Ewald Frankenberg

Öffnet die Tür (Teil3)

                                                         ***

Er öffnet die Tür. Kalte Luft schlägt ihm entgegen und ... klatsch ...,
etwas härter, ein Schneeball, mitten ins Gesicht. Seine Ohren füllen
sich mit dem Johlen fröhlicher Kinder, dazwischen ein leicht
erschrecktes „Ohh!“ ob des Volltreffers. Aber das tut der Freude
der im Schnee balgenden Kinder keinen Abbruch. Durch die in den
Wimpern hängenden Schneekristalle erkennt er etwa zehn Kids,
sechs- bis siebenjährig, die bei seinem Anblick zu singen beginnen:
     „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“

Kinder.

Nach dem ersten Schrecken hat er sich gefangen, erfreut sich an
der Begeisterung der Kinder. Sein Mund formt sich zu einem breiten
Grinsen, weiße Zähne blitzen im schwarzen Gesicht.
       „Niemand!“
Er bückt sich, backt einen großen Schneeball.
       „Und wenn er kommt?“
     „Dann laufen wir!“

Die Kids stieben auseinander, als er den Klumpen nach ihnen wirft,
um sich gleich wieder nach der nächsten Hand voll Schnee zu bücken.

Ja, die Kinder sind noch ungezwungen im Umgang, ohne Vorbehalte,
auch gegenüber dem Fremden, was er sich bei älteren Menschen oft
wünscht, bei denen er teilweise gar Hass zu spüren bekommt.

Aber Kinder bringen die Seele noch zum Leuchten, überall auf der
Welt, da vergisst man für Momente doch all seine Not, denkt er,
während er ihnen lachend nachsetzt.

     „Ey! Der Kanakker da, erst schröpft er unsere sauer verdiente
Kohle ab, und dann macht er sich auch noch an unsere Kinder ran“ macht
kreischend ein älterer Junge seine Clique auf den Neger aufmerksam,
der wohl mit dicker Geldbörse, prall gefüllt mit erschlichenem Geld, das
Sozialamt verlässt, Asylbetrüger, der sich hier auf unsere Kosten ein
schönes Leben macht, während unsere arbeitslosen Väter am Hungertuch
nagen und wir wohl auf der Straße landen werden, weil es für uns keine
Wohnungen mehr gibt.

Die Jugendlichen schultern ihre Baseballschläger und setzen dem
Verbrecher nach.

                                                         ***

Der alte Mann öffnet die Tür. Wer mag jetzt davor stehen? Nur leicht
war er zusammengezuckt, als es klopfte. Wer mochte das sein?

Ja, um diese Zeit kamen immer die Nachbarn herüber, um mit ihm
zusammen die Christmesse zu besuchen. Doch auch sie hatten sich etwas
zurückgezogen, seit es die Nation nicht mehr gab, denn auch sie gehörten
dem anderen Volk an.

Die Hand mit der Flasche glitt an der Tischkante vorbei, während er
mit der anderen seinen Körper hochzog. Am Tisch stand die Krücke,
die er immer dann benötigte, wenn ihm infolge kalter Witterung seine
Prothese zu schaffen machte. Ein kurzer Funke glimmte in seinem
Herzen. Die Angst war weg. War einer ungewissen Hoffnung gewichen.
Weihnachten ist auch das Fest der Versöhnung.

Feuchtigkeit hatte die Tür ein wenig verzogen, so dass sie beim Öffnen
leicht den Boden schrammt. Sein Blick fällt in ein tiefes schwarzes Loch,
fällt direkt in die Mündung einer Panzerkanone, die auf seine Tür, jetzt
auf ihn gerichtet ist. In ihm ist kein Erschrecken. Noch immer glimmt
der Funke Hoffnung in seinem Herzen.

Fest der Versöhnung!

Neben dem Panzer stehen zwei dreckverschmierte uniformierte
Menschen, die Maschinenpistolen im Anschlag. Neben der Tür der Mann,
der offensichtlich mit seinem Gewehrkolben gegen die Tür gehämmert
hatte. Auch er hat seine Waffe wieder in den Anschlag gebracht.

Doch der Alte fühlt sich wohl. Er ist nicht mehr allein. Drei Menschen.
In dem Panzer werden sich noch mehr befinden.

