Gefilde oder Mailandschaften scheinen auf. Der Autor verwendet meist gereimte Zeilen, zeigt sich als Suchender, der neues Terrain entdecken möchte. Der Band spricht von den Zeiten der Liebe, zeigt enttäuschte Hoffnungen und die Spur der Einsamkeit. Wut und Trauer werden nicht ausgespart. Es dreht sich das Kaleidoskop der Emotionen. Der kritische Blick auf die Gesellschaft und sich selbst kommt zum Zuge. Kassandras Rufe sind zu hören. Zu guter Letzt würzt ein Kapitel Humor und Satire. So nimmt der Autor seine Zettelwirtschaft aufs Korn, ein hoffnungsloser Fall.

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