- Versöhnung – Frieden –

Eine Träne des Glücks rollt aus seinem Augenwinkel an seiner Nase
hinab, bleibt in seinem dunklen Schnauzbart hängen. Er schämt sich
ihrer nicht.

- Willkommen -

Er hebt die Flasche den Gästen entgegen. Die Kraft des Schusses,
der seine Brust explodieren lässt, schleudert ihn längs durch den Flur,
knallt ihn an die Stirnwand. Aus dem, zum Willkommensgruß geöffneten
Mund fließt ein schmales Blutband. Seine Augen blicken noch immer mit
der Wärme des Friedens auf die hereinstürmenden Menschen, während
er tot an der Wand zu Boden gleitet.

Der Soldat, der geschossen hat, stößt ihm mit dem Gewehr in die Seite.
Von dem geht keine Gefahr mehr aus. Er bückt sich nach der Flasche, die
heil geblieben ist, hebt sie gegen das Licht, schnüffelt an ihr.

     „Ist doch kein Molly“ grinst er seine Kameraden an, nimmt einen kräftigen
Schluck und reicht sie weiter.

     „Ja, Alter, was musstest Du auch mit der Flasche auf den Panzer losgehen!“

                                                               ***

Es wird noch ein wenig gescherzt unter den Ruderern, bevor der Ernst der
Veranstaltung beginnt. Sie liegen in ihrem Ruderboot etwa achthundert
Meter vom Sandstrand entfernt und warten auf ihren Einsatz. Die Sonne
brennt gnadenlos vom Himmel. Neun braungebrannte Männer in Badehosen
warten auf das Signal vom Strand her, vielleicht noch fünf Minuten. Der
Größte unter ihnen öffnet widerwillig das verschnürte Paket, die rote Robe
kommt zum Vorschein.

Ja, es wird Zeit. Er wirft sich das Teil über, zieht den weißen Rauschebart
ins Gesicht, die rote Kapuze auf den Kopf.

     „Ich wandere aus nach Europa, da soll Schnee liegen zu Weihnachten!“

Der Schweiß tritt ihm langsam auf die Stirn, er tupft ihn mit dem Ärmel ab.
Der Riesensack mit den Süßigkeiten wird noch einmal kontrolliert, wäre ja
peinlich, er ginge beim Ritt auf der Dünung über Bord. Es würde nur lange
Gesichter geben am Strand, er wäre der erste Weihnachtsmann, der mit
Schimpf davon getrieben würde.

Er grinst, während er über schwankende Planken in den Bug des Bootes
klettert. Wäre der Weihnachtsmann eine australische Erfindung, wäre
die ganze Sache sicherlich weniger schweißtreibend. Aber ob der alte Mann
dann jetzt umgekehrt in Europa in einen roten Tanga gewandet seinen
Schlitten lenken würde; um Himmels willen.

Er macht den Job jetzt im zweiten Jahr. Es bringt doch eine Menge Fun.
Gleich werden seine Ruderer das Boot vor die Welle drehen, so dass es
von der Dünung bis auf den Strand getragen wird. Ihm wird die Gischt ein
wenig Abkühlung verschaffen, wenn er erhaben aufrecht im Bug steht. Am
Strand gilt es dann, die Scharen auf ihn wartender Kinder zu beglücken,
ein paar fromme Sprüche abzulassen, das Übliche: Bist Du auch immer brav
gewesen? ... und Süßigkeiten verteilen, bis der Sack leer ist, um dann den
angenehmen Teil der Fete einzuläuten mit dem Durchbruch in die zweite Reihe,
wo die jungen Frauen warten, die alle ein Küsschen vom Weihnachtsmann wollen
und wo die eine oder andere auch nichts dagegen hat, wenn sie seine Rute zu
spüren bekommt.

Am Strand wird die rote Leuchtkugel in den Himmel geschossen, das Signal
für den Aufbruch. Seine Kameraden legen das Boot vor die nächste Welle.

                                                                                                      ©Ewald Frankenberg


Wird die Welt besser, wenn wir zu Weihnachten einen geschmückten Baum zwischen
die Schützengräben stellen und mit dem Gegenüber gemeinsam Lieder singen?
Dann wünsche ich mir 365 Tage im Jahr Weihnachten, denn was ist schon der eintägige
Hoffnungsfunke gegen die Enttäuschung danach.

Ich wünsche euch einen besinnlichen dritten Advent, das Ende meiner Geschichte folgt
nächstes Wochenende
                                               Ewald

